Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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V.

Royal-Hotel. Vögel und Eidechsen in den Zimmern. Das Domestikenwesen in Indien. Malabar Hill. Elephanta. Die Goldwanze. Parsi's. Unter Büßern. Taschenspieler.

Den Händen der Zöllner glücklich entronnen, fand ich ein Unterkommen im Royal-Hotel und wurde gleich beim Eintritt in dasselbe durch die Menge der Dienerschaft überrascht, wenn ich diesen, an schwarze Fracks und weiße Halsbinden mahnenden Ausdruck auf eine Heerde fast nackter Bursche anwenden darf, die in allen Etagen des Hauses umherlungerten, ohne dem Ankömmling den geringsten Dienst zu erweisen. Die meisten Hotels in Bombay werden von Hindostanern gehalten, aber die Wirthe sind der englischen Sprache leidlich kundig, und es gelang mir sehr bald, mich mit dem Hausherrn zu verständigen. Auf meinen Wunsch wurde ich im dritten Stockwerk einquartiert. Die Zimmer desselben haben keine Decke, sondern unmittelbar über ihnen erhebt sich das Dach, das auf den einige Fuß aus den Wänden emporragenden Balken ruht und so der frischen Luft freien Zutritt gestattet. Der Bewohner dieses Geschosses leidet weniger von der Hitze des Klimas, als in den unteren geschlossenen Räumen, allein er muß sich daran 62 gewöhnen, sein Gemach mit den Vögeln zu theilen, die von allen Seiten unter dem Dache durchfliegen, und nach einigen Tagen entdeckte ich sogar in einer Ecke des Gebälks ein Nest mit jungen zwitschernden Vögeln. Der unaufhörlich hin- und herlaufenden Ratten und Mäuse erwähne ich nicht mehr; sie gehören überall im Orient zu den Hausgenossen. Die Bauart des Hotels und der meisten Häuser der Eingeborenen ist dem Klima entsprechend überaus leicht. Sämmtliche Stockwerke sind ringsum von Veranden umgeben; Glasscheiben giebt es nicht; die Fenster werden höchstens mit dünnen Läden oder Jalousien geschlossen. Die innere Eintheilung wird nicht durch die gebräuchlichen Wände aus Stein oder Brettern gebildet, sondern nur durch hölzerne, mit grober Leinwand überzogene Rahmen; aus ähnliche Art sind die Thüren eingerichtet. In einem solchen Hause giebt es keine vertraulichen Gespräche, aber auch in Betreff der Sicherung des Privateigenthums sind keine Vorsichtsmaßregeln getroffen. Ein Schrank oder eine Kommode ist nirgends zu finden, nur »mein Koffer ist meine Festung.« Gleich stiefmütterlich werden wir hinsichtlich der Bedienung behandelt. Da die im Hause zu unbegreiflichen Zwecken umherlungernden Kerle für den Gast keinen Finger krümmen, mußte ich mir schon am zweiten Tage einen »Boy« miethen, um nicht die Reinigung des Zimmers, der Kleidung und Stiefel selber zu besorgen. Aber es wäre rathsam, ich sorgte noch für einen Gehilfen, denn mein Boy spart seine Arbeitskraft, wo er irgend kann. Seinem Aussehen nach ist er kein übler Gesell, namentlich thut seine Farbe, die der eines Pürée aus preußischen Erbsen gleicht, meinem Malerauge wohl. Das Weiße im 63 Auge contrastirt in der beginnenden Dunkelheit prächtig mit dem düsteren Fell. Da die Landessitte und Temperatur eine Livree verbieten, ich auch bei der Kürze meines Aufenthalts die Kosten scheuen würde, denke ich nicht daran, seine Landestracht, die in einem spärlichen Schurz oder einer Badehose besteht, durch eine Zuthat zu bereichern. Es genügt, um ihn von seinen gleichfarbigen Berufsgenossen zu unterscheiden, die Farbe dieser Hose zu merken. Da er nur ein Exemplar besitzt, bin ich vor allen Verwechselungen sicher. Zu einem größeren Aufwande mußte ich mich in Betreff meiner eigenen Garderobe entschließen. Schon bei meiner Ankunft war ich auf dem Flur des Hotels von einem Chor indischer Schneider überfallen worden, die auf mich losschnatterten, ohne daß es mir gelang, ein Wort zu verstehen. Nachdem ich den der englischen Sprache Kundigsten ermittelt, belehrte mich der junge Nadelheld, daß ich bei der Hitze in drei Tagen sterben müsse, wenn ich meine warmen Tuchkleider nicht mit leichteren, von ihm angefertigten Stücken vertauschte. Der Vorschlag ließ sich hören, und ich einigte mich mit ihm über zwei Anzüge aus halbwollenen und baumwollenen leichten Stoffen für 10 Pfd. St., bei der Wohlfeilheit der Materials ein unerhörter Preis. Obgleich er mir binnen drei Tagen mein Ende prophezeit hatte, wenn ich mich nicht der europäischen Kleider entledigt, ließ mich der indische Schelm doch volle acht Tage warten, ehe er das fertige Zeug ablieferte.

