Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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XX.

Im Thronsaal zu Bangkok. Prinzen oder Straßenjungen. Sr. Maj. Toast. König Mongkut's Facsimile. Dr. Bastian. Das Dschunglefieber. Einladung zum zweiten Könige von Siam. Die Schlacht bei Roßbach und Genovefa. Ein preußisches Zündnadelgewehr. Brandy trinken wir doch.

Se. Maj. kam uns entgegen und geruhte, uns in den Thronsaal zu führen. Als erster König hatte unser hoher Wirth für nöthig erachtet, etwas ausführlicher Toilette zu machen, als sein Neffe Prinz Georg, doch war seine Tracht, dem Klima entsprechend, immer noch bequem genug. Er trug das sogenannte kleinere Kostüm, d. h. ein Jäckchen von violetter Seide, an den Aermeln mit etwas Gold gestickt und einen Schurz (Saroon) aus karmoisinrother Seide, keine eigentlichen Hosen. Ein weißes, mit einem großen Brillanten zugestecktes Halstuch war, wie ein leichter seidener Shawl, lose um den Hals geschlungen, ein Hemde hatte Se. Maj. eben so wenig angelegt, wie alle seine Unterthanen, Grenznachbarn und asiatischen Stammverwandten. Pantoffeln, oder gar Strümpfe, trug der König nicht, unterhalb der Knie waren seine braunen, vollkommen wadenlosen Beine nackt, auch that er sich keinen Zwang an und 264 fuhr während des Empfanges fort, Betel zu kauen. Sein Haupt war mit einer kleinen seidenen Mütze ohne Schirm bedeckt, an deren schottisch gemusterter Einfassung die Decoration des Elephantenordens vierter Klasse haftete. Sie wird hier nach der Art der Nationalkokarde von ihren Inhabern auf der Kopfbedeckung getragen. Nicht recht im Einklange mit dieser Sommertracht stand ein goldener Schleppsäbel, mit dem Se. Maj. umgürtet war und ein, jedes jungen Matadors von der Garde würdiges Gerassel verursachte. Der König ist 59 Jahre alt, sieht aber mehr als zehn Jahre älter aus. Er spricht ziemlich gut englisch, nur sehr undeutlich, besser soll er sich darin schriftlich ausdrücken.

Der Thronsaal, der seinem Baustyl und den reichen goldenen Ornamenten und Säulen nach jedem europäischen Königspalaste Ehre machen würde, war mit einem bunten Teppich bedeckt, dessen Muster man jedoch, da der ganze Saal mit knieenden und auf den Ellbogen kauernden Gestalten gefüllt war, kaum erkennen konnte. Nach der Etikette sind selbst die Prinzen von Geblüt, die Minister, die hohen Beamten, Hofmarschälle und Kammerherren verpflichtet, während der Anwesenheit des Staatsoberhauptes in dieser ehrfurchtsvollen Positur zu verharren. Die Wände waren mit lebensgroßen Porträts der Königin von England, des Kaisers der Franzosen, des Königs von Portugal und der Königin Pomare geschmückt. In einer Ecke lehnte die Gestalt eines preußischen Grenadiers in voller Uniform und Waffenschmuck; das Piedestal der Figur war zerbrochen und man hatte sich nicht anders zu helfen gewußt, wollte man den Saal nicht seines eigenthümlichsten Schmuckes 265 berauben. Außerdem stand noch eine gezogene Kanone im Thronsaal, die als »ultima ratio regum« das höchste Ansehen in den Augen des alten Herrschers von Siam zu genießen schien. Wir durften rechts und links von dem Lehnsessel des Königs, der zugleich die Einrichtung einer Draisine hatte, denn nach siamesischen Vorstellungen galt es wahrscheinlich für ein Vorrecht europäischer Fürsten: sich selber fahren zu können, Platz nehmen, und die Unterhaltung begann. Ich glaubte mich aus einem vaterländischen Polizeibüreau, in den Händen eines pflichteifrigen Paßbeamten zu befinden, so wißbegierig erkundigte sich Se. Maj. nach Vor- und Zunamen, Geburtsort, Alter, Wohnort, Geschlecht und besonderen Kennzeichen. Ob und inwiefern er mich verstanden oder mißverstanden, ist mir unklar geblieben. So viel steht fest, über Preußen und die Lage Berlins vermochte ich nicht, ihn in's Klare zu bringen. Er verwechselte fortwährend, wie einer meiner schon erwähnten früheren Reisegefährten, »Prussia« mit »Persia«. Unsere Conversation wurde durch die Anwesenheit der zahlreichen Rangen Se. Maj. wiederholt gestört. Vielleicht wird ein loyales Gemüth diesen unehrerbietigen Ausdruck beanstanden, ich bediene mich jedoch der scharfen Collectivbezeichnung nur, da ich das Geschlecht der anwesenden jungen Abkömmlinge des Königshauses, vermöge der uniformen Tracht der Prinzen und Prinzessinnen, nicht zu unterscheiden vermochte, und mich ihr unhöfisches Benehmen vollkommen zur Wahl eines so unehrerbietigen Wortes berechtigt. Die königl. Jugend genießt, so lange sie nicht das Alter der Reise, d. h. das elfte oder zwölfte Lebensjahr erreicht hat, gewisser kindlicher Prärogative. Sie 266 braucht noch nicht, wie die hohe Aristokratie und der befestigte Grundbesitz Siams, in Anwesenheit des Landesherrn auf Knieen, Ellbogen und Gesichtern liegen zu bleiben, sondern darf sich frei im Thronsaale bewegen. So spielte denn eine erhebliche Anzahl sechs- bis zehnjähriger Kinder, bekleidet mit kostbaren bunten Saroons und reichem Schmuck von Gold, Perlen und Diamanten, rings umher, und ich muß eingestehen, ungeachtet ihres dunkelgelben oder braunen Teints niemals eine gleiche Anzahl schöner Kinder beisammen gesehen zu haben. Wenn ich die geringen männlichen Reize Se. Maj. in Erwägung zog, so wird man mir den stillen Wunsch verzeihen, nur aus physiognomischer Wißbegier in Betreff der Aehnlichkeit, mit den Gemahlinnen des Königs näher bekannt zu werden.

