Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Mexikoforschung bei den Nazis

Seit die Nazis die deutsche Wissenschaft gleichschalteten und jede Lehrkanzel, jeden Forschungssitz zu einem elektrischen Stuhl machten, tappen ganze Wissensgebiete vorsichtig zwischen diesem Leitungsdraht und dem Stacheldraht.

Eines unrühmlichen Todes starb der deutsche Zweig der Mexikoforschung, deren Vater ein Deutscher gewesen war. Aber er, Alexander von Humboldt, steht in Nazideutschland, wenngleich man seinen Namen außenpolitisch auswertet, innenpolitisch nicht hoch im Schwange. Denn er bestritt, daß es minderwertige Menschenrassen gäbe, und war, horribile dictu, ein Freund und Lobpreiser der Juden. Humboldt hatte seine Mitarbeiter und Kollegen hauptsächlich in Frankreich geworben; in Frankreich wuchs dann die Völkerkunde Amerikas zu einer mächtigen Disziplin heran mit der Société ethnologique, der Revue d'Anthropologie, den internationalen Kongressen und staatlich geförderten Expeditionen.

Auf deutscher Seite wurde nach Humboldts Tod das Stoffgebiet Mexiko meist den Gelehrten anderer Fächer überlassen oder Amateuren. So war es ein Germanist, E. W. Förstemann, der als Direktor der Kgl. Sächsischen Bibliothek die dort befindliche Maya-Handschrift entzifferte; Karl von Scherzer war Buchdrucker und österreichischer Konsul, bevor er auf das linguistische Studium Mittelamerikas hingelenkt wurde; der Dresdner Alphons Stübel reiste aus Gesundheitsrücksichten nach den Tropen, wo er sich zunächst für Vulkanistik interessierte und dann der Urgeschichte zuwandte; als Militäringenieur kam Teobert Maler mit Kaiser Maximilian nach Mexiko und erforschte die Ruinenstätten von Yucatán; Paul Ehrenreich, der die Gemeinsamkeiten in der Kulturmythologie der nord- und südamerikanischen Indios feststellte, war 212 eigentlich Brasilienforscher; Wilhelm Reiß aus Mannheim und Karl von Fritsch aus Weimar waren Geologen gewesen, und F. Ratzel ursprünglich Reiseberichterstatter der »Kölnischen Zeitung«.

Auch Eduard Seler (1849 bis 1922), mit dem Deutschland wiederum die Führung in der internationalen Mexikanistik zurückgewann, war kein Forscher von Haus aus. Er hatte das Leben seiner Jugend als Lehrer gefristet, und unternahm erst als Vierzigjähriger seine berühmten Reisen zum Pyramidenhügel von Xochicalco und zu den Huasteca-Indianern von Veracruz. Professor wurde er, als Joseph Florimond Loubat, französischer Gelehrter, württembergischer Gesandter, amerikanischer Millionenerbe, päpstlicher Herzog und internationaler Mäzen einen Lehrstuhl für amerikanische Volks-, Sprach- und Altertumskunde an der Berliner Universität stiftete.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika wuchs in den letzten Jahrzehnten das Interesse an der archäologischen und ethnographischen Ergründung des südlichen Nachbarlands zu dominierender Höhe. Internationales Zentrum der Mexikanistik wurde das Smithsonian Institut in Washington, und unter dessen Mitarbeitern traten Bindestrichamerikaner wie der Deutsche Franz Boas, der Tscheche Alesch Hrdlicka und der Pole Bronislaw Malinowski führend hervor. Malinowski, der 1943 starb, ist der Begründer der funktionalistischen Schule in der Ethnographie.

In Deutschland waren nach Eduard Selers Tod zwei große Mexikanisten geblieben: Walter Lehmann, bahnbrechend als Erforscher indianischer Sprachen, und Konrad Theodor Preuß. Preuß war der erste, der die Religionsgeschichte zur Grundlage völkerkundlicher Studien machte; seine Entdeckungen in der Provinz Nayarit (1908), seine Deutung des aztekischen Kalendersteins und seine Studien über indianische Riten brachten ihm die Anerkennung beider Hemisphären.

