Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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VI.

Der Dampfer China. Nach Ceylon. Der Commandeur von Java. Cap Comorin. Steife Brise. Point de Galle. Geröstete Schlangen. Consul Sonnenkalb. Der Juwelenhandel auf Ceylon.

Schon am Abend des 29. November hatte ich mich in Begleitung einiger deutschen Herren an Bord des Dampfers »China« begeben, obgleich die Abfahrt erst am nächsten Tage stattfinden sollte, mein Billet also erst vom 30. November an Gültigkeit erlangte. Demgemäß wurde ich mit scheelen Blicken empfangen. Man ließ mich zwar an Bord, als ich aber für meine Begleiter, die sofort nach Bombay zurückkehren wollten, bei der Schwüle des Abends um einige Erfrischungen bat, wurden mir diese, wiewohl ich die Versicherung, sie extra bezahlen zu wollen, vorausschickte, rund abgeschlagen. Was mich selbst betraf, durfte ich später an dem Abendessen der Offiziere theilnehmen.

Am 30. November, um 9 Uhr Morgens, wurden die Anker gelichtet. Das Schiff ist ein colossaler Dreidecker von 500 Pferdekraft und einer der größten Indienfahrer, doch will auch auf diesem Dampfer die Maschine nicht unbedingt gehorsamen. Die Schraube ist erneuert und 74 fortwährend erschallen Hammerschläge aus dem Bauche des Schiffes. Wir legen daher nur vier Knoten in der Stunde zurück. Da wir die Küste entlang nach Süden fahren, behalten wir das hohe Gebirgsland im Osten fortwährend in Sicht; bei tiefer Windstille und Sonnengluth gleicht die spiegelglatte See einer unübersehbaren Fläche von geschmolzenem Blei.

Da sich nur 20 Passagiere an Bord befinden, herrscht hinsichtlich des Raumes ein großer Comfort an Bord, denn Jeder hatte eine eigene Cajüte erhalten. Was die Unterhaltung anlangte, war die Auswahl gering; ich hielt mich an einen holländischen Notar, den ich im Juli vor meiner Abreise in Köln hatte kennen lernen. Er begab sich nach Java. Auch der neue General-Commandeur von Java, der mit seiner Tochter und ihrer Erzieherin eben dorthin reiste, war ein feiner und liebenswürdiger Cavalier; die übrigen Passagiere sind langweilige Engländer. Die Mannschaft der »China« besteht aus 200 Matrosen, meistens Negern, untermischt mit einigen Chinesen, den Leibmatrosen des Capitäns, doch haben wir außerdem noch 200 Mann an Bord, die als Besatzung eines anderen Schiffes für Madras bestimmt sind. Der Capitän und die Offiziere trauen dem Frieden nicht sonderlich. Um einer ausbrechenden Meuterei vorzubeugen, sind die Cajüten des Capitäns und der Offiziere mit einer Menge Büchsen und Revolvern angefüllt, deren wir uns im schlimmsten Falle zu unserem Schutz bedienen sollen, eine angenehme Aussicht für Kaufleute, Juristen, Landschaftsmaler, alte Staatsbeamte und junge Mädchen. Die weiße Minorität befindet sich der schwarzen Majorität gegenüber daher in einer höchst 75 unbehaglichen Situation, ich habe schon mehrere Köpfe aufgefunden, die dem Mohren Fiesco's Ehre machen würden. Man lernt alle Tage etwas Neues; ich habe nie geahnt, daß sich in der schwarzen Farbe noch so viele Töne unterscheiden ließen. Unter der Mannschaft für den Dampfer zu Madras befindet sich sogar eine tropische Galgenphysiognomie mit einem Stich in die Penséefarbe. Nach meinen Malerstudien unter dieser barbarischen Horde bildet der Anblick der eleganten Holländer, wenn sie, mit weißen Glacéehandschuhen angethan, auf Deck lustwandeln, für mich eine ästhetische Erholung. Den göttlichen Segen der Civilisation begreift man erst in einer solchen andersgehäuteten Gesellschaft.

