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4.

Richard Roland war kein Held, aber auch kein Feigling. Im Kriege hatte er sich zwei Löcher in die Haut schießen lassen und auch sonst seine Pflicht erfüllt wie Millionen andere auch. Als Filmschauspieler mußte er mitunter Akrobatenkunststückchen leisten, die nicht ganz ohne den Reiz einer gewissen Gefahr waren. Bei einem Sprung aus dem Fenster eines dritten Stocks in einen Kastanienbaum hinein hatte er sich sogar den linken Fuß verstaucht. Nur der Mangel eines geeigneten Managers hatte es verschuldet, daß der verstauchte Fuß ihn nicht zu größerem Ruhme und höheren Gagen trug. Er galt in Filmkreisen als verwegener Kerl.

Er hatte also schon Courage. Er hatte Nerven. Aber der Fanatismus, mit dem ihm jene letzte Warnung ins Gesicht geschleudert wurde, gab seinen Gefühlen einen argen Stoß. Es war höchste Zeit, sich über die Situation klar zu werden. Er fuhr also zunächst einmal in »sein« Zimmer hinauf.

Mr. Bowers, alias Pawel Petroff, verstand augenscheinlich zu leben. Sehr schönes Appartement mit Ankleidezimmer und Bad, Balkon, Aussicht auf den See. Erstklassig! Anders als in den kleinen Hotels, in denen sparsame Filmmanager ihre Leute einquartierten. Erstklassig das Gepäck! Amerikanischer Schrankkoffer, zwei Handtaschen, ein Necessaire. Alles gebraucht und weit gereist. Die Bagage eines Globetrotters. Die Klebezettel auf den einzelnen Stücken gaben beredtes Zeugnis: »Grand-Hotel« Tokio, »Palace« Rangoon, »Ambassador« Neuyork, »Exzelsior« Triest, »Bristol« Wien! Stationen rund um die Erde herum. Auf dem Schrankkoffer prangte überdies der Kajütenzettel des Dampfers »City of Manchester Blue Star Line State Room 7 Deck B«.

Tadellos alles zurechtgemacht! Aber der Schauspieler war nicht mehr zu täuschen. Er kam aus einem Beruf, in dem höchster Schwindel höchste Kunst war. Der ganze Kram, samt Paß und Familienpapieren, entweder gekauft oder – gestohlen. Roland war schon so weit, daß er Mr. Bowers jede Gemeinheit zutraute. Immerhin – das Resultat: fabelhaft!

»Na, und ich???«

Das war die Frage, die jetzt zu beantworten war. Es gab eine sehr einfache Antwort auf sie. Diese eleganten Koffer packen, den Bart abrasieren und nach Berlin abdampfen. In der Abmachung mit Bowers hatte er ausdrücklich stipuliert, daß die Polizeibehörde sich nicht für ihn interessieren dürfte. Das hieß implicite: weder in lebendem, noch in totgeschossenem Zustande. Es war nicht die Rede von der Ehre gewesen, die sich verdrehte Patrioten für eine in seinen Rücken plazierte Revolverkugel anrechnen würden. Die Grundlage des Vertrages war verschoben worden. Mr. Bowers hatte erklärt, daß er sich vor seinen Verfolgern verstecken wollte, aber er hatte vergessen zu erwähnen, daß er dies hinter einem von dem Filmschauspieler Richard Roland dargestellten Kugelfang zu tun beabsichtigte. Eine Zigarette wurde geraucht, eine von den tausend Queen aus dem Koffer, und ein Entschluß wurde gefaßt.

Adieu, Genfer See!