Sowohl Konrad Theodor Preuß wie Walter Lehmann waren von der gleichen fortschrittlichen Gesinnung beseelt wie ihr Lehrer und Amtsvorgänger am Berliner Völkerkundemuseum, 213 Eduard Seler. Beim Antritt Hitlers wurden sie aus dem Amt gejagt. Wer hatte sie denunziert, die beiden Männer, die politisch niemals hervortraten und deren freiheitliche Anschauungen nur ihren Berufskollegen bekannt waren?

Abteilungsdirektor des Berliner Völkerkundemuseums war und ist Herr Walter Krickeberg. Er blieb im Amt, denn er hatte flugs sein Mäntelchen nach den Winden des Führers gehängt. In Laienkreisen ist Herr Krickeberg bekannt durch einen Band Aztekenmärchen, den er für die Diederichssche Serie »Märchen der Weltliteratur« herausgegeben hat, eine Popularisierung wissenschaftlicher Forschungen. Im Vorwort dieser Kompilation gibt Krickeberg zu, daß sein Buch, soweit es nicht auf den von Walter Lehmann gemachten Entdeckungen verschollener mexikanischer Handschriften fußt, den von Konrad Theodor Preuß bei den Cora-Indianern Mexikos gesammelten Mythen entstammt. Und seine Apotheose schließt Krickeberg folgendermaßen:

»Zum Schluß ist es mir eine angenehme Pflicht, den Herren Professoren K. T. Preuß und W. Lehmann, die mich durch Überlassung von gedrucktem und handschriftlichem Material, das mir sonst nicht erreichbar gewesen wäre, bei der Abfassung dieser Arbeit unterstützt haben, an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.«

In der Nazizeit saß der bedankte Professor Konrad Theodor Preuß in seiner Berliner Wohnung und schuf an einem Werk, das als Handbuch, Lehrbuch und Enzyklopädie der modernen Völkerkunde gedacht war; die Materien und Kapitel wurden von den Kapazitäten der einzelnen Fachgebiete bearbeitet, so die Rechtskunde von dem Erforscher primitiver Rechtszustände Leonhard Adam, der ursprünglich das Lehrbuch herausgeben sollte. Das fundamentale Werk erschien 1937 im Verlag Ferdinand Enke, Stuttgart, und Herr Krickeberg schrieb eine Anzeige – »Anzeige«, o doppelsinniges Wort!

Es war eine Polizeianzeige, erstattet auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege eines wissenschaftlichen Organs 214 (Zeitschrift für Ethnologie, S. 464–466). Darin bringt Anzeiger, der vor dem Professor Preuß so viel gekatzbuckelt hatte, der Gestapo zur Kenntnis, daß Professor Preuß nicht auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung stehe, Preuß mache sich die »historische Betrachtungsweise in der Völkerkunde« nicht zu eigen, das heißt jene, die beweisen muß, daß nur die teutonischen Stämme in der Welt etwas zu sagen haben. Darüber hinaus, fährt Anzeiger Krickeberg fort, bejahe Preuß sogar die Gegner dieser Betrachtungsweise, indem er »ausländische Funktionalisten oft und mit Anerkennung zitiert«.

Herr Krickeberg benützt seinen Spitzelbericht zu der Klage, daß es die Völkerkunde in Deutschland »nicht ganz leicht hat, sich neben ihren mehr im Vordergrund des allgemeinen Interesses stehenden Schwesterwissenschaften, Rassenkunde und Urgeschichte, zu behaupten, obgleich auch sie sich mit dem vollen Einsatz ihrer Kräfte in den Dienst der großen völkischen Ideen stellt«.

