Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Straßenarbeiter. Theatervorstellung. Die Baltic. Maulmen. Ein persischer Israelit und sein Gouverneur. Rabbiner. Alles koscher. Schornsteinbrand. Insel Penang. Der 18. Februar, der chinesische Neujahrstag. Siesta neben der Tigerbucht. Eine Flasche Champagner mit Musik.

Als wir nach Hause zurückkehrten, war mir durch Aufziehung der preußischen Flagge von Consul Niebuhr eine Ueberraschung zugedacht worden, die birmanischen Diener hatten jedoch aus Unbekanntschaft mit den heraldischen Thieren, unseren Adler verkehrt aufgezogen. Die letzten Stunden des Tages wurden benutzt, um die Befrachtung eines Indienfahrers mit Reis zu sehen. Rangoon ist ein Hauptemporium für die Versendung dieser Feldfrucht, und es soll kein Tag in dieser Jahreszeit vergehen, an dem nicht 15000 Säcke verschifft werden. Achthundert Arbeiter sind unausgesetzt mit der Verpackung beschäftigt. Die fast unbekleideten Eingeborenen fallen durch ihre prachtvollen Tättowirungen auf. Der Unterkörper ist mit wunderlichen Verzierungen, unter denen wilde Thiere eine wichtige Rolle spielen, in blauer Farbe bedeckt; die Tättowirungen der Brust sind dagegen roth ausgeführt. Der Anblick ist 221 durchaus nicht unangenehm, die Zeichnungen gleichen den Mustern eines feinen gewebten Stoffes. Auffallend ist die leidenschaftliche Vorliebe der Bewohner Rangoons für das Tabakrauchen. Oft genug habe ich kleine Kinder, die noch nicht fest auf ihren Beinen standen, große Cigarren rauchen gesehen. Für den Unterricht der männlichen Jugend scheint dessenungeachtet systematisch gesorgt zu werden. In mehreren Schulen kam ich gerade in die Lese- und Schreibstunden; die Kinder bedienten sich dazu schwarzer Täfelchen und einer Art Kreide. Der Unterricht wurde stets in den Klöstern der Bonzen und von diesen selber ertheilt. Wissenschaftliche Hilfsmittel höherer Qualität habe ich nirgends bemerkt. Eben so reich bevölkert wie mit Priestern ist Rangoon mit Verbrechern. Die Zahl der Insassen des hiesigen Gefängnisses soll über tausend betragen. Am 10. Februar sah ich einen beträchtlichen Trupp dieser Unglücklichen bei der erstickenden Hitze des Tages an der Verbesserung der Landstraße arbeiten. An demselben Tage kamen auch drei chinesische Schiffe in den Hafen. Sie sahen bei gleicher Größe einander zum Verwechseln ähnlich mit ihren geschnitzten und bemalten Teufeln, nebst dem immer wachen, allsehenden Auge vorn am Bug.