Die Kost und das Getränk im Royal-Hotel waren nicht zu tadeln, nur die auf dem Eßtisch umherlaufenden Eidechsen befremdeten mich anfangs. Erst die Unbefangenheit der Tischgenossen versöhnte mich mit den harmlosen Thierchen, 64 die pfeilschnell von Teller zu Teller schossen und nach Bröckchen schnappten. Bei dem Schutz, den alle lebendigen Geschöpfe nach den Vorschriften der indischen Religion genießen, that Niemand ihnen etwas zu Leide. Zudem sind die Eidechsen, als Vertilger lästiger Insecten, in allen Häusern gern geduldet. Eben so wenig wird gegen die Raubvögel, diese Beamten der orientalischen Sanitätspolizei, eingeschritten. Man braucht nur einige Bissen zum Fenster hinaus zu werfen, um mehrere kleine Geier von den Dächern stürzen und die Beute noch in der Luft mit den Krallen auffangen zu sehen.

Bombay ist eine Stadt von mehr als 600,000 Einwohnern, und besteht aus einem alten Stadttheile, den die Europäer befestigt haben und bewohnen, und dem Viertel der Eingeborenen. Der zwischen Beiden gelegene Raum wird durch eine eigenthümliche Zeltenstadt ausgefüllt, in der man lustig und – billig wohnt, da der Miethspreis eines solchen Zeltes überaus niedrig ist. Nur durch die zahlreiche Bedienung wird das Leben auch hier vertheuert. Ein Gentleman braucht bei der in Indien herrschenden Arbeitsscheu und Unbehilflichkeit der dienenden Klasse wenigstens acht Diener, deren Jeder monatlich außer Essen und Wohnung vier bis fünf Rupien (an drei Thaler) erhält. Die Theilung der Arbeit hat unter diesem Gesindel den höchsten Grad erreicht. Es fehlt nicht viel, daß zwei Diener sich dergestalt in die Reinigung der Fußbekleidung theilen, daß einer den rechten, der andere den linken Stiefel putzt. Zur Entschuldigung ihrer Trägheit läßt sich allein die entsetzliche Hitze anführen, aus der ich mir auch die allgemeine Trunksucht der hier wohnenden Engländer 65 erkläre. Sie beginnen ihren Durst mit Eis oder Sodawasser zu stillen, das flaschenweise für eine Viertel-Rupie (5 Sgr.) verkauft wird, aber bei der unaufhörlichen Transspiration tritt rasch eine Erschlaffung ein; der erschöpfte Körper bedarf einer Anregung. Der Durstige greift zu Brandy und Wasser, zu Porter und Ale, zu Champagner, aber er mag diese Lebensweise nun nicht mehr aufgeben und verfällt unrettbar dem Laster des Trunkes. Das Delirium tremens ist unter den Engländern in Bombay ein häufig vorkommendes Leiden. Zustände, wie sie mir hier vorgekommen, habe ich nicht vorher, nicht nachher gesehen. Mein Stubennachbar war ein leidlich junger englischer Hauptmann, der nur noch betrunken als – zurechnungsfähig betrachtet werden konnte. Wenn er Morgens erwachte, vermochte er nur zu lallen, aber kein Glied zu bewegen. Sein Boy wußte schon, wie er sich zu verhalten habe; er richtete den Kopf des Hauptmanns in die Höhe und flößte ihm ein Nößel, halb Brandy, halb kaltes Wasser ein. Allmählich kam der Trinker zu sich und verlangte nach einer Flasche Porter oder Ale, aber es bedurfte noch einer reichlichen Quantität Sherry oder Champagner, um ihn erst so weit zu stärken, sich vom Lager zu erheben und die Uniform anzuziehen. Erst jetzt stand er grade, ging festen Fußes einher und sprach vernünftig. Wiederholt hatte ich ihn gefragt, ob er nicht Schritte gethan, seine Heimkehr nach England zu ermöglichen; der Militairarzt hatte seinen Gesundheitszustand noch nicht für so dringend erachtet.