Mit diesem Entschluß und einem plötzlich erwachten Appetit stieg Roland in den Speisesaal hinunter, verzehrte ein ausgezeichnetes Dejeuner, trank einen wundervollen Beaujolais dazu und gab sich dann in dem tiefsten Klubsessel des Salons bei einem Benediktiner und einer Corona Coronas dem Geschäft des Verdauens hin. Man muß das Leben zu genießen verstehen. Man muß jede Fingerspitze nehmen, die es einem reicht. Corona Coronas war Rolands heimliche Leidenschaft. Morgen abend war er wieder in Berlin. Morgen abend war er wieder im Banne Margots, und Margot blickte mit stirnrunzelnder Mißbilligung auf den Genuß einer Zigarre, die sage und schreibe drei Reichsmark kostete.

»Garçon, noch einen Benediktiner, bitte!«

Er versank tiefer in den tiefen Klubsessel, streckte seine langen Beine weiter von sich und schlürfte als Mann, der alle Sorgen von sich getan hatte, sein zweites Glas Benediktiner. Im Salon begann es lebendig zu werden. Eine größere Gesellschaft, augenscheinlich Griechen, erschien und begann eine ebenso angeregte wie laute Unterhaltung. Zwei junge Damen waren dabei, die für den Lärm entschädigten. Sie zeigten sich überaus empfänglich für die Blicke der Bewunderung, die Roland aus der Tiefe seiner Verdauung heraus ihnen zufeuerte. Die eine begann sofort, sich die Lippen zu schminken, die andere legte sich an die Sofalehne zurück und kreuzte die Beine.

Sie wußte warum! Verdammt hübsch war sie! Ah – war das Leben schön! »Garçon, noch einen Benediktiner!«

Französisch, Englisch, Italienisch, Deutsch – das Babel des internationalen Luxushotels füllte den weiten Raum. Elegante Menschen, wirkliche elegante Menschen – nicht die kosmopolitische Eleganz, mit der talentierte Filmregisseure ihre aus Gips und Pappe aufgebauten Hotelsalons füllten – Edelkomparserie, zwanzig Mark pro Tag. Frack mitbringen. Mein Gott – wo war diese Zeit?

Das Mädel war wirklich hübsch! Ob man –? »Garçon, ein Kognak! Ja, Henessy!«

Hinter ihm entstand auf einmal eine diplomatische Unterhaltung, Namen wie Tardieu, Brüning schwirrten auf Abrüstung, Reparation –

Roland schreckte empört aus seiner Idylle auf. Wenn er eines auf der Welt verabscheute, war es Politik, und während der ganzen Zeit der Aufnahmen war ihm nie in den Sinn gekommen, daß Genf die Stadt des Völkerbundes war, die Stätte der – »Atmosphäre des Friedens und der Weltversöhnung.« Als er mit dem von ihm entführten blonden Filmengel in seinem Auto über den Kai hinunterraste, hatte er nicht ein einziges Mal nach dem ehemaligen Hotel National hingesehen, dem Tempel des Völkerbundes, allwo Briand die schönen Friedensreden deklamiert. Völkerbund, Tardieu, Reparation – – das war für Richard Roland alles ein Brei, in den er die Finger nicht steckte. Er las prinzipiell keine Leitartikel und politischen Essays. Er war einer der glücklichen Menschen, die keine Ahnung davon hatten, daß Washington das Flottenabkommen mit England durch die Teilnahme Frankreichs sicherstellen wollte.

Nun redeten hinter ihm vier Idioten hohe Politik. Sie redeten deutsch, französisch durcheinander und verdarben ihm die Stimmung.

Und doch! Die Unterhaltung, so abscheulich sie dem unfreiwilligen Zuhörer auch in die Ohren klang, hatte eine gute Wirkung. Durch eine nicht allzuweit gespannte Gedankenassoziation brachte sie ihn auf seine Sorgen zurück, die er total vergessen hatte. Politik hinter ihm rief ihm ins Gedächtnis zurück, daß er ja auf einmal auch in eine politische Affäre verwickelt war, noch dazu in eine, die ihm durch ihre besonderen Begleitumstände ganz hervorragend unsympathisch war. Nun mußte man sich nach den Berliner Zügen erkundigen.