Wir leben jetzt in der heißen Jahreszeit und das Thermometer in meinem Zimmer deutet auf 32 Grad Réaumur. Als ich bei dieser Temperatur in den Morgenstunden eine Aquarelle der goldenen Pagode anfertigte, machte ich mich darauf gefaßt, in Ohnmacht zu fallen. Dennoch ließ ich mich nicht abhalten, Nachmittags einer Theatervorstellung beizuwohnen, die ein reicher Einwohner zur Feier des Einstechens der Ohrringlöcher seiner Kinder veranstaltet hatte. 222 Die ganze Verwandtschaft mit allen ihren Kleinen war geladen, und der Anblick dieser Versammlung im höchsten Festschmuck konnte wirklich glänzend genannt werden. Der Inhalt des Stückes hatte viele Aehnlichkeit mit unseren verschollenen Ritterschauspielen. Der Held war ein Cavalier, der hoch zu Roß auf die Brautschau auszog, aber unablässig mit einem Teufel zu kämpfen hatte, der ihm die Schöne nicht gönnen wollte. An Episoden war kein Mangel, und ein Priester, ein starker Fechter, ein Mörder u. dgl. m. hatten viel zu thun; in den Zwischenacten stimmte das Orchester eine ganz heillose Musik an. Wir europäische Großstädter beklagen uns gern über die Länge mancher Opernvorstellungen; die hiesigen Kunstfreunde scheinen mehr vertragen zu können. Die Aufführungen dauern nicht selten an zehn Stunden, bis tief in die Nacht hinein. Die Forderungen der ausübenden Künstler stehen nichtsdestoweniger denen europäischer Mimen und Sänger weit nach; die Gesammtkosten der heutigen Vorstellung überstiegen nicht die Summe von 30 Rupien. Nachdem ich das Theater verlassen und einige Stunden in meiner Wohnung zugebracht, kehrte ich zurück und kam noch zu rechter Zeit, um zu sehen, daß der Held, nachdem er sich weidlich mit mehreren Masken umhergeschlagen und, zum großen Jubel der Kleinen, den oppositionellen Teufel erlegt hatte, in den Besitz seiner Theuren gelangte und mit ihr von dannen ritt. Gleich am andern Tage wohnte ich der Vorstellung eines Marionettentheaters bei, die ein reicher Chinese zur Unterhaltung seiner Bekannten veranstaltet hatte. Die geladenen Gäste saßen im Zuschauerraum auf den besten Plätzen, da dieser aber nach drei Seiten hin offen war, hatten sich Tausende 223 eingefunden, die, in weitem Kreise das Theater umgebend, der Vorstellung beiwohnten, ohne den Gesang und die Reden der sauber angefertigten und geschickt geleiteten Puppen durch einen Laut zu unterbrechen. Das Ende konnte ich nicht abwarten, da der Morgen darüber angebrochen sein soll.

So gewissenhaft ich die kühleren Frühstunden benutze, habe ich zu meinem großen Bedauern seit meiner Abreise von Ceylon doch noch keine umfangreichere Totalansicht zu Papier zu bringen vermocht. Das Terrain ist meistens formlos, oder doch flach, und nur ausnahmsweise durch Hügel unterbrochen; ich muß mich mit Pagoden begnügen und bin in der Nähe der Spiegelglaspagode schon ein so bekannter Gast, daß sich die kleinen Sperlinge bei der Arbeit auf meinen, mit einem weißen Shawl umwickelten Hut setzen und wohlgemuth zwitschern. Mein gütiger Wirth verschaffte mir heute nach dem Tiffin auch den Genuß, einer eingeborenen Kapelle zuzuhören, welche reiche englische Kaufleute auf ihre Kosten gebildet hatten. Dieselbe war nach der Weise der bekannten russischen Hornmusik eingerichtet, d. h. jedes Orchestermitglied blies nur einen einzigen Ton, mit dem es immer rechtzeitig einzusetzen hatte. Das Repertoir der Bläser ging, nebenbei bemerkt, nicht über Rule Britannia und die Marseillaise hinaus.

Am 12. Februar Mittags traf das Dampfschiff ein, welches den Postdienst zwischen Calcutta und Singapore versieht, aber nicht der erwartete neue Steamer »Penang«, sondern die »Baltic«, der älteste und schmutzigste Dampfer der Company, ein Reserveschiff. Wenn ich mich nicht dazu entschließen will, einen Monat bis zur Ankunft des nächsten 224 Dampfers in Rangoon zu verweilen, muß ich mit der »Baltic« fahren, und die Summe von 330 Rupien für eine Strecke erlegen, die ein starkes und schnelles Schiff in drei Tagen durcheilen würde, auf der wir aber zwölf Tage zubringen sollen. Der Fahrpreis von Calcutta beläuft sich demnach auf die Summe von 45 Pfd. Sterling. In der letzten Nacht meines Aufenthaltes in Rangoon genoß ich noch das unvergleichliche Schauspiel eines Brandes der Reisstoppelfelder. Die ganze Umgegend des Ortes glich einem Feuermeer. Ungern entzog ich mich dem Anblick, um meine Effecten einzupacken und warf mich dann ermattet auf mein Lager. Die Ruhe sollte nur von kurzer Dauer sein, der Tag war eben angebrochen, als ich plötzlich von starken Armen ergriffen und aus dem Bette auf die Erde gerollt wurde. Unser Bär hatte den Zugang in mein Zimmer gefunden und sich einen Scherz mit mir erlaubt. Zehn Minuten später erschien der liebenswürdige Wirth, ich nahm von ihm, den neun Vogelnestern, die sich auf der oberen offenen Wand des Zimmers etablirt hatten, Abschied, und begab mich, begleitet von sieben Dienern des Hauses, die mir für das empfangene Trinkgeld ihre Erkenntlichkeit beweisen wollten, und fünf Kulis, den Trägern meines Gepäcks, an Bord der Baltic. Auf einen Abstecher nach Pegu und Tenasserim, wo der König von Pegu in der Mitte von 300 Frauen residirt, mußte ich verzichten. Es war mir nicht beschieden, den würdigen Monarchen, dessen erste Gemahlin seine leibliche Schwester ist, und die zwölf Kinder dieses eigenthümlichen Ehepaares kennen zu lernen.

