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»Diese Dinge sind alle köstlich, und ich hab' all mein Lebtag nichts gesehen, was mein Herz also erfreuet hat. Denn ich hab' darin gesehen eine wunderliche Kunst und hab' mich verwundert ob der subtilen Ingenia der Menschen in fremden Landen.«
Albrecht Dürer.
I. Wie man den Schatz fand
Es war der 10. November 1519. Drei Tage vorher war Cortez mit seiner Truppe in der Hauptstadt Tenochtitlán eingezogen, und der Aztekenkaiser Moctezuma II., ebenso erschreckt wie gastfreundlich, hatte ihnen das Residenzgebäude seines verstorbenen Vaters zugewiesen, das an der Stelle des heutigen Monte de Piedad auf dem Zócalo stand. Die Spanier wollten innerhalb des Gebäudes eine Kapelle errichten, und Moctezuma stellte ihnen unverzüglich Arbeitsleute zur Verfügung, – er besaß gute Gründe, Indios statt dieser Fremden in seinem Haus handwerken zu sehen.
Jedoch die Gäste schnüffeln bereits in den Räumen herum, und zur Begründung führen sie an: »Weil wir nun einmal von solchem Charakter sind, daß wir alles entdecken und alles wissen wollen, durchforschten wir, während wir nach einem würdigen Platz für den allerheiligsten Altar Ausschau hielten, alle Wände und Winkel sehr genau.«
Dabei finden die so forschungsfreudigen und so gottesfürchtigen Blicke das, was sie in Wirklichkeit suchen. In einer Wand scheint eine Türe gewesen zu sein, die erst vor kurzem zugemauert und mit Lehm und mit brauner Farbe unkenntlich gemacht wurde. Skrupellos legen die Soldaten 45 eine Bresche ins Mauerwerk und erstarren vor einem Leuchten, das stärker ist als das der Mittagssonne. Hier ist der aztekische Nibelungenhort aufgespeichert, die Privatschatulle Moctezumas, die seines Vaters und der verpfändete Staatsschatz der Nachbarrepublik Texcoco.
Der brave Soldat Bernal Díaz del Castillo, der später die Augenzeugengeschichte der Konquista schreiben wird, ruft aus: »Die ganze übrige Welt zusammengenommen kann nicht so viele Kostbarkeiten besitzen!«
Cortez wird geholt. Er schließt die Augen, um nicht geblendet zu werden, er preßt die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Vor ihm liegt die Erfüllung. Vor ihm liegt der Lohn für das tolle Wagnis, für die unerträgliche Beschwer. Vor ihm liegt der Ablaß für alle Todsünden, begangen unterwegs. Vor ihm liegen der Heiligenschein für sein Haupt und der Harnisch gegen Neider und Feinde am spanischen Hof. Denn vor ihm liegt: die Gunst der hispanischen Majestät.
Aber Cortez stürzt sich nicht auf den Fund. Im Gegenteil, er läßt die Bresche zumauern, befiehlt allen strengstes Stillschweigen.
Beileibe keine moralische Regung leitet ihn bei diesem Befehl, die Beweggründe sind ganz anderer Art. Erstens könnte er keine Geschenke von Moctezuma verlangen, wenn dieser ihn im Besitz des Schatzes wüßte. Zweitens fürchtet Cortez die unheimlich bevölkerte Riesenstadt, in die er sich eingenistet hat, – ein Raub des Kronschatzes würde das Fanal sein für den allgemeinen Angriff gegen die Räuber.
Erst nachdem Cortez den Kaiser Moctezuma aus dessen Palast in den »seinigen« geschleppt hat, erst unter dem Schutz einer solchen Geisel fühlt sich der Spanier sicher. Nun wird der Tresor wieder geöffnet.