Fürwahr, die Völkerkunde hat es mitnichten so leicht wie die Rassenkunde. Diese stellt auf Wunsch des Rassenamts einfach fest, daß die jüdische Großmutter des Pg. Soundso serienweise rassenschänderische Ehebrüche mit arischen Herrentypen begangen habe, wodurch der Pg. Soundso mitsamt seiner Sippe als unanfechtbare Edelmenschen in Ordnung gehen. Die Ethnographie fußt auf weniger fluktuierenden Begriffen, als es Blut und Sperma sind: auf baulichen, bildhauerischen und folklorischen Realien. Und all die müssen übergangen werden, wenn die NSDAP.-Auslandsabteilung Gutachten darüber wünscht, daß ganze Völker aus Untermenschen bestehen. Mit Berufung auf solche Gutachten verbietet dann zum Beispiel die Deutsche Gesandtschaft in Mexiko die Eheschließung von Deutschen mit Mexikanerinnen oder ordnet, falls die Ehe bereits geschlossen ist, die Scheidung an, »es sei denn, daß Sie die Unterlagen dafür aufbringen, daß indianische Blutmischung in der Familie Ihrer Frau (Braut) nicht existiert oder seit dem Jahre 1800 nicht mehr vorgekommen ist.« 215

Wie, so dachte Herr Krickeberg, gerät man in die Nähe der beneideten Rassenkunde und »mehr in den Vordergrund des allgemeinen Interesses«? Wie kann man den bereits aus dem Amt herausdenunzierten größeren Kollegen auch aus der Publikationsmöglichkeit und nötigenfalls aus dem Leben hinausdenunzieren, um auf diese Weise zum einzigen, also zum ersten Mexikanisten Deutschlands zu werden? Das kann man so:

»Unverständlich ist ja nur, daß im Preußschen Buch ein nichtarischer Ethnologe, nämlich L. Adam, zweimal zu Worte kommt und einer völkerkundlichen Schule (dem Funktionalismus) der Vorzug gegeben wird, deren Führer B. Malinowski gerade aus dieser wissenschaftlichen Einstellung heraus ein ausgesprochener Gegner des heutigen nationalsozialistischen Deutschlands ist.«

Als Konrad Theodor Preuß dies las, wußte er, was er zu gewärtigen hatte. Er hörte sich schon von einem uniformierten Gorilla angeschrien. »Funktionalismus, was? Du Schweinehund!« (Faustschlag.) »Ich werde dir das Zitieren von Ausländern schon austreiben. Wirst keinen Malinowski mehr loben, du Bolschewik!« (Stahlrutenhiebe.)

Aber die Aussicht auf das Verhör im Kolumbiahaus entsetzte Preuß weniger als die unfaßbar feige Schurkerei, die ein Schüler und Fachkollege zu begehen vermocht hatte.

Bevor die Schergen der Gestapo den Professor Konrad Theodor Preuß holen konnten, holte ihn der Tod. »Herzschlag« stand in den Zeitungen, und es ist möglich, daß der Meuchelmord wirklich durch Herzschlag begangen wurde.

Im Archiv für Anthropologie (1938, S. 298) versuchte Professor Thurnwald eine »Ehrenrettung« des berühmten Kollegen, wenn auch nur eine, die im Dritten Reich möglich ist. Thurnwald schrieb, Preuß sei kein Antinazi gewesen, und Herr Krickeberg nicht immer ein Nazi. Er (Krickeberg) habe in seiner Zeitschrift die Buchkritiken von einem Juden (Gerhard Neumann) schreiben lassen, der zum Beispiel ihn (Thurnwald) abfällig kritisierte. Krickeberg habe den Arier Bronislaw 216 Malinowski als Judenstämmling bezeichnet, um mit dieser Behauptung Professor Preuß erledigen zu können. Und das Schlimmste! Krickeberg habe sich früher mit Katholiken, sogar mit katholischen Priestern, abgegeben und der »Volksfront einer von Pater W. Schmidt geleiteten Schule« angehört.

