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12.

Er hatte drei Minuten geschlafen. Konnten auch drei Stunden gewesen sein. Da fuhr er auf. Total verschlafen. An seiner Tür klopfte es.

»Herein!«

Doch niemand kam. Dafür wiederholte sich das Klopfen. Im Nu war ihm der Kopf klar, und er wußte, wer klopfte. Mit beiden Füßen sprang er aus dem Bett an die Tür hinter dem Schrank.

»Was ist los? Feuer ausgebrochen?«

»Ich muß Sie sprechen! Gleich! Mir ist etwas eingefallen!«

Fünf Minuten später waren sie beide unten. Das schöne Mädchen war so aufgeregt, daß er beinahe erschrak.

»Wir haben das Allerwichtigste vergessen!« sagte sie. »Ich muß doch irgendwie den Vater verständigen!«

Er wurde ernst. »Das sollten Sie allerdings, aber wir müssen uns zuerst einmal in aller Ruhe überlegen, was, wie – und wann!«

»Wann? Sofort natürlich! Er wartet – –«

»Denken Sie sich, ich wäre anstatt nach Riffelalp nach Assuan durchgebrannt. Wie lange müßte er da auf eine Nachricht von Ihnen warten!«

»Sie sind ein unmöglicher Mensch! Sie können nichts als frivol sein!« Sie war wirklich unmutig, und die gewisse kleine Falte erschien zwischen den schwarzen Brauen.

Er sah auf die Uhr. »Halb vier! Wir werden uns einen Kaffee kaufen und Kriegsrat abhalten. Wenn die Schlagsahne gut ist, wird uns schon was einfallen.«

»Also gut, gehen wir jausen!«

»Echt wienerisch! Wie kommen Sie, die Thrazierin, Tochter und Schwester von thrazischen Patrioten, zu dieser gottgesegneten Sprache?«

»Meine Mutter war Wienerin. Pawel stammt aus der ersten Ehe. Seine Mutter starb als er ganz klein war, und mein Vater, der später bulgarischer Militärattaché in Wien wurde, heiratete meine Mutter, die ein echtes Wiener Kind war. Sie soll das schönste Mädchen im alten Wien gewesen sein!«

»Das sieht man an der Tochter!«

»Wenn Ihnen nichts Gescheiteres einfällt –«

Als der Kaffee getrunken war, wollten sich indessen die gescheiten Ideen noch nicht einstellen. Roland saß da, lutschte an seiner Zigarette und machte ein furchtbar angestrengtes Gesicht.

»Sie sind ein Schwindler!« erklärte sie. »Ich gehe jetzt telephonieren. Ich werde einfach die Wahrheit berichten. Das ist das beste.«

Sie stand auf, doch er hielt sie fest.

»Und Ihr Bruder? Wenn Ihr Vater erfährt, daß der in Genf ist? Flüchten wir in die Einsamkeit! Hier sind zuviel Menschen! Die starren Sie alle an, und das macht mich rasend!«

Sie zuckte die Achseln. »Da ich Sie brauche, muß ich auf Ihre Wünsche Rücksicht nehmen. Schön, gehen wir!«

Sie wanderten hinter dem Hotel den Weg hinauf, der zum Findelengletscher führt. Knatternd stampfte das Züglein zum Gorner Grat an ihnen vorüber, sonst sahen sie keinen Menschen und ließen sich auf einer mit Lärchen bestandenen Matte nieder. Dicht zu ihren Füßen breitete sich grau und zerrissen der Gletscher, über dem im Norden die Gipfel der gewaltigen Mischabelgruppe himmelan stiegen.

»Wenn Ihnen nicht in dieser Umgebung die berühmten Ideen kommen,« spottete sie, »dann verzweifle ich an Ihnen.«

Er war seltsam ernst. Das Schweigen ringsum redete eine ergreifende Sprache, die er zu verstehen glaubte. Ausgestreckt lag er auf dem Moose und starrte über die Gletscher hinweg in die schimmernde Ferne. Um die nahen Schneegipfel sah er im Sonnenglanz die Luft tanzen. Gedanken rangen sich in ihm hoch, die ihm selber neu und fremd waren. Begriffe formten sich, die er nicht zu erkennen vermochte. Irgend etwas wandelte sich in ihm.