Trotz der Bewachung stehlen zwei spanische Soldaten je einen Goldpokal, angeblich, weil sie kein Trinkgefäß besitzen. Die beiden kleinen Diebe sollen exemplarisch bestraft werden, Moctezuma interveniert jedoch für sie, um zu zeigen, 46 daß niemand anderer als er der Bestohlene sei. »Deinen Landsleuten«, sagt er zu Cortez, »steht meine ganze Schatzkammer zur Verfügung mit Ausnahme der Gegenstände, die den Göttern gehören.«
Als aber ein Wachposten den gefangenen Moctezuma beleidigt, lehnt er es ab, sich für die Milderung der von Cortez verhängten Prügelstrafe einzusetzen. »Ich würde ebenso verfügen, wenn sich in meinem Haus jemand gegen Cortez verginge. Freundschaft, Gastlichkeit und Treue sind die heiligsten Pflichten.« Damit spricht er nicht nur einen Vorwurf gegen die Untreue des Cortez aus, sondern auch ein ethisches Prinzip.
Der gefangene Aztekenkaiser wird gezwungen, auf alle seine Staatseinnahmen zugunsten des Königs von Spanien zu verzichten und ihm den Vasalleneid zu leisten. Freiwillig fügt Moctezuma als Geschenk an die Madrider Majestät den Kronschatz hinzu. (Den hätte er allerdings von Cortez nie zurückbekommen.) Bei dieser Schenkung schärft er Cortez ein: »Sorge dafür, daß in euren Annalen geziemend verzeichnet wird, Moctezuma habe dieses Geschenk eurem Herrn geschickt.«
Die Kleinodien werden in die Thronhalle geschafft. Noch heller als jenseits der Bresche funkeln und blitzen im offenen Saal die Schätze einzeln und der Schatz als Ganzes. Drei Hügel werden aufgeschichtet, ein Hügel aus goldenen Körnern, ein Hügel aus goldenen Barren, ein Hügel aus objets d'art.
Einige Beweisstücke für die kunstgewerbliche Meisterschaft der Indios hatte Cortez schon heimgesandt, bevor die Schatzkammer entdeckt war, und unter denen, die sie in Europa bestaunt, waren die beiden kunstverständigsten Männer des Zeitalters. Albrecht Dürer schreibt aus Brüssel seine Begeisterung über die »subtile Ingenia« der Indianer, und Benvenuto Cellini bewundert eine Fischskulptur aus Mexiko, die König Karl V. dem Papst geschenkt. Der 47 Meistergoldschmied kann sich nicht erklären, mit welcher Methode der silberne Fischkörper und sein goldenes Schuppenwerk gleichzeitig gegossen werden konnten.
Ihren Kunstreferaten macht nun der Bericht Konkurrenz, den Cortez über die aztekischen Kaiserschätze schreibt. Noch höher als der Materialwert sei ihr Kunstwert. »So wunderbar und unschätzbar sind sie in ihrer Originalität und Sonderbarkeit, daß keiner der uns bisher bekannten Fürsten der Welt Objekte von solcher Qualität besitzen kann.« Übertreiben darf Cortez in diesem Rapport nicht, denn er ist an Karl V. gerichtet, der die Schätze bald erhalten soll. Wehe Cortez, wenn er im Adressaten zu hohe Erwartungen erweckte oder gar dessen Enttäuschung!
Obwohl Moctezuma mit betonter Ausdrücklichkeit die Reichtümer seinem neuen Souverän geschenkt hat, liegt den Soldaten des spanischen Königs nichts ferner als auf sie zu verzichten. »Laßt uns gleich teilen«, rufen die Landsknechte in so entschiedenem Ton, daß sich kein Widerspruch erhebt.
Die Spanier verlangen Gewichte; aber siehe da, die Indios, Meister in der Herstellung astronomischer Meßinstrumente, kennen dieses Krämermittel nicht. So müssen sich die weißhäutigen Kreuzritter dazu bequemen, ihre Waagen und Gewichte selbst zu fabrizieren. Inzwischen lassen sie von den Goldschmieden der Stadt Atzcapotzalco das Gold einschmelzen mit Ausnahme der Geschmeide, deren Kunstwert in die Augen springt. Eiserne Stempel werden hergestellt, um die Barren mit dem kastilischen Wappen zu punzieren; ein Exemplar dieser Prägestöcke hat sich, o Ironie, bis heute in Mexiko erhalten.
