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23.

So standen sich die acht Menschen eine Zeitlang gegenüber. Stille legte sich über das Zimmer, drückend, schwer, unheilverkündend. In des alten Komitadschi düsterem Gesicht zuckte und wetterleuchtete es von heranziehendem Sturm. Er hielt sich mit eiserner Kraftanstrengung zurück. Man sah nur, wie auf den verknöcherten Händen die blauen Adern schwollen. Sadeff stand mit gesenktem Blick neben Elena, doch des Mädchens Augen wanderten furchtlos von einem zum anderen. Margot, die es verstand, Menschen einzuschätzen, fühlte, daß sich hier eine starke Persönlichkeit auf einen Kampf um Leben und Tod rüstete. Unwillkürlich glitt ihr Blick zu Petroff hinüber. Der war ruhig und überlegen. Sein Auge traf das ihrige, und sie erkannte einen Gruß darin, der nur für sie bestimmt war.

Er war es, der zuerst sprach.

»Ich hatte schon lange, schon seit einem Jahre, einen gewissen Verdacht. Aber ich konnte nichts machen. Die Spuren, die sich zeigten, waren zu undeutlich. Da kam unser Beschluß, Gereff und Lupo nach Istip zu schicken, um mit Wolopoff abzurechnen. Ihr wißt, ich war gegen diesen Beschluß. Ich wollte und will auch heute nichts mehr wissen von diesem Streit unter uns selbst. Aber Ihr habt es beschlossen. Elena hieß es gut – ich wurde überstimmt. Lupo und Gereff wurden an der Grenze verhaftet. Verrat. Ich wußte, daß weder du, Vater, noch Dimitrieff den Verräter gespielt haben konnten. Von mir wußte ich das gleiche.«

Der alte Dimitrieff grunzte etwas, was niemand verstand. Pawel blickte zu ihm hin, doch er winkte ab.

»Sprich nur weiter!« sagte er mit rauher Stimme.

»Blieb also nur die vierte Person, die an dieser Beratung teilgenommen hatte, Elena.«

Bei der Nennung ihres Namens warf diese den Kopf in die Höhe. Ihre kleine, zarte Gestalt schien zu wachsen. Sie kannte keine Furcht. Sie war bereit, die Verantwortung zu tragen für das, was sie getan hatte. Armselig, bejammernswert war neben ihr der junge Mensch mit dem schönen Gesicht.

Pawel Petroff fuhr ruhig und gleichmäßig fort.

»Also Elena. Ich ließ sie überwachen, zum Teil besorgte ich das selbst, zum Teil ein Mann, dem ich absolut vertrauen konnte. Sein Name tut hier nichts zur Sache. Wir brachten heraus, daß sie eine rege Korrespondenz mit – Genf führte. Ich habe einen sehr guten Freund in der Postverwaltung. Gescheff – Ihr kennt ihn alle. Cyrill Gescheff – er ist mit mir in die Schule gegangen, und wir haben bei Tatschalda nebeneinander gefochten, gehungert und gefroren. Zu ihm ging ich, und er half mir. Wir stellten den Adressaten fest, an den Elenas Briefe gerichtet waren. Hier steht er: Boris Sadeff –«

Der junge Mensch sank noch mehr in sich zusammen. Er stöhnte leise vor sich hin. Kalt, unbeweglich blieb das Mädchen.

»Man fing an, mich zu verdächtigen,« nahm Pawel Petroff seinen Bericht wieder auf. »Irgendein verrückter Kerl kam ins Haus und schoß auf mich. Ich hatte Angst. Nicht um mein Leben, sondern darum, daß ich vielleicht verhindert würde, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ich floh nach Wien. Es war kein leichtes Stück, zu entkommen – –«

Er lachte, und jeder einzelne seiner weißen, starken Raubtierzähne lachte mit. Mit beinahe stenographischer Kürze gab er nun Bericht über sein Vorgehen, erzählte, wie er die Ähnlichkeit mit Roland entdeckte, diesen in Genf fand und sein Abkommen mit ihm traf. Wie er dann als der vertriebene montenegrinische Revolutionär im Kreise der Thrazier auftauchte, sich Schritt für Schritt in das Vertrauen Sadeffs eingrub, der von seiner fanatischen Idee besessen und gleichzeitig von furchtbaren Gewissensbissen gemartert, die Freundschaft dieses ernsten, stillen Menschen dankbar aufnahm. Es war nicht besonders schwer, ihm sein Geheimnis zu entlocken, es brannte ihm auf der Seele. Es ließ ihn nicht mehr schlafen. Seit dem ersten Attentat auf den falschen Mr. Bowers in Genf war Sadeff selbst wie ein Gehetzter. Als dann die Kugel Mirkos wirklich traf, brach er vollständig zusammen und gestand.

»So hatte das Attentat also sein Gutes,« schloß Pawel Petroff seinen Bericht. »Sie haben mehr Glück gehabt, als ich verdiene, Herr Roland – – ich zitiere ein Wort, das Fräulein Geldern mir gesagt hat, und ich beuge mich seiner Wahrheit. Und nun, Sadeff, wollen Sie nicht für sich selbst sprechen? Wollen Sie nicht diesen beiden alten Vorkämpfern für die Freiheit unseres Volkes erklären, wieso Sie zu Ihrer Handlungsweise kamen?«

Sadeffs Lippen zuckten und zitterten. Der Schmerz verklärte sein schönes Gesicht in einer wunderbaren Weise. Es war kein Mensch in diesem Raum, der nicht das tiefste Mitgefühl für ihn empfand. Selbst der alte Dimitrieff schwieg und wartete auf seine Rechtfertigung.