»Wir werden uns schon zu helfen wissen,« gab er ihr nach langer Pause zur Antwort. »Aber würden Sie mir zunächst einmal genau die Situation schildern? Wenn ich Ihrem Bruder helfen soll, muß ich mich auskennen, nicht wahr?!«

Sie dachte einige Augenblicke nach, um sich die Dinge ein wenig zurechtzulegen. Dann begann sie – –. Die Thrazier, ehemals frei und unabhängig. Dann unter der Herrschaft der Türken. Beim Freiheitskampf der Griechen flammen ihre ersten Hoffnungen auf. Die Großmächte kümmern sich jedoch nur um die Hellenen. Die Thrazier finden keinen Lord Byron, der sich zum Anwalt ihres Landes macht. Bulgaren, Serben, Montenegriner werfen die Türkenherrschaft ab. Die Thrazier allein dürfen sich nicht rühren. Die Balkankriege brechen aus, die thrazischen Komitadschi ziehen als die ersten in den Kampf. Von den Gestaden des Ägäischen Meeres bis zu den Gipfeln des Balkan hinauf braust die Woge der Begeisterung. Bulgarien überrennt die schlecht ausgerüsteten türkischen Armeen. In den thrazischen Dörfern läuten die Glocken. Dann der zweite Balkankrieg. Die Hoffnungen zerschellen. Weltkrieg. Bulgarien bricht mit den Mittelmächten zusammen. Thrazien wird unrettbar Beute der Sieger. Von nun ab fließt Blut in Strömen. Jugend mordet und wird gemordet.

Das Schlimmste aber: die Thrazier untereinander nicht einig. Zwei Parteien, die sich mit noch größerem Haß bekämpfen als den gemeinsamen Feind. Die einen wollen die Freiheit durch eigene Kraft erringen. Gewalt gegen Gewalt. Die anderen erhoffen Erlösung durch diplomatische Zähigkeit. Der Führer der Gewaltpartei, der wilde, tyrannische Wolopoff, der mit seiner Bande irgendwo in den Bergen haust, die der anderen die beiden Generäle Dimitrieff und Petroff. Versöhnungsversuche schlagen fehl. Mord auf dieser, Mord auf jener Seite. Und dann auf einmal Verrat! Bald erleiden die Gruppen Wolopoffs, bald die Petroffs schwere Verluste. Einer beschuldigt den anderen. Lazareff, der engste Vertraute Wolopoffs, fällt durch Verrat der Regierung in die Hände und wird kurzerhand erschossen. Daraufhin schickt der Komitadschihäuptling seinen Gegnern Petroff und Dimitrieff eine förmliche Kriegserklärung. Auge um Auge, Zahn um Zahn! Diese wieder beschließen in engster Komiteesitzung, Wolopoff durch zwei Sendboten, die seinen Schlupfwinkel kennen, aus dem Wege zu räumen. Ethik des Balkans. An dieser Sitzung nehmen nur teil die beiden Generäle, Pawel Petroff und Elena, und außer ihnen weiß niemand etwas von den Sendboten, die in Sofia von Dimitrieff persönlich abgefertigt werden und sich auf heimlichen Wegen nach Thrazien schleichen. Sofort hinter der Grenze werden sie von den Gendarmen, die schon auf sie lauerten, gefaßt. Man macht, wie mit allen anderen, kurzen Prozeß auch mit ihnen. Kriegsgericht – im Morgengrauen acht Mann, eine Salve. Zwei Patrioten abermals dem Verrat zum Opfer gefallen.

Dimitrieff und Petroff sind außer sich. Sie berufen eine Versammlung der Landesorganisation ein und erheben flammende Anklage! Ein einziger Wutschrei! Tod dem Verräter! Wer ist es? Nur vier Menschen wußten um die Mission der Sendboten: die beiden Alten, Elena und Pawel Petroff. Also Dimitrieff? Elena? Petroff, der Vater? Wer kann es wagen, sie zu verdächtigen! Bleibt nur Pawel Petroff! Zuerst traut sich der Verdacht nicht sofort laut in die Höhe. Der Sohn des vergötterten Führers! Aber plötzlich bricht die Sturmflut gegen ihn los. Ein ganz besonders fanatischer Patriot dringt in sein Haus und will ihn unter dem eigenen Dach erschießen. Und eines Abends ist er verschwunden. Man sieht ihn in Wien. Verfolgt ihn nach Berlin. Nach Genf. Dimitrieff und Petroff, die auf die erste Nachricht nach Wien geeilt sind, warten dort, bis der Späher die Ankunft Pawels in Genf meldet.