Bei der Abfahrt hatte ich geglaubt, die Handvoll europäischer Passagiere werde leidlich verpflegt werden, allein es geht in diesem Punkte auf der »China« nicht besser zu, als auf der »Jeddo.« Bedienung und Kost sind gleich schlecht. Das Elend beginnt schon früh Morgens. Zwischen 6 und 7 Uhr erscheint der Steward mit zwei gefüllten Tassen Kaffee und Thee in Händen vor dem Bette eines Jeden. Beide Getränke sehen einander zum Verwechseln ähnlich. Nachdem der Steward nun gefragt, ob man Kaffee oder Thee verlange und Bescheid erhalten, neigt er seinen unsauberen Rüssel über die beiden Tassen und sucht durch den Geruchssinn das in jeder befindliche Getränk zu ermitteln; mir verging schon am ersten Tage der Appetit nach beiden Aufgüssen. Mit Badeapparaten &c. ist die »China« reichlich versehen, doch begnügen wir uns mit dem Nießbrauch einer Feuerspritze. Vor dem Lever unserer beiden Damen versammeln sich die Herren Passagiere, nur 76 mit Schwimmhosen decorirt, auf Deck, stellen sich in Reihe und Glied auf und werden nun einige Minuten hindurch mit dem leidlich frischen Seewasser besprengt. Dieses Bad ist der höchste Genuß des Tages. Unser Capitän macht es sich bequemer. Für ihn wird täglich neben seiner auf dem Verdeck befindlichen Cajüte eine ordentliche, mit allen Bequemlichkeiten ausgestattete Badezelle errichtet. Nichtsdestoweniger wird durch diese sorgfältige Leibespflege seiner Schlafsucht nicht gesteuert, er liegt gemeinhin auf der Bärenhaut, wir bekommen ihn höchstens bei der Mittagstafel und in den späteren Abendstunden zu Gesichte; das Commando befindet sich in den Händen der Offiziere.

Beunruhigte uns nicht das unaufhörliche Gehämmer im Maschinenraum, wir könnten uns der landschaftlichen Prospecte in östlicher Richtung mehr erfreuen. Fast immer bleibt das Land in Sicht. An der Küste von Goa vermochten wir selbst die Hütten der Eingeborenen und einzelne Cocospalmenstämme zu unterscheiden. Fliegende Fische und eine Menge sogenannter Meerschweine tummelten sich fortwährend vor unserem Schiffe, die Sonnenuntergänge waren von unvergleichlicher Schönheit, in den Nächten haben wir mehrmals Regen und Wetterleuchten gehabt. An Bord versiegt nach und nach alle Unterhaltung, der Seapoy, der uns in den ersten Tagen, wenn wir rauchen wollten, in voller Uniform Feuer brachte, hat seinen zweifarbigen Rock ausgezogen und ist von seinen unsaubern Landsleuten nicht mehr zu unterscheiden, sonntäglicher Gottesdienst wird bei dem Mangel eines Geistlichen und der Faulheit des Capitäns nicht gehalten; der Büchervorrath ist, wie auf der Jeddo, zu gemeinen Inhalts, als daß sich ein anständiger 77 Mann mit Lectüre beschäftigen sollte, ich suche in den Wolken, den bunten Tinten des Morgen- und Abendhimmels zu lesen, und lerne mancherlei aus den Gesprächen mit den holländischen Herren. Ich lasse dahingestellt, in wie weit man in unserer deutschen Heimath die mir mitgetheilten Mittel gegen die Ratten probat findet. Auf die Anwendung der kleinen, nur fünf Fuß langen, dem Menschen nicht gefährlichen javanischen Schlangen, deren sich viele Indienfahrer bedienen, da sie leicht den Ratten in ihre Löcher folgen und die Insassen hervorholen können, werden meine deutschen Landsleute verzichten müssen; es fragt sich, ob folgendes Mittel in praxi Stich hält. Drei gefangene Ratten werden in einen Käfig gethan und zum Hungertode verurtheilt. Zuerst fallen die beiden Stärksten über die Schwächere her und fristen mit ihrem Leichnam ihr Leben, dann beginnt der entscheidende Kampf. Die Ueberlebende wird mit dem Leichnam ihrer Gefährtin so lange in Haft behalten, bis sie ihn verzehrt hat; vierundzwanzig Stunden später setzt man sie in Freiheit. Das Thier soll jetzt wie jene Tiger, welche den Geschmack des Menschenfleisches kennen gelernt haben, auf alle andere Nahrung als Rattenfleisch verzichten, seinen Verwandten unaufhörlich nachstellen und so ihre Zahl sehr beträchtlich vermindern. Vielleicht gelingt es unseren nordischen Kammerjägern, die Wahrheit dieser Behauptung zu ermitteln.