»Er sieht mich immer nur, wenn ich mir Kraft 66 zugetrunken habe!« sagte der Unglückliche, als ich ihm mein tiefes Bedauern aussprach.

»So statten Sie ihm doch nüchtern einen Besuch ab!« rief ich.

»Dann vermag ich nicht zu gehen, noch zu reden!« antwortete er und streckte sich auf der Schilfmatte aus. Es ging gegen Mittag und die Wirkung der genossenen Ration ließ nach. Meistens ist auch von der Uebersiedelung nach England keine Heilung mehr zu erwarten. Die meisten Kranken sterben bald nach ihrer Heimkehr, die kühle nervenstärkende Atmosphäre des Vaterlands stellt ihre Kräfte nicht wieder her. Einen nicht weniger entsetzlichen Anblick gewähren die zahlreichen Leberkranken mit ihren verblaßten Gesichtern. »Er hat keinen Quadratzoll gesunde Leber im Leibe!« ist eine stehende Redensart der hiesigen Englishmen. Meinerseits beobachte ich zur Erhaltung der Gesundheit die äußerste Vorsicht; nur in Augenblicken der höchsten Erschöpfung genieße ich einen Schoppen Champagner, der bei der steuerfreien Einfuhr eine Kleinigkeit mehr kostet, als in Deutschland. Geh. Rath Frerichs hatte mir in Berlin diesen Rath ertheilt, und ich befinde mich wohl bei der mäßigen Anwendung des angenehmen Medicaments.

Es ist leider unvermeidlich, immer wieder auf die Hitze und die Mittel, die durch sie verursachten Qualen zu lindern, zurückzukommen. Für die jungen Comptoiristen zu Bombay ist der englische Sabbath ein Tag der Erlösung. In den europäischen Handelsstädten beleben sie in auffallend modischen Toiletten die Promenaden und Vergnügungslokale, hier ziehen sie sich in ihre Wohnungen zurück, entledigen sich der Kleider und Wäsche, wickeln, gleich den 67 Hindus, ein Handtuch als Schurz um die Hüfte und strecken sich auf ihrem Lager aus. Im Innern des Landes pflegen die Engländer zur Nachtzeit, nur mit einem nassen Hemde bekleidet, am Ufer des nächsten Flusses zu lustwandeln.

Meine Arbeiten werden durch die herrschende Temperatur von 32–33 Grad Réaumur eben so sehr erschwert, wie durch die Zudringlichkeit der indischen Janhagels. Der Neugierigen kann ich mich kaum erwehren, und es blieb mir zuletzt nichts Anderes übrig, als meine Zuflucht zu einem Fiaker zu nehmen und auf dem Vordersitz desselben unter einem Schirm zu arbeiten, während der Kutscher vorn bei den Pferden steht. Aber auch so bleiben mir die körperlichen Anstrengungen nicht erspart. Die elenden Mähren sträuben sich, den Wagen auch die kleinste Anhöhe hinaufzuziehen und ich muß jeden Hügel im Sonnenbrande hinansteigen, wenn ich die Aufnahme einer interessanten Vedute nicht unterlassen will. So aus der Höhe von Malabar Hill, wo man die Bay von Bombay und die gesammte Stadt überblickt. Die luftige Lage veranlaßt die reichen Einwohner Bombays, sich hier anzusiedeln, und in der That wohnt man oben angenehmer, als in der Nachbarschaft des Meeresstrandes. Nach mehreren Besuchen auf Malabar Hill gelang es mir endlich, eine größere Aquarelle von Bombay zu vollenden.

