Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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V.

Die Praya granda. Der Tempel eine Theebude. Mein achtzigjähriger Enkel. Ein Nachmittag im Theater. Schreihälse. In der Spielhausstraße.

Am frühen Morgen des 26. April machte ich mich, mit einem Revolver in der Tasche und einem stämmigen Bambusrohr in der Hand, auf den Weg und eine Runde um Makao. Das an der offenen Bai gelegene portugiesische Stadtviertel ruft in mir die Erinnerung an Rio Janeiro und Madeira zurück, so groß die Terrainunterschiede sonst sein mögen. Die gebirgige Bodengegend ist von malerischer Mannigfaltigkeit. Mehrere alterthümliche Forts und auf Höhepunkten gelegene Kirchen blicken finster durch die üppige tropische Vegetation auf den glühend indigoblauen Ocean herab, dessen Vorfluth zu schwellen beginnt, auf der mächtigen Wallung schwimmt ein Hauch kühler Morgenluft, die Brust des gequälten Menschen hebt sich höher, sein Auge füllt sich mit Thränen – nennt es Nervenschwäche, Einwirkung des Klimas, wenn ihr wollt – ich nenne es Religion.

Hinter der alten portugiesischen Stadt erstrecken sich weithin die chinesischen Viertel. Der verlockendste 58 Spaziergang für den Touristen ist die »Praya granda«, eine halbmondförmige Straße am Meer, auf der andern Seite von stattlichen palastartigen Häusern eingefaßt. Einige der verwitterten Bauwerke sollen noch aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts stammen, denn die erste Ansiedelung der Portugiesen datirt aus dem Jahre 1539. So melancholisch der Eindruck ist, den diese, gleich den Palästen am Canal grande zu Venedig zur Hälfte leerstehenden Gebäude hervorrufen, findet sich in der Praya granda gegen Abend doch der Corso von Makao zusammen und die portugiesische Musikbande trompetet bis Sonnenuntergang. Von dem bleiernen Druck der Atmosphären von Bangkok und Kanton befreit, schöpfte ich hier frischen Lebensmuth. Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes war ich so glücklich, die Bekanntschaft einer liebenswürdigen portugiesischen Familie hart am Hafen zu machen. Die Damen gestatten mir, so manchen Tag in ihrer Gesellschaft zuzubringen. Dann sitze ich mit der Bleifeder am offenen Fenster und fahnde auf pittoreske Chinesen.

Die stärkende Seeluft wirkt nicht allein auf den Humor des schönen Geschlechts, sondern auch der goldenen Jugend des Handelsstandes höchst vortheilhaft ein. Nicht nur Alles, was in animalischer oder vegetabilischer Richtung an Entartung streift, nimmt in den Tropen riesige Dimensionen an, auch in moralischer Hinsicht begeht der Mensch hier leichter Excesse, als in der gemäßigten Region. Von der leidenschaftlichen Verlogenheit der reichen jungen Ansiedler habe ich schon gesprochen; in Makao wurde alles Bisherige überboten. In Gesellschaft zweier Gehilfen großer Firmen lustwandelte ich Abends am Meeresstrande; einer der jungen 59 Herren hatte an Wortwitzen schon Hervorragendes: »Je Dollar (toller), je besser!« geleistet. Jetzt blieb er plötzlich sinnend stehen und sagte: »Wissen Sie, meine Herren, wir verschreiben alljährlich für 1000 Pfd. Sterling Tinte!« Das war dem Collegen zu arg, er packte heftig meine Schulter und rief: »Und wir ersparen durch bloße Weglassung der I-Punkte an 2000 Pfd. Sterling für Tinte!« Der Reisende, gleichviel ob er in dem engeren Bezirk einer Stadt oder in Provinzen und Ländern sein Wesen treibt, immer eine den Menschenbeobachter fesselnde, wenngleich häufig auch ärgernde Gestalt, schießt in dieser Zone wild wuchernd ins Kraut. Hier verirren sich seine ästhetischen Eigenschaften, seine alle andern Urtheile niederdonnernde Redekunst und Unfehlbarkeit bis in das Ungeheuerliche. Wer einen tropischen Handelstouristen belauscht hat, wenn er zur Mandoline sang oder in unbewachten Momenten die Fleduse beseelte, wird mich nicht der Verleumdung hoffnungsvoller Dilettanten bezichtigen. Da ich mich von einer, noch aus Europa stammenden Schwäche nicht freigemacht habe, und mit derartigen musikalischen und rednerischen Vorträgen nicht zu befreunden vermag, ziehe ich in vielen Fällen der Gesellschaft dieser aufstrebenden Millionäre die der Eingebornen vor.

Die Unterschiede zwischen den Bekennern der Religionen des Buddha und Confucius, die in den chinesischen Provinzen neben einander bestehen, treten nach meiner Wahrnehmung hier deutlich hervor. Die Anhänger der Lehre des Confucius stehen in Makao nicht im besten Geruch. Aus ihnen rekrutiren sich Schmuggler, Piraten, Opiumraucher, Spieler, Diebe und Gauner. Begehen sie ein 60 Verbrechen, so machen sie sich unverzüglich aus dem Staube und suchen auf den benachbarten kleinen Inseln eine Zuflucht. Die maritime Umgegend von Makao ist die hohe Schule der chinesischen Piraterie. Mehrmals habe ich Gelegenheit gefunden, zu Makao in die Tempel der Confucius-Bekenner zu gelangen und ihr Treiben zu studiren. Unmittelbar neben den Altären wird Thee getrunken und Kuchen dazu gegessen, Tabak geraucht und Domino oder Karten gespielt. Träte der Stifter dieser Religion in einen solchen Tempel, er griffe sicherlich, wie seiner Zeit Christus im Tempel zu Jerusalem, zur Geißel. Die Buddhaisten betragen sich in ihren Bethäusern und Klöstern ungleich sittiger.

Am 28. April besuchte ich mit meinem Malerapparat einen alten, merkwürdigen Schiffertempel. Er ist von riesigen morschen Banienbäumen beschattet und zwischen großen Felsblöcken errichtet; neben dem Tempel standen mehrere Gruppen Bambusrohr. Eine Partie derselben war mit sauber ausgeschnittenen Papierstiefeln, Geldkisten und Hüten behängt. Man erklärte sie mir als Opfer oder Weihgeschenke andächtiger Frauen. Von hier aus fuhr ich zu Wasser nach dem etwa eine Stunde entfernten Buddhakloster. Ueber wesentliche Abweichungen von der herkömmlichen Bauart wüßte ich nichts zu berichten, nur eine überdachte Gartenhalle überraschte mich. Mehrere hohe und umfangreiche Bäume reichten mit ihren Stämmen und Wipfeln weit über die offene Decke des Saales hinaus, innerhalb der reich decorirten Wände wurden köstliche Blumen in Fülle gezogen. Im blühenden, betäubend duftenden Rosengebüsch saß zwischen den Baumstämmen ein 61 achtzigjähriger chinesischer Bonze; vor ihm stand die dampfende Theekanne. Er war in sein Gebetbuch vertieft, erhob aber bei meiner Annäherung das Haupt und begrüßte mich auf zuvorkommende Weise. Der würdige Herr, vielleicht einer der einflußreichsten Geistlichen des Klosters, sprach etwas Englisch und schien hoch erfreut, seine Sprachkenntnisse erweitern zu können. Ich mußte mich erst geduldig in sein Rothwälsch hineinhören, ehe es mir gelang, einige Sylben zu verstehen. Die Zunge des Alten war schwer, seine Zähne hatte er sämmtlich verloren. Ueberaus höflich, wie alle gebildeteren Chinesen, beeiferte er sich, mich mit Complimenten zu überhäufen. Da vorgerücktes Alter das höchste Ansehen im himmlischen Reiche genießt, kann ein artiger Chinese dem Anderen nichts Angenehmeres erweisen, als wenn er seine zurückgelegten Jahre rühmt. Der achtzigjährige Greis entblödete sich daher nicht, zu mir zu sagen: »Du bist gewiß schon sehr alt?« Die Höflichkeit gebot auf diese Frage die Antwort: »Nicht halb so alt, wie Du, mein Vater!« Der überhöfliche Bonze ergab sich noch nicht: »Mein theurer lieber Vater!« fuhr er fort, »sprich die Wahrheit, gewiß könntest Du mein Großvater sein!« Nun war nichts mehr zu sagen, ich protestire nicht weiter gegen die mir octroyirte Großvaterschaft, schwieg resignirt und trank mit meinem kopfwackelnden »Enkel« eine Tasse Thee. In einer benachbarten Kapelle, in welche mich ein zwischen Gesang und Gewinsel schwebendes Geräusch menschlicher Stimmen lockte, fand ich vier jüngere Bonzen. Sie saßen an einer Art Tisch vor einem vergoldeten Buddha und lasen, sangen oder grunzten aus aufgeschlagenen Büchern Gebete im Quartett. Der Aelteste von ihnen 62 schlug mit einem Stabe fortwährend auf eine große Glocke, die einen dumpfen Ton von sich gab. Als ich nach Besichtigung des Klostergartens, der einen seltenen Reichthum von Zwerggewächsen enthielt, wieder ins Freie trat, kam mir eine Schaar armer Kinder entgegen, die sich inzwischen Bettelns halber versammelt hatten. Keines von ihnen war ohne irgend ein Gebrechen. Ein Drittel war blind, die Uebrigen waren durch Hasenscharten und Knochenfraß des Nasenbeins entstellt. Die beiden letztgenannten Uebel sind in ganz China verbreitet, und ich bin hie und da in Seitenstraßen mancher großen Städte gerathen, wo man vergeblich die höchsten Preise auf eine unversehrte Nase gesetzt hätte. Ich vertheilte alle kleine Münze, die sich in meinen Taschen fand, an die unglücklichen Kinder, und glaubte jetzt unbehelligt davon zu kommen, aber hinter den Kleinen lauerten die herrenlosen Hunde des Klosterreviers auf mich und stimmten ihr Kriegsgeschrei an. Aus Furcht, von ihnen angefallen zu werden, zog ich den Revolver und spannte den Hahn; es war nicht nöthig an die Bestien einen Schuß zu verschwenden. Kaum hörten sie das Knacken, als sie sich sämmtlich in eine ehrerbietige Ferne zurückzogen; ihre Genossenschaft schien üble Erfahrung mit Feuerwaffen gemacht zu haben. Sie begleiteten mich jedoch mit klagendem Geheul bis zur nächsten Hundestation, wo ich auf ähnliche Weise bewillkommnet und verabschiedet wurde.

Mein häusliches Leben gestaltete sich ungleich angenehmer, als ich erwarten durfte. Morgens zwischen fünf und sechs Uhr holt einer meiner beiden chinesischen Diener aus dem Haushalte des General-Consuls eine Tasse Thee und ein Brödchen, dann werden die häuslichen 63 Angelegenheiten besorgt, die Kleider und Zimmer gereinigt; um zehn Uhr begebe ich mich zu Herrn von Rehfues und nehme mit ihm und Herrn von Radowitz das Tiffin ein. Oft verleitet uns die anregende Unterhaltung, länger bei Tische zu sitzen, als unsere Geschäfte erlauben; um fünf Uhr finden wir uns zu einem Spaziergange in der Praya granda ein und kehren um sechs Uhr zum Diner in die Wohnung des Herrn von Rehfues zurück. In Gesellschaft der geistreichen und liebenswürdigen Cavaliere schwinden die Stunden wie Minuten. Sie sind unerschöpflich in charakteristischen Mittheilungen über chinesische Eigenthümlichkeiten und geben mir die wichtigsten Fingerzeige, wie und wo ich meine Beobachtungen anzustellen habe. Zuweilen besuchen wir das hiesige, erst seit einigen Tagen mit dem Beginn der Regenzeit eröffnete Theater. Es unterscheidet sich nicht weiter von dem zu Kanton befindlichen, und ist wie dieses lediglich aus Bambusrohr und Palmblätter-Matten erbaut. Von Nägeln weiß diese Baukunst nichts; alle Bestandtheile werden durch Flechtwerk und Knoten von gespaltenem Rohr verbunden. In einer Höhe von ungefähr 50 Fuß über dem Parterre hingen auch hier wieder in dem Rohrgebälk des Dachstuhls viel Gratiszuschauer, ohne daß Jemand von ihnen Notiz nahm. Die hiesige Gesellschaft liefert für ein Eintrittsgeld von 12 Sgr. im ersten Range, Vorstellungen von sechszehnstündiger Dauer, die schon Vormittags beginnen; ich habe daher die günstige Gelegenheit benutzt, mich schon um zwei Uhr einzufinden und in aller Gemächlichkeit eine Aquarelle der Bühne und des Zuschauerraumes anzufertigen. Meine Arbeit wurde nicht durch die Zudringlichkeit der Neugierigen, sondern allein durch die mich zerstreuenden 64 Vorgänge auf der Bühne unterbrochen. Die Gesellschaft führte ein Spektakelstück auf, das mit prachtvollen Kostümen, gellender Musik und ohrenzerreißendem Fistelgesang ausgestattet war.

