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15.

Das Malheur fing damit an, daß der Regisseur Bösen den falschen Roland aus dem Hotel rennen sah, und es erreichte seinen Höhepunkt dadurch, daß Generaldirektor Eilitz »Nein« sagte, als Margot urplötzlich Urlaub verlangte.

»Ich muß aber fahren,« hatte sie darauf erklärt.

»Das sehe ich nicht ein,« war ihres Chefs Verteidigung gewesen. »Weil Ihr Verlobter plötzlich einen Film im Atlas dreht oder an sich selbst verdreht geworden ist, können Sie mich doch nicht jetzt mitten in der größten Arbeit im Stich lassen.« Und er hatte nach ihrer Hand gelangt.

Margot hatte aber eine Bombe abgefeuert. »Die Geschichte mit den Aufnahmen im Atlas ist ein Schwindel. Da, Herr Eilitz, lesen Sie einmal seinen Brief!«

Der Herr Generaldirektor setzte seine Hornbrille auf und studierte aufmerksam den langen Brief, den Roland unter so viel Kopfzerbrechen als Beruhigungsepistel an Margot abgesandt hatte.

»Hat er die zweitausend Pfund geschickt?« war seine erste Frage.

»Ja, das hat er. Und gerade diese Promptheit ist verdächtig. Aber noch mehr, Herr Eilitz! Ich habe mich sofort bei der Filmgesellschaft erkundigt, und der Regisseur Bösen, der die Aufnahmen in Genf gemacht hat, erklärte mir, Richard sei aus dem Hotel davongelaufen, wie wenn er die silbernen Löffel dort gestohlen hätte. Und von dem fabelhaften Engagement hat kein Mensch etwas gehört. Bösen müßte es doch wissen. Bösen ist zwar ein Filmmensch, aber mitunter sagt er doch die Wahrheit. Auf jeden Fall glaube ich ihm!« Ein Hunderttausendzentnergewicht an Betonung lag auf diesem »ich.« »Da stimmt etwas nicht. Da stimmt sogar sehr viel nicht!«

»Was wollen Sie,« meinte Generaldirektor Eilitz zaghaft wie immer, wenn er diesen, mit seiner Sekretärin oft umstrittenen Punkt berührte, »ich habe Ihnen schon hundertmal gesagt, Sie sollen endlich Vernunft annehmen und mit der ganzen Geschichte Schluß machen. Herr Roland ist ein sehr netter Kerl und ein guter Schauspieler, aber als Mann für Sie kann ich ihn mir unmöglich vorstellen. Warum wollen Sie ihm denn jetzt wieder einmal nachlaufen? Wenn er Ihnen davongelaufen ist, lassen Sie ihn doch laufen!«

Darauf hatten Margots graue Augen gefährlich zu glitzern begonnen. Sie feuerte auf ihren Chef einen Blick ab, der ihn dort traf, wo er am männlichsten war und fragte sehr von oben herab:

»Kann ich also heute abend fahren oder nicht?«

»Und wenn ich bei meinem Nein bleibe?«

Da hatte sie sich um den Tisch herum zu ihm geschlängelt. Bei ihrer schlanken, schnittigen Figur ist das Wort schlängeln richtig am Platze. Sie kam ihm nicht zu nahe, doch immerhin stieg ihm der feine, kaum definierbare Duft ihres Parfüms in die Nüstern.

»Richard hat Ihnen sicher geschrieben, Sie sollen mich nicht weglassen!« rückte sie nun in direktem Angriff vor. Zufällig blieb ihre Hand auf dem Tische liegen, als er schüchtern nach ihr tastete.

Aus. Niederlage des Herrn Generaldirektors. Er gab sich geschlagen.

»Also meinetwegen, fahren Sie! Aber unter der Bedingung, daß Sie Herrn Roland den Abschied geben, wenn er es verdient hat. Versprechen Sie mir das?«

Unter halbgesenkten Lidern hervor, äugte sie ihn an. »Ich verstehe überhaupt nicht das Interesse, Herr Generaldirektor, das Sie an meinem Verlöbnis mit Richard Roland nehmen. Immerhin gestatte ich mir die Frage, was wird Ihrer Meinung nach geschehen, wenn ich zurückkomme und nicht mehr Rolands Braut bin?«

Eilitz gab sich einen Ruck, wurde aber trotzdem unter Margots Blick sehr verlegen, verbeugte sich und sagte: »Das weiß ich nicht.«

Margot Geldern fuhr also mit dem nächsten D-Zug nach Genf. Sie kam dort am Morgen des nächsten Tages an und begab sich geradenwegs zu dem Notar René Sylvain, dessen Adresse ihr Roland angegeben hatte. Dort fand sie alles bestätigt, was ihr der Verlobte geschrieben hatte. Doch ein neuer Name tauchte auf. Ein Mr. William Carell Bowers aus Sidney war es, der das Geld auf Rolands Namen und unter Vorweisung seines Passes beim Schweizerischen Bankverein hinterlegt hatte. Näheres über diesen mysteriösen Bowers wußte der Notar nicht. Oder wollte es vielleicht nicht wissen. Auf jeden Fall bekam Margot Geldern, trotzdem sie alle ihre Überredungskünste ins Werk setzte, nichts aus dem alten Herrn heraus.

Das Geheimnis also vertiefte sich. Bowers? Wer war Bowers? So viel sie hin und her überlegte, sie konnte sich nicht erinnern, diesen Namen irgend einmal von Roland gehört zu haben. Vielleicht war Bowers aber ein Filmmanager? Am Ende war der Brief Rolands doch kein Schwindel? Es gab bei diesen Überlegungen eine Minute, wo sich die entschlossene, selbstbewußte Margot Geldern sehr klein und gemein vorkam, wo sie sogar aufs äußerste gerührt war über die aufopfernde Rücksicht, die ihr Roland bewiesen hatte.

Sie ging ins Hôtel de Suisse. Dort erfuhr sie, daß eines Morgens ein großer, schlanker Herr mit braunem Spitzbart erschienen sei und Herrn Roland dringend zu sprechen gewünscht habe. Herr Roland habe ihn sofort empfangen und nach etwa zwei bis zweieinhalb Stunden sei der fremde Mann fortgegangen. Herr Roland aber hätte gleich nach ihm das Hotel verlassen und sein Gepäck nach Berlin aufgegeben. Ja – und noch eins! Dieser Herr, dieser Fremde, hätte Herrn Roland so auffallend ähnlich gesehen, daß der Portier des Hotels die beiden gar nicht recht auseinanderhalten konnte. Und zum Schluß: dieser Fremde hätte sich William Carell Bowers genannt.

Wieder dieser Name! Zum ersten Male in ihrem Leben fühlte sich Margot Geldern ratlos. Hilflos. Sie stand wie vor einer Mauer. Sie, die sonst alles zu erklären vermochte, wußte mit dieser mysteriösen Angelegenheit nichts anzufangen. Als letztes Hilfsmittel rannte sie zur Polizei und erkundigte sich, ob und wann Mr. Bowers hier unter den Fremden angemeldet worden wäre. Die Schweiz ist sehr genau. Sie führt Buch über alles, was über ihre Grenzen kommt. Gewiß – ein Herr William Carell Bowers aus Sidney in Australien hatte hier im Hotel Metropole gewohnt und war nach der Meldung des Hotels vor vier Tagen nach Bern abgereist.

Margot kam ins Hotel Metropole. Müde zum Umfallen und hungrig wie eine Wölfin, aber entschlossen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Hier, im Metropole, komplizierte sich das Geheimnis. Mr. William Carell Bowers war beinahe das Opfer eines blutdürstigen Attentats geworden. Zwei junge Burschen hatten auf ihn geschossen – –. Nein, verwundet wurde er nicht, doch die Polizei hatte ihn seitdem unter ständiger Bewachung gehalten. Ein Kommissar hatte ihn zur Bahn begleitet, als er nach Bern abreiste. Von der Existenz eines Schauspielers Richard Roland wußte man im Hotel nichts. Gar nichts! Margot ließ sich mit Bern verbinden, Hotel Bellevue. Dort war Herr William Carell Bowers nicht eingetroffen. Das für ihn reservierte Zimmer war inzwischen vergeben worden. Herr Richard Roland? Vollständig unbekannt auch im Hotel Bellevue in Bern.

»Wann geht der nächste Zug nach Bern?

»In anderthalb Stunden!«

Sie setzte sich also ins Restaurant und stärkte sich erst einmal ausgiebig. Dann fuhr sie nach Bern. Kam dort gegen Abend an und mietete sich im Hotel Bellevue ein. Sie wußte nichts anderes zunächst. Vielleicht, daß dieser mysteriöse Mr. William Carell Bowers aus Sidney doch noch hier auftauchte! Sie saß bis spät in die Nacht hinein, bis der letzte Zug in Bern eintraf, in der Halle und ließ die Eingangstür nicht aus den Augen.

Am nächsten Morgen war sie bereits um acht Uhr früh wieder auf ihrem Posten. Gegen Mittag endlich sah sie einen großen, schlankgewachsenen Menschen mit braunem Spitzbart das Hotel betreten. In seiner Begleitung war eine auffallend schöne junge Dame. Ihr Herz tat einen Sprung und im Nu stand sie neben dem Fremden an dem Pult des Empfangschefs. Ihre Pulse begannen zu schlagen, als sie seine Stimme hörte. Er erkundigte sich auf englisch nach seinem Zimmer. Verlangte dann ein Appartement für seine Begleiterin.

Und dann drehte er sich um, und trotz des Bartes, trotz der Verkleidung, erkannte sie ihn sofort. Die Augen!

So kam es, daß Richard Roland im Hotel Bellevue zu Bern die zweite, noch größere Überraschung seines Lebens erfuhr.


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