Die Sitte des Orients bringt es mit sich, beim Empfange Geschenke zu vertheilen, und selbst der Allergnädigste verschmäht es nicht, irgend eine werthvolle Gabe, und wären es auch nur einige Pfund Sterling, die später mit einem von der königlichen Hand gezogenen Ringe erwidert werden, anzunehmen; man wird sich daher den Unwillen der siamesischen Prinzenschaar ausmalen können, als ich keine Anstalt machte, die vorschriftsmäßigen Bonbons, Nippessachen und Quincaillerien zu vertheilen. Sie näherten sich mir, untersuchten die Taschen meines schwarzen Fracks und zwangen mich endlich, da sie Hand an die Busentasche und die Inexpressibles legten, ja die goldenen Kleinigkeiten von meiner Uhrkette reißen wollten, den Frack zuzuknöpfen. Jetzt ließen sie zwar von mir ab, holten aber aus dem Vorhofe des Palastes kleine Steine heraus, mit denen sie nach Sir Robert Schomburgk und mir mit der angeborenen 267 Wurffertigkeit von Affen ein Bombardement eröffneten. Um die Aufmerksamkeit des Landesvaters, der von den Ausschreitungen seiner Sprößlinge nicht die geringste Notiz nahm, anzuregen, erlaubte ich mir die Frage, wie hoch sich mit Einschluß dieser liebenswürdigen und wohlerzogenen Kleinen die Familie Se. Majestät belaufe? Nach längerem Addiren und Multipliciren antwortete der König, daß die Zahl wohl acht und vierzig betragen könne, doch sei ein Irrthum möglich. Obwohl er hinzufügte, eine gleiche Anzahl sei Todes verblichen, verbarg er doch nicht seine Genugthuung über einen derartigen Kindersegen, und wurde durch meine Frage in die beste Laune versetzt.