Wir nähern uns dem südlichen Ausläufer des asiatischen Festlandes, dem Cap Comorin, und der Ocean scheint immer dunkelblauer zu werden. Mehr als der Anblick der längs der Küste segelnden indischen Kanoes erheiterte uns eine im fernen Osten aufsteigende Dampfwolke. Nach 78 anderthalb Stunden ermittelte der Capitän mit dem Fernrohre, daß der Rauch aus dem Schornstein des von China kommenden Postdampfers aufstieg. Den Menschen überkommt in dieser unsäglichen Einsamkeit des Oceans ein Gefühl der Erhabenheit seines Geschlechts, wenn er sich der durch Geist und Wissenschaft vermittelten Verbindung aller Welttheile und Völker bewußt wird. Unsere bis dahin ruhige Fahrt wurde, als wir Abends sechs Uhr Cap Comorin passirten, auf eine bedenkliche Weise gestört. Die plötzliche Erscheinung des Capitäns machte uns alle stutzig. Nach seiner groben seemännischen Tracht, seinen mit großer Bestimmtheit ertheilten Anordnungen, stand ein Sturm bevor. Die Mannschaft ward alarmirt, alles, was nicht niet- und nagelfest war, vom Deck entfernt, schnell wurden die Masten gekürzt, auch die kleinsten Fetzen Leinwand eingeschnürt, die Sonnenzelte fortgestaut und alle Fenster und Klappen geschlossen; die Vorsichtsmaßregeln waren noch nicht beendet, als der Sturm unsere »China« in ihrer Balltoilette überraschte. Die Stimme, mit der die Aufforderung zum Tanze vorgetragen wurde, wird mir unvergeßlich bleiben. Es war der Klang der Posaune des jüngsten Gerichtes, er kam aus unermeßlicher Ferne, näherte sich rasch und zog mit einer so entsetzlichen Wucht über den Dampfer hin, daß Deck und Masten zu beben schienen, zugleich rollte ein Bergrücken von Wasser heran. Aber unser Dreidecker war ein rüstiges Schiff, tief ächzend tauchte es aus dem wüsten Wasserschwall, vorsichtig hatte ich mich zwischen zwei ausgespannte Taue gedrängt. Meines Bleibens auf Deck war nicht länger; ich floh in meine Cajüte. Hier war indessen wenig Trost zu holen. Durch eine 79 unverzeihliche Nachlässigkeit des Wärters war das runde Fenster aus zolldickem Glase nicht fest zugeschraubt worden, als ich mich auf meiner Matratze ausstreckte, schlug plötzlich eine Welle durch die Oeffnung und ließ keinen trockenen Faden an meinem Lager. Glücklicher Weise verdankte ich der Menschenfreundlichkeit des holländischen Juristen ein Unterkommen für die Nacht. An Schlaf war nicht zu denken, bei dem entsetzlichen Lärm war selbst ein Gespräch in der Cajüte unmöglich. Mit dem Getrampel von achthundert Füßen über unseren Köpfen, dem Gerassel hin- und hergeschleuderter Ketten oder Taue, mischten sich die Flüche der englischen Offiziere, das thierische Geheul und die Kehllaute der schwarzen Mannschaft, das klägliche Brüllen und Blöken der Ochsen, Kühe und Schafe, die in der Nähe unserer Cajüte stationirt waren. Morgens sechs Uhr am 3. December verbesserte sich das Wetter. Freilich hatte sich der Ocean noch nicht beruhigt, der wie ein Holzspahn hin- und hergeworfene Dampfer neigte sich bald nach rechts, bald nach links in einem Winkel von 45 Graden, aber der Sturm tobte nicht mehr mit gleicher Wuth. Da wir sehr hoch über Wasser liegen und die Wellen nicht über die hohen Schiffswände hinausreichen, ich auch in der Nacht von der Seekrankheit nicht behelligt worden bin, gelingt es mir, meine übliche Morgencigarre auf Deck zu rauchen. Die »China« hatte den Sturm vortrefflich überstanden. Die Schraubendampfer sind stets schmäler, als die Raddampfer, und vermögen daher gemeinhin der bewegten See nicht gleichen Widerstand entgegen zu setzen, allein unser Schiff hatte sich als festes Bauwerk vollkommen bewährt.

