Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Bonanza oder die Prinzen der glücklichen Strähne

Ihr werdet abgerollt längs eines Films, der steht. Zuerst ist alles dunkel, nur monotone Schläge sind hörbar. Indios hacken sich tiefer in den Felsengrund. Dann klaffen Eingänge zu Stockwerken hell auf. Es sind abgebaute Stollen, der Film zeigt sie in Betrieb. Aus den Felsen wird Material losgebrochen für den Schmuck der Fürsten: »Silber, Iztac, teocuitla, der weiße Dreck der Götter«. Ihr seht, wie die Weißen Götter des Drecks ins Land eindringen und mehr Indios in die Mine jagen. Zur Schnelligkeit gezwungen durch Knuten, zur Ausdauer gezwungen durch Ketten, müssen sie unvorstellbare Erzmengen fördern.

Dennoch arbeiten Arm und Hacke den weißen Herren zu langsam. Don José de Sardaneta y Legaspi benutzt Pulver, um die Wände zu zersprengen, und Bartolomé de Medina lockt mit quecksilbernem Köder das Silber aus den Erzen hervor. Nun geht's schneller. Aus dem pazifischen Hafen Guaymas wird keine andere Ware verschifft als Silber, und aus dem atlantischen Veracruz segelt die Silberflotte nach Europa. Immer größer und zahlreicher werden ihre Einheiten, immer stärker sind ihre Convoys mit Mörsern und Kanonen bestückt, denn im Karibischen Meer lauern Bukaneers, die wildesten der Seeräuber. Die Silberflotte landet in Spanien. Spaniens Glanz steigt und sein Gewerbefleiß sinkt, sinkt in den Verfall. Wozu arbeiten? Zahlen doch Neu-Spaniens silberglitzernde Berge die Herrschaft über die silberglitzernden Meere. Aus den Gruben der Kolonie fließt das Geld für die Armada wie Wasser durch ein Rohr.

Neidisch schauen Europas Potentaten auf Hispaniens Segen. Der Große Kurfürst läßt seine Orlogflotte von der Havel nach 239 Veracruz navigieren, um Silber zu kapern. Für die Könige von England denken Isaac Newton, sonst mit kosmischen Dingen befaßt, und Disraeli, noch nicht Prime-Minister, darüber nach, wie man mit dem Silber Mexikos die Nayy und die Currency Englands decken könnte. Napoleon I. will England mit Hilfe von Silberbarren im Wert von 350 Millionen Franken besiegen, die in Mexiko für ihn greifbar sind. Wäre bloß nicht die englische Flotte, die die Häfen blockiert! Napoleon schickt seinen Finanzberater Ouvrard an den Londoner Hof und bietet dem Feind eine Beteiligung an, wenn er den Transport durchlasse. Aber Albion ist doch nicht Krämer genug, um seine Existenz gegen Prozente zu verkaufen.

Die spanische Krone zahlt nicht einmal für die Fracht. Der Besitzer des Erzgangs Viscaina schickt ein Segelschiff voll schieren Silbers nach Madrid und erhält dafür einen ebenso königlichen wie billigen Preis: der bürgerliche Glücksritter wird königlicher Graf, und für die nächste Sendung wird er gar Marqués. Da ihm ein Erbprinz geboren wird, läßt er den Weg von seinem Haus zum Taufbecken mit Silberquadern pflastern, in einem Jahr, in dem zu Mexiko dreimalhunderttausend Menschen Hungers sterben.

Ihr seht, wie der Bergherr, besorgt um das markgräfliche Geschlecht, als dessen Ahnherr er sich fühlt, seine Bergleute tiefer in die Tiefe treibt, auf daß sie dort für ihn und seinen neu geborenen Erben eine neue Glücksader aufschließen, eine »Bonanza«.

Obertags seht ihr die Beneficias, wo das Erz bearbeitet, und die Casas de Moneda, wo das Produkt geprägt wird zu Peseten oder zu Krönungsmedaillen für den jeweiligen neuen König von Spanien. Ein königlicher Kontrolleur kontrolliert Zahl und Gewicht der Münzen, wer aber kontrolliert den Kontrolleur?