Er erhob sich, holte eine Flasche Rothwein, schenkte die auf zwei Seitentischen stehenden kleinen Gläser voll und trank auf unsere Gesundheit. Der Toast mußte von Seiten Europa's erwidert werden. Ich bat also um die Erlaubniß dazu, sie wurde huldreich gewährt, doch fühlte Se. Maj. tactvoll heraus, daß die Anwendung einer stark alkoholhaltigen Flüssigkeit jetzt angemessener sei. Auf jenen beiden Seitentischen standen zwei werthvolle, reich ausgestattete Flaschenfutter (Liqueurkasten), Geschenke der Königin von England und des Kaisers der Franzosen, zu denen Se. Majestät jetzt seine Zuflucht nahm. Drei Achtelgläser wurden, da man hier das geistigere Getränk auch aus größeren Gefäßen zu sich nimmt, eigenhändig vom Könige vollgegossen; ich brachte mit nöthiger Ehrerbietung seine Gesundheit aus. Zugleich fügte ich einige Lobsprüche der gezogenen Kanone, des Cognacs und der Grenadierpuppe hinzu; ich hatte die schwache Seite Sr. Majestät getroffen. Der König gab mir einen burschikosen Puff in die rechte 268 Seite, ergriff meine Hand, um sie freundschaftlich zu kneten, und verzog dabei sein altes biederes Gesicht so gewaltsam, daß die rothe Betelsauce über die Lippen rann und auf den Schurz troff. Dann füllte er von Neuem die Gläser, ergriff das Meinige und reichte mir das Seinige, das noch den Abdruck seines saftigen Mundes bewahrt hatte. Mir zuckte blitzartig der Gedanke durch den Kopf, er gehe damit um, mit mir Brüderschaft zu trinken; der König hatte sich jedoch nur in den Gläsern vergriffen. Der Kuß blieb mir nun zwar erspart, Bescheid mußte ich indessen thun. Bei dem Mangel an dankbaren Gegenständen der Unterhaltung, glaubte ich meinen hohen Gönner von dem bei der Hitze des Tages wenig ersprießlichen Cognac-Genuß abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen, wenn ich mich nach der Zahl seiner Gemahlinnen erkundigte, allein sein Gesicht verfinsterte sich; er blieb mir die Antwort schuldig. Später erfuhr ich von Sir Robert, daß ich eine Unschicklichkeit begangen hätte. Beide Könige von Siam legen großes Gewicht darauf, den Herrschern Europa's so ähnlich als möglich zu sein, der Hauptunterschied zwischen beiden Welttheilen, die Vielweiberei, ruft ihnen in Gegenwart Fremder daher stets ihre sittliche Inferiorität auf die unangenehmste Weise in das Gedächtniß zurück. Der Unmuth des guten Alten war nicht von langer Dauer, da ich ihn, als Erinnerung an meinen Besuch an seinem Hofe, um sein Bild bat. Sein Gesicht verklärte sich, er befahl, eine Mappe herbeizubringen, und überreichte mir eine colorirte Photographie in der Größe eines Quartblattes, die ihn, in seiner Draisine sitzend, von den beiden Liqueurkästen umgeben, darstellt. In der Linken hält er, wie auch während unserer Audienz, 269 einen Krückstock mit Elfenbeingriff und ein großes Taschentuch von feinstem Leinen. Ich darf indeß nicht verschweigen, daß Se. Maj. sich desselben niemals bedient, sondern es nur für das Attribut jedes hochgestellten, gebildeten Mannes zu halten scheint. Sah er sich zur Reinigung seiner Nase genöthigt, so bediente er sich, wie Holzhauer, Matrosen und Fuhrleute, zwanglos der Vorderfinger der Rechten. Meine Bitte, dem Porträt seine Namensunterschrift hinzuzufügen, gewährte der König mit großer Bereitwilligkeit. Ein mächtiges Tintenfaß aus gediegenem Golde nebst dito Feder wurde herbeigeschafft, und mit etwas zitternder Hand, aber doch mit leserlichen Schriftzügen schrieb Se. Maj. unten auf die Kehrseite des Porträts:

SPPM Mongkut MRS
was born on 18 october 1804.
crowned on 15 May 1851.

Jetzt traten wir den Rückzug an, und ein Juwelier, der dem Könige eine mit Brillanten besäete Schatulle zum Verkauf anbot, wurde vorgelassen. Auf dem Deckel befand sich eine auffallend große Perle, die als eine Seltenheit des Orients in Bangkok einen hohen Ruf besaß. Täusche ich mich nicht, so war die Perle etwa von der Größe eines Hühnereis. Nach Sir Robert's Angaben erlauben die Mittel des Königs, sein Gelüsten nach Juwelen und sonstigen Pretiosen zu befriedigen. Der Handel Siams ist in seinen Händen, und Mongkut ist der erste Reis- und Zuckerhändler en gros des Landes.

