Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

Eine Zeitlang marschierten sie schweigend nebeneinander her. Plötzlich blieb er stehen. »Wenn Sie telephonieren, Fräulein Petroff, vergessen Sie nicht, Ihrem Herrn Vater zu sagen, er soll Ihnen einen Handkoffer mit dem Notwendigsten nachschicken.«

»Hierher nach Riffelalp?«

»Um Gottes willen nicht! Nach Visp, bahnhofslagernd. Sie wissen ja nicht, wie lange Sie hierbleiben. Der Koffer kann noch morgen früh dort sein, und wir, oder ich, oder die Leute vom Hotel holen ihn.«

Sie telephonierte. Zehn Minuten, nachdem sie das Gespräch bestellt hatte, war der Anschluß da.

»Endlich mein Kind!« vernahm sie des Vaters Stimme, die sonst so rauh, voll Befehlston war. Nur sie wußte, wieviel Zärtlichkeit in ihr aufgespeichert war. »Ich habe mich furchtbar um dich geängstigt!« Sie war seine erste Sorge.

»Was soll mir denn geschehen? Ich habe nur ein Malheur – ich habe gar nichts mitnehmen können. Bitte, schicke mir womöglich noch heute abend einen Handkoffer mit zwei Paar Schuhen, Hemden, und zwei, drei Kleidern – ach wo, nur das allereinfachste – – bahnhofslagernd nach Visp.«

»Ich werde es dir selbst bringen und dann gleich mit Pawel reden! Hast du übrigens –?«

»Ich habe ihn noch nicht gesprochen. Er hat eine Zickzackreise gemacht wie ein Verbrecher.« Sie berichtete die Kreuzfahrt Lausanne – Montreux.

»Nun willst du noch mehr Beweise für seine Schuld haben?«

»Ja, Vater, das will ich! Überlaß nur alles mir!«

»Du kennst doch Dimitrieff! Wenn du wüßtest, wie der alte Bandit getobt hat, als uns dein Herr Bruder warten ließ. Ich hatte ihm einen Zettel geschickt – –«

»Ich weiß – –«

»Woher denn?«

Zum Glück kann man beim Telephonieren noch nicht sehen, welche Gesichtsfarbe die Person hat, mit der man gerade spricht. Sonst hätte General Petroff konstatieren müssen, daß seine Tochter wieder einmal dunkelrot wurde. Sie hatte sich ja beinahe verraten.

»Du hast es mir selbst gesagt,« behauptete sie kühn. »Aber das ist jetzt egal. Die Hauptsache ist doch, Pawel ist hier. Ich habe ihn nicht sprechen können, denn er hat gleich nach der Ankunft einen großen Ausflug in die Berge unternommen –«

»Pawel? Seit wann ist der – –?«

»Nun, an Berge ist er schon gewöhnt, nicht wahr? Es ist ja auch herrlich hier heroben! Eine Welt, die wir gar nicht kennen! Weißt du, Vater, wenn wir nicht die große Sorge hätten, könnten wir hier eine wundervolle Zeit verbringen – – du und – ich und Pawel – –«

»Ich habe jetzt keinen Kopf auf Vergnügungsreisen! Was soll nun geschehen, Kindchen?«

»Ich werde sehen, daß ich – –« Die Lüge wollte schwer in den Apparat hinein – – »daß ich ihn heute noch oder morgen gleich spreche. Mir wird er alles sagen. Dann telephoniere ich oder telegraphiere ich sofort – –«

»Gut, mein Kind! Wir werden hier auf deine Nachricht warten. Sag', hast du genügend Geld mit?«

»Nein, Vater! Gut, daß du davon sprichst! Ich bin ja Hals über Kopf davongefahren.«

»Schön! Ich werde dir deinen Koffer nach Visp schicken und dir auch telegraphisch Geld überweisen – –«

»Wenn aber Pawel von hier morgen wieder abfährt?«

»Das mußt du zu verhindern suchen. Trägt er noch immer seinen Bart? Ja? Wundert mich, daß er sich ihn nicht abnehmen läßt. Jeder kennt ihn doch daran!«

»Vielleicht will er sich gar nicht verstecken. Ich habe dir doch schon gesagt – –«

»Kind, darüber wollen wir jetzt nicht streiten. Suche ihn so lange hinzuhalten, bis du deine Sachen erhalten hast. Du kannst doch nicht ohne Gepäck und Geld in der Welt herumreisen! Es ist das beste, ich setze mich auf und komme selbst hinauf –«

Die Angst packte sie. »Wenn du meinst, Vater! Doch ich glaube, es ist besser, ich spreche zuerst mit ihm. Mir wird er nichts verheimlichen. Du aber wirst gleich heftig werden –«