Nicht weniger als 162 000 Goldpesos beträgt der Wert des Schatzes, was der Historiker William Prescott vor hundert Jahren einem Betrag von etwa sechseinhalb Millionen Dollar oder fast anderthalb Millionen Pfund Sterling gleichgesetzt hat. Von diesem Reichtum wird zuvörderst ein Fünftel für den König von Spanien beiseite gelegt. 48 32 400 Goldpesos. Viel Geld! So viel nennt damals kein Potentat in Europa sein eigen, – was Karls V. beide Großväter, Ferdinand von Aragonien und der deutsche Kaiser Maximilian, hinterließen, reichte nicht aus, um ihre Begräbnisse zu bezahlen.
Bislang hatten die europäischen Monarchen nur in der Alchimie die Hoffnung gesehen, ihre Zivilliste aufzubessern oder den Staatsbankrott zu vermeiden. Nach dem Bericht des Cortez beginnen sie an eine andere Wunderheilung des Finanzwesens zu glauben: an exotische Kronschätze.
Wie sehr der Schatz des Moctezuma die Fürsten der Alten Welt zweieinhalb Jahrhunderte lang beschäftigte, geht aus einer Randbemerkung Friedrichs II. von Preußen hervor. Er schrieb sie am 12. Mai 1773 auf eine Eingabe, die eine staatliche Subvention für die Errichtung einer Sammetfabrik in Potsdam verlangte:
»Ich habe kein geldt und wer kann alle Tage Solche fonds zu fabriquen geben? Das kann der Moctezuma nicht ein mahl.«
Die Landsknechte des Cortez sind keine Fürsten mit Sorgen ums Budget. Wegwerfend lächeln sie, als von ihrer Beute ein Fünftel für ihren König bestimmt wird. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, der Rest gehört ja uns, gehört uns zu gleichen Teilen, genug, um unser Leben lang als Caballeros zu leben.
Ja, Pustekuchen! Cortez beansprucht gleichfalls ein Fünftel, und in der Tat hat er im Feldzug mehr geleistet als der König. Ein drittes Fünftel wird als Spesenvergütung abgesondert, teils für Cortez selbst, der sein Vermögen in die Kampagne gesteckt hat, teils für seinen Todfeind Diego Velásquez, den Gouverneur von Cuba. Der hätte nämlich das Recht zu einer Klage, die dem Beklagten Kopf und Kragen kosten kann. Cortez hat ihm die Flotte entführt, um den Piratenzug nach Mexiko selbst zu unternehmen, und diese Flotte hinter sich verbrannt, als er gelandet war. Auf 49 solche Delikte steht Tod von Henkershand. Nur wenn Cortez aus freien Stücken den Schaden ersetzt, kann er vielleicht dem Schafott entrinnen.
Murrend sehen die Soldaten drei Fünftel der Beute davonschwimmen. Als über das vierte Fünftel verfügt wird, geht ihr Ärger in Wut über. Es soll zum Teil nach Veracruz gehen, wo ein Detachement zurückgeblieben ist, teils soll den Offizieren ein Prämium ausgezahlt werden, sowie den Artilleristen und Arkebusieren.
Nur das letzte Fünftel bleibt zur Aufteilung an die Mannschaft. Das sind hundert Goldpesos pro Mann, in der Tat, ein beleidigend niedriges Honorar für die Eroberung eines Dorados, für die verfluchte Belehrung von Heiden.
Manche lehnen den Schandlohn einfach ab, alle toben. Sie toben über Ungerechtigkeit, sprechen von Betrug und Unterschlagungen, die von Offizieren vor der Punzierung verübt worden seien. Diese Beschuldigung macht sich der königliche Schatzmeister zu eigen, es kommt zu einem Duell und wäre zu weiteren gekommen, wäre Cortez nicht dazwischengefahren. Dazwischen fährt er auch in die Rebellion der Truppe, kämpft sie nieder mit der Macht seines Wortes.
Wenngleich widerwillig, kehren die Soldaten zum Dienst zurück. Suff und Kartenspiel sind heut wilder als je. Im Mondlicht verspielen die meisten das Gold, das ihnen im Sonnenlicht zugesprochen ward, die Juwelen werden getauscht, verschachert oder als Liebeslohn hergegeben. Vier Fünftel des Schatzes aber schlafen noch im Palast.