Mein Besuch beim französischen Consul mußte bei der unleidlichen Hitze am nächsten Tage schon um 6 Uhr Morgens abgestattet werden, dann holte Sir Robert 270 Schomburgk mich in seinem Boote ab, und wir fuhren zu Dr. Bastian, dem berühmten Reisenden und Sprachforscher, der jetzt glücklich nach Europa (Bremen) zurückgekehrt ist, fanden ihn aber am Dschunglefieber schwer leidend darniederliegen. Am Ufer beobachteten wir eine Anzahl in Ketten geschmiedeter Verbrecher, darunter mehrere Weiber mit Kindern an der Brust. Nach einer gewitterschwülen Nacht, die ich gequält von Kopfschmerzen und Prickly heat (Rothlauf, rother Hund) halb schlaflos zugebracht, erhob ich mich und warf einen Blick in die Zeitung, an deren Spitze zwei Unglücksfälle standen; die P. N. O. Company hatte zwei Dampfer verloren. Der erste war bei Hongkong verbrannt, der zweite auf dem Wege von Calcutta nach Suez gescheitert. In der leidigen Lectüre wurde ich von Sr. baarfüßigen königl. Hoheit, Prinz Georg Washington, unterbrochen; Sir Robert hatte mich schon am 10. März darauf vorbereitet. Er war in einem mit zwölf wildblickenden Ruderern bemannten Boote angelangt und wurde von einem Steuerbeamten, als Adjutanten, und einigen Dienern begleitet, die einen silbernen Cigarrenkasten, eine brennende Lunte und einen Monstresonnenschirm hinterdrein trugen. Das Haupt des Prinzen war wieder unbedeckt und nur durch den landesüblichen Haarstumpf über der Stirn geschützt. Es blieb mir nichts anderes übrig, als in meinen, dem tropischen Klima Hohn sprechenden schwarzen Frack zu schlüpfen und dem Prinzen zu folgen, denn er war heute mit einer Einladung seines Vaters, des zweiten Königs von Siam, gekommen.

Wir hatten eine gute Stunde den Fluß hinauf zu fahren und verkürzten uns die Zeit durch Cigarrenrauchen. Der 271 Unterhaltungsstoff war in den ersten fünf Minuten aufgezehrt. Ich saß neben dem Prinzen auf einem bequemen rothseidenen Kissen und rauchte eine seiner schlechten Cigarren, die halb aus Tabak, halb aus Stroh bestanden, doch war Se. königl. Hoheit nicht unempfänglich für die Reize eines guten Blattes. Eine tadellose Manila, die ich ihm anbot, mundete dem Prinzen sichtlich. Am Ufer wurden wir von mehreren Dienern des königlichen Hauses erwartet. Diese führten einen gesattelten Schimmel ohne Steigbügel herbei, aber vergeblich sah ich mich nach einem Braunen oder Rappen für meine bürgerliche Person um. Der Prinz schwang sich gewandt in den Sattel, ich mußte um 12 Uhr Mittags, bei 30 Grad Reaumur nebenher laufen; nicht einmal ein Sonnenschirm wurde mir von diesen übertünchten Barbaren angeboten. Ohne meinen treuen Begleiter, den Entoutcas, wäre ich einem Sonnenstich verfallen. Eine üble Absicht des Prinzen lag dieser Mißhandlung nicht zum Grunde, nur die Gedankenlosigkeit des erst 24jährigen Sprößlings der asiatischen Despotie. Alle Wanderer, die uns begegneten, sanken in den Staub, nach fünfzehn Minuten landeinwärts hatten wir den Palast des zweiten Königs erreicht.

Prinz Georg gab mir einen Stuhl und ging davon, um mich seinem Vater anzumelden. In dem Waffensaal, worin ich mich befand, hingen als Kunstwerke des Griffels zwei Groschen-Lithographien, »die Schlacht bei Roßbach«, und »Genovefa« mit Schmerzenreich und der Hirschkuh. Ich hatte mich kaum flüchtig umgesehen, als ein silbernes Service mit heißer Milch, Zucker und kaltem Wasser gebracht wurde. Man beabsichtigte, mir die höchste Delicatesse 272 vorzusetzen. Bei dem Mangel an nahrhaften Gräsern und der mörderischen Temperatur gehen fast alle Wiederkäuer in Bangkok zu Grunde, und frische Milch gehört zu den größten Seltenheiten. Nur im Haushalt der beiden Könige werden einige Kühe und Ziegen gehalten. Der erste König, ein herzensguter Mann, sendet alltäglich an Mrs. Leßler ein Töpfchen Milch für ihre zweijährige Lina, und auch für mich werden stets einige Löffelchen für den Morgenkaffee erübrigt. Noch etwas ergrimmt über den Wettlauf mit dem Schimmel des Prinzen, versöhnte mich diese zarte Aufmerksamkeit. Ich genoß die Milch der frommen Denkungsart und betrachtete meine Umgebung näher. Eine Menge Volk lag um mich her auf den Knieen und schien nach seinem Gesichtsausdruck komische Bemerkungen über mich zu machen. Mit Männern und Weibern waren auch Kinder gemischt, doch mochten diese mit europäischem Umgange noch nicht recht vertraut sein. Bot ich ihnen die Hand, so rannten sie heulend und zähnefletschend davon; die Erwachsenen waren gesitteter. Einer der auf der Matte Hockenden kroch zu mir heran und nahm aus seinem schmutzigen Maule die brennende Cigarre, um mich damit zu bewirthen. Ich vermochte den gutwilligen, aber Uebelkeit erregenden Kerl schlechterdings nicht los zu werden und machte mich nothgedrungen der abscheulichsten Lüge meines ganzen Lebens schuldig. Durch drastische Gebehrden bedeutete ich ihm, daß ich gar nicht rauche! er begriff mich und kroch heim zu den Seinigen.

Der zweite König ließ mich nicht so lange als sein Bruder warten. Noch waren nicht zwanzig Minuten verflossen, als Prinz Georg wieder erschien und mich an seiner 273 schweißigen Hand in die Gemächer seines Vaters führte. An der Treppe, deren Stufen auch hier doppelt so hoch, als bei uns, demnach sehr unbequem in anliegenden Beinkleidern zu ersteigen waren, blieb der Prinz stehen, warf sich auf die Knie und kroch auf allen Vieren zu seinem auf der obersten Stufe stehenden Herrn Vater hinan. Ich schritt ungebeugt neben ihm empor; jetzt erst war mir Revanche für den Schimmel zu Theil geworden. Auch blieb Se. königl. Hoheit auf der Nase liegen, als der König mir freundlich die schwarze Hand entgegenstreckte. Die jüngere Maj. von Siam sprach sehr geläufig Englisch und entschuldigte in wohlgesetzten Worten seine etwas vernachlässigte Toilette; er befinde sich nicht ganz wohl. Die Diener setzten Stühle an den Tisch, Thee und Kaffee wurden servirt, und der König brachte das Gespräch auf das Kriegshandwerk und die Jagd, der er in jüngeren Jahren sehr zugethan gewesen sein mochte. Ich hütete mich, ihn zu unterbrechen und freute mich nicht nur über sein mannigfaches Wissen, sondern auch über Se. Majestät gesunden Menschenverstand, der die frugalen Geistesgaben seines älteren Bruders weit überragte. Ein prachtvolles Jagdgewehr, wenn ich den König richtig verstanden habe: aus der Fabrik von Gehrmann in Berlin, wurde herbeigebracht, und Se. Maj. versicherte mir ferner mit triumphirenden Blicken, daß für sie ein preußisches Zündnadelgewehr unterweges sei. Der König gab hierauf dem Gespräch eine politische Wendung und verbreitete sich mit bittern Worten über die Undankbarkeit des japanesischen Hofes, doch bezweifle ich die Aufrichtigkeit der ausgesprochenen Gesinnungen. Die Völker des Orients halten in ihrer Politik grundsätzlich 274 in letzter Instanz immer zusammen, möglicher Weise glaubte er als feiner Diplomat mir, dem Europäer, eine Verbindlichkeit gesagt zu haben. In seinem Blick lag etwas von Verschmitztheit; ich schwieg weislich. Jetzt wurden Cigarren umhergereicht und in Brand gesteckt. Mir präsentirte ein auf allen Vieren herankriechender Sclave in einem goldenen Kästchen acht Zoll lange Havannah-Cigarren, wie ich sie nie feiner geraucht habe; der König zündete sich nur eine leichte Strohcigarette an. »Wir haben früher große Pfeifen geraucht!« (we used to smoke big pipe) sagte er, als er in meinen Zügen einige Verwunderung bemerkte; »aber unsere Gesundheit erlaubt uns das nicht mehr.« Der arme König sah wirklich überaus leidend aus. »Verstehen Sie sich auf den Puls?« fuhr er fort, »die Deutschen sind Alle sehr gelehrte Leute!« Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und mich selber einer gelinden Kurpfuscherei schuldig; der gekrönte Patient reichte mir die Hand, ich schnitt das tiefsinnig sachverständige Gesicht eines Medicinmannes. Dem Pulse nach war die Diagnose nicht schwer, nebenbei wurde sie durch meine scharfen Geruchsnerven unterstützt; unzweifelhaft hatte Se. Majestät kurz vorher eine gehörige Dosis Champagner und Whisky, halb und halb, zu sich genommen. That ich Unrecht? ich warnte mit eindringlichen Worten den König vor dem Genuß alkoholhaltiger Getränke und empfahl ihm eine leichte Diät. »Das werden wir nicht thun, Brandy trinken wir doch!« antwortete Se. Maj. mit großer Bestimmtheit. Sah er mein ärztliches Verbot vielleicht gar als eine Beschränkung seiner königlichen Vorrechte an? Die Gesundheit des unglücklichen Fürsten war total ruinirt, und ich habe mich, als im Februar 1866 die 275 Nachricht seines Ablebens nach Europa kam, nur gewundert, daß er sein gebrochenes Dasein noch so lange gefristet. Dem Könige machte es Vergnügen, sich sprechen zu hören; »wir haben in unserer Jugend Englisch gelernt!« wiederholte er als Refrain fast jedes seiner Sätze mit vielem Behagen. Gleich seinem älteren Bruder hielt auch er während der mir gewährten Audienz ein Taschentuch aus rother Baumwolle in der linken Hand, doch ging aus der sonstigen Behandlung seines Geruchsorgans hervor, daß auch er über den Zweck dieses Toilettegegenstandes vollkommen im Unklaren schwebte. Er selbst, wie der am Boden kauernde zweite Hof, schneuzte sich aus freier Hand. Mit den alten abgetragenen Redensarten, »daß wir uns sehr gefreut hätten,« mich kennen gelernt zu haben, wurde ich entlassen. Auf die Anfertigung seines Porträts kam der König nur mit flüchtigen Worten zurück; er mußte sich, wie ich später von Mr. Lewes selber vernahm, entschließen, sein lebensgroßes Bildniß von diesem anfertigen zu lassen. Se. Maj. begleitete mich zur Treppe, Prinz Georg wurde nicht mehr sichtbar, und einige Hofbediente führten mich zum Boote; nach einer Stunde war ich, halb geröstet in meinem Bratenrock, zu Hause. Eine Abkühlung schien mir unbedingt nothwendig, und da ich mit dem französischen Consul eine Abendspazierfahrt verabredet hatte, machten wir nach dem Diner in einem Kostüm, das der Interimsuniform des Prinzen, meines jugendlichen Gönners, nahe kam, einen Ausflug stromab zu einigen chinesischen Dschunken, auf denen ein abendlicher Markt gehalten wurde. Der Capitän einer derselben lud uns zum Thee und suchte uns durch das Spiel einer vagabondirenden Kapelle zu ergötzen; ich 276 für mein Theil fand den Thee besser, als die von dem Orchester vorgetragene symphonische Dichtung und gab meinen ästhetischen Gefühlen durch den Verzehr von sieben oder acht Tassen den erforderlichen kritischen Ausdruck.