Am 14. November machte ich in Begleitung zweier deutschen Landsleute einen Ausflug nach der benachbarten Insel Elephanta, um den dortigen, aus Fels gehauenen Tempel zu besichtigen. Diese Vergnügungsfahrt wurde uns indessen mehrfach verleidet. Wohl ein starkes Drittel der auf der Rhede vor Anker liegenden Kriegsdampfer und 68 Kauffahrer hatte die Flagge nur bis zur halben Höhe des Mastes aufgezogen, ein Zeichen, daß man am Bord Todesfälle zu beklagen habe. In Wirklichkeit ließ der Gesundheitszustand, sowohl in der Stadt, wie an Bord der Schiffe, viel zu wünschen übrig; die meisten Opfer forderte die Cholera. Den Besuch des Tempels verkümmerte uns die kauderwälsche Erklärung unseres Cicerone, eines englischen Unteroffiziers a. D. Der alte Krieger war so betrunken, und sprach so undeutlich, daß wir keine Silbe verstanden und ihn aus Rücksicht gegen seine hohen Jahre ersuchten, zu schweigen und am Fuße des nächsten Altars Platz zu nehmen. Ich benutzte seinen breiten Rücken, um flüchtig eine Skizze des Innern zu Papier zu bringen. In der Umgebung des Tempels trieb einer der Landsleute, Herr H., einige Exemplare der Goldwanze auf. Das Thierchen gleicht einem goldenen Hemdenknopfe auf einer kleinen silbernen Platte, der Glanz erblaßt aber unmittelbar nach dem Tode des kleinen Geschöpfes. Eine fernere Unannehmlichkeit dieser Wasserparthieen ist die Nothwendigkeit, viermal (bei der zweimaligen Abfahrt und Ankunft) vom Strand aus durch den Moor des Ufers auf einem Eingeborenen bis an das Boot oder an das Land zu reiten. Jede dieser Touren wird zur Erpressung eines höheren Trinkgeldes ausgebeutet, gewiß ist die Ausdünstung dieser zweibeinigen Lastthiere aber noch widerwärtiger. Sie erinnert an den Geruch einer stark mit Raubthieren bevölkerten Menagerie.

Wenn ich mich nach der von 9 Uhr Morgens bis 4 Uhr dauernden Siesta ins Freie wage, erregen die 69 religiösen Ceremonien der Landesangehörigen täglich von Neuem meine Aufmerksamkeit. Wie an unseren Landstraßen den Kapellen und Heiligenbildern, werden hier zu Lande gewissen rothbemalten Steinen Ehrenbezeugungen erwiesen. Auch verkrüppelte Baumstämme werden bunt gefärbt und dann angebetet. Ansprechender für das ästhetische Gefühl sind die Andachtsübungen der Parsis, der Bekenner der Lehre Zoroasters. Oft sah ich sie in den Abendstunden am Rande des Wassers auf einem sauberen Teppich sitzen und Blumen, mit weißen und rothen Stoffen umwickelt, unter ehrfurchtsvollen Geberden in die Tiefe werfen. Einen schauerlichen Gegensatz zu diesem anmuthigen und mit der persönlichen Würde des stattlichen Volksstammes im Einklange stehenden Ceremoniel bildet die Bestattungsweise der Parsis. Die fest in weißen Stoff gehüllten Leichen werden in feierlichem Aufzuge von den Glaubensgenossen zur Stadt hinausgetragen. Der »Tower of Silence« ist ihr Begräbnißplatz. Er besteht in einem dreißig bis vierzig Fuß hohen Thurme ohne Dach. Oben sind drei Kreise durch niedere Mauern gegen einander abgegrenzt und in kleinere Fächer getheilt. Der größte Kreis nimmt die Leichen der Männer, der mittlere die der Frauen, der kleinste die der Kinder auf; die flüssigen Ausscheidungen der todten Körper rinnen in ein im Centrum befindliches trichterförmiges Loch. Schon aus weiter Ferne erkennt man den »Tower of Silence« der Parsis an dem Gewimmel der Geyer, die unter wüstem Geschrei sich um die Beute zanken und einander die Fetzen Menschenfleisch 70 aus den Schnäbeln und Krallen reißen. Dies ist die Methode der Parsis, zur Grabesruhe einzugehen.