Wohin auch immer ihr wandert, ihr rollt an dem Silberband vorbei. Fast jeder der Palazzi in der Hauptstadt ist einst das Pied-à-terre eines Bonanzaprinzen gewesen. Das Barockgebäude 240 des Grafen San Mateo de Valparaíso erkor sich Iturbide nach seiner Kaiserkrönung zur Residenz, nach ihm wohnten berühmte Gäste dort: der Thronprätendent Don Carlos de Bourbon, um den die Karlistenkriege entbrannten; der sagenumwobene Stierkämpfer Mazzantini; und auch Lord Cowdray, der erste Bonanzaprinz eines neuen Edelprodukts, des mexikanischen Petroleums.

So kurz der Séjour eines Bonanzaprinzen in der Residenzstadt der Vizekönige ist, rauschend muß es zugehen und fürstlich. Dazu bedarf sein Palast eines Portals, weit genug, die breitspurigsten Karossen einzulassen, es muß Prunksäle und Prunktreppen geben, Gärten mit Liebeslauben und viele Doppelhimmelbetten mit silbernem Baldachin.

Gegenüber dem Nationalpalast und ihm an Lage, Pracht und Größe ebenbürtig steht das Leihamt »Monte de Piedad«, errichtet vom Silbergrafen de Regla und nachmaligen Silbermarkgrafen de San Cristóbal.

Den massiven Bau und den Betrieb der montanistischen Schule »Minería«, drei Millionen Peseten, zahlt das Korps der Silberfürsten mit der linken Hand. Sie brauchen geschulte Fachleute, weil sich die zwecks Entdeckung neuer Bonanzas herbeigeholten Wünschelrutengänger und Geisterseher nicht bewähren. Zwei Mitglieder der jüdischen Familie Carbajal sind unter den mystischen Hilfskräften; Alonso Carbajal de Mendoza und Moises de Solariel sollen mit Hilfe der Kabbala das Silber des Distrikts Guanajuato in Gold verwandeln.

»Vor Ort« prunken die Magnaten der Unterwelt nicht immer so ungehemmt mit ihrem Reichtum. Allzunahe klingt das bedrohliche Klirren der Sklavenketten, die aus teurem Eisen sind und nicht aus Silber.

In Taxco zeigt euch der Film das erste Wohnhaus des Grubenherrn de la Borda. Wahrlich, kein Tuskulum, vielmehr eine Burg von der Art, die man »bärbeißig« nennt und »angstschlotternd« nennen sollte. Schmucklos, fast fensterlos blickt die Fassade auf den Stadtplatz, die andere Front des Hauses 241 fällt, um zwei Stockwerke bereichert, den Bergabhang hinab; Notausgänge gehen nach allen vier Seiten. Ringsum helle Kolonialhäuser mit hängenden Gärten und von Strauch und Blüte umwucherten Terrassen.

Wie das dumpfe, von der idyllischen Stadt umgebene Mauerwerk den Bergherrn vor irdischen Feinden, sollte die Kirche ihn vor der Ungunst des Himmels bewahren. Gold, Silber und Edelgestein blitzten vom Altar, tönten aus der Orgel, leuchteten von der Kuppel und aus den Barockrahmen der Heiligenbilder. Silberne Klöppel in silbernen Glocken läuteten schmeichelnd dem Himmel zu.

José de la Borda ist kein Franzose, wie die Historiker meinen, sondern ein Bergmann aus Alt-Spanien, dem in Neu-Spanien der Silberblick lächelt. Im achtzehnten Jahrhundert gilt er als der »reichste Mann unter der Erdoberfläche«. Unzweifelhaft ist er es unter und auf der Oberfläche seiner Stadt und ihrer Umgebung. Aber er fühlt sich hier weder sicher noch glücklich. Deshalb baut er sein Lustschloß unten im Tal, in dem viele Meilen entfernten Cuernavaca. Dort demütigt er die Natur noch mehr, als es Louis XIV. in Versailles getan, er verbannt aus seinem Park die Blumen, pflastert die Gartenwege und sogar die Beete. Ein Wunder, daß er die Bäume stehen läßt.