II. Das Gold flüchtet
Wie rettet man den Schatz, wenn man flüchten muß? Denn flüchten muß man. Die Stadt steht in bewaffnetem Aufruhr, das Quartier der weißen Eindringlinge ist 50 belagert, der Kaiser Moctezuma wurde, als er sein Volk beschwichtigen wollte, von seinem Volk zu Tode gesteinigt.
Flüchten muß man. Cortez befaßt sich mit den Schätzen. Wie rettet man sie?
Die Kleinodien, aus denen das Fünftel des hispanischen Königs besteht, läßt Cortez einschmelzen und übergibt die Barren unter genauen Kautelen den spanischen Kronbeamten, als ahnte er, daß ihm dereinst wegen des Schätzes der Prozeß gemacht werden wird. Ein Protokoll wird aufgenommen über die Maßnahmen, den Anteil Seiner Majestät auf der bevorstehenden Flucht besonders zu schützen. Unter den Soldaten, Tragtieren und Munitionskarren hat Cortez eine Auswahl für den Transport des Schatzes getroffen, die Eskorte in die Mitte des Zuges und sich selbst zu ihr eingeteilt.
Die Soldaten, soweit ihnen von der Beute etwas blieb, lassen diese durch die Goldschmiede von Atzcapotzalco in Halsketten verwandeln. Unermeßliche Teile des Schatzes bleiben auf den Fliesen des Palastes. »Nehmt davon, was ihr wollt«, sagt Cortez zu seinen Leuten, »eines bedenkt jedoch: wer am leichtesten reist, reist am sichersten.« Die erfahrenen Schnapphähne wissen, wie berechtigt diese Worte heute sind. Gefahrvoller als alles bisher wird die Flucht sein. Nur verhältnismäßig wenig stopfen sie in ihre Taschen. Mit welchem Blick, mit welchen Gedanken mögen sie aus der Türe gehn! Noch ein Griff und sie wären reich.
Diese Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1520 läßt sich an wie Schauernächte in den Räuberromanen. Regenmassen stürzen nieder, die Berge, die das Tal umschließen, spielen Fangball mit den Blitzen und den Donnerschlägen. Aber wenn's weiter nichts wäre . . .
Der Heerbann, der unbemerkt aus der Stadt verschwinden wollte, fühlt sich von unheimlichen Gewalten umzingelt. Augen halten Spalier, zehntausende, vielleicht hunderttausend Augen in unsichtbaren Gesichtern. In dieser 51 durchlöcherten Finsternis bewegt sich der Abmarsch auf dem Dammweg Tlacopan, der heutigen Calle Tacuba.
Eine tragbare Brücke ist mitgenommen worden, die über die Durchstiche gelegt werden soll. Beim ersten, dort, wo heute das Hauptpostamt ist, tut sie ihre Pflicht. Als man sie jedoch wieder hochheben will, bewegt sie sich nicht. Zu tief hat das Gewicht der beladenen Dreierreihen, der Geschütze und eines mit Gold gefüllten Munitionswagens die Brücke ins Erdreich gedrückt.
Und während die Marschkolonne stockt, geht spontan die Attacke der Indios los, aus den Kanoes unten, von den Dächern oben saust das schwarze Lavaglas der Pfeile und Lanzen; Steine, wahre Felsstücke prasseln nieder, gezackte Schwerter hacken in Schädel, braune Hände würgen weiße Hälse.
Flüchte, wer kann. Aber wohin? Ein Rückwärts gibt es nicht, ein Seitwärts gibt es nicht und das Vorwärts ist gespalten in tiefe, steile Abgründe, voll vom Wasser des Sees. Um ans andere Ufer zu schwimmen, muß man sich des Wamses entledigen, das gegen Pfeile, und des Panzers, der gegen Lanzen schützt, nachher der Waffen und schließlich – es geht nicht anders – der güldenen Beute. Klirrend fallen die Halsketten und Juwelen auf den Dammweg, rollen die Böschung hinab, versinken im Wasser.