»Ich werde nicht heftig werden. Ich werde ihm – –«

»Vater, darüber wollen wir jetzt nicht streiten. Mein lieber, guter, alter Brummbär, vertraue mir! Es wird alles, alles gut werden. Und du wirst noch sehr stolz auf deinen Sohn sein!«

Undeutliches Knurren. Strategischer Rückzug. »Also schön! Sprich du zuerst mit ihm, Kind! Und – und – laß es dir gut gehen! Man sagt, der Ausflug auf den Gornergrat soll sehr schön sein. Den kannst du doch auf jeden Fall machen – –«

»Ich habe keine Bergschuhe mit!«

»Die wirst du dort schon irgendwo zu kaufen bekommen! Hast du ein gutes Zimmer? Ja? Aussicht auf das Matterhorn? Ich habe hier das Bild gesehen! Muß ja eine Pracht sein! Und – und hast du angenehme Nachbarn? Anständige Leute?«

Sophie hatte das Gefühl, als strömte ihr diesesmal das Blut aus dem ganzen Körper in die Wangen. Nachbarschaft?

»Ich – ich glaube ja – –« stammelte sie.

»Nun, dann ist's gut! Also bis auf morgen, Kind!«

»Adieu, Vater! Und tausend Dank für alles! Und – und nicht wahr – du – du wartest auf meine Nachricht?«

»Natürlich warte ich.«

»Und – und Vater, vergiß nicht, meine Crême Simon mitzuschicken! Ich habe sie im Badezimmer stehen gelassen!«

»Wird besorgt. Du, Sophie, sag Pawel nichts, daß du mit mir gesprochen hast. Wir müssen ihn überraschen. Du versprichst mir das?«

Sie schluckte krampfhaft. »Ich verspreche es, Vater! Auf Wiedersehen, auf fröhliches Wiedersehen!«

»Gott gebe es!«

Sie kam zu Roland zurück, der bereits im Speisesaal wartete. »Nun?«

»Ich komme mir vor wie eine Diebin!« warf sie ihm über den Tisch zu. »Mein Vater vertraut mir blindlings und ich – – ich – –. Nein, ich danke, ich habe gar keinen Appetit.«

Sie aß das ganze Menu von Anfang bis zu Ende. Zwischendurch berichtete sie. Jedes Wort war ein Dolchstoß für Roland. Zum Schluß kam der Schlag mit der Keule.

»Herr Roland,« erklärte sie ihrem durch das Schicksal aufgezwungenen Verbündeten, »wenn Ihr Plan keinen Erfolg hat, wenn es sich herausstellt, daß Sie nur eine nichtswürdige Komödie mit mir aufführen, dann werden Sie meinem Vater Rechenschaft zu stehen haben. Ich setze meinen Ruf aufs Spiel. Alles – –«

»Das weiß ich, gnädiges Fräulein, und deshalb habe ich Ihnen ja noch andere Wege vorgeschlagen, die zum Ziele führen könnten. Wenn Sie mir absolut nicht vertrauen können – –«

Sie erhob sich und schaute ihn, da er sitzen blieb, in vollstem Sinne des Wortes von oben herab an. »Ich habe jetzt keine andere Wahl mehr, gute Nacht, Herr Roland!«

Er blickte ihr nach, wie sie durch den Saal ging. Der große Raum war dicht gefüllt, und es waren wenige Augen, die ihr nicht folgten.

Roland zündete sich eine Corona Coronas an und trat auf die Terrasse hinaus. Eine Idee, kühn und nichtswürdig, begann sich in seinem Kopf zu formen. Sein Gewissen wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Als er in sein Zimmer kam, rührte sich nichts nebenan. Er stand einen Augenblick mit verhaltenem Atem still und lauschte. Sie trotzte. So richtig wie ein verzogenes Kind. Lächelnd kleidete er sich aus. Vorsichtig, um ja keinen Lärm zu machen, schob er sich aufs Bett.

Er wußte nicht, daß nebenan, nur durch eine dünne Wand und eine noch dünnere Tür getrennt, ein blühendes, glühendes Geschöpf zu ihm hinüberlauschte. Sie hatte seinen Blick am Nachmittag sehr wohl verstanden. Sie hatte alles in ihm gelesen, was eine Frau in dem Blick eines Mannes lesen kann, und mit sinkendem Mut gestand sie sich jetzt, daß sie, wenn er sie dort oben geküßt hätte, keinen Widerstand zu leisten imstande gewesen wäre.

Richard Roland, der Filmschauspieler, war nicht der erste Mann, in dessen Augen sie das Feuer des Verlangens brennen sah. Sie wohnte in Wien bei ihrer Mutter Schwester, der Gattin eines Großindustriellen, in deren Hause Männer genug verkehrten, junge wie alte, die bereit waren, sie zu erringen. In aller Unschuld machte sie die Männer toll. Sie wußte, daß sie bildschön und begehrenswert war. Drei seriöse und eine ganze Menge weniger seriöse Anträge hatte sie abgelehnt. Sie war nicht spröde, aber sie hatte Ideale und hielt die Männer zum Narren, weil keiner von ihnen diesen Idealen entsprach. Sie war alles, nur nicht oberflächlich, doch ihre Tiefe blieb unberührt.