Der Film zeigt euch nun Joseph de la Borda gealtert und verarmt. Beim Erzbischof in der Hauptstadt bettelt er um einen der Pokale, die er einst der Kathedrale von Mexiko geschenkt. Statt des Pokals erhält er den Rat, von der Kirche in Taxco die ihr gestiftete Monstranz zurückzufordern und dem Erzbischof zu bringen, der sie gut zu bezahlen verspricht.

Dabei ist der Erzbischof keineswegs monstranzenlos. Hatten ihm doch die Bonanzaprinzen, und an erster Stelle der damals noch reiche de la Borda, ein Allerheiligstes gespendet, das den Größenrekord unter allen Allerheiligsten der Katholität hielt. Die goldene Sonnenscheibe, anderthalb Meter im Durchmesser, war mit 4587 Diamanten, 2794 Smaragden und 523 Rubinen besetzt. Später, die Bordas sind schon ausgestorben, geht der 242 himmlische Schmuck den Weg alles Irdischen, und zwar innerhalb einer Woche des Jahres 1861, als eine Eskadron der französischen Interventionsarmee mit ihren Pferden in der Kathedrale einquartiert ist. Seit jener Woche wird die Monstranz vermißt, vermißt die »Zypresse«, ein riesenhaftes Altarstück aus getriebenem Silber, vermißt die Meßgeräte im Wert von einer halben Million Pesos. Wiedergefunden wurde nur ein Gemälde von Murillo.

Das Altargitter hatte schon der Präsident Santa Ana eingeschmolzen, ebenso wie die Wandbekleidung der Wallfahrtskirche Los Remedios; diese Tapezierung war im Auftrag von Cortez gebosselt worden, vom Rest des Silbers, aus dem er eine Haubitze für den Weihnachtstisch des spanischen Königs gießen ließ.

Anderes ging in den Bürgerkriegen verloren, überall im Lande verschwand, was golden und silbern war, und so bildet heutzutage das Interieur der Kirchen einen kahlen Gegensatz zur üppigen Architektur. Nur wenn es wahr ist, daß zum Bau der Bergwerkskirche San Cayetano in Guanajuato die Ziegel und der Mörtel mit Silberstaub angemacht wurden, ließe sich aus der Kirche noch Silber holen.

Bei einer Kunstauktion in Mexiko findet ihr die Fortsetzung des Films. Versteigert wird: »eine Klistierspritze aus reinem Silber, ein Kilogramm schwer, mit Elfenbeinspitze und dem geprägten Wappen des Grafen M., sowie eine Kohlenschaufel und ein Nachttopf, ebenfalls aus Silber und mit dem gleichen Emblem. Ausrufpreis 500 Pesos.«

In der Silberstadt Parral, im Haus des letzten Bonanzaprinzen, seht ihr seinen Jugendtraum, ein Klavier zu besitzen, maßlos verwirklicht: sechzig Klaviere. Die riesigen Teppiche seines Palastes weisen Schnitte auf und blutige Flecken. Der Bonanzaprinz veranstaltete nämlich zu Hause Hahnenkämpfe, seine Hähne kämpften und verbluteten auf Perserteppichen.

Der Film führt euch mitten in eine Jagdszene mit 1540 Treibern, denn man schreibt das Jahr 1540. Jagdherr ist der 243 Besitzer der Grube La Valenciana, Ehrengast der Vizekönig Mendoza. Auf der unbewohnten und unbenannten Ebene werden Pavillons aufgerichtet, wo die Gäste zechen und tafeln können. Nach dem Halali von Jagd und Schmaus fahren sie in Kaleschen nach Hause. Aber die 1540 Indios haben keine Kaleschen, und ihre heimatlichen Jagdgründe sind unendlich fern und kärglich. So bleiben sie bei den Getränke- und Speiseresten in den Jagdhütten. Bis auf den heutigen Tag besteht die Siedlung, die die Indios vor vierhundert Jahren bezogen. Sie heißt Cazadero (Jagdgehege) und ist eine Eisenbahnstation im Staat Hidalgo.