Was Krickeberg darauf antwortet (Zeitschrift für Ethnologie, Bd. 70, S. 119–124) ist bisher auf keine Kuhhaut gegangen, geschweige denn in ein wissenschaftliches Organ. Er, der eben den Professor Preuß durch eine Gesinnungsverdächtigung in den Tod getrieben hat, beschwert sich, daß gegen ihn »geradezu eine Gesinnungsverdächtigung« erhoben werde. Dabei entfährt ihm auch das Eingeständnis, daß sein Haß gegen Juden nicht so tief sitzt wie sein Haß gegen begabtere Kollegen, die Konkurrenz. Wörtlich:

»Es lag für mich auch nicht der leiseste Grund dazu vor, für Herrn Thurnwald in die Schranken zu treten, selbst wenn ich gewußt hätte, daß der absprechende Kritiker ein Jude war. Denn . . .«

Ja, was ist denn dieses »Denn«? Warum wäre denn Ritter Krickeberg nicht »in die Schranken getreten«? Er klagt den Himmlerschen Heerscharen das Folgende:

»Denn bis 1933 war noch nicht viel von einer Abneigung Thurnwalds gegen eine jüdische Wissenschaft zu merken.«

Nach dieser neuerlichen Denunziation folgt ihre Begründung: In Thurnwalds Zeitschrift habe es früher jüdische Mitarbeiter gegeben, »die schon am Namen als solche zu erkennen sind«. Ferner seien »recht wohlwollende Besprechungen von Werken typisch jüdischer Geisteshaltung«, darunter von Büchern des Soziologen Franz Oppenheimer, des Sexualforschers Magnus Hirschfeld, usw. in Thurnwalds Zeitschrift erschienen.

Krickeberg entschuldigt seine Behauptung von der jüdischen Abstammung des Professors Bronislaw Malinowski damit, daß dieser die Einleitung zur Arbeit eines Emigranten geschrieben habe, nämlich des früheren Kölner Museumsdirektors Julius E. Lips, »der Malinowski ausdrücklich als seinen Freund 217 bezeichnet«. Herr Krickeberg, der aus Spitzelrapporten über die politische Tätigkeit von Professor Lips und anderer ins Ausland geflüchteten Gelehrten informiert ist, verhöhnt Thurnwald, »welcher alle diese Dinge nicht zu kennen scheint«.

Durch den Vorwurf, der »Volksfront einer von Pater W. Schmidt geleiteten Schule« angehört zu haben, gerät Herr Krickeberg in panische Angst, denn mit dem Begriff »Volksfront« ist in Nazideutschland nicht zu spaßen. »Ich habe nie einer klerikal-marxistisch-liberalen Volksfront angehört«, schreit Krickeberg, »niemals!«

Wäre Krickeberg ein Mann und Wissenschaftler, dann hätte er antworten müssen, daß Pater Schmidt Herausgeber der Wiener Zeitschrift »Anthropos« war, und die von ihm geleitete Missionsschule Sankt Gabriel in Mödling bei Wien eine Reihe von mutigen Forschungsreisenden herangebildet und ausgesandt hat. Statt dessen stammelt Krickeberg, seine Vergangenheit sei ihm von allen, »die unser Verhalten im Leben und Beruf kennen, Partei- und Dienststellen eingeschlossen«, verziehen worden.

Die vorgesetzten Partei- und Dienststellen verzeihen ihm auch diesmal. Begleitet von einem Bonner Professor namens Trimborn, der die Sprache der peruanischen Inkas mit dem zackigen Jargon der SS vertauscht hat, darf Herr Krickeberg Ende 1939, mitten im Krieg, zum 26. Internationalen Amerikanistenkongreß über See fahren. In Vertretung Deutschlands. In Vertretung Deutschlands nach Mexiko, dessen Bevölkerung von der Naziwissenschaft als Untermenschen doppelter Artgattung bezeichnet wird, a) weil sie braunhäutige Wilde, und b) weil sie durch fortgesetzte Blutmischung zu einer Bastardrasse geworden seien.

Die mexikanischen Kongreßmitglieder fragen Krickeberg, woran denn ihr Freund, der gelehrte Freund ihres Landes, woran denn Konrad Theodor Preuß gestorben sei.

Krickeberg setzt eine Miene tiefer Trauer auf und antwortet: »Herzschlag.« 218

 


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