Ein großer Indienfahrer steht eben im Begriff, seine Ladung von 50,000 Säcken Reis im Werthe von 100,000 225 Dollars einzunehmen, ein anderes nordamerikanisches Schiff, so wie eine chinesische Dschunke mit ihren vorweltlichen Mattensegeln, kommen den Strom herauf uns entgegen. Unsere Baltic hat für 70,000 Thaler Opium an Bord und ist außerdem mit Passagieren, darunter mehreren früh und spät heulenden Kindern vollgepfropft. Auf dem Quarterdeck darf nicht geraucht werden, ich sitze also neben einem polnischen, unter der Sonne Indiens schwarz gebrannten Juden, der mir für 30 Pfd. St. Rupien und Annas eingewechselt hat, rauche meine Cigarre und lausche den wenigen deutschen Worten, die mein Geschäftsfreund in seiner Erinnerung aufbewahrt hat.

Am 15. Februar sollten wir in den Mittagstunden in Maulmen, einer Station des Dampfers, ankommen. Die Küste zwischen den Mündungen der Flüsse, an denen Rangoon und Maulmen liegen, hat durchschnittlich nicht über 30 Fuß Wassertiefe, unser tiefgehender Dampfer – ich kann aus dem Kajütenfenster den Arm in die Wellen strecken – muß deshalb mit vieler Vorsicht gesteuert werden. Der schwarze Lootse, der um acht Uhr anlangte, um uns in den Hafen zu bringen, mochte ein Anfänger in der Steuermannskunst sein. Fünf Minuten später, nachdem er das Steuer ergriffen, saßen wir auf einer Sandbank fest, die Baltic legte sich auf eine Seite, das Wasser drang durch die Kajütenfenster; zum Glück ging die See nicht hoch. Nach qualvollen Anstrengungen der Schraube kamen wir nach einer guten Stunde von der Sandbank los, ohne daß unser Lootse sich über Auflaufen und Freiwerden besonders gewundert hätte.