»Und Sie?« fragte Roland, als Sophie zu Ende war.

Sein ganzes Interesse an dem Freiheitskampfe des thrazischen Volkes schien sich in diese eine Frage zusammenzupressen.

Sie schwieg. Sie hatte seltsam ruhig gesprochen, ohne den pathetischen Schwung patriotischer Begeisterung. Erst als sie in ihrem Bericht an das Persönliche kam, wurde sie erregt. Jetzt lehnte sie an dem Stamme einer Lärche, Schmerz und Kummer in dem Gesicht.

»Ich weiß von all dem Elend nur soviel, wie Vater und Bruder mir zu sehen erlauben,« sprach sie. »Ich bin in Wien geboren und erzogen worden. Ich habe von Jugend auf in der Atmosphäre einer anderen Kultur gelebt als zum Beispiel Elena Dimitrieff. Ich bin nach der Heimat nur als Feriengast gekommen. Elena hat von Kind auf nichts anderes gelernt als Haß gegen die Unterdrücker. Ihr Bräutigam, selbst einer der kühnsten Patrioten, wurde vor einem Jahr ermordet. Sie macht also die Leiden ihres – das heißt unseres Volkes an sich selbst durch. Sie leidet doppelt. Ich?« Ein wehmütiges Lächeln wagte sich um den weichen Mund. »Ich habe nicht die Kraft und die Energie dazu. Mir fehlt jedes Talent zum Heroismus –«

»Gott sei Dank!«

»Der Vater hat mich absichtlich von Sofia ferngehalten. Und Pawel, der drei Jahre an der Wiener Universität studierte, hat mich verzogen und verwöhnt, wie wenn ich aus Glas wäre. Oh, es ist so schön, sich von einem so starken Manne verwöhnen zu lassen! Pawel ist gut! Er ist es hauptsächlich, der von dem ewigen Streiten und Blutvergießen nichts wissen will. Er ist modern. Er hat andere Ideen und hat den Vater und General Dimitrieff davon überzeugt, daß mit reiner Gewalt nichts auszurichten ist. So wie die Dinge liegen, kann Thrazien nur auf friedlichem Wege sein Ziel erreichen. Und jetzt soll gerade Pawel der Verräter sein! Es ist absurd, es ist verbrecherisch, so etwas zu behaupten.«

»Ganz meine Meinung.«

»Der Vater und der alte Dimitrieff kamen nach Wien. Ich war vollkommen überrascht, denn Pawel hatte mich bei seiner Durchreise nicht aufgesucht. Sicher wollte er, rücksichtsvoll wie er ist, alles vermeiden, damit ich nicht in die ganze furchtbare Sache mit hineingezogen würde. Der Vater, der mich ins Hotel kommen ließ, wollte auch zuerst nicht mit der Sprache heraus. Aber wenn ich etwas ernsthaft will, muß er nachgeben. Das ist immer so – –«

»Kann ich mir lebhaft vorstellen.«

»Ich habe ihm und dem alten Dimitrieff meine Meinung gesagt. Sie wollen nicht auf mich hören! Besonders Dimitrieff, den Sie den Patriarchen nennen, war nicht zu beruhigen. Oh, dieser alte Mann ist schrecklich! Er hat schon als Fünfzehnjähriger mit den Komitadschis gegen die Türken gekämpft. Guerillakrieg auf dem Balkan. Der erzieht die Menschen anders als die Ringstraße oder die Rue de la Paix. Für Dimitrieff ist ein Menschenleben gerade soviel wie die Revolverkugel, mit der man es auslöscht. Ich – ich fürchtete mich vor ihm! Und – er hat den größten Einfluß auf meinen Vater!«

»Hm – –« Nachdenklich sog Roland an seiner Zigarette. »Und seine Tochter Elena?«

»Ach, Elena! Sie hat sich auch für Pawel eingesetzt und es einen Wahnsinn genannt, ihn zu verdächtigen. Aber wenn – wenn –«

Pause. Über dem Schnee auf den Felsen jenseits des Gletschers schwebte ein langer, dunkler Schatten. Roland suchte den Körper, der ihn warf. Hoch oben, kaum sichtbar im flimmernden Aether, zog ein Adler seine Bahn. – – –

Aufgeregt zeigte er in die Höhe.