Gegen Mittag verwandelte sich der heftige Wind in 80 eine fächelnde kühle Brise, alle Segel werden beigesetzt, und der Capitän benutzt die günstige Gelegenheit, sogleich – zu Bette zu gehen. Um drei Uhr Nachmittags erblicken wir Ceylon, aber tief in Wetterwolken gehüllt, zugleich nähert sich uns ein großes amerikanisches Klipperschiff und telegraphirt mit Flaggen, wir möchten seine Annäherung in Point de Galle, dem Haupthafen von Ceylon, annonciren. Da der Wind sich wieder heftiger erhob und es zu regnen begann, zogen wir die meisten Segel ein; in Begleitung eines riesigen Haifisches, der sein Boot umkreuzte, kam gegen halb sechs Uhr Abends ein singhalesischer Lootse an Bord, es war jedoch zu spät, bei der furchtbaren Brandung, welche die Küste von Ceylon umgiebt, den Dampfer in den Hafen zu bringen, und wir warfen auf der Rhede Anker. Die letzten Momente vor Sonnenuntergang benutzte ich noch dazu, um die wunderlichen Böte der Eingeborenen, mit ihren seltsamen Auslegern zur Erhaltung des Gleichgewichts in der Brandung, zu Papier zu bringen. Das Geschlecht der Bootsleute war nicht zu unterscheiden, denn die Tracht der Männer und Frauen stimmt hier fast ganz überein. Am 4. December Morgens acht Uhr ließ ich mich für den Ehrensold von vier Rupien nach dem Festlande übersetzen und stieg in Culemans Hotel ab. Einer der sehnlichsten Wünsche meines Lebens war erfüllt; ich befand mich auf der Wunderinsel Ceylon.

