Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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XIV.

Fusi Yama-Pilger. Wallfahrtstempel. Scharfe Freudenschüsse. Dampfer-Carroussel. Soirée im Herrenhause. Die Kneter. Prinz Oranien-Festball. Nach Nagasaki. Der Flußdampfer auf hoher See. Blaue Raketen und sechs Stunden Arrest. Mr. Lewes.

Die religiösen Gebräuche der Japanesen schreiben den vom Fusi Yama zurückgekehrten Pilgern vor, auf einem Rundgange alle zehn Tempel von Kamakura zu besuchen und an jeder dieser Stationen gewisse Gebete zu verrichten. Das Glück begünstigte uns, wir waren noch im Tempel mit den heiligen Hähnen beschäftigt, als eine Schaar dieser frommen Männer eintrat, der Reihe nach an einer seitwärts aufgestellten Metallschale vorüberzog, jeder ein Stück Geld hineinwarf, um sich dadurch die Erhörung seiner Gebete zu sichern, und dann an eine große Glocke schlug. Sobald sie sich überzeugt haben mochten, der Himmel nehme von ihrer Anwesenheit im Tempel Notiz und die nöthige Aussicht auf Gewährung ihrer Bitten sei vorhanden, begannen sie mit großem Eifer die geistlichen Uebungen. Indessen ließen sich die Pilger dadurch nicht abhalten, kleine Handelsgeschäfte mit uns anzuknüpfen. Sie boten uns die um 190 ihre Hände geschlungenen Rosenkränze zum Verkauf an, die wir denn auch sämmtlich in unsern Besitz brachten. Die Aehnlichkeit derselben mit jenen, welche ich einst von Wallfahrern in der Grabeskirche zu Jerusalem erstanden, war unverkennbar. Das Kostüm der Fusi Yama-Pilger war von eigenthümlicher Beschaffenheit. Vorschriftsmäßig trugen sie sämmtlich weiße Gewänder, die jedoch über und über mit rothen Stempeln bedeckt waren. Diese werden nämlich nach dem Besuch jedes Tempels von den Priestern den Gewändern gleichsam als officielle Bescheinigung aufgedruckt und erhöhen später das Ansehen des Japanesen unter seinen Mitbürgern.

Zu meinem Kummer darf ich nicht verschweigen, daß das Betragen meiner Gesellschafter keinesweges über allen Tadel erhaben war, und daß wir uns zuletzt von den Pilgern und Priestern in einer etwas gereizten Stimmung verabschiedeten. Unter unbedingter Zustimmung der Marine-Offiziere, ihrer Vorgesetzten, machten die englischen Matrosen einen solchen Heidenlärm auf der Tempelglocke, daß ich aus den Gesichtern der Japanesen unschwer errathen konnte, ihre Gottheit werde den Spektakel als persönliche Beleidigung betrachten, und sie selber, als Ortsangehörige, dafür verantwortlich machen. Es kam jedoch nicht zu unangenehmen Erörterungen; wir traten ungehindert den Rückweg an. Die Gesellschaft hatte schon unterweges, später sowohl in, als auch vor dem Tempel, den mitgenommenen Getränken stark zugesprochen; es kamen daher mancherlei thörichte Ausschreitungen vor. Fortwährend wurden zum Entsetzen der Pferde Büchsen und Revolver abgefeuert, bei unserer, lediglich aus scharfen Patronen 191 bestehenden Munition ein höchst gefährliches Vergnügen. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß ein Matrose einen Streifschuß am Unterleibe erhielt und einem holländischen Capitän der Schenkel zerschmettert wurde. Erst jetzt legte sich die Aufregung, aber sie zeigte sich von Neuem, als wir, am Strande angelangt, von den Pferden stiegen und uns den Böten näherten. Einer unserer reitlustigen Matrosen wollte, nachdem sein Capitän abgesessen war, noch ein wenig die Gelegenheit benutzen, hin- und herzugaloppiren, stieß aber bei dem Besitzer des Gaules auf Widerspruch. Da brüllte der Capitän mit Löwenstimme: »Sitz' auf, mein Sohn, und wenn er sich noch ein Wort erlaubt, haust Du ihm auf meine Verantwortung über den Leib, sitz auf!« Der Japanese ließ dem Burschen seinen Willen, aber ich zweifle, daß wir bei unserer Abfahrt unter den Pferdephilistern von Kanazawa einen vortheilhaften Eindruck der europäischen Gesittung und Billigkeit hinterlassen haben. Etwa eine halbe Meile vor Yokuhama wurde uns noch ein sehr ergötzliches Schauspiel zu Theil. Schon von fern hatten wir einen kleinen Kriegsdampfer bemerkt, der fortwährend im Kreise umher fuhr. Als wir näher kamen, sahen wir, daß das ganze Verdeck mit Japanesen bedeckt war, welche sich mit uns durch die verschiedensten Zeichen der Hülflosigkeit zu verständigen suchten, aber von Seeoffizieren und Matrosen ausgelacht wurden. Der wie ein Pferd im Circus umherjagende Dampfer war eines jener kleinen Schiffe, welche den Japanesen in den letzten Jahren von den Engländern verkauft worden waren. Sie hatten die Maschine geheizt und waren dreist in See gestochen, aber keiner von ihnen verstand 192 sich darauf, die Maschine zu stoppen, und so blieb ihnen weiter nichts übrig, als unablässig im Kreise umherzufahren, bis das Feuer ausging und der Dampfer mit Böten in den Hafen bugsirt werden konnte. Wie die Herren Seeoffiziere versicherten, wiederholen sich derartige Scenen von Zeit zu Zeit. Bei ihrem angeborenen Dünkel glauben die Japanesen, mit den Dampfern zugleich die Kenntniß ihrer Maschinenleitung erworben zu haben, und sträuben sich beharrlich, dieselbe europäischen Ingenieuren anzuvertrauen.