»Sehen Sie dort! Den Adler! Ich habe noch nie einen Adler in Freiheit gesehen! Nur immer im Zoologischen Garten. Da hocken sie in niedrigen Käfigen und zehren sich das Herz aus dem Leibe! Wie schön ist das! Wie schön!«

In des Mädchens Augen brannten die Lampen der Seele.

»Mein Gott, ist das schön!« sagte es ganz, ganz leise.

Roland schwieg. Er fürchtete sich, sie anzusehen.

Die Zeit glitt dahin. Eine Hand berührte ihn an der Schulter.

»Woran denken Sie?«

Er drehte sich zu ihr hin. Sie hockte auf den Knien neben ihm und blickte ihn erwartungsvoll an. »Wo sind die gescheiten Ideen?«

Er richtete sich auf und griff, fast unbewußt, nach ihrer Hand. Sie ließ sie ihm, und er streichelte die schmalen, runden Finger. Wie alles an ihr vollendet war, so auch die Hände. Hände, die nicht nur schön und wohlgepflegt waren, sondern auch warm empfindende Hände, Hände voller Seele.

»Ich kenne mich hier oben nicht wieder,« gestand er. »Ich weiß gar nicht, was mit mir vorgeht. Ich komme mir auf einmal so wichtig vor, daß ich mich nur mit mir und den Eindrücken beschäftige, die diese grandiose Landschaft auf eine erhabene Seele macht. Wie wollen Sie, daß mir was Gescheites einfällt, wenn ich mich ausgerechnet nur mit mir abgebe? Aber der Zustand der Selbstversunkenheit ist vorbei! Die Welt hat mich wieder, und dem blutdürstigen Patriarchen werden wir schon die richtige Nase drehen.« Er schaute sie lachend an. »Wissen Sie, daß ich damit schon in Genf angefangen habe?« Er erzählte die Geschichte mit dem Zettel des alten Petroff. »Ich hoffe, die beiden Herren sitzen nicht jetzt noch und warten auf mich. Denn wir wollen sie auch weiterhin warten lassen.«

»Das kann ich nicht! Was wird mein Vater denken – –?«

»Was er denkt, ist im Moment egal. Sie aber müssen an Ihren Bruder denken! Sie werden also, wenn wir ins Hotel zurückkehren, telephonieren, daß Sie mir bis hierher gefolgt sind.«

»Ich kann meinen Vater nicht anlügen.«

»Sollen Sie auch nicht. Also, Sie sind mir bis hierher gefolgt. Konnten mich aber noch nicht sprechen – –«

Sie funkelte ihn an, halb zornig, halb belustigt. »Ich weiß schon, was Sie wollen. Ich soll meinen Vater und General Dimitrieff hinhalten, damit Sie hier mit mir sentimentale Spaziergänge machen können.«

»Haben Sie Vertrauen zu mir oder haben Sie es nicht?« schnauzte er.

»Ich – ich weiß nicht.«

»Nein? Schön, dann telephonieren Sie Ihrem Papa, er möge dem blutdürstigen Patriarchen sagen, ich sei nicht Pawel, sondern ein anderer. Und Pawel sei in Genf und warte nur darauf, daß man ihm den Revolver in die Hand drücke.«

Die bewußte kleine Falte erschien zwischen den Brauen. In den blauen Augen zog sich Sturmwetter zusammen. Er lenkte schleunigst ein.