Ihr seht und hört die Glocken einer Bergwerkskirche schwingen. Sie läuten nicht vergebens. Die Gemahlin des Bonanzaprinzen tritt aus ihrem Palast, um zur Sonntagsmesse zu gehen. Sie trägt den hohen Kamm und den Spitzenschleier spanischer Edelfrauen und einen Schmuck, dessen sich keine Königin zu schämen hätte. Vierundzwanzig Ehrendamen, auch sie in Glanz und Gala, bilden an ihrer Seite bewegliches Spalier, hinter ihr schreitet das weibliche Hofgesinde, einige hundert Frauen.

Der Grubenherr reitet an der Spitze seiner Leibgarde. Die ist aus einer Wache gegen Silberschmuggel entstanden. Zwar arbeiten die Bergleute nackt, aber in Tuben, die dem Darm angepaßt sind, geht so viel Konterbande aus der Mine ans Tageslicht, daß der Marktpreis des Silbers gedrückt wird.

Den Arbeitern in den After zu schauen, war nicht die einzige Funktion der Bergwerkspolizei. Vor allem sollte sie Transporte vor Überfällen schützen und wurde so immer mehr zu einer militärischen Truppe. Ihre aus Gemsleder geschnittene Uniform strotzt von Aufputz; Knöpfe, Sporen, Epauletten, Sattelbeschlag, Sturmband- und Gürtelschnallen sind silbern.

Solch stolze Wehr reizt die Wegelagerer erst recht. Wo sie können, greifen sie die Gecken an, liefern ihnen regelrechte Schlachten, bei denen die Garde-du-Corps zumeist den kürzeren ziehen. 244

Eine Episode von 1832 bildet einen Film im Film, romantisch und charakteristisch. Auch dann noch charakteristisch, wem einige Szenen des Drehbuchs der Volksphantasie und andere dem klassischen Kolportageroman »Los Bandidos de Río Frío« von Manuel Payno entlehnt sein sollten.

Ihr seht erregten Betrieb vor dem Theater, hinter den Kulissen, auf der Bühne und im Zuschauerraum. Eine italienische Stagione gastiert in Mexiko. Ihre Sängerinnen werden von der jeunesse dorée oder besser gesagt, der jeunesse argentée lärmend umschwärmt. Unter den Anhängern der Sopranistin Marietta Albini steht der Silbergraf de Regla an erster Stelle, die Verehrer der Altistin Adela Cesari haben den Grafen de la Cortina zum ideologischen Führer, und beide Parteien bekämpfen einander mit Theaterskandalen, Zeitungsartikeln und Provokationen.

Abschiedsvorstellung. Der Vorhang fällt nach der Schlußarie der Oper »Fra Diavolo«, Beifall und Pfiffe für und gegen die Cesari und die Albini, Prügelszenen. Schließlich einigen sich die Parteien in dem stürmischen Wunsch, die beiden Divas mögen schwören, bald wiederzukommen. Die Grafen tragen ein Bild der Madonna von Guadalupe auf die Bühne, die Sängerinnen knien nieder und leisten den Eid. Plötzlich der Ruf: »Die Räuber von Río Frío werden euch ermorden!« Tränen, Bitten. Der Graf von Regla tritt an die Rampe; im Hinblick auf die Umtriebe der Wegelagerer werde sein Bergwerksmilitär die göttliche Marietta begleiten, nicht nur bis zum gefährlichen Río Frío, sondern bis zum Schiff in Veracruz. Jubel bei den Albinisten, Protest bei den Cesaristas. Der Graf de la Cortina erhebt sich in seiner Loge und erklärt, er habe seine Truppe beordert, an der Seite der Cesari nach Veracruz zu reiten.