Die Anwesenheit so vieler Militärpersonen wirkt sehr vortheilhaft auf die Geselligkeit ein und verschafft mir eigenthümliche Genüsse. Mein gütiger Gönner, der holländische General-Consul, gab zu Ehren der europäischen Gäste eine glänzende Soirée, obgleich man mit Fug und Recht auf dieses Fest die bekannte Phrase: »sie tanzen auf einem Vulkan!« anwenden konnte. Während die Einladungskarten durch Koskei's und Barkenführer den Gästen überbracht wurden, hatte der General-Consul ein Schreiben aus Yeddo erhalten, worin er von amtlicher Seite gewarnt wurde, sich abermals dort blicken zu lassen, da die Regierung bei der gereizten Stimmung des Volkes seine Sicherheit nicht verbürgen könne.

Die Zahl der europäischen Damen in Yokuhama beträgt nur acht, der General-Consul hatte bei der Majorität von dreißig Herren, Seeoffizieren, Consuln verschiedener Nationen und Großhändlern, daher vorgezogen, diese zum größeren Theile nicht mehr jugendlichen Schönen gar nicht einzuladen, und seine Soirée in die Sphäre der japanesischen Gesellschaft zu verlegen. Demgemäß konnte sie nur 193 in dem sogenannten »Herrenhause« (Yankiro) veranstaltet werden, wo dem Gastgeber ein unvergleichlicher Damenflor zur Verfügung stand. Der Kostenpunkt war von unserem splendiden Wirthe weiter nicht beachtet worden, er hatte die von der japanesischen Regierung geforderte hohe Summe entrichtet, das ganze Lokal mit seiner Bevölkerung für den Abend und die Nacht mit Beschlag belegt und so den gewöhnlichen japanesischen Zuspruch feineren Schlages ausgesperrt. Mir steht nicht die stylistische Freiheit eines altgriechischen oder römischen Schriftstellers zu Gebote; meine Festbeschreibung muß sich folglich den Vorwurf der Lückenhaftigkeit gefallen lassen. Vorausschicken muß ich, daß wir uns sämmtlich bis an die Zähne bewaffnet eingefunden und alle Eingänge des Herrenhauses mit Posten besetzt hatten. War doch die Gelegenheit für die Japanesen, einen entscheidenden Schlag zu führen und alle Häupter der europäischen Hydra zu vertilgen, gar zu verführerisch. Dem wurde durch förmlich militärische Maßregeln vorgebeugt. Auch ich hatte außer einer weißen Cravatte den bewußten Revolver, den Pfahl in meinem Fleische, auf daß mir nicht zu wohl werde, angelegt.

