Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1.

Der Genfer See lag in den ersten Strahlen der Morgensonne. Die Stadt selbst schlief noch, die großen Hotels auf den Kais zeigten verschlossene Fenster. Nur über den Pont du Mont Blanc rollten langsam und schwerfällig ein paar frühzeitige Marktkarren, die Gemüse und Milch vom Land hereinbrachten. An der Schiffsanlegestelle ruhten nebeneinander diese hübschen, weißen Dampfer, die poetische Engländerinnen gern mit Schwänen vergleichen. Aus dem Schornstein des vordersten von ihnen kräuselte dünn-blauer Rauch. Sonst kein Zeichen von Tätigkeit. Morgenzauber über dem See – –

Die Möwen hatten schon den Tag begonnen. Sie schossen hin und her, das weiße Gefieder silbern glitzernd im Sonnenlicht. Auf und nieder glitten sie, oft blitzschnell im Fluge herabstoßend, um sich aus dem Wasser ein zappelndes Frühstück zu holen. Ihr schrilles, melancholisches Krächzen schwebte über dem Master und den Kais.

Plötzlich – – Lärm, Aufregung. Aus der Richtung des Parc Mon Repos kommt ein Auto herangerast. Ein großer, schlank gewachsener Mann mit braunem Spitzbart schwingt sich aus dem Wagen, reißt ein augenscheinlich bewußtloses Mädchen heraus, eilt mit ihm über die Treppe herunter, springt in ein bereitliegendes Motorboot, wirft die Maschine an und schießt hinaus in den See. Schon ist ein zweites Auto am Kai. Ehe es noch hält, sind seine Insassen, drei junge Leute, bereits auf der Treppe. Sie werfen sich in ein gleichfalls bereitliegendes Motorboot und jagen dem Entführer nach. Von irgend woher taucht ein drittes Boot auf, das den beiden anderen folgt. Wilde Jagd über den See. Revolverschüsse. Aufgeregt flattern die Möwen. Das Schwanenpärchen, das in den Steinen der Mole nistet, fährt entsetzt aus seinem Nest. Solch opulentes Geschehen hat es auf dem vornehm-stillen See noch nie erlebt. Zwischen den beiden Leuchttürmen hindurch spritzen die zwei Boote ins freie Wasser hinaus. Das dritte überholt sie, kümmert sich jedoch seltsamerweise weder um das bewußtlose Mädchen, noch um die Revolverschüsse, die zwischen den feindlichen Booten hin und her krachen. Es fährt dicht herbei und sieht dem Kampf zu, der durch das Eingreifen der Vorsehung mit dem Siege der Tugend über das Laster rasch zu Ende geht.

Der Motor des Entführers weigert sich mit einem Male, bei einer so schändlichen Sache wie der Entführung einer unschuldigen, jungen Dame bester Gesellschaft weiter mitzutun. Er streikt. Er spukt. Er bleibt stehen und gibt dadurch dem Boote der Verfolger Gelegenheit, heranzukommen. Doch der Schurke, den sein Bart zur Genüge als einen desperaten Charakter kennzeichnet, ergibt sich nicht. Er kämpft bis ans bittere Ende. Sein Browning sprüht Feuer, der eine der Verfolger bricht zusammen. Die beiden anderen werfen sich auf den Mörder. Letztes verbissenes Ringen im schwankenden Boote. Ein Schrei gellt – zu Tode verwundet, stürzt der Entführer rücklings ins Wasser. Seine Hand reckt sich verzweifelt empor! Er versinkt und leise verrinnen die Wellen an der Stelle, an der er sein Verbrechen mit dem Tode büßt. In dem Boote der Retter hält ein blonder, junger Mann das Mädchen im Arm, das unter seinen Liebkosungen langsam die Augen zu neuem Leben und Glück aufschlägt.

Drama? Wirkliche Tragödie? Gar keine Spur. Film. Ganz großer Schlager mit zwei internationalen Stars, deren über alle Bosheit und Niedertracht triumphierende Vereinigung das Entzücken von Hunderttausenden von Menschen bilden wird.

Der spitzbärtige Verbrecher, der von unzähligen Kugeln durchbohrt, ertrunken war, tauchte nach einiger Zeit wieder auf und schwamm mit weit ausholenden Schlägen zu dem dritten Boote hinüber, auf dem der Regisseur den Kampf geleitet und die Kameraleute ihn mit verschiedenen Einstellungen gekurbelt hatten.

»Gott sei Dank, daß es aus ist!« schnaufte Roland, während er sich an Bord ziehen ließ. »Das Wasser ist beinahe so kalt wie der Kaffee, den sie mir heute im Hotel vorgesetzt haben.«

Eine Thermosflasche trat in Aktion, und er konnte sich ausgiebig stärken, während er in trockene Kleider schlüpfte.

Eine Stunde später lag er in seinem Bett im Hotel de Suisse oben am Bahnhof und versuchte den verlorengegangenen Morgenschlaf nachzuholen. Diese Wohltat war ihm indessen nicht beschieden. Das Schicksal meldete sich und ließ sich nicht abweisen.

Er war kaum eingeschlafen, als das Telephon neben seinem Bett klirrte. Mit dumpfem Fluch, der dem Regisseur und seiner Rücksichtslosigkeit galt, gelangte er nach dem Apparat. Aus irgendeiner nebelhaften Ferne vernahm er die Stimme des Portiers: »Ein Herr wünscht Sie dringend zu sprechen!«

»Sagen Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren!«

Aber der Portier, als Herold des Schicksals, war hartnäckig wie dieses selbst. »Es tut mir leid, Herr Roland; ich habe dem Herrn gesagt, daß Sie schon um vier Uhr aufstehen mußten. Doch er bleibt dabei, seine Angelegenheit sei so dringend, daß Sie ihn sofort empfangen müssen. Und wenn Sie ihn erst selbst sehen – –«

»Wenn ich erst selbst – –?«

»Nun, Sie werden eine Überraschung erleben, eine Überraschung, Herr Roland!«

Der Schauspieler, so verschlafen er war, glaubte den Portier kichern zu hören. »Soll ich ihn hinaufschicken?«

»Wenn Sie mir schon mitten in der Nacht Rätsel aufgeben – – Also her mit der Überraschung!«

Drei Minuten später klopfte es hart an die Tür. »Herein!«

Der Mann, der ihn so dringend zu sprechen wünschte, trat ein. Wie der Portier es vorausgesagt hatte, starrte Roland mit weit aufgerissenen Augen dem Besucher entgegen. Vor ihm stand sein zweites Ich.

Figur, Größe, Haltung der Schultern und des Kopfes, Gesicht, Bart, alles zeigte auf den ersten Augenblick die Ähnlichkeit, verblüffend und unheimlich für jeden Menschen, wenn die Natur mit ihm einen Witz macht, den er sich nicht zu erklären vermag. Der Schauspieler sprang aus dem Bett und stierte den Fremden fassungslos an. Der lächelte.

Er hatte gerade so starke Zähne wie er selbst, stellte Roland fest. Ob er älter war?

»Womit kann ich Ihnen dienen?« brachte er endlich heraus, ohne sich von seinem Platze zu rühren.

»Mein Name ist William Carell Bowers,« erwiderte der Mann in einem tadellosen, beinahe akzentfreien Deutsch. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen, bei dem Sie fünftausend Pfund verdienen können.«

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« war Rolands Antwort.


 << zurück weiter >>