Dem Mammon nach stürzen Mensch und Roß, schon tot oder ertrinkend; es fallen 860 Mann der kastilischen Infanterie, mit ihnen die Kugelbüchsen; 46 Kavalleristen, mit ihnen die Pferde; 20 Artilleristen, mit ihnen die Kanonen; 4000 Indios, Hilfstruppen aus der Provinz Tlaxcala. Die andern kommen durch, unter ihnen Cortez, der auf seinem Roß über das Seeufer hinaussprengt. Als er aber Meldung bekommt, wie schwer das Zentrum bedroht ist und damit der Schatz, da prescht er durch das Chaos zurück, sein Reitersäbel schlägt nach rechts und links, die Angreifer werden von Panik ergriffen. 52
So verläuft die triste Nacht, die Flucht der Spanier aus dem Bezirk des Sees, von den Lagunen und den Inseln nach Nordwesten. Mit den Worten des heutigen Stadtplans zu sprechen: durch die Calle Tacuba, hinter dem Palacio de Bellas Artes und der Alameda, durch die Straßen Hidalgo und Puente de Alvarado nach der Vorstadt Tacuba.
Dreimal macht das abziehende Heer in der Bannmeile der Hauptstadt halt. Später, nach ein paar Jahren, werden die Spanier an diesen drei Rastplätzen Fundamente ausheben für Gedenkbauten, und um nach dem unterwegs verlorenen Raub zu graben.
Erste Haltestelle der Flüchtenden ist die heutige Ecke der Avenida Hidalgo und Calle Zarco. Die dort erbaute Kirche ist dem heiligen Hippolit geweiht, an dessen Namenstag, ein Jahr nach der tristen Nacht, die Aztekenhauptstadt wiedererobert wurde. In der »Kapelle der Märtyrer« sind die Gebeine der in der Schauernacht gefallenen Weißen zusammengetragen worden, jeder im Rest seiner Uniform und mit dem Rest seiner Habe, – daß nichts vom Schatz dabei war, läßt sich annehmen. Bei der Einsegnung wurden sie als Märtyrer gepriesen, weil sie während der Bemühung starben, die heidnischen Azteken für das ewige Seelenheil zu retten, – daß von der Bemühung der Märtyrer, den Goldschatz der Heiden für sich zu retten, nichts erwähnt wurde, läßt sich gleichfalls annehmen.
Im Vorgarten der Kirche will eine steinerne Skulptur glauben machen, die Terrorherrschaft der Weißen sei die Strafe für die Sünden der indianischen Systemregierung gewesen: Ein Adler trägt in seinen Fängen einen Meldegänger durch die Lüfte, der das rote Staatsoberhaupt vor der Weiterführung der bisherigen Politik warnen soll. Moctezuma habe jedoch die Warnung dorthin geschlagen, woher sie kam, nämlich in den Wind.
An der Stelle, wo sich der Leutnant Pedro de Alvarado auf seiner Lanze über den Kanal geschwungen haben soll, 53 machte die Weltgeschichte einen noch größeren Sprung: vom Jahre 1520 bis zum Jahre 1870, von Mexiko nach Metz. Auf der Südseite der heutigen Calle del Puente de Alvarado steht ein Palast, Hochzeitsgeschenk Kaiser Maximilians an den vierundfünfzigjährigen Bräutigam einer sechzehnjährigen Braut; er heißt François Achille Bazaine und ist Marschall von Frankreich; sie, Carmen de Peña, ist das schönste Kreolenkind in Mexiko. Im Palast feiern sie die Brautnacht, die Flitterwochen und die Honigmonde, die sie auf der Heimreise über den Ozean und in Frankreich fortsetzen, bis der Marschall immer knieweicher und lendenlahmer wird, und schließlich im Deutsch-Französischen Krieg nicht mehr die Kraft aufbringt, irgendeinen Befehl zum Widerstand gegen die Deutschen zu geben.
Hernán Cortez und seine Truppen hatten sich von ihren mexikanischen Beutemädchen nicht unterkriegen lassen, auch auf der Flucht verloren sie weder Knochenmark noch Gehirnsubstanz. Weiter zogen sie auf dem aztekischen Aquädukt, der durch die heutige Straße Ribera de San Cosme bis Chapultepec führte, und zerