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16.

Doch dieses Mal versagte sein Gehirn nicht den Dienst. Die Gefahr war zu groß. Sie war tödlich. Ebenso tödlich wie ein plötzlich an die Brust gesetzter Browning eines der thrazischen Patrioten.

» Beg your pardon,« sagte er, trat mit leichter Verbeugung an ihr vorbei und wandte sich Sophie zu, die sich inzwischen erhoben hatte. Niemand bemerkte dieses Intermezzo. Margot war viel zu klug, um sich zu verraten. Sie brauchte jetzt nichts anderes zu tun, als zu warten.

Sie setzte sich in die Halle des Hotels zurück und zündete sich eine Zigarette an.

Es waren noch nicht fünf Minuten vergangen, als der angebliche Mr. Bowers erschien und nach ihr Umschau hielt. Sie erhob sich und ging in den Hintergarten hinüber, der um diese Stunde ganz leer war. Er folgte ihr.

»Nun?« Für ihn gab es nichts anderes als mit der Tür ins Haus zu fallen. Die Erklärung hinterher. Die Tatsache zuerst. Es gibt Momente, wo auch der Feigste verwegen wird. Courage der Verzweiflung! Roland packte den Stier bei den Hörnern.

»Margot, als ich dir den Brief schrieb, hatte ich noch keine Ahnung von der Entwicklung, die die Dinge nehmen würden. Ich kann dir leider jetzt keine Aufklärung über die Tätigkeit geben, für die ich fünftausend englische Pfund erhalte. Ich bin durch mein Wort gebunden, und ich kenne dich zu gut, um nicht zu wissen, daß du dieses Wort respektieren wirst. Infolge der Verpflichtung, die ich eingegangen bin, mußte ich Genf fluchtartig verlassen –«

An dieser Stelle unterbrach sie ihn. »Bist du es also, auf den geschossen wurde?«

»Ja. Aber – –« Er zuckte die Achseln. »Margot, ich kann beim besten Willen darüber nicht sprechen. Du sollst alles erfahren, und ich gebe dir mein Wort, daß du mir über diese Angelegenheit nicht zürnen wirst. Ich habe vielleicht schon zuviel gesagt, und es ist leicht möglich, daß ich durch dein Dazwischentreten die in Berlin liegenden zweitausendfünfhundert Pfund nicht bekomme.«

Margot zog die Nase kraus, sagte aber nichts. Sie wartete noch immer.

»Auf Riffelalp nun habe ich die junge Dame kennen gelernt, mit der du mich ankommen gesehen hast. Meine liebe Margot, es kommt doch einmal vor, daß ein Blitz einschlägt, nicht wahr? Bei mir hat der Blitz eingeschlagen. Auch dieses Ereignis steht im Zusammenhang mit der ganzen Affäre, die dir jetzt noch mysteriös erscheinen wird. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen kann – ich bin jetzt erst zur Erkenntnis gekommen, daß wir doch eigentlich vielleicht Verlobte, aber nie das waren, was man Liebe nennt, nicht wahr, Margot? Vielleicht – – bestimmt meine Schuld. Vielleicht habe ich nicht den richtigen Ton gefunden – – Ich weiß es nicht, ich kann's auch gar nicht untersuchen – – die Dinge sind stärker als ich – –« Er redete sich in immer größere Erregung hinein, gab es auf, die Worte, ehe er sie aussprach, zu überlegen. Sie stand vor ihm, schlank und gerade wie eine Gerte, mit einem leisen, undefinierbaren Lächeln um den Mund. Nicht nur Mona Lisa hat ihr Lächeln. Ihr Ausdruck war der eines interessierten Freundes, eines Kameraden, dem der Kamerad Not und Schmerz beichtet. Ihre eigenen Gefühle waren nicht sichtbar.

»Ein Blitz hat eingeschlagen, Margot! Ich kann nichts anderes sagen. Aber ich gebe dir mein Wort: das was ich für die junge Dame, die du gesehen hast, empfinde, hat nichts zu tun mit meinem Wunsch, vier Wochen von dir fernzubleiben. Als ich dir das schrieb, war es nicht Wunsch, sondern Pflicht – glaub' mir das, Margot! Ich habe nicht unehrlich dir gegenüber gehandelt. Ich habe später dann, als ich dem Mädchen gegenüberstand, versucht, mir Vernunft zu predigen. Ich bin kein schlechter Kerl, du weißt es. Gut – – ich bin nicht immer den steilen Pfad der Tugend gewandelt. Aber dieses Mal ist es anders. Margot. Es ist – – mein Gott – – versteh' mich doch, Margot!«