»Seien Sie doch vernünftig, Fräulein Petroff,« drang er in sie, indem er sich so nahe wie möglich an sie heranschob. »Was wollen wir? Ehrlich und ohne Hintergedanken? Ihren Vater und den alten Massenmörder von Ihrem Bruder fernhalten! Wenn Sie ihnen telephonieren, daß ich nicht der Gesuchte bin, werden sie sofort wissen, daß sie hinter dem verkehrten Bart her sind, und sich in Genf aufs neue auf Pawel stürzen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß sie ihn erwischen. Dann haben wir, das heißt Sie, die Absichten Ihres Bruders verhindert, und der feige Verräter an der heiligen thrazischen Sache wird nie entdeckt werden.«

Sie sah ihn voller Zweifel an. Aber sie seufzte ergeben. »Sie haben mich in der Gewalt und nützen Ihren Vorteil rücksichtslos aus.« Roland hielt es für richtig, zu diesem Vorwurf zu schweigen. »Was soll ich also telephonieren?« Sie sprach mürrisch kalt. Von oben herunter. Sie fügte sich, aber sie durchschaute ihn. Das Spiel wurde gefährlich.

Er tat, als ob er nichts merkte. Er sprach gleichsam dienstlich. »Sie sagen Ihrem Herrn Vater, Sie hätten den Bruder entdeckt, aber mich nicht sprechen können, da ich gleich nach meiner Ankunft auf irgendeinen Berg hinaufgerannt sei – –«

»Pawel war nie Hochtourist. Das glaubt der Vater nicht.«

»Dann sagen Sie einfach, ich hätte einen langen Spaziergang gemacht. Ich wäre spät zurückgekommen und hätte mich sofort auf mein Zimmer begeben.«

»Und – –« Es fiel ihr schwer, auf seine Lügenkomposition einzugehen, »– – und was soll ich sagen, sind Sie Pawel oder nicht?«

»Natürlich bin ich Pawel! Wenn sie dann herkommen? Bah, dann sind wir schon wieder unterwegs. Nach Dresden oder nach Florenz oder nach Debreczin. Irgendwohin. Nur recht weit weg von Genf. Wir können nichts anderes tun. Wir müssen Ihrem Bruder die Zeit verschaffen, die er braucht. Wissen Sie vielleicht einen besseren Plan?«

»Es ist gemein, was Sie da wollen!« sprühte sie wild auf.

»Ohne Zweifel, aber gut! Ihr Bruder wird es Ihnen später danken und Ihr Vater auch. Vielleicht sogar der Patriarch.«

Sie senkte den Kopf und erwiderte nichts.

Schweigen.

»Es gibt noch zwei andere Wege,« sagte er nach langer, schwüler Pause. Doch er sprach nicht zu ihr, sondern in die Stille hinein. »Der eine besteht darin, daß Sie jetzt noch mit dem Nachtzug nach Genf zurückfahren. Dort sind Sie morgen früh und können Ihrem Vater sagen, Sie seien dem falschen Pawel nachkutschiert. Dann sind Sie mich los und brauchen sich nicht mit Ihrem Gewissen herumzuzanken. Was aus Ihrem Bruder wird, ist Sache des Schicksals. Der zweite Weg ist noch einfacher.« Er stand auf und zog sich sorgfältig die Bügelfalten zurecht. Ein bißchen dramatische Spannung – warum nicht? »Ich fahre nach Genf zurück und spaziere so lange auf dem Quai Mont Blanc herum, bis mich einer von Ihren Patrioten erwischt und niederschießt. Vielleicht trifft er schlecht und verwundet mich nur. Schließlich auch Sache des Schicksals.«

Sie sprang auf. »Sie sind verrückt!«

Sie standen einander gegenüber. Sie zornig, rebellisch, Feuer in den beinahe schwarzen Augen. Er in nachlässigem Spott, überlegen und kühl. In ihm raste auf einmal die Sehnsucht, dieses schöne Geschöpf in seine Arme zu reißen und zu küssen.

Er steckte die geballten Fäuste in die Taschen und trat von ihr weg. »Wenn ich mich jetzt umdrehe« – – zitterte es in ihm.

»Falls es Ihnen recht ist,« meinte sie, »wollen wir ins Hotel zurück. Ich muß ja telephonieren.«

»Wie Sie wünschen.« Es war auf einmal etwas so Gezwungenes, Unwahres zwischen ihnen. Wie wenn sie voreinander Angst hätten. Als sie an ihm vorüberschreiten wollte, streifte sie ein bißchen an ihn an.

»Pardon!« rief sie. Förmlich wie zu einem ganz Fremden.

»Oh, bitte!«


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