»Ich habe getan,« sprach er endlich, indem er mit hoffnungsloser Bewegung die Arme sinken ließ, »was ich für richtig hielt. Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen, weder Elena noch ich haben irgendeinen materiellen Vorteil davon gehabt.«

»Warum tatet Ihr es dann? Warum habt Ihr Schmach und Schande über mein Haupt gebracht?« schrie der alte Dimitrieff.

Furchtlos trat ihm Elena entgegen.

»Wir sahen kein anders Mittel, um diesem unheilvollen Kampf unter uns selbst ein Ende zu machen. Der Verrat sollte alle, Euch sowohl wie Wolopoff auf der anderen Seite, mit Angst erfüllen. Sollte Euch zwingen, Euch endlich miteinander auszusprechen und zu vergleichen. Etwas anderes wollte ich nicht. An die Theorien von Pawel glaubte ich nicht. Gewalt ist nur mit Gewalt zu kurieren. Das ist meine Überzeugung. Ich hätte sogar mich selbst verraten, wenn ich es für notwendig gefunden hätte!«

»Aber das ist ja Wahnsinn!« rief der alte Petroff.

»Wahnsinn ist auch, wie Ihr gehandelt habt!« entgegnete das Mädchen. »Wie wollt Ihr den Feind bekämpfen, wenn Ihr untereinander selber nicht einig seid. Ihr müßt es, Ihr müßt endlich begreifen, um was es geht!«

Es war so viel Wucht, so viel Begeisterung in ihren Worten, daß die anderen schwiegen. Sie war noch nicht zu Ende.

»Ich kann vor Gott verantworten, was ich getan habe. Es tut mir leid, Sadeff mit ins Unglück gezogen zu haben. Aber ich wußte niemand anderen, der mir treu ergeben war. Sein Bruder war doch mein Bräutigam. Seit er als Opfer Eures Wahnsinns gefallen ist – – –«

Tränen verschleierten für einen Augenblick die großen schwarzen Augen. Doch mit bewunderungswürdiger Kraft riß sich das Mädchen zusammen. Ihre eigenen, ihre urpersönlichsten Gefühle gingen niemand auf der Welt etwas an. Sie drückte sie rücksichtslos wieder zurück. Sie war hart, unnachgiebig gegen sich wie gegen andere.

Sie fuhr fort. Nun, da alles Geheimnis vorbei war, hielt sie mit nichts zurück. Die Wahrheit allein war es, die jetzt zählte.

»Ich hatte keinen anderen Weg, als den über Genf. So schrieb ich denn an Sadeff und weihte ihn in meinen Plan ein. Er hat sich lange dagegen gewehrt – – aber ich überzeugte ihn schließlich, daß wir dem unseligen Zustande ein Ende bereiten müßten. Er nahm meine Briefe in Empfang und gab die darin enthaltenen Informationen an die Stellen weiter, die sie verwerteten. Er hat viel Geld dafür erhalten. Dieses Geld ist bis auf Heller und Pfennig dem Fond der Partei zugeführt worden. Blutgeld, ja. Aber ich sah keinen anderen Weg, und ich wiederhole, ich selbst bin bereit, zu sterben, wenn man diesen Weg zu Ende gehen kann.«

Sie schwieg. Niemand rührte sich. Roland und Margot, die nur Zuschauer in diesem Drama waren, fühlten sich aufs tiefste ergriffen. Er dachte an die beiden jungen Menschen zurück, deren Leichen er auf der Pritsche des Genfer Polizeikommissariats liegen gesehen hatte. Derselbe Fanatismus auch in diesem Mädchen. Dieselbe Opferfreudigkeit, die dem Leben nur soviel Wert beimaß, als es der großen, heiligen Sache zu dienen vermochte.

»Und was soll jetzt geschehen?« fragte der alte Petroff.

Sein Sohn beantwortete die Frage.

»Ich habe Wolopoff verständigt, und er hat seinen Bruder benachrichtigt. Bevor ich Genf verließ, kam Wolopoff zu mir und brachte die Antwort seines Bruders. Er ist bereit, nach Wien zu kommen und dort mit uns sich endgültig auszusprechen.«

»Woher diese Wandlung? Wolopoff war ein Bluthund, der nie auf Vernunft hören wollte!« knurrte Dimitrieff.

»Er ist nicht viel anders als du!« sagte General Petroff. »Wenn du zur Vernunft kommst, warum soll er es nicht?«

»Ich habe seinem Bruder, dem Redakteur in Genf,« erklärte Pawel Petroff, »die Hölle heiß gemacht. Schließlich sind die beiden Wolopoffs keine Dummköpfe. Sie wissen ganz genau, wie weit sie gehen können. Ich glaube, nein ich bin überzeugt, wenn Elena und Boris Sadeff auch den verkehrten Weg gegangen sind, so haben wir es ihnen doch zu verdanken, wenn sich jetzt die Türen öffnen, durch die die Verständigung zu uns kommt. Und auch Ihnen müssen wir danken, Herr Roland, Ihnen und Ihrem Fräulein – –«

Margot warf sich geistesgegenwärtig vor die drohende Gefahr.

»Wenn Sie mir etwa eine Dankesadresse halten wollen, Herr Petroff, so können Sie sich sie sparen! Ich lege viel größeren Wert darauf, an dem Versöhnungsmahl teilzunehmen und auf das Wohl des thrazischen Volkes zu trinken! Ich habe in diesen wenigen Tagen gelernt, was das heißt, für eine große Sache begeistert zu sein!«


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