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20.

Es zeugte für die Willenskraft dieses Mannes, daß er nicht erschrocken herumfuhr. Langsam drehte er sich um und blieb stehen. In dem mattgelben Lichte einer asthmatischen Straßenlaterne sah er vor sich ein schlankes Mädchen, dessen Gesicht er allerdings nicht zu erkennen vermochte. Aber jung mußte es sein, das war an der Stimme zu hören, an der Gestalt zu sehen – – –

»Meinen Sie mich?« gab er zurück. Er antwortete deutsch – in der Sprache, in der sie ihre Frage auf ihn abgefeuert hatte.

»Jawohl, ich meine Sie, Herr Pawel Petroff, der sich hier als Montenegriner Vuiè ausgibt. Ich bin nach Genf gekommen, um Sie zu sprechen. Sie verdanken es mir, daß Sie freigelassen worden sind.«

Er antwortete nicht gleich, sondern nahm die Brille ab, und sie fühlte beinahe körperlich den prüfenden Blick seiner dunklen Augen.

»Wäre es indiskret zu fragen, mit wem ich die Ehre dieser geheimnisvollen Begegnung habe?« fragte er endlich.

»Geheimnisvoll? Nicht sonderlich. Diese alten Gassen sind ganz interessant, und ich kann mir vorstellen, daß sie wundervoll sein müssen, wenn das Mondlicht über ihnen leuchtet. Ich bin nicht furchtsam. Ich mußte Ihnen nachgehen, da ich Sie heute noch sprechen will. Ich glaube kaum, daß es Ihnen angenehm gewesen wäre, hätte ich Sie in Gegenwart Ihrer beiden Freunde angefallen.«

Er zuckte die Achseln. »Wohl kaum. Doch möchte ich noch immer gern wissen, mit wem ich es zu tun habe.«

»Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Name etwas sagt – ich bin Margot Geldern, die – –« einen Atemzug lang zögerte sie, ehe sie das Wort der zerbröckelnden Bindung aussprach, »– Braut des Filmschauspielers Richard Roland, den Sie verpflichtet haben, sich für Sie erschießen zu lassen.«

»Margot Geldern?« Der Name tauchte aus irgendeinem Fach seines Gedächtnisses empor. »Jawohl, Herr Roland sprach von Ihnen. Ich hoffe, Sie werden mir glauben, daß ich alles getan habe, das Unglück zu verhüten.«

»Nun liegt er aber doch schwer verwundet im Hotel Bellevue.«

Pawel Petroff ballte die Fäuste. Sie sah ganz deutlich, wie sein Gesicht hart wurde. Nun, da die falsche Brille es nicht mehr verunzierte, traten die scharfen Linien der eckigen hohen Stirne deutlich hervor. Mit einem Male offenbarte sich die ganze Energie, die in ihm steckte. Und Margot vermochte es, durch die Aufmachung der Maske hindurchzusehen. Sie erkannte, sie fühlte vielmehr mit dem Instinkt der Frau das wahre Gesicht, das sich hinter dieser Maske barg. Der Mann schien auf einmal gar nicht so ärmlich, so schwächlich.

»Ich kann Sie nicht bitten, jetzt zu mir hinaufzukommen,« sagte er. »Ich halte es auch nicht für ratsam, mit Ihnen in irgendein Lokal zu gehen, wo wir gesehen werden. Sagen Sie mir nur das eine jetzt: Ist Herr Roland wirklich schwer verwundet?«

Erregte warme Besorgnis sprach aus seiner Stimme. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Es wird zwar morgen in allen Zeitungen stehen, daß er in Lebensgefahr schwebt, aber er hat mehr Glück gehabt, als Sie verdienen, Herr Petroff. Die Kugel ist an einer alten Silberdose abgeprallt – –«

»Eine alte Silberdose? Aus Tula? Ja? Man könnte fast an Bestimmung glauben, mein Fräulein. Da droben im Himmel gibt es doch einen Herrgott, der uns Menschen mitunter vor den schlimmsten Folgen unserer sogenannten Klugheit bewahrt. Wenn Sie gestatten, werde ich Sie jetzt in Ihr Hotel begleiten. Darf ich fragen, wo Sie wohnen?«

»Ich habe mir vom Kommissariat meinen Handkoffer ins »Metropole« schicken lassen. Wenn Sie mir verraten wollen, wie ich von hier dorthin komme – –«

»Ich werde Sie begleiten!«

Das klang wie ein Befehl. Und zum ersten Male in ihrem Leben fügte sich Margot Geldern ohne Widerspruch. Zu ihrem eigenen Erstaunen.

In wenigen Minuten waren sie unten an der Rue du Rhône und Petroff zeigte ihr das große Gebäude des »Metropole«.

»Von hier aus können Sie unbesorgt allein gehen, mein Fräulein,« erklärte er. »Wann darf ich Sie morgen früh aufsuchen?«

Ihr Blick glitt an seinem Anzug herunter, blieb an seinen vertretenen Schuhen haften. »Glauben Sie nicht, daß es besser ist, ich komme zu Ihnen?«

Er lachte. Sie sah seine starken, weißen Raubtierzähne unter den vollen Lippen. »Ich glaube auch. Wenn Sie sich also in meine Höhle wagen wollen – – –«

»Ich werde um neun Uhr bei Ihnen sein.«

Sie hielt ihm die Hand hin und fühlte den kräftigen Druck starker, muskulöser Finger. Dann ging sie über den Fahrdamm und bog in die schmale Seitengasse ein, die zum Kai hinunterführte. Ohne daß sie sich umsah, wußte sie, daß er auf der anderen Seite stand und ihr mit den Augen folgte. Das spürt eine Frau immer. Telepathie des Geschlechts.

Es war fast zwölf Uhr, als sie endlich in ihrem Zimmer stand. Aber sie war nicht müde. Gar nicht. Ihr war, als säße sie im Theater in einer Premiere und wartete darauf, daß der Vorhang in die Höhe ging, daß irgend etwas Neues, Unbekanntes sich ereignete – – –

Auch Margot Geldern, die auf dem Olivaer Platz, Berlin W, beheimatete, fühlte sich von der Romantik gepackt. Sie stand lange an dem geöffneten Fenster und blickte auf den schlafenden See hinaus – – Merkwürdig – – ihre Gedanken gingen zurück nach dem hellen, freundlichen Hotelzimmer in Bern und suchten sich auszumalen, wie jenes wunderschöne Mädchen an dem Bette Richards saß –

Und dann – – dann – – – diese alten, verwinkelten Gassen dort oben an der Kathedrale – – der einsame Mann – – – Wie doch Brillen ein Gesicht verändern können! So ganz anders machen – – –

Es dauerte lange, bis sie einschlief.


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