Bald hatten wir die Mündung des Saluihn erreicht 2260 und dampften langsam stromaufwärts. Maulmen liegt fünf bis sechs englische Meilen von der Küste entfernt in einem welligen Terrain, welches in der Ferne durch eine ziemlich hohe Bergkette begrenzt wird. Auf einem Hügel zur Rechten glänzt das Dach einer Pagode, welche den ganzen Ort beherrscht. Die Ufer des Saluihn sind, so weit das Auge reicht, mit einer üppigen Vegetation bedeckt, deren saftiges Grün bei der Gluth der Mittagsstunde den gereizten Sehnerven unsäglich wohlthut. Kein Passagier wagt an Land zu gehen, auch ich fühle mich nicht veranlaßt, der Einladung eines Mr. Hildebrandt zu folgen, der auf Grund unserer Namensvetterschaft einen Kuli auf die Baltic geschickt hat und mich mit englischer Naivetät zu sich entbietet. Nach gewohnter Weise speisen wir, da die Kajüte für die Zahl der Tischgenossen nicht ausreicht, unter dem Sonnenzelte auf dem Verdeck und zum erstenmale seit unserer Abfahrt von Rangoon folgt die Herrengesellschaft meinem Beispiel und behält bei der Mahlzeit die Hüte auf den Köpfen. Bis dahin hatten meine Gefährten aus Respect vor den Damen, die doch ihrerseits die Hüte und Schleier grundsätzlich niemals ablegen, sich der Gefahr ausgesetzt, mit entblößten Häuptern Opfer des Sonnenstiches zu werden. Ich hatte die uns bei der geringen Dichtigkeit des ausgespannten Segeltuches drohende Gefahr von vornherein erkannt und mich, ohne die Prätensionen der Ladys weiter zu beachten, immer bedeckt; heute fand ich Nachahmer. Nachdem ich die Stunden von zwei bis vier Uhr zur Anfertigung einer Skizze der hübschen Stadt benutzt, fuhr ich an's Ufer und machte einen Spaziergang nach der Hauptpagode und ihrer Umgebung von kleinen gleichgestalteten Kapellen. Die 227 etwa 17,000 Köpfe starke Bevölkerung von Maulmen besteht zur Hälfte aus Chinesen, ein Umstand, der hinsichtlich der Reinlichkeit gemeinhin zum Vortheil der indischen Städte gereicht. Die Nacht wurde mir durch den Blutdurst der Mosquitos verbittert, die an den Mündungen der Flüsse, wie ich bemerkt zu haben glaube, dem Menschen mit besonderer Erbitterung zu Leibe gehen. Erst gegen Morgen verfiel ich in einen unruhigen Schlummer und verträumte die Theestunde. Nach den Gesetzen der Company wird nach 7 Uhr Morgens kein Tropfen mehr verabreicht. Durch die von Maulmen mitgenommenen, beim Tiffin servirten Crevetten suchte ich mich zu entschädigen. Sie waren zwischen 10 und 12 Zoll lang und übertrafen den Hummer weit an Feinheit des Geschmacks. Nach Aufhebung der Tafel macht mich ein nordamerikanischer deutscher Landsmann, der einzige Mensch an Bord der Baltic, mit dem eine Unterhaltung der Mühe verlohnt, auf den neuen Reisegefährten aufmerksam, der sich in Maulmen zu uns gesellt. Er ist ein aus Persien gebürtiger junger Israelit, der Sohn steinreicher Eltern, und macht seine große Tour, denn auch hier glaubt man die Erziehung durch längere Reisen zu vollenden. Der hoffnungsvolle Jüngling ist von einem förmlichen Hofstaat umgeben, an dessen Spitze ein Rabbiner steht, der alle für seinen Zögling bestimmten Speisen koschert und für die Beobachtung der sonstigen religiösen Gebräuche sorgt. Der junge Reisende scheint weniger bestrebt, seine eigenen Erfahrungen zu bereichern, als einen vortheilhaften Eindruck auf die Umgebung zu machen und ihr durch die Entfaltung seiner Reichthümer zu imponiren. Gleich am ersten Tage erschien er in fünf verschiedenen Kostümen an Bord und 228 behing sich, gleich einer koketten Schönen, mit goldenen Kleinodien und Brillanten. Wenn ihm sein Glaube verbietet, mit uns Unreinen aus einer Schüssel zu essen, gestattet ihm sein Rabbi doch in Bezug auf das Getränk größere Freiheit. Das credenzte Ale mundet ihm sichtlich, eben so der steife Grog, der als Nachttrunk in der Cajüte eingenommen wird, und am 17. Februar, als der Enkel Nathans des Weisen ungewöhnlich spät auf Deck sichtbar ward, hielt ich mich zu einer Diagnose auf Katzenjammer berechtigt.