Die Soirée begann mit einer Theatervorstellung, die nur von den Schönen des Institutes ausgeführt wurde. Mit vielem Geschick fanden sich die zarten Wesen in die Männerrollen und wußten mit wirklicher Komik die Eigenthümlichkeiten und Schwächen der Europäer nachzuahmen, denn die aufgeführten Stücke bestanden in einer Reihe burlesker Scenen, Begegnungen zwischen Einheimischen und Europäern, durch welche sie uns zu ergötzen gedachten. Spiel und Gesang standen nicht auf einer höheren Stufe, 194 als in chinesischen Theatern; die Instrumentalmusik war von gleicher Verworfenheit. Die Pracht der Kostüme, insofern solche überhaupt noch vorhanden waren, machte der Direktion des Institutes die höchste Ehre, aber freilich entäußerten sich einzelne Actricen selbst des Feigenblattes der niederländischen Maler. Der Darstellung folgte eine Art Ballet. Wie den Chinesen, ist auch den Japanesen die eigentliche Tanzkunst unbekannt, und das Ganze ging nicht über wiegende Bewegungen des Oberkörpers hinaus, bei denen freilich mehr die seltene Formenschönheit der Gymnastinnen, als ihre Anmuth Wohlgefallen erregte. Analog manchen stehenden Manieren unserer Tänzerinnen war nur die Gewohnheit der Japanesinnen, als Zeichen herausfordernder Fröhlichkeit mit den flachen Händen auf die unverhüllten Oberschenkel zu schlagen. Die Beleuchtung war höchst naiv eingerichtet. Da das ganze Lokal nur durch bunte Papierlaternen erhellt war und in einem magischen Helldunkel schimmerte, waren besondere Vorkehrungen nothwendig, die Actricen und Tänzerinnen in ein vortheilhafteres Licht zu stellen. Jeder folgte eine Gefährtin mit einer großen Laterne, und bemühte sich, auf alle bemerkenswerthen Attituden ein grelles Streiflicht fallen zu lassen.

Der Vorstellung folgte ein Souper, an dem auch die Damen theilnahmen. Für die Weine hatte der General-Consul gesorgt, die Speisen waren in der Küche des Hauses zubereitet. Sie wurden in sauber lackirten viereckigen Kästchen servirt, und mit Stäbchen gegessen. Aus Besorgniß, incognito bereiteten Blutegeln zu begegnen, die hier zu den Delikatessen gehören, beschränkte ich meinen 195 Verzehr auf Fisch. Mehrerer Bequemlichkeiten halber wird jeder kleinere gebratene Fisch an ein Stäbchen gebunden, man reißt ein Stück nach Belieben ab, legt den Rest in das Speisekästchen und reicht ihn dem Nachbar. Die Japanesinnen tranken zumeist den landesüblichen leichten Reisbranntwein (Saki); doch schien ihnen auch der kredenzte Champagner zu munden; die Heiterkeit der Gesellschaft stieg zusehends, und nach dem Dessert forderten die Cavaliere, ohne an der unzureichenden Toilette der Tänzerinnen Anstoß zu nehmen, ihre Tischnachbarinnen zu einem Galopp auf, für den diese hervorragendes Talent verriethen. Ich für mein Theil bedauerte nur, kein Zeichenmaterial bei der Hand zu haben, um das Ensemble des Saales mit der Wasserkunst am Eingange, den vergoldeten Wendeltreppen in den Ecken, den bunten und glänzenden Ornamenten der Wände, dem Wirbel der nackten Odalisken mit ihrem phantastischen Kopfputz festzuhalten. Es war tief in der Nacht, als wir unter dem Vortritt unserer Wachen, beim Schimmer der mit den verschiedenen Landeswappen bemalten Consulats-Laternen, in Palankinen, ohne durch einen Anfall behelligt zu werden, nach Hause zurückkehrten. Das Wetter war sehr schlecht, es regnete und stürmte, und die nächtliche Ruhe wurde mir durch rheumatische Schmerzen verkümmert, die sich neuerdings zu meinen übrigen Leiden gesellt haben. Ich beschloß daher am Morgen, die Hülfe nicht eines eingeborenen Arztes. sondern nur eines »Kneters« in Anspruch zu nehmen. Diese Leute, gemeinhin Bonzen, durchstreifen die Straßen der japanesischen Städte, stoßen aus einer Pfeife einen Laut aus, der an den Gesang der Eule in Webers »Freischütz« erinnert, und verkünden dadurch 196 ihre Gegenwart. Da sich auch Frauen und Mädchen der vornehmeren Rangklassen ihrer bedienen, werden die Blinden unter ihnen vorgezogen, und es sollen deshalb viele Fälle simulirter Kurzsichtigkeit oder Blindheit vorkommen. Ich rief den ersten besten Heilgehülfen dieser Klasse von der Straße herauf, ließ ihn sorgfältig unter dem Beistande meines Kotzkei die Hände reinigen, und stellte mich ihm alsdann zur Verfügung. Nachdem mich meine Diener entkleidet, wurde ich auf der Matte ausgestreckt, ein ausgehöhltes Bänkchen unter meinen Nacken geschoben, und mit der heilgymnastischen Operation begonnen. Schon in Bangkok hatte ich die energischen Manipulationen eines Kneters, der einem siamesischen Granden Erleichterungen nach einem schweren Diner verschaffte, mitangesehen, und war nicht ohne Besorgniß, der japanesische College werde mit mir eben so unnachsichtig verfahren. Der gelehrte Herr behandelte mich jedoch mit ungleich größerer Milde. Nachdem er sich durch einige kühne Griffe, aus denen ich ersah, daß unter Umständen Blindheit des Operateurs den männlichen Angehörigen der Kunden ganz erwünscht sein müsse, überzeugt hatte, daß mein Magen nicht an Ueberfüllung leide, ging er nach einer starken Pression der Weichen auf die Behandlung der Arm- und Beinmuskeln über. Sein Verfahren war ein Mittelding von Zupfen, Drücken und Kneifen, nach und nach wurde dadurch die Haut meines ganzen Körpers geröthet und der bisherige zuckende Schmerz wich einem wohlthuenden Wärmegefühl. In einer Viertelstunde war das ganze Verfahren beendet; mit einem Viertel-Itzebu königlich belohnt, entfernte sich der Kneter seelenvergnügt, der nervösen Aufregung folgte eine 197 unsäglich süße Abspannung, und, auf der Matte liegen bleibend, von dem Kotzkei nur mit einem Plaid bedeckt, versank ich in einen mehrstündigen Schlaf, aus dem ich mit bestem Appetit erwachte. Von Herzen bedauerte ich, mich dieses nervenstärkenden Verfahrens nicht schon früher bedient zu haben, und bin geneigt, die körperliche Fülle und Gesundheit, deren sich die Bevölkerung mittlerer Jahre in Japan erfreut, demselben zuzuschreiben.