Die kleinen, im Innern der Stadt und in der Umgegend zum Theil sehr versteckt gelegenen Tempel der Hindus sind für Europäer schwer zugänglich; nur in dem großen Tempel-Complexus, oben in Malabar Point, wurde mir der Zutritt nicht verwehrt. Ich durfte mich ungehindert unter den heiligen Ochsen und zahmen Krähen bewegen, die kleinen Kapellen der Gottheiten betreten und die Gestalten der Asceten – von den generalisirenden Engländern schlechtweg »Fakirs« genannt – unbehelligt in Augenschein nehmen. Vielleicht wäre ich weniger dreist vorgedrungen, hätte ich gewußt, daß in diesen Räumen der Entsagung wiederholt Raubanfälle und Mordthaten vorgekommen sind. Gemeinhin sind die Büßer mit einem Anstrich von angefeuchteter Asche überzogen. Der Erste, den ich sah, hatte sich zwar nicht der fürchterlichen Buße »der fünf Feuer« unterworfen, aber er saß doch im Sonnenschein vor einem großen Feuer und starrte gedankenvoll vor sich hin. Seine rechte Hand ruhte auf dem Knie, bei genauerer Betrachtung gewahrte ich, daß er den Daumen gegen die Handfläche gestemmt hatte und der Nagel tief in das Fleisch gewachsen war. Weiterhin fand ich einen anderen Büßer, er kauerte vor dem Eingange eines kleinen Tempels und hielt den linken Arm aufgerichtet gen Himmel, aber dieser Arm war längst abgestorben und so vertrocknet, daß man die Haut, wie den Bast eines dürren Baumzweiges, hätte herunterreißen können. Die Sitte bringt es mit sich, diesen verkümmerten Büßern Almosen oder Nahrungsmittel zu reichen.

71 Da ich mich daran gewöhnt habe, im Fiaker zu arbeiten, geht kein Tag ohne Ausbeute vorüber. Ich zahle für den Cab täglich vier Rupien (2 Thlr. 20 Sgr.), wofür er mir den ganzen Tag über zur Verfügung steht, doch kostet auch die Einzelfahrt dieselbe Summe. Allerdings ist der amtliche Fiakertarif viel geringer, allein wer will hier den Ueberschreitungen steuern? Mit den Kutschern ist, da keiner englisch spricht, und sie überdies schwer von Begriffen sind, kaum fertig zu werden. Die Kleidung der Bevölkerung besteht nur aus einem farbigen, mehr oder minder kostbaren Schurz, der unterhalb des Nabels bis auf das Knie herabhängt, Frauen und Mädchen bedecken noch die Brust mit einem schmalen Zeugstreifen, der Oberleib bleibt bei beiden Geschlechtern entblößt. Kinder unter zehn Jahren gehen nackt. Arme und Beine sind beim schönen Geschlecht mit Ringen aus den verschiedensten Metallen und Pretiosen bedeckt. Die Reichen glänzen von Gold und Diamanten, die Armen begnügen sich mit Eisen und geschliffenem Glase.

Auf Zerstreuungen der Civilisation muß der Europäer verzichten; Theater und Conzerte sind nicht vorhanden, doch ergötzen mich nicht selten die indischen Taschenspieler. Ihr Hauptstück besteht darin, daß sie kleine Buben große Früchte, Messer oder Dolche scheinbar verschlucken lassen, und diese Gegenstände alsdann unter grotesken Handtirungen aus der entgegengesetzten Oeffnung des Körpers hervorholen. Ich leugne nicht, an manchem Abende bittere Langeweile empfunden zu haben. Für den 28. November war der Dampfer für Ceylon fällig, ich bezog 72 von Herrn Banquier Gildemeister, einem liebenswürdigen Geschäftsmanne, der sich jetzt nach Bremen zurückgezogen hat, 100 Pfd. St., auf dem Postamt waren zwei lang ersehnte Briefe von Mutter und Schwester aus der Heimath angelangt.

Es fesselte mich nichts mehr an Bombay. 73


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