Unsere Dampfschnecke legt stündlich nur sieben Knoten zurück, während jeder minder engbrüstige Steamer 12 bis 13 macht, wir haben daher genügende Zeit, uns alle Zufälligkeiten der Reise scharf einzuprägen. Wir nähern uns der Malakastraße und kein Lüftchen regt sich. Auf der Oberfläche des tiefblauen Oceans schwimmen von Zeit zu Zeit Schlangen von 6 bis 7 Fuß Länge, dann tauchen Schwärme fliegender Fische aus der Tiefe auf, dann folgt uns wieder stundenlang ein Hayfisch, eine Schiffsplanke schwimmt vorüber, auf der eine große Ente mit ihren vier Jungen eine Wasserpartie veranstaltet, zuweilen zeigt sich ein schwer beladener Kauffahrer, endlich kommt ein halb entmasteter, von der Mannschaft verlassener Dreimaster in Sicht. Wir betrachten ihn scharf durch unsere Fernröhre, und die Baltic keucht vorüber, froh, nicht sein Schicksal zu theilen. Gegen sechs Uhr Abends nähern wir uns den Inseln, die hier zu Hunderten an der Küste entlang liegen, und der Abendwind trägt den balsamischen Duft der Muskatnüsse zu uns herüber. Je weiter wir gen Süden fahren, desto tiefer sinkt der Polarstern am nördlichen Horizonte, 229 und das schöne Sternbild des südlichen Kreuzes steigt über dem dunklen Spiegel des Oceans empor. Die Mannschaft ist jetzt eifrig bestrebt, den scharf mitgenommenen Teint unserer Baltic durch schwarze und weiße Schminke zu verbessern, wir wollen in Penang und später in Singapore reputirlich auftreten. Darüber wird die Reinigung des Dampfapparates vernachlässigt, und am 18. Februar werden wir früh Morgens durch den Ruf: »Feuer! Feuer!« aus den Kojen geschreckt. Der Schornstein brannte, aber es war keine Gefahr vorhanden. Das Feuer wurde ausgelöscht und die Esse gründlich gereinigt; man mochte seit Monaten nicht daran gedacht haben. In weiter Ferne, unterhalb der bergigen, mit Cocospalmen bewachsenen Küsten erkennen wir mit bewaffnetem Auge die kleinen Kähne der Eingeborenen, aber sie nähern sich uns nicht, um Tauschhandel zu treiben. Für tausend Cocosnüsse giebt man ein ordinäres baumwollenes Taschentuch. Der schöne Abend brachte uns ein wunderbares Meerleuchten, wie ich ein ähnliches nur im Meerbusen von Mexico gesehen. Wir schwammen wie in einem Ocean von geschmolzenem Silber dahin und von tausend leuchtend hin- und herzuckenden Thiergebilden war der Abgrund belebt. Der herrlichen Nacht folgte am 19. Februar ein unvergleichlicher Tag. Von einem frischen Nordwinde getrieben, eilt unser armseliges Schiff rascher an mehreren östlich gelegenen Inseln vorüber und Abends acht Uhr gehen wir auf der Rhede von Penang (Pinang, Prinz Wales-Insel) vor Anker. Die Insel ist vier englische Meilen lang, halb so breit, erhebt sich bis zu 2700 Fuß und wird ihrer malerischen Schönheiten und reichen Erzeugnisse halber das Paradies 230 des Ostens genannt. Die Niederlassung der Engländer datirt aus dem Jahre 1787, und seitdem sind ihnen Malayen, Chinesen, Battas, Bengalen, Siamesen und Barmesen gefolgt. Selten habe ich auf einem Gebiete von so geringem Umfange eine ähnliche Mannigfaltigkeit der Bevölkerung, Bodenbildung und Vegetation gefunden. Köstliche Wiesenflächen, auf denen sich Felstrümmer erheben, wechseln mit romantischen Thälern, aus Felsspalten quillt der ganze Reichthum der Tropen, mit dichtem Laubholz sind Palmen