Solchermaßen doppelt gesichert rollen die Wagen des Ensembles davon, rechterhand und linkerhand von geschniegelter, bis an die Zähne bewaffneter Gardekavallerie begleitet. Bis Río Frío . . . 245

In Río Frío werden sie von maskierten Banditen überfallen, die nach kurzem Gefecht die Begleitmannschaften in die Flucht schlagen. Nun tritt der Räuberhauptmann Everisto recte Agustín Lorenza an den Wagenschlag, lüftet höflich die Maske und lädt die Theatergesellschaft ein, ihm und den Seinen im Wald eine Oper aufzuspielen. Das Ensemble entschließt sich zu »Fra Diavolo«, weil die Requisiten noch beisammen sind. Die reiche Natur des Waldes wird mit der billigen Unnatur von Dekorationen drapiert, und die Räuberoper geht vor dem Räuberpublikum in Szene. Zwar legen sich die Darsteller des komischen Banditenpaars Beppo und Giacomo Reserve auf, um die Sympathie der Hörer nicht zu verlieren, zwar tut – aus entgegengesetzten Gründen – die Darstellerin der Zerline in der Entkleidungsszene das gleiche, aber die Bandidos de Río Frío sind so entzückt, daß sie vor lauter Begeisterung ihre ganze Munition in die Luft verschießen. Die Vorstellung zieht sich lange hin, und so nächtigen Ensemble und Publikum im Walde.

Am Morgen geben die befriedigten Räuber ihren Gästen das Geleit zu den Kutschen. Die fahren ab und finden knapp vor der Stadt Puebla die Begleitmannschaft wieder, die sich gesammelt hat und ihre Schützlinge mit unvermindert martialischem Gehaben nach Veracruz bringt. Mit Silberbarren statt mit Silberstimmen in den Wagen wäre die Reisegesellschaft nicht so unberaubt davongekommen.

Man muß kein Berufsbandit sein, um silbernen Lockungen zu unterliegen. Ihr seht den königlich spanischen General Agustín Iturbide hoch zu Roß. Er reitet den Insurgenten entgegen, er hat den Auftrag, die mexikanische Unabhängigkeitsbewegung niederzuwerfen. Unterwegs soll er einen Transport von einer halben Million neu geprägter Peseten beschützen und tut das, indem er ihn für sich beschlagnahmt. Dann schließt er in Iguala mit den Revolutionären einen Vertrag, durch den Mexiko unabhängig wird, macht sich zum Kaiser und entfaltet mit dem geraubten Silber den notwendigen höfischen Prunk. 246

Auch wer sich keinen Beschützern in die Hand gibt und seine Schätze selbst hütet, ist nicht vor Raub gefeit. Doña Marîa de Rodríguez, Besitzerin des Bergwerks Doña Marîa im Gebiet von Huacal, erscheint im Film. Seit Jahren hat sie alle Barren ihres Silbers zu sich nach Hause schaffen lassen. Ihr Palast, so groß er auch ist, hat kaum noch Platz für den Schreibtisch, von dem aus sie den Betrieb dirigiert, kaum noch Platz für das Bett, in dem sie schläft. Nie verläßt sie ihr Haus, das mit einer Doppeltüre aus schwerem Eisen verschlossen ist. Die Fenster sind mit eisernen Queren gesichert.

Doña Marîa will mit ihren Schätzen nach Kastilien zurückkehren. Eines Tages übergibt sie die Bergwerksanlage ihrem Bruder, läßt bei Nacht und Nebel alles Silber in Kisten verpacken und auf vierzig Maulesel laden, je zweihundert Pfund auf jeden, zusammen vier Tonnen. Ihre ältesten Vertrauensmänner aus dem Werk nimmt sie zum Schutz mit, sie selbst läßt die Kolonne nicht aus den Augen, und wirklich kommt alles unversehrt in der Hauptstadt Mexiko im Palast des Vizekönigs an. Der übernimmt und quittiert die Schätze und lagert sie im Beisein der Besitzerin im Staatstresor ein. Befreit atmet sie auf. Zum erstenmal seit Jahren kann sie ruhig schlafen. Aus ihrem ruhigen Schlaf erwacht sie nicht mehr. Ist sie ermordet worden? Wer dürfte es wagen, den Vizekönig eines Mordes zu beschuldigen! Nicht einmal die Erben wagen es, und der Film zeigt nur, wie man sie morgens als Leiche findet. Ihr seht weder die Tat noch den Täter.