»Ich sage Ihnen, Herr Doktor,« redete der Franzose in den Deutschen hinein, »daß unsere Nation nun einmal davon überzeugt ist, Deutschland werde bei der nächsten Gelegenheit wieder über unser Land herfallen. – –«

Roland gab sich einen Ruck und stand auf. Er war vierundeinhalb Jahr in Frankreich gewesen, vom ersten bis zum letzten Tage. Und die Vier da hinter ihm sahen alle miteinander aus, als ob sie den Krieg nur hinter einem Schreibtisch verschanzt mitgemacht hatten. Er starrte sie herausfordernd an, machte ein aggressives Gesicht, überlegte es sich und setzte sich wieder in die gepolsterte Tiefe zurück.

»Garçon, noch einen Mokka und noch einen Kognak!«

Die Unterhaltung hinter ihm versank in tonloses Flüstern. Roland gab sich wieder seinen Überlegungen hin. »Welches von den beiden Mädchen ist eigentlich hübscher? Und warum zum Teufel soll ich eigentlich nach Berlin fahren?«

Auskneifen! Hm – –! Fünfzigtausend Mark für einen danebengegangenen Revolverschuß waren schon ein Honorar, das sich sehen lassen konnte! Das bekam nicht einmal Hans Albers! Aber – – die zweiten fünfzig Mille! Hatte er sich nicht erst vor wenigen Stunden gelobt, daß die auch sein werden mußten!

Also – –?

Na, und da war Margot in Berechnung zu ziehen. Eigentlich war sie das nicht, denn Margot war unberechenbar. »Wenn ich ihr wenigstens schreiben könnte – –«

Und dann! War es fair, so mit beiden Füßen aus der Abmachung herauszuspringen, selbst wenn er dabei hineingelegt worden war? Klug bestimmt! Aber fair? Er erinnerte sich des Eindrucks, den ihm Bowers gemacht hatte. Absolut den eines ehrenhaften Menschen. Vielleicht hat er selbst keine Ahnung davon gehabt, daß man ihm so heiß auf den Fersen war. – –

»Wenn wir nicht einmal unsere Panzerkreuzer bauen sollen – –,« schwoll es in Entrüstung auf einmal hinter Roland an. Der drehte sich um. Ein Blick – – Flüstern.

Die griechische Familie brach auf. Die Mama, dick und asthmatisch, watschelte voraus, Papa und die beiden Söhne folgten. Die zwei Mädchen bildeten den Beschluß. Sie drehten sich an der Tür beide noch einmal um. – –

»Das wäre niederträchtige Feigheit, wegzufahren! Ich denke nicht daran.«

Die Corona Coronas war auch ausgeraucht. Roland stand auf und räumte der Politik das Feld.

Oben in seinem Zimmer begann er sich auszukleiden. Schreiben mußte er Margot auf jeden Fall. –

Das Telephon klirrte. »Hier Rich – – hier Bowers.«

»Richard Roland hier.«

Roland stieß einen lauten Pfiff aus. »Ei, welche Überraschung! Sagen Sie einmal, werter Freund, würden Sie es nicht für praktischer halten, wenn Sie hierher kämen, damit wir uns von Mann zu Mann aussprechen könnten? Ich habe nämlich das dringende Bedürfnis, Ihnen meine Meinung – –«

»Ich bedauere, auf Ihre Meinung, so interessant sie auch sein mag, verzichten zu müssen. Meine Zeit ist aufs äußerste beschränkt, ich – – –«

»Meine auch. Deshalb kurz und bündig, Mr. Bowers, oder wie Sie – –«

»Bitte, sprechen Sie englisch! Oder noch besser, sprechen Sie gar nichts, sondern hören Sie mir zu! Ich habe soeben erfahren, daß Sie heute vormittag beinahe das Opfer einer tragischen Verwechslung geworden sind. Sie sind natürlich aufs äußerste erregt, und ich kann verstehen, daß Sie sich von mir in ganz unverantwortlicher Weise düpiert glauben. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich von der Schnelligkeit, mit der meine Freunde arbeiten, selbst aufs äußerste bestürzt bin. Ich dachte, ich sei unerkannt nach Genf gekommen, aber – –«

Roland schoß eine Idee durch den Kopf. Er drückte auf den Knopf für den Zimmerkellner. Als dieser eintrat, bat er Bowers für einen Moment um Entschuldigung, hielt mit der Hand den Apparat zu und flüsterte dem Kellner zu: »Bitte, sagen Sie sofort in der Zentrale, man möge feststellen, von wo aus dieser Telephonanruf kommt. Sehr wichtig!« Dann wandte er sich zu dem Mann am Telephon zurück. »So! Der Kellner wollte nur – –! Bitte weiter!«

»– – man hat mich augenscheinlich von Berlin oder gar schon von Wien aus verfolgt. Das wußte ich natürlich nicht, sonst hätte ich Ihnen nicht verheimlicht, daß unsere Angelegenheit mit Gefahr verbunden sei. Sind Sie weiterhin entschlossen, mir bei der Durchführung meiner Aufgabe zu helfen?«

»Ich bin an der Durchführung Ihrer Aufgabe nicht im geringsten interessiert, für mich ist nur das eine von Bedeutung, daß ich nicht morgen oder übermorgen wieder die Zielscheibe für ehrgeizige Landsleute von Ihnen abgeben muß. Ich verlange, daß Sie in irgendeiner Form Sicherheit für mein begreiflicherweise mir sehr teures Dasein gewährleisten – dann will ich gern tun, was ich kann, um Ihnen den Spaß nicht zu verderben.«

Roland glaubte einen tiefen Seufzer der Erleichterung zu hören.

»Sie sind ein Gentleman,« kam es zurück in einer Stimme, die viel freundlicher und viel weniger barsch als eben noch klang. »Ich werde natürlich alles versuchen, um solche törichten Attentate von Ihrer Person abzulenken. Doch wenn Sie eine förmliche Garantie verlangen, kann ich Ihnen eine solche nicht geben, aber ich möchte unser Abkommen ergänzen, und zwar in einer Weise, die bestimmt Ihre Billigung finden wird.«

»Ich bin ganz Ohr!«

»Ich kann am Telephon nicht so sprechen. Würden Sie sich bis morgen um neun Uhr bestimmt an unser Abkommen halten?«

»Wenn ich nicht durch den Eifer eines Ihrer Patrioten daran gehindert werde, gern.«

»Sie brauchen heute bloß nicht auszugehen. Wollen Sie die paar Stunden Hausarrest auf sich nehmen?«

»Auch das will ich tun.«

»Ausgezeichnet. Sie werden mit mir zufrieden sein. Lassen Sie mich Ihnen jetzt nur noch sagen, daß Sie mich durch Ihr Verhalten zum ewigen Schuldner machen.«

Pathos auf einmal? Roland wurde mißtrauisch. »Hören Sie mal – –«, fing er an. Doch der andere hatte schon angehängt.

Der Schauspieler stürzte zum Portier hinunter. Der Bescheid, den er erhielt, war indessen kläglich. »Das Amt erklärt, der Anruf kam von der öffentlichen Sprechstelle im Hauptpostbureau.«

Roland zuckte die Achseln. Es war also nichts anderes zu tun, als bis zum anderen Morgen zu warten. Doch als Gefangener hier im Hotel? Ausgeschlossen. Er holte Hut und Stock und verschwand durch den rückwärtigen Ausgang in die Rue de Rhone. Ein Taxi brachte ihn nach Eaux Vives hinaus. Um sieben Uhr war er im Hotel zurück, nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, daß niemand nach ihm gefragt hatte, ließ sich das Diner gut schmecken, rauchte seine Corona Coronas und stieg um neun in sein Zimmer hinauf, müde von den Ereignissen dieses Tages, der schon um vier Uhr für ihn begonnen hatte.


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