untermischt, neben Cactus und Aloe stehen Blumen und Stauden, wie ich nie gleiche gesehen; das Klima der Insel ist indessen verrufen, so herrlich alle Gewächse und Gewürze auch gedeihen mögen. Die Ansiedler suchen stets das Weite, sobald sie ein Vermögen erworben haben. In einem sauberen, praktisch eingerichteten chinesischen Boote fuhr ich am Morgen des 20. Februar an's Land, die große Anzahl kleiner chinesischer Tempel fiel mir sogleich auf und ließ mich auf eine Majorität von Einwohnern dieser fleißigen Nation schließen. Die große Toleranz der Chinesen gestattete mir, mich mit der brennenden Cigarre im Munde diesen kleinen Tempeln zu nähern und bei der Darbringung der Opfer zugegen zu sein. Diese bestanden in Räucherholz, Opferstäbchen und farbigen Lichtern. Letztere werden angezündet, um die Gottheit durch den Duft der beiden erstgenannten Spenden für die Gebete der Andächtigen günstiger zu stimmen. Später erfuhr ich, daß die Chinesen am 18. Februar unserer Zeitrechnung ihr Neujahrsfest gefeiert hatten und die darauf folgenden vierzehn Tage in Muße unter religiösen Festlichkeiten und weltlichen Vergnügungen zuzubringen pflegten. Die ganze Bevölkerung hatte 231 ihre besten Kleider angelegt, und die Promenade war mit einer Menge phantastisch gebauter, mit Glocken und bunten Laternen geschmückter Wägelchen bedeckt, in denen die Kinder der reichen Einwohner von Kulis spazieren gefahren wurden. Durch eine Abreibung mit weißem Pulver hatte die Gesichtsfarbe der niedlichen Kleinen ein blendendes Weiß angenommen, auf das sie sich unverkennbar viel einbildeten. Ohne Widerstreben reichten uns die kleinen Mädchen, welche das leichte Nationalkostüm reizend kleidete, die feinen Händchen, und gebehrdeten sich überaus freundlich zu den »rothen Teufeln« aus Europa. Die Erwachsenen lustwandelten, ritten spazieren oder saßen vor ihren Häusern und spielten unter lebhaften Schwingungen ihrer wohlgestriegelten Zöpfe ein dem Faro ähnliches Hazardspiel. Um die knapp gemessene Zeit unseres Aufenthaltes in Penang zu benutzen, nahmen wir, mein Freund, der Nordamerikaner, und ich, bei dem nächsten chinesischen Restaurant ein, aus gebratenen Fischen, Hühnern, Eiern mit Speck, Ananas und Bananen bestehendes Frühstück ein und fuhren nach einem Wasserfall, dessen Schönheit man uns gerühmt. Die über einen Felsabhang herabschäumenden Kaskaden waren wohl nur für einen Seefahrer oder Bewohner des Flachlandes sehenswerth, desto entzückender war die Fahrt durch das Thal. Wunderbar schöne Vögel und Schmetterlinge umflatterten unseren Wagen, auf allen Seiten umgab uns ein Blumenflor und die Atmosphäre war mit den lockendsten Wohlgerüchen gesättigt. Ich lagerte mich am Fuße des Wasserfalles im weichen Rasen, mein Gefährte kletterte den Felsen hinan; nach einer halben Stunde kehrten wir zurück und rasteten vor der nächsten Theebude. Die Wirthsleute 232 verhehlten uns nicht ihre Verwunderung, unbeschädigt oder überhaupt davon gekommen zu sein. Nach ihrer Behauptung befand sich in der Nähe des Wasserfalls eine Tigerbucht, deren Bewohner die ganze Umgegend unsicher machten. Wir waren beide froh, die kleine Landpartie beendet zu haben, aber bei der Erinnerung an meine Siesta auf dem Rasen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.