Der Abend wurde uns durch die eben angelangte Schiffernachricht verbittert. Man meldet von der Rhede, daß sieben Europäer, die vier und zwanzig Tage lang mit Hunger und Durst auf der See in einem offenen Boote gekämpft hatten, dort angekommen seien. Sie waren auf ihrer Fahrt von China nach New-York auf ein Korallenriff gerathen, hatten das sinkende Schiff verlassen und ihr Leben mit etwas Schiffszwieback, Wasser und Eingemachtem fristen müssen. Wir beschlossen den Tag im traulichen Kreise der Familie Leßler auf der nach der Gartenseite hinaus gelegenen Veranda in melancholischen Gesprächen über die nachtheiligen Einwirkungen des Klimas. Die junge Hausfrau, die ihrer Entbindung entgegensieht und deshalb eine Luftkur in Singapore durchgemacht hat, spricht uns Männern noch Muth ein, aber wir lassen sämmtlich, gleich kranken Vögeln, die Flügel hängen. Mein Berliner Hausarzt, Geh. Rath Erbkamm, hat mich nicht umsonst vor einem längeren Aufenthalte in glühender Sumpfluft gewarnt. Die Atmosphäre von Bangkok ist ein corrosives Gift für die Functionen des menschlichen Organismus; ich bin nahe daran, dem Beispiel mehrerer hiesigen jungen Commis aus New-York zu folgen. Sie leben seit einem halben Jahre nur noch von mager gekochtem Reis und Thee. 277


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