»Ich kann dich ganz gut verstehen,« meinte sie ruhig und überlegen. »Du magst vielleicht recht haben, wenn du sagst, wir waren mehr Verlobte als Verliebte. Es ist bestimmt nicht nur deine Schuld. Ich bin allzu praktisch. Man soll nicht immer rechnen im Leben.«

Er horchte auf. Auf einmal dünkte es ihm, als ob in ihrer klaren Stimme irgendwo ein kleiner Bruch sei. O, sie war ein starkes Mädchen, sie wußte sich zu beherrschen. Und doch –

»Margot – wir wollen jetzt darüber nicht rechten,« rief er. »Ich habe dich ehrlich lieb gehabt – ja – –. Ich habe mich in den Gedanken hineingelebt, eines Tages mit dir ein gemeinsames Leben zu beginnen – – ja, das ist alles wahr, aber – – Margot!« Er hob die Arme und ließ sie wieder sinken. Diese Bewegung der Resignation sagte alles. Sie nickte und hielt ihm die Hand hin.

»Ich will ehrlich sein. Ich bin dir nachgefahren, weil mir dein Brief als ein großer Schwindel erschien. Ich war nicht eifersüchtig, nein – aber es ging mir wider den Strich, auf diese Weise zum Narren gehalten zu werden. Ich sehe auch noch nicht klar. Ich kann dir daher jetzt nicht in der Minute antworten. Laß mich alles ein paar Stunden überdenken, nicht? Schließlich – –«

Sie preßte die Lippen aufeinander und wandte sich ab. Er stand da und wußte nichts zu sagen. Überraschend würgte sich der Gedanke in ihm hoch, daß er Margots Gefühle vielleicht doch unterschätzt habe.

Sie brauchte jedoch nur eine Minute. Dann waren Augen und Stimme wieder klar. »Ich werde dich nach Tisch in deinem Zimmer aufsuchen, willst du? Dort können wir alles miteinander durchsprechen, Richard. Ich will aber alles wissen. Das habe ich um dich verdient.«

»Ich – ich – ich – Margot, ich will dir alles sagen, was ich dir sagen darf, es hängt soviel davon ab – nicht nur für mich, auch für dich –. Ich möchte nicht, daß die fünfzigtausend Mark in Berlin verloren gingen – die sind dir zugedacht, Margot, dir – –«

»Das hättest du nicht sagen sollen!« fiel sie ihm kalt und hochmütig ins Wort. »Also, laß dir das Essen gut schmecken, und erwarte mich in deinem Zimmer. Welche Nummer hast du?«

»Dreihundertdreiundzwanzig. Fräulein Petroff ist im ersten Stock.«

»Wie es sich gehört!« lächelte Margot Geldern. Sie war ihm nie überlegener vorgekommen als in dieser Minute.

Während des Mittagessens blieb sie unsichtbar. Sophie und Roland speisten zusammen im kleinen Saal, und er benahm sich so, daß sie nicht den geringsten Argwohn empfinden konnte. Er war fest entschlossen, ihr zu sagen, wen er beim Betreten des Hotels getroffen hatte, doch er mußte erst abwarten, was die Unterredung mit Margot brachte. Er selbst wußte es nicht. Unruhe war jedoch in ihm. Das Gewissen begann wieder in ihm zu rumoren. Er hatte sich den Abschied von Margot leichter vorgestellt.

Frauen, Frauen und ihre Herzen! Wer kann je behaupten, sie zu kennen! Schmachtender Gemeinplatz und uralte, unerbittliche Wahrheit.

Nach dem schwarzen Kaffee in der Halle begleitete er Sophie zu ihrem Zimmer. Dann fuhr er in sein eigenes hinauf in den dritten Stock. Langsam machte er es sich bequem. Aber die Nervosität trieb ihn ruhelos auf und ab. Von seinen Fenstern aus konnte er mit seltener Klarheit die Jungfraugruppe sehen. Mönch, Eiger und die Jungfrau selbst schauten in tadelloser Weiße herüber. Doch der Anblick ihrer Schönheit hielt ihn auf einmal nicht. Gedanken der Angst, der Ungewißheit krochen über ihn her. –

Plötzlich klirrte das Telephon. Margot.

»Kann ich dich also jetzt sehen?«

»Selbstverständlich. Ich warte auf dich.«

Zwei Minuten später wurde das Hotel durch einen Schuß aufgeschreckt, der über den Korridor des dritten Stockes hallte. Kellner, Hausdiener stürzten hinauf. Die Tür des Zimmers Nr. 323 stand offen.

Im Zimmer lag Richard Roland am Boden. Er hatte eine Schußwunde in der Brust. Neben ihm stand, den Revolver in der Hand, eine große, schlanke, junge Dame – Margot Geldern.


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