Am 5. September wohnte ich dem holländischen Prinz Oranien-Festball bei, zu dem auch die anwesenden acht Damen gezogen waren. Wenn ich sage, daß die Zahl der Herren zweihundert überschritt, wird man ermessen können, daß die Schönen sich über Mangel an Tänzern nicht zu beklagen hatten. Eine den Vierzigen nahe stehende Donna schien den letzten Hauch auf dem Tanzboden daran setzen zu wollen, und ich darf nicht verschweigen, wie ihr Eheherr, weit entfernt, Widerspruch einzulegen, sie vielmehr durch Zufuhr immer neuer Tänzer in ihrem Selbstmordversuche unterstützte. Ich zog mich in den durch zahllose Laternen feenhaft erleuchteten Garten zurück.

Je weiter das Jahr vorrückt, desto ähnlicher wird das Klima dem Herbste des unteren Italiens. Wir benutzen die herrlichen Septembertage zu weiteren Spazierritten in das Innere des Landes, nur suche ich davon alle herausfordernden Persönlichkeiten auszuschließen, und verhüte so jeden Conflict mit den Eingeborenen. Der Abgang des Dampfers nach Nagasaki rückt heran, und ich bringe am 9. September bis 3 Uhr Nachmittags meine Zeit damit zu, die Koffer zu packen; vor Sonnenaufgang am nächsten Tage sollen die Anker gelichtet werden. Ich wollte schon 198 um 5 Uhr Abends an Bord, allein mein gütiger Hausherr mochte sich nicht so bald von mir trennen. Ungeachtet aller Einreden wurde ich bis nach 11 Uhr am Lande festgehalten, und kam erst los, als der Seegang immer höher wurde und pechschwarzes Gewölk heraufzog. Endlich waren meine sechs Gepäckstücke in die Nußschaale von Boot gebracht, und nach einer halben Stunde war ich, bis auf die Haut durchnäßt, glücklich an Bord des Dampfers gelangt. Bei der Ungeschicklichkeit der Bootsleute hatte ich nothgedrungen selbst Hand angelegt und so auch meine Koffer gerettet. Der größte und werthvollste wäre beinahe ins Meer gefallen. An Schlaf war nicht zu denken, denn der Capitän und die Passagiere befanden sich im letzten Stadium der Besoffenheit. Um ihren Enthusiasmus einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen, veranstalteten sie sogar ein Feuerwerk und bedienten sich dazu blauer Raketen. Nun muß man aber wissen, daß Raketen und Signale von dieser Farbe unter den Seeleuten »Schiff und Mannschaft in Gefahr« bedeuten. Natürlich wurde sofort auf allen Kriegsschiffen der englischen Flotte Alarm geschlagen und in den Consulatsgebäuden von Yokuhama machte man sich nach den überall erleuchteten Fenstern kampffertig; man vermuthete einen meuchlerischen Ueberfall der Japanesen. Die Feuerwerker wurden durch die auf der Rhede ausbrechende Unruhe noch nicht zur Besinnung gebracht, erst als eine Schaluppe vom Admiralschiff eintraf und auf Befehl des Admirals den vergnügten Capitän abholte, stutzten die des Anstifters beraubten Passagiere und ließen sich zu Bette bringen. Die Abfahrt des Steamers war dadurch in Frage gestellt, 199 denn der Admiral gedachte, den Luftfeuerwerker achtundvierzig Stunden in Arrest zu legen, auf die Fürsprache der Consuln ließ er es jedoch bei sechs Stunden und einem scharfen Verweise bewenden, und um ein Uhr Mittag lichteten wir wirklich die Anker.

Das kleine Schiff Carthage, ist ein Privat-Handelssteamer und gehört der schon erwähnten reichen Firma Gardins. Angeblich liegt den Besitzern nicht viel an Passagieren, und unsere Beförderung wird nur als Gnadensache angesehen. Nichtsdestoweniger hat Jeder von uns für die Strecke von 160 Seemeilen bis Nagasaki das erkleckliche Sümmchen von 110 Dollars erlegt. Nicht viel mehr als an Passagieren scheint dem Hause an dem Dampfer selber gelegen zu sein. Neu bemalt und gestriegelt war er im Hafen von Yokuhama schon zum Verkauf ausgeboten worden, ohne bei der hohen Forderung einen Abnehmer zu finden. Wie unter den an Bord befindlichen fünf englischen Kaufleuten gemunkelt wird, ist die »Carthage« gar nicht für die Fahrt auf hoher See construirt, sondern nur ein invalider Flußdampfer. Bei seinem geringen Tiefgange wird das elende Schiff in dem wilden Wetter gleich einem Gummiball hin- und hergeworfen. Zwei Stunden nach unserer Abfahrt lagen wir sämmtlich seekrank in den Kajüten. In diesem trostlosen Zustande verblieben wir die ganze Nacht hindurch, doch beruhigten sich am 14. Sept. um 7 Uhr Morgens meine empörten Magennerven so weit, daß ich meinen für 12 Sgr. 6 Pf. in Yokuhama erstandenen papierenen Regenmantel anlegen und eine Promenade auf Deck veranstalten konnte. Beim Tiffin, das aus Eiern von zweifelhaftem Alter und steinhartem 200 gebratenen Speck bestand, war ich außer dem Capitän und Steuermann der einzige Tischgenosse. Während der Mahlzeit erhielt mein neues Reisegewand die erste Oelung. Die Steuerbordseite der »Carthage« erhob sich plötzlich so hoch, daß die Assiette mit Eiern und Speck auf den papiernen Regenmantel flog und ihm ein unvertilgbares Fettmal aufdrückte. Der Brandyflasche entging ich; der Capitän hatte noch im letzten kritischen Augenblicke danach gegriffen und sie dann, um ferneren Unglücksfällen vorzubeugen, rasch bis auf den letzten Tropfen geleert. Wäre der erste Steuermann nicht noch bei Besinnung, dieser Trunkenbold stürzte Schiff, Ladung, Mannschaft und Passagiere ins Verderben. Die Fahrt in den japanesischen Gewässern ist, wie an den chinesischen Küsten, bei dem Mangel aller Leuchtthürme, höchst gefährlich, außerdem ist es den Eingeborenen bei Todesstrafe verboten, auf europäischen Schiffen Lootsendienste zu leisten. In den letzten Tagen des August war ein Einwohner von Kanazawa dieses Verbrechens wegen enthauptet worden.

Wie glücklich wäre ich gewesen, hätte mir nach dem traurigen Tiffin ein »Kneter« zu Gebote gestanden; es blieb mir nichts übrig, als durch Aufzeichnung meiner letzten Beobachtungen und Erlebnisse in Yokuhama die Langeweile zu vertreiben. Von den Landsleuten auf der Gazelle hatte ich mich schon am 8. September verabschiedet und dort ein paar höhere japanesische Offiziere getroffen, die sich ungemein für die Zündnadelgewehre der Seesoldaten interessirten, und bei ihrer Intelligenz sehr wohl den Vortheil der Hinterladung begriffen. Sie entblödeten sich nicht, der Schildwache auf Deck fünfzig Dollars zu 201 bieten, wenn sie ihnen ihr Gewehr verkaufen wolle! Die Passagiere erholen sich allgemein, kriechen ans ihren Hängematten und rauchen in der Kajüte, ein unerhörtes Beginnen für ein englisches Schiff, schlechte Manila-Cigarren; unsere Gesellschaft wird durch ein Dutzend Hunde verstärkt, die nicht ganz von der Seekrankheit verschont bleiben und in ihrer Herzensangst die wunderlichsten Verstecke aufsuchen. So waren zwei Pintscher von der Sophalehne auf die vorspringende Decke eines Wandschranks gestiegen, von wo sie wenige Minuten später einem reichen Seidenhändler auf den Kopf fielen und ein paar verschimmelte Wasserstiefel in ihren Sturz verwickelten. Auch Mr. Lewes, mein alter Freund und Fachgenosse, kam aus seiner Koje abgezehrt und hohlwangig zum Vorschein. Nach Vollendung des Portraits beider Könige von Siam hatte er sich nach Japan eingeschifft, um den Großen des Reiches seine künstlerischen Dienste anzubieten, vielleicht gar das Portrait des Taikun anzufertigen. Mr. Lewes Talente hatten keinen fruchtbaren Boden gefunden, von allen Seiten waren seine Anerbietungen abgelehnt worden. Wie der Moslem, besitzt der Japanese ein Vorurtheil gegen die Abbildung lebender Personen. Der fahrende Portraitmaler wird auf allen englischen Dampfern nicht nur kostenfrei befördert, sondern genießt auch freie Zeche und lohnt seinen Wirthen durch geistreiche Conversation bei Tische. Jetzt kehrt er nach Calcutta zurück, wo sein Pinsel noch immer die sicherste Beschäftigung findet. Gutem Vernehmen nach zählt auch eine Dame zu den Passagieren, wir haben aber weder sie selbst, noch ihren Mann und Sohn zu Gesichte bekommen. 202 Einer der Engländer, ein gesangskundiger Jüngling, zieht aus ihrem Stöhnen und Röcheln in hoher Sopranlage einen Schluß auf ihr Geschlecht. Die ganze Familie scheint sich der Seekrankheit ergeben zu haben.

Bei der abscheulichen Kost an Bord sind die aus Japan mitgenommenen Weintrauben unsere einzige Erquickung, die Birnen stehen weit hinter der geringsten europäischen Sorte zurück. Am 12. September um 3 Uhr Nachmittags stieg aus dem Ocean ein so dichter Nebel auf, daß wir kaum die Hand vor Augen sehen konnten. Der Dampfer ist in eine Strömung gerathen, und wir treiben dem rechts gelegenen Lande, einer felsigen Küste zu. Vor Schreck war der Capitän sogleich nüchtern geworden, und da der Nebel sich für einige Minuten lichtete, gelang es, aus der Nähe des Landes fortzukommen. Wir waren nur noch eine Viertelmeile davon entfernt gewesen. Zu unserem Heile hatten wir rechtzeitig die hohe See erreicht, denn mit Einbruch der Dunkelheit brauste ein Teifun heran, der, wenn auch nicht einer der rasendsten, doch die Kräfte unserer armen »Carthage« weit überholte. Ich bereitete mich zum Tode vor; der schwache Flußdampfer konnte im nächsten Moment kentern. In einer wahren Geistesverwirrung machte ich mich über meine Koffer her, packte die werthvollsten Gegenstände in eine Ledertasche, schnallte sie um den Leib, ohne zu bedenken, daß ich bei einem Sturz in das Wasser eben durch ihr Gewicht in den Abgrund gezogen werden müßte, und verhüllte mein Haupt mit dem Plaid. Die gütige Vorsehung hatte unseren Untergang noch nicht beschlossen, gegen Morgen klärte sich der Himmel, der 203 Orkan ließ nach, und der Gang des Dampfers wurde ruhiger, aber wir waren moralisch und physisch durch die todesbange Nacht so erschüttert, daß der Thee und Zwieback unberührt in die Küche zurückgetragen werden mußten. 204


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