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11.

Dieses Mittagsmahl zu zweit war für Roland ein köstlicher Genuß.

Sie hatten Platz in einer stillen Ecke gefunden, wo Sophie vor der Bewunderung der anderen Gäste etwas gesichert war, und hier ließen sie es sich trefflich munden. Eine Flasche leichter Burgunder erhöhte die Stimmung. Sie war ja nur Jugend und Frohsinn, und selbst die Angst um den Bruder vermochte es auf die Dauer nicht, ihr die Freude an der Wendung zu trüben, die ihre Fahrt ins Abenteuer genommen hatte. Der Mann, dem sie als Feindin gefolgt war, wurde zum Freund und Bundesgenossen. Sie vertraute ihm. Sie glaubte an ihn. Sie war alles, nur nicht kokett, aber sie wußte, daß er ihr ergeben war. Sie begann sich sogar den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er wohl ohne diesen schrecklichen Bart aussehen mochte.

Und Roland? Er warf alle Mahnungen und Warnungen des Verstandes hinter sich. Schloß ein Kompromiß mit seinem Gewissen. Vier Wochen gehörte er nicht sich, sondern der Aufgabe, für die er sich verpflichtet hatte. Wenn sie ihn mit diesem schönen Weibe zusammenführte, konnte er sich den aus dieser Begegnung entstehenden Folgen nicht entziehen. Er hatte an den Mann zu denken, der ihn bezahlte und ihm vertraute. Schmähliche Sophistik, über die er sich selbst gegenüber ehrlich vollkommen im klaren war. Gedanken an Margot?

Ja, da wurde ihm freilich ein wenig beklommen zumute. Aber nur für kurze Zeit.

Sie stießen an, tranken auf das Wohl des Bruders und sahen sich über den Rand der Gläser in die Augen. Des Mädchens Wangen begannen sich zu färben. Immer lauter perlte sein Lachen.

»Ich vertrage so gar nichts! Ich glaube, ich habe jetzt schon einen Schwips. Guter Gott – – wenn mich – – wie nennen Sie ihn? – – wenn mich der Patriarch so sähe! Oder Elena!« gestand sie.

»Elena? Elena? Wer ist Elena?«

»Elena ist die Tochter des Patriarchen und alles, was ich oberflächliches Geschöpf nicht bin. Sie ist ernst, allzu leichten Dingen abhold. Sie liest viel und treibt historische Studien. Und sie ist eine glühende Patriotin!«

»Gott bewahre mich vor ihr, und Gott erhalte Sie so wie Sie sind, Fräulein Sophie!«

Abermals klangen die Gläser mit leisem, melodischem Singen aneinander.

»Ist sie auch in Genf?« erkundigte er sich weiter.

»Nein, sie ist zu Hause geblieben und leitet das Komitee, solange mein Vater und der ihrige fort sind. Oh, sie ist ganz grandios! Ein Geist und eine Energie wie ein Mann! Ein Temperament wie Feuer! Wenn es nach ihr ginge, stünden ganz Thrazien und ganz Mazedonien heute in hellem Aufruhr. Für Elena Dimitrieff gibt es nur eins: die Tat!«

Ihn schauderte. »Ein Mannweib!«

»O nein, ganz und gar nicht! Sie hat das weichste, edelste Gemüt! Sie liebt Tiere und betet Kinder an. Als vierzehnjähriges Mädchen ist sie im Kriege als Pflegerin ins Feldspital hinausgegangen. Die Leute haben sie verehrt. O, Herr Roland, auch Sie würden sie bewundern! Sie ist so ganz anders als ich!«

Er zwinkerte sie übermütig an. »Wissen Sie, wer die gefährlichsten Koketten sind? Die Frauen, die es nicht sind! Sie meinen das tatsächlich ehrlich, was Sie da seufzen, Elena ist anders als Sie! Das ist bei Ihnen kein Raffinement! Keine Heuchelei! Das ist – das ist – –« Er suchte und fand nicht das rechte Wort. Sie lachte ihm ins Gesicht.

»Ich glaube, es ist Zeit, wir heben die Tafel auf! Wir sind ja wahrhaftig die letzten Gäste, und die Kellnerinnen werfen uns schon finstere Blicke zu.«

»Was machen wir jetzt?«

»Ausruhen. Ich bin ehrlich müde. Die wilde Fahrerei gestern, die Aufregung, jetzt der Wein!«

»Welche Zimmernummer haben Sie denn?«

»Nummer elf.«

»Das ist ja neben mir, wie in Genf!«

Sie wurde rot bis in die Haare. »Ich mußte Sie doch im Auge behalten,« stammelte sie. Sie war mit einem Male so verlegen, daß sie ihm nicht ins Gesicht sehen konnte.

Wortlos stiegen sie miteinander in den Stock hinauf. Die Schlüssel schoben sich in die Schlösser; die Türen öffneten sich.

»Also bis nachher,« sagte er und hielt ihr die Hand hin.

»Bis nachher!« Sie schlüpfte in ihr Zimmer.

Er trat in das seinige und sah sich jetzt erst darin um. Einfach und sauber die Ausstattung! Was braucht man auch viel, wenn einem das Matterhorn aufs Bett schaute! Zum Nebenzimmer eine Tür, vor der ein Schrank stand. Doch dünn die Wand, so dünn!

Ganz leise wusch er sich. Zog sich auf dem Balkon die Schuhe aus und tappte auf den Zehenspitzen an sein Bett. Als er sich aber niederlegte, krachte das Möbel derart, daß er mit einem lauten Schimpfwort in die Höhe sauste.

Draußen stand in der frühen Nachmittagssonne das Matterhorn. Seine Firne leuchteten – –

War dadroben nicht irgendwo der Eingang zum Paradies?

Langsam duselte Roland ein.


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