Ja, nicht immer bringen die Glückssträhnen aus Silber und Gold ihren Eigentümern das Glück. 1847 fährt der Schweizer Suter, mit mexikanischen Vollmachten und dem Titel eines mexikanischen Commandante versehen, nach dem Pazifik, in den Umkreis von Caliente Fornalla, dem »Heißen Ofen«, und läßt sich dort, im Urwald Kalifornia, als Farmer nieder. Ein Jahr später gehört dieses mexikanische Land den Vereinigten Staaten von Nordamerika, fast gleichzeitig findet sich dort Gold und fast gleichzeitig eine Armee von Goldsuchern aus 247 aller Welt. Die verjagen den wackeren Schweizer, töten seine Kinder, betrachten sein Vieh als jagdbares Wild und verwüsten seine Felder und Betriebe. Suter verhungert auf den Stufen des Kapitols von Washington, wo er – o Irrer! – jahrelang und hartnäckig eine Entschädigung für ganz Kalifornien verlangte. –

Der Film zeigt vierzehn Straßenräuber, die durch Schluchten und über Höhen vor den Gendarmen fliehen. In einer Grotte am Wendekreis des Krebses sind sie endlich geborgen. Es ist eine Grotte mit silbernen Wänden. Der Operateur blendet über auf das moderne Bergwerk von heute, das zu Ehren der vierzehn Banditen noch immer »Real Catorce« heißt.

Der Mauleseltreiber Juan Rayas findet die Grube »La Valenciana«. Ihr dürft euch nicht wundern, wenn ihr seht, wie ihm das Diplom mit seiner Ernennung zum Granden von Spanien überreicht wird, denn die »Valenciana« lieferte binnen fünf Jahren mehr Silber, als es bisher in der ganzen Welt gab. Juan Rayas ist ein findiger und geschäftstüchtiger Mann. Den Bau der Kirche neben seinem Bergwerk zahlt er nicht mit seinem Silber, sondern mit dem, was ihm von seinem Silber fehlt. Ihr seht ihn mit dem Pfarrer verhandeln und wie tags darauf der Pfarrer seine Beichtkinder aufklärt, daß ihnen die glückliche Rückkehr aus den Gefahren des Schachts nur dann gewährleistet sei, wenn sie allwöchentlich ein Stück Silbererz zum Kirchenbau spenden. Solche Stücke sind in der Gegend leicht zu finden, allenfalls auch in der Grube, von wo sie illegal zum Pfarrer getragen werden. Das eben ist dem Granden recht, braucht er doch für die aus der Mine geschmuggelten Klumpen keinen Akkordlohn zu zahlen und kann sie nachher dem Pfarrer zum Gestehungspreis abkaufen.

Durch Barrancas im Staat Chihuahua klettert ein Indio, sich argwöhnisch umsehend, ob ihn niemand beobachte. Er schleicht hinab nach der Stadt Parral, zur Bauhütte auf dem Platz, wo eine Kirche gebaut wird. Dort reicht er dem Bauführer ein faustgroßes Stück Gold. »Willst du noch immer nicht sagen, 248 wer du bist?« fragt ihn der Kaplan, der in der Hütte steht. – »Niemals werde ich das sagen«, erwidert der Indio und verschwindet unter noch größeren Vorsichtsmaßregeln. So erscheint und verschwindet er an jedem Sonnabend von 1590 bis 1610, zahlt mit seinem Gold alle Löhne für die Bauarbeiter. Da die Kirche vollendet ist, läßt ihn die spanische Obrigkeit verhaften und martern, um herauszukriegen, wo die geheime Goldgrube stecke. »Ich will den Weißhäutigen nicht noch mehr Reichtum und den Dunkelhäutigen nicht noch mehr Elend bringen«, antwortet er auf alle Fragen, und mit diesem Satz stirbt er in der Folterkammer.

Was die Indios aus den Stollen zutage förderten, gehörte den Bonanzaprinzen, was sie als Lohn bekamen, war der Kirche. Wurden Lasten und Qualen unerträglich, dann flüchteten die Sklaven in die Berge oder lehnten sich gegen ihre Peiniger auf, und dann waren es diese, die flüchten mußten. Die Grubenherren von Baroyeca, einem schwer zugänglichen Bergwerksdistrikt an der Westküste, wurden einmal vier Wochen lang in der Kirche belagert. So erklärt sich das Festungsbarock der alten Kirchen und Klöster, erklärt sich das Bollwerk des Herrn de la Borda in Taxco, erklärt sich, weshalb die Alhóndiga in der Silberstadt Guanajuato zur Bastille Mexikos wurde.