Die Mannichfaltigkeit der Prügel war sehr groß. Ohrfeigen, Fußtritte, Hiebe mit Bambusstöcken und flacher Klinge wechselten unaufhörlich untereinander. Ein häufig angebrachter Effect, den ich zu Gunsten der Hebung unserer deutschen Schaubühne den Theatern zweiten Ranges nicht verschweigen darf, erschien mir ebenso nachdrücklich, wie sinnreich. Sobald ein Acteur eine Maulschelle erhielt, wurde hinter der Scene ein Kanonenschlag abgebrannt, der Geschlagene stürzte jählings zu Boden, sprang aber sogleich wieder auf und floh hinter die Coulissen. Der Zusammenhang der Handlung blieb mir unverständlich, nur so viel begriff ich aus Peripetie und Katastrophe, daß die Heldin des Stückes eine treulose Gattin war, die im Finale ihre Strafe erlitt. Ihr Gemahl, der Arzt seiner Ehre, gebehrdete sich jedoch dabei nicht so romantisch, wie sein College im spanischen Trauerspiele. Die Schuldige wurde auf den Rücken gelegt und empfing eine Anzahl Hiebe mit der flachen Klinge auf den Bauch. Um die unangenehmen Empfindungen auszugleichen, kehrten sie die Schergen alsdann um und applicirten dieselbe Dosis jenem Theile, der zu ihrem Empfange physisch ungleich berechtigter war. Dabei hatte es indeß noch nicht sein Bewenden. Als die Büttel fertig waren, machte sich ein Scharfrichter über die arme Sünderin her und trennte mit einem breiten Schwerte den (künstlichen) Kopf vom Rumpfe. Ein großer rother Lappen stellte das in Strömen fließende Blut vor, doch ließ sich das Opfer dadurch nicht abhalten, aufzuspringen, einen 65 Burzelbaum zu schießen und blitzgeschwind davon zu laufen. Während der Hinrichtung wurde ein brillantes Feuerwerk abgebrannt. Meine Aquarelle war glücklicherweise fertig, als ich durch einen, auf meinen entblößten Kopf fallenden kleinen Gegenstand heftig erschreckt wurde. Der Pinsel entfiel meiner Hand, ich griff nach dem Scheitel, fühlte aber zugleich, daß der unbekannte Gegenstand über den Hinterkopf in wilder Eile den Rücken entlang das Weite suchte. Mein Nachbar, ein junger Bursche, kreischte laut auf und schleuderte die Fußbank nach dem Thiere. Ein auffallend großer Tausendfuß war von der Decke auf meinen Kopf gefallen; mit zerschmettertem Körper zuckte er noch zu meinen Füßen. Vor der Thür des Theaters fand ich außer anderen Sehenswürdigkeiten einen großen Guckkasten, um den sich eine Menge Kinder drängte. Ich warf nur einen Blick hinein, fuhr aber, empört über die Schamlosigkeit der ausgestellten Bilder, rasch zurück. Diese optische Belustigung gehörte unzweifelhaft zu den erlaubten Unterhaltungen und Bildungs-Elementen der unerwachsenen Jugend.

So oft es das zwischen Regengüssen und heiterem Himmel bei drückender Hitze schwankende Wetter gestattet, durchforsche ich die specifisch chinesischen Stadttheile Makao's. Für ein Malerauge sind sie, wenn gleich die schmutzigsten, doch immer die interessantesten. Die Verarmung des Ortes, dem Hongkong längst den Rang abgelaufen hat, scheint auch auf die Erwerbsverhältnisse des chinesischen Proletariats sehr nachtheilig eingewirkt zu haben. Beispiele einer Armuth, wie sie hier vorkommt, sind mir selbst in den elendesten Vierteln Kantons nicht begegnet. Viele Wohnungen, in denen ganze Familien hausen, gleichen aus 66 Koth und Rohrsplittern zusammengeklebten Vogelnestern. Wenige Quadratfuß müssen zum Nachtlager eines Haufens nackter Kinder hinreichen. Ein ganzes Straßengeviert besteht nur aus Hütten, wie sie Steinklopfer an unseren Chausséen zum vorübergehenden Schutz gegen Wind und Regen errichten. Familien, die Tag und Nacht in ihren auf den Strand gezogenen Böten zubringen, sind schon als wohlhabend anzusehen. Wird das Boot so schadhaft, daß der Eigenthümer sich dessen nicht mehr zum Fischfange und Strandraub bedienen kann, so wird es umgekehrt, auf Pfähle gestützt und bildet nun ein Schutzdach für die Familie. Hochbejahrte Leute, wenn ihnen die verfaulten Trümmer über dem Kopfe zusammenstürzen, bleiben darunter liegen und ergeben sich, ohne eine Hand zu rühren, in ihr Schicksal. Ich verlasse diese Stätten des Jammers, von denen ich stets mit Ungeziefer bedeckt nach Hause zurückkehre, meistens in tiefer Niedergeschlagenheit; erst der benachbarte Fisch- und Gemüsemarkt erheitert mich wieder durch die bunte Zusammenstellung der Producte. Bei ihrer gewissenhaften Bodencultur und peinlichen Sorgfalt bringen die chinesischen Gärtner ihr Gemüse zur höchsten Vollkommenheit. Gleiches gilt auch von den Blumen. Die Liebhaberei für zierliche Topfgewächse ist unter allen Ständen und Lebensaltern verbreitet. Der ärmste Mann, welcher nur in einem düstern Winkel sein Geschäft treibt, benutzt den hellsten Punkt, um mit einem Faden ein lackirtes Näpfchen, in dem ein Reis grünt, an die Decke zu hängen; die Augenlust des Reichen besteht in Blumenetagèren und herrlichen Gartenanlagen. Die Fische werden auf dem Markte in fließendem Wasser lebendig erhalten; oft vermag 67 ich mich nicht an ihrer Farbenpracht satt zu sehen. Meine Lieblinge sind die in allen Tönen des Spectrums schillernden kleinen Delphine und eine Art dunkelrosenrother Aale. Der Fischmarkt ist zugleich ein Lieblingsort der Wahrsager. Sie sitzen vor kleinen geschnitzten Tempeln und ziehen daraus gegen eine geringe Geldentschädigung die Nummern, welche man in der Lotterie besetzen soll.

Ein chinesisches Leichenbegängniß, das an meiner Wohnung vorüberzog, konnte ich sehr bequem vom Fenster aus betrachten. Von weitem gesehen, glich das Ganze einem theatralischen Aufzuge, erst in der Nähe sah man, daß es sich um den bittern Ernst der Nothwendigkeit handle. Das Modell eines Tempels wurde vorausgetragen, ein Musikchor folgte und ließ die nationalen Schlaginstrumente erschallen; vor dem Sarge schwang man Fahnen und Trophäen. Die Form des Sarges glich der bei uns gebräuchlichen, doch war er mit einer rothseidenen, goldgestickten Decke verhüllt. Vierzehn Kalis trugen ihn an Bambusstangen auf den Schultern. Eine Frau ging nebenher und hatte die Hand auf den Sarg gelegt. Nach meiner Vermuthung war sie Wittwe, wenn gleich kein sonstiges Zeichen der Trauer dafür sprach. Madame widmete dem Verblichenen auch nicht eine Thräne, dafür war eine Schaar von Klageweibern engagirt, die den Sarg umgaben und ein Wehgeheul ausstießen, das im Stande gewesen wäre, einen Scheintodten zu erwecken.

Noch heute in der Erinnerung empört über diesen Spektakel, will ich gleich einer Eigenthümlichkeit der chinesischen Kinder erwähnen, die zu dem Widerwärtigsten gehört, was ich in jenem merkwürdigen Lande kennen gelernt habe. 68 Bälger unter zehn Jahren setzen sich plötzlich mitten in eine belebte Straße und erheben aus heiler Haut und voller Brust ein lautes Geschrei. Niemals habe ich bemerkt, daß die Angehörigen, insofern sie sich in der Nähe befanden, oder die Vorübergehenden ihnen Einhalt geboten hätten. Anfangs hielt ich, da die brüllenden Geschöpfe mit Händen und Füßen strampelten, diese vocale Kraftäußerung für einen convulsivischen Anfall; die Kunstpausen der Schreier, in denen sie frech und prüfend um sich blickten, machten mich irre an meiner Diagnose. Nach einer Viertelstunde erhoben sich die Unholde und gingen erfrischt von dannen. Sollte das Verfahren vielleicht gar ein innerliches heilgymnastisches Exercitium zum Ausweiten der Lungen sein? So viel ich mich erinnere, pflegen glückliche Eltern sich über das Geschrei ihrer Baby's durch die Annahme zu trösten, denselben stehe kein anderes Mittel zu Gebote, sich körperliche Bewegung zu machen. Bewahre uns der Himmel vor Einführung dieses Verfahrens in die heimischen orthopädischen Institute und Streckanstalten.

An einem ungewöhnlich kühlen Abende begaben wir uns, die Herren von Rehfues, von Radowitz und ich, in die Spielhausstraße. Wir mußten vorher den übelriechenden Fleischmarkt durchkreuzen und die Elfuhrstraße passiren. In dieser Gegend liegt ein Spiellokal neben dem andern. Wir besuchten ihrer mehrere, in der Einrichtung herrschte jedoch, wie in den meisten Geschäftszweigen der chinesischen Industrie, eine solche Monotonie, daß wir uns den Wechsel der Lokalitäten hätten ersparen können. Der Spielsalon bestand aus einem Parterregeschoß und einer oberen Gallerie. Unten nahmen die minder angesehenen Leute, oben die 69 Honoratioren Platz. Der Spieltisch stand in der Mitte des Salons, und zwar so, daß mit leichter Mühe auch von der Gallerie aus pointirt werden konnte. Der Spieler ließ in einem Körbchen an einer Schnur den jedesmaligen Einsatz hinab und verständigte sich durch einen Laut oder Wink mit den Bankhaltern und hilfeleistenden Croupiers. Die in den verschiedenen Räumlichkeiten betriebenen Spiele waren mir größtentheils unverständlich, nur das beliebteste derselben, ein Seitenstück zu dem pair und impair der Roulette, war leicht zu begreifen. In der Mitte des Tisches vor dem Banquier lag ein Haufen glänzend polirter Cash, der niedrigsten Geldmünze des Reiches. Die Einsätze wurden gemacht, der Banquier griff mit beiden Händen in den Metallhaufen und thürmte einen Hügel Cash vor sich auf. Jetzt begann das Spiel. Er nahm zwei Holzstäbchen und schob mit ihnen zwar rasch, aber doch nicht so eilig, daß ein Fehler, oder eine absichtliche Täuschung vorkommen konnte, immer zwei Bronzemünzen bei Seite. Für die Pointeure kam zuletzt Alles darauf an, ob ein oder zwei Stücke übrig blieben. Die Gewinne wurden ausgezahlt, die Verluste eingestrichen, und die Partie begann von Neuem. An die Hast und krallende Habgier der Croupiers in den rheinischen Spielbädern gewöhnt, berührte mich die Ruhe und Gemessenheit der chinesischen Bankbeamten und Spieler sehr angenehm. Die Einsätze waren nirgends hoch, und doch muß das Hazardspiel zu Makao für den Pächter einen erklecklichen Gewinn abwerfen. Nach der Aussage meiner Gesellschaften beläuft sich die jährliche Pachtsumme auf 90,000 Dollars, aber die Zahl der Spielhäuser soll auch mehr als fünfzig betragen. In einigen Lokalen bediente 70 man sich der Karten, und dieses Spiel flößte mir allerdings einiges Mißtrauen ein, sowohl was die Physiognomien der Croupiers, als der Pointeurs anlangt. Die chinesischen Karten sind nicht länger und breiter als der Zeigefinger einer Manneshand; in den Farben und der Signatur ist einige Aehnlichkeit mit den groben deutschen Spielkarten vorhanden, doch giebt es mehrere Sorten von verschiedener Feinheit. Das Spiel schien ziemlich verwickelt zu sein, und die Betheiligten folgten seinen Chancen mit vieler Lebhaftigkeit. In allen diesen Salons stehen Cigarren, Taback und Thee den Gästen unentgeltlich zur Verfügung. Wir spielten weder, noch bedienten wir uns der erwähnten Erfrischungen. Es war ein Uhr Nachts, als wir bei taghellem Mondenschein in Begleitung eines alten portugiesischen Herrn, der einen ansehnlichen Gewinn gemacht haben mochte, und aus Furcht, ausgeplündert zu werden, um Erlaubniß bat, sich uns anschließen zu dürfen, nach Hause zurückkehrten. Meine Diener waren noch munter und vortrefflich gelaunt; der Vollmondschein hatte auf ihre Rattenjagd vortheilhaft eingewirkt. Die erlegten Thiere waren zu Zweien mit den Schwänzen zusammengeknüpft und im Vorzimmer über ein Bambusrohr gehängt. 71


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