Um fünf stach die Baltic wieder in See, wir steuerten auf Malaka zu, und nach dem düsteren Aussehen des Himmels zu urtheilen, hatten wir einen, in dieser Region bei der Nähe felsiger Küsten doppelt gefährlichen Orkan zu erwarten. Gegen zwei Uhr Nachts lichtete sich indeß die Atmosphäre, das erste Mondviertel kam zum Vorschein; wir waren auch dieser Gefahr entronnen. Es war noch nicht acht Uhr Morgens, als wir auf der Rhede von Malaka anlangten. Das höchst malerisch gelegene Städtchen war in 20 Minuten zu erreichen und bald lief unser Boot zwischen Kokosstämmen und spanischem Rohr auf den glitzernden Sand. Der fast in das Meer hineingebaute kleine Ort besteht aus einem europäischen und chinesischen Stadtviertel, doch ist letzteres bei Weitem größer und wohlhabender. In jenem sind den Holländern und Portugiesen die Engländer gefolgt, ohne indessen, wenn der Anschein nicht trügt, sonderlich zu gedeihen. Wie aus Penang waren die Neujahrsfestlichkeiten auch in Malaka in vollem Gange. Höchst behäbig spazierten die Gentlemen des himmlischen Reiches in den schmalen, aber sehr rein gehaltenen Straßen, und als ich mich bei einem derselben nach einer Theebude erkundigte, lud er mich sogleich auf sehr ceremonielle Weise ein, ihm in sein Haus zu folgen. Der gastfreie Mann 233 verstand etwas Englisch. In der reich und comfortabel eingerichteten Wohnung angelangt, nöthigte er mich, Platz zu nehmen und ertheilte die nöthigen Befehle zu meiner Bewirthung, indem ihm die Freude aus den Augen leuchtete, einen europäischen Gast unter seinem Dache zu sehen. Bald brachte ein Diener ein lackirtes Theebrett, auf dem mir kleine Tassen, angefüllt mit den werthvollsten Sorten, präsentirt wurden. Das Gesicht des Gastfreundes strahlte, als er zu bemerken glaubte, daß sein Getränk mir munde. In der That waren der würzige Geruch und Geschmack eines etwas dunkleren Aufgusses überaus fein und belebend. Das Miniaturformat der chinesischen Tassen gestattete mir, deren zwei und zwanzig zu schlürfen, ohne dadurch überreizt zu werden. Zugleich wurde ein Kuchenbrett mit wenigstens einem Dutzend verschiedener kleinen Confitüren und Bretzeln auf den Tisch gesetzt, von denen allen ich zu kosten verpflichtet war. Sich zu weigern, wäre nach den Satzungen des chinesischen Complimentirbuches eine unverzeihliche Unart gewesen. Aber der orientalische Gastfreund war noch immer nicht zufriedengestellt; sein Groom brachte eine Bouteille Sect und zwei Spitzgläser, und der Hausherr öffnete sie mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, um die ihn mancher diesseitige Kellner hätte beneiden können; obenein war das heilsame Getränk kunstgerecht kalt gestellt gewesen. Der Sohn des himmlischen Reiches war in europäischen Gebräuchen wohlbewandert; wir stießen an und fügten, jeder in seiner Muttersprache, einen Glückwunsch hinzu. Noch mehr erstaunte ich, als mein lieber Wirth mit seinem Glase lächelnd die Nagelprobe machte! Wesentlich zu meiner Rührung trug bei, daß ich in dem kredenzten Sect ein 234 vaterländisches Produkt wiedererkannte. Der Brausewein konnte nur auf den Abhängen von Grüneberg gewachsen, nur in seinen Kellern gezeitigt sein. Jedenfalls war diese Champagnerlibation selbst im Hause des Gentlemans ein ungewöhnlicher Act, denn während der Entpfropfung der Flasche hatte sich die aus fünf Malayen bestehende Kapelle des Hauseigenthümers eingefunden und auf mehreren Violinen und einem Tamtam einen Tusch angestimmt. Nächstdem begleitete er mich zu zwei Landsleuten, die mir mit gleicher Bereitwilligkeit ihre Häuser zeigten, führte mich in einen Tempel, dessen Priester uns, und ich hoffe, auch den Göttern zu Ehren, eine Anzahl Schwärmer abbrannte, und schloß mit einer Straße, die durch zwei Reihen Spielhäuser gebildet wurde. Das Wohlgefallen des Chinesen an meiner Person war so groß, daß er Nachmittags, eine Stunde vor der Abfahrt, auf dem Deck der Baltic erschien und nach Ueberreichung eines Korbes voll Orangen und edler Südfrüchte zärtlich von mir Abschied nahm. 235


 << zurück weiter >>