Und nun sah sie sich diesem Filmschauspieler gegenüber. Sie rümpfte die Nase mit dem bürgerlichen Hochmut, der ihr aus der Atmosphäre in der vornehmen Villa ihrer Tante anhing. Von ihren Idealen war Richard Roland gerade so weit entfernt, wie alle die anderen Männer, die sie bis jetzt kennengelernt hatte. Einen Vergleich mit dem Vater oder mit dem Bruder hielt er überhaupt nicht aus. Und doch – irgend etwas war an ihm, das Saiten in ihr zum Schwingen brachte, die bis jetzt geschwiegen hatten. Die Frechheit und die Selbstverständlichkeit, mit der er an das Abenteuer heranging, imponierten ihr. Seine Unverfrorenheit hatte etwas Erhabenes. Vater und Bruder waren Helden, jederzeit bereit, für ihre Idee zu sterben. Dieser Mensch aber – wie mochte er nur ohne Bart aussehen? – betrachtete die zwei Schußlöcher in seinem Hut als ausreichenden Grund, ihr den Kopf zu verdrehen. Das Schlimmste war, sie konnte ihm nicht davonlaufen. Sie mußte bleiben, des Bruders wegen. Das Allerschlimmste aber, daß sie gar nicht davonlaufen wollte.

Und nun hörte sie ihn in das Zimmer treten. Ein unbestimmtes Gefühl zitterte in ihr. Als sie keinen Laut weiter vernahm, wurde sie argwöhnisch. Was machte er? Warum rührte er sich nicht? Sie setzte sich aufrecht im Bette hin und lauschte.

Doch still blieb's nebenan. Sie beruhigte sich und streckte sich in den Kissen aus. Er wollte sie nicht stören. – – Er war eigentlich doch voller Rücksicht. Sie beschloß, morgen – – –

Plötzlich Klopfen an der Tür! Um Gotteswillen – sie hatte ihn für einen Gentleman gehalten. Trotz aller Frechheit! Und jetzt – – –!

Das Klopfen wiederholte sich. »Fräulein Petroff – –« hörte sie ihn ganz deutlich flüstern. Sie war wütend.

Er wartete einige Sekunden. Dann wieder sein Flüstern. »Fräulein Petroff – wenn Sie etwas Schönes sehen wollen, schauen Sie zum Fenster hinaus!«

»Wenn Sie nicht sofort von der Tür – – –«

»Blödsinn! Machen Sie Ihr Fenster auf –«

»Ich befehle Ihnen – –«

»Herrgott – das Matterhorn steht in Feuer und Sie schlafen – –!«

Das klang echt. Sie sprang aus dem Bett, bekleidete sich rasch, lief an die Balkontür und riß sie auf.

Da sah sie ein Wunder Gottes.

Irgendwo weit draußen im Gebirge tobte ein Gewitter. Es war so weit entfernt, daß man den Donner nicht hörte. Doch auf dem Dreieck des Matterhorngipfels glühte der Widerschein der Blitze. Violette Flammen zuckten über den unter dem dunkelblauen Himmel liegenden weißen Felsen. Kein Laut in der weißen, nachtstarren Runde. Keine Bewegung. Nur dieses Auf und Ab des violetten Leuchtens. Ein Fanal aus überirdischer Ferne – – –

Sophie vergaß zu atmen. Sie vergaß sich selbst. Ihrer selbst unbewußt glitt sie an das Gitter des Balkons vor und erlebte dieses Schauspiel. Auf seinem Balkon stand Roland und rührte sich nicht. Sein Genuß war ja ein doppelter.

Wie lange? Solche Zeiten mißt man nicht. Das Gewitter rollte. Schwächer und schwächer wurde das Leuchten. Bis es ganz erlosch.

Da wandte sich das Mädchen zu Roland. »Ich danke Ihnen,« sagte es ganz leise. »Morgen gehen wir zum Gornergrat hinauf. Wollen Sie?«

Er nickte, und sie streckte ihm die Hand hin, ehe sie in ihr Zimmer zurücktrat. Er wartete noch einen Augenblick. Dann verschwand auch er.

Der dunkle Nachthimmel begann zu erblassen. Heller Schein schob sich von Osten heran. Die Spitzen der Berge erglühten in den ersten Strahlen der Morgensonne.

Rolands kühne und nichtswürdige Idee versteifte sich zu einem Entschluß.


 << zurück weiter >>