Die kleine Stadt Point de Galle zerfällt, wie alle ansehnlicheren Ortschaften des Orients, in die Stadt der Eroberer oder Einwanderer, und der Eingeborenen, doch sind auch in letzterer zahlreiche Häuser der Weißen erbaut. Die schmalen Straßen sind sauber gehalten. In der Bauart 81 der Häuser geht man nur darauf aus, Schatten und frische Luft zu berücksichtigen. Sie sind ein Stockwerk hoch, die Fußböden mit Steinen gepflastert, die Fenster nur mit Persiennen oder Jalousien versehen und die Wände der Zimmer, dicht über den feinen Matten, mit denen die Steine bedeckt sind, hie und da mit Löchern versehen. Schon Nachmittags sollte ich von der Tendenz derselben belehrt werden. Als ich nämlich nach einem kurzen Spaziergange in der Stadt, den der bedeckte Himmel gestattete, in mein Zimmer zurückkehrte, wurde ich durch ein höchst merkwürdiges Schauspiel auf die Schwelle gebannt. Ueber den Fußboden, die Tische und mein Bette zerstreuten sich Heerschaaren durch das Oeffnen der Thür eingeschüchterter Geschöpfe, welche die Utensilien des Fremdlings näher besichtigt haben mochten. Bei meinem Erscheinen rissen sie aus und flohen in die Löcher, welche der Baumeister mit gutem Vorbedacht für sie offen gelassen hatte. Es war ein belustigendes Schauspiel, überall zuckende Eidechsenschwänzchen hervorgucken zu sehen, doch war nebenbei kein Mangel an größeren, minder unschädlichen Insecten. Mehrere riesige Scorpione ereilte ich auf dem Rückzuge; als ich einen leichten Paletot von der Wand nahm, überraschte ich eine Spinne von der Größe einer Kinderfaust mit entsprechend langen haarigen Beinen. Bei meiner unzureichenden Uebung in der Spinnenjagd gelang es mir nicht, ihrer habhaft zu werden, doch ließ sie mir bei der Verfolgung zwei Beine als Jagdbeute. Die unsägliche Fülle und Fruchtbarkeit der Vegetation erstreckt sich hier auch auf das Thierreich. Die Einwohner halten zum Vergnügen fast vor allen Häusern kleine schwarze Affen, und das 82 Lieblingsspielzeug der beinahe schwarzen, aber wohlgebildeten Kinder sind winzige Papageien, die ihnen auf Schultern und Armen sitzen. Der Menschenschlag auf Ceylon ist überhaupt hübscher und von angenehmeren Manieren, als ich ihn bisher im Orient getroffen. An der Mittagstafel des Hotels habe ich heute ein neues Gericht kennen gelernt: gesottene und geröstete Schlangen. Sie wurden in der Suppe gekocht und gebraten servirt; ihr Wohlgeschmack ließ sich nicht leugnen. Anfangs hielt ich die kleinen Stücke für Aal, bis mich die größere Härte des Fleisches eines Besseren belehrte. Unsere Tischgesellschaft bestand wie in Bombay aus höchst cordialen Eidechsen. Nicht eben so friedlich sind die schwarzen Ameisen, von denen das ganze Hotel wimmelt. Wenn ich meinen Malkasten öffne, sind alle Tafeln und Näpfe von den Bestien bedeckt. Zum Glück gehören sie nicht zu der verheerenden Species ihrer Familie, aber es ist dennoch unmöglich, sich ihrer zu erwehren. Die Stunden, in denen es thunlich ist, im Freien zu arbeiten, suche ich nach Kräften auszubeuten, doch habe ich zuweilen mit unerwarteten Hindernissen zu kämpfen. Als ich einige Tage nach meiner Ankunft mich auf dem Festungswalle des Forts eingerichtet hatte und daran ging, den Leuchtthurm und die Aussicht auf das Meer zu skizziren, näherte sich mir ein englischer Unteroffizier an der Spitze von zwei Gemeinen mit gefällten Bayonnetten und verbot mir mit der angenehmen Manier seiner Landsleute, von diesem Punkte aus eine Ansicht aufzunehmen. Nur der Herr Major könne die Erlaubniß ertheilen. Der Uebermacht weichend, schloß ich meine Mappe und streckte mich, in der Voraussetzung: meine fernere Anwesenheit werde nicht beanstandet werden, 83 im Grase aus. Die Sonne neigte sich und jenes Farbenspiel begann, das den Fremden immer wieder für alle seine Leiden entschädigt, die das Klima über ihn verhängt. Die feuchte Atmosphäre von Ceylon bedingt zudem die seltsamsten Beleuchtungseffecte, die man, in nüchterneren Zonen auf die Leinwand übertragen, für eine Münchhauseniade des Pinsels halten würde. Sprachlos starrte ich in dieses Flammenmeer am westlichen Horizont, in sein rasches Verglimmen durch die gesammte Farbenscala, die Dunkelheit brach herein, als ich plötzlich auf meinem ganzen Körper, Kopf und Händen, ein lästiges Krabbeln und Zwicken fühlte. Entsetzt sprang ich vom Boden auf. Ueber und über war ich von kleinen Eidechsen, Kriechthieren und Leuchtkäfern bedeckt, die in meiner Versunkenheit mich ohne Weiteres bestiegen hatten. Nachdem ich die Zudringlichen abgeschüttelt, eilte ich nach Hause und war so glücklich, in meinem Zimmer einigen Divisionen Wanderameisen zu begegnen, die ihren Einmarsch durch das offene Fenster gehalten hatten. Glücklicher Weise ging die Etappenstraße nicht quer durch mein Bett, und ich hatte ungeachtet des in Bächen vom Himmel strömenden Regens eine ziemlich ruhige Nacht.