Anfang des neunzehnten Jahrhunderts: Ihr seht einen jungen Mann in Radmantel und hohen Schuhen vor einem gewaltigen Haus in Guanajuato vom Pferd springen. Ihn empfängt der Hausbesitzer, der zugleich der Grubenbesitzer ist, der Graf von Rul. Der Gast heißt Alexander von Humboldt, war in Deutschland Bergwerksassessor und Geologe, und erbittet vom Gastgeber, in die Gruben einfahren zu dürfen. Das darf er. Er lobt, daß die Arbeit eine freie ist, das heißt die Knappen freizügig sind, was er sonst nicht überall gefunden hat. Aber wie sind die Arbeitsbedingungen!

Zusammengepfercht in engen Stollen arbeiten die Indios in einer Glut von 34 Grad, während draußen das Thermometer im 249 Winter tief unter Null steht. Humboldt fragt sich, wie ein Mensch solche Temperaturunterschiede aushalten kann. Wie sind Kinder mit einer Last von fünfzig Kilogramm auf dem Rücken und Erwachsene mit hundertfünfundzwanzig Kilogramm imstande, sechs Stunden lang in dieser Hitze 1800 Stufen auf- und abzusteigen? Entsetzt hört Humboldt, daß die Arbeiter, welche die Sprengungen machen, selten über ein Alter von fünfunddreißig Jahren hinauskommen.

Zwanzigstes Jahrhundert: Ein Mann – der könnte ich sein – wandert durchs Land, vorbei an Fördertürmen, Schmelzwerken, Zyanidanlagen, und fragt überall, wem der Betrieb gehöre. Zumeist bekommt er ein Achselzucken der Unwissenheit zur Antwort. Wo er eine akustische Antwort bekommt, klingt sie wie »Asarco«, und wie »Kannitverstan« klingt, was der Wanderer brummt.

Sicherlich ist Asarco kein Familienname. Es gibt keine Bonanzaprinzen mehr, so tief und zusammenhängend auch die Spuren ihres Wirkens noch heute in Mexiko erkennbar sind.

Von der Konquista an, der technischen Erschließung der ersten Gold- oder Silbergrube, war es keine Staatsbürgertugend zu arbeiten. Die Arbeit war Zuchthauszwang und Tod. Dagegen war Glück eine Staatsbürgertugend, und zwar die belohnteste, das Glück, eine ergiebige Ader zu finden. Vermochte der Finder seine Bonanza mit mörderischen Methoden aufzuschließen, so nannte er alle erdenkliche Privatmacht sein eigen und dazu mehr gesellschaftliche Macht als die höchste Beamtenschaft und der höchste Klerus. Die waren ja nur deshalb nach Neu-Spanien entsandt, um dem König Silbergeld, beziehungsweise dem Papst Peterspfennige zu schicken; zur Erfüllung dieses Auftrags konnte nur der verhelfen, der aus den Lotterielosen im Erdenschoß den Haupttreffer gezogen. Der Bonanzaprinz war Staatsoberhaupt de facto, denn er konnte den Beamten mehr Silber bieten als die Staatskasse.

Der Mann im Film fragt nach der Bedeutung des Wortes Asarco und findet schließlich heraus, daß es die 250 Anfangsbuchstaben von American Smelting and Refining Company sind. Diese Kompanie wiederum ist der Deckname für den Guggenheim-Konzern, welcher die Silberförderung in Mexiko innehat und alles Silber nach USA. transportiert.

Dort wird das Silber, Hunderttausende von Tonnen, aus finanzpolitischen Gründen in den Kellerverließen von Fort Westpoint, N.Y., eingelagert, tief in der Erde, der es entrissen wurde mit Mühe und Not. Dort endet der Film, einer von denen, die man im Kino nicht zu sehen bekommt. 251

 


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