Da ich den Umgang mit den Engländern grundsätzlich meide, bin ich auf den einzigen hier anwesenden Deutschen, Herrn Consul Sonnenkalb, einen grundgutmüthigen Hamburger, angewiesen. Der theuere Landsmann hat sich zwischen den Wendekreisen einen prächtigen Bauch angeschafft und den Appetit seiner Vaterstadt ungeschwächt erhalten. Er giebt mir allerlei nützliche Fingerzeige und warnt mich täglich vor der Fingerfertigkeit der Singhalesen. Der Wirth im Hotel räth gleichfalls, vor der Dienerschaft 84 auf der Hut zu sein und ihm alle werthvollen Gegenstände und Baarschaften in Verwahrung zu geben; ich habe jedoch die Bewohner der Insel nicht so diebisch gefunden, als man angegeben hatte. Nur mit blanken Kleinigkeiten und Nippessachen darf man die großen Kinder nicht in Versuchung führen.

Eine weit gefährlichere Sorte, als diese kleinen Hausdiebe, sind die Perlen- und Juwelenhändler auf Ceylon. Sie sondern ihre Vorräthe nicht nach dem Werth und der Echtheit der einzelnen Objecte. Unechte und echte Perlen oder Diamanten werden durcheinander gerüttelt präsentirt. Fordert man den Verkäufer auf, ein echtes Stück zu einem bestimmten Preise vorlegen zu wollen, wie es die Sitte reeller Fabrikanten und Kaufleute mit sich bringt, so verneigt er sich mit tiefer Demuth und spricht: »Triff selber Deine Wahl, o mein Herr! Dir gehört Alles, was ich besitze!« Man thut wohl, mit dem höflichen Juweliere äußerst behutsam umzugehen, sonst wird man blutig über das Ohr gehauen. Gleich bei der ersten Begegnung verzichtete ich auf alle Ankäufe, so gern ich ein Andenken von der Insel nach Europa mitgebracht hätte. Eben mit der Auswahl unter kleinen Brillanten beschäftigt, trat ein Engländer zu mir und forderte goldene Ringe. Der Händler zeigte ihm verschiedene, und der Engländer fand großes Wohlgefallen an einem gar zierlich in Gold gefaßten Katzenaugensteine, aber der Ring sollte die Summe von – 200 Dollars kosten. Der Gentleman schien zu überlegen, der geschmeidige Händler ließ das Kleinod im gedämpften Tageslichte leuchten. Jetzt war der Engländer mit sich einig geworden, er empfing den Ring, betrachtete ihn noch 85 einmal und sagte dann, die Augenbrauen in die Höhe ziehend: »Vier Dollars?« Was wird man sagen, ohne weiteres Sträuben ward der Handel abgeschlossen. Der Engländer war später sogar besorgt, selbst zu diesem niedrigen Preise von dem singhalesischen Fälscher übervortheilt zu sein. Ich für meinen Theil hatte alle Lust verloren, kostbare Andenken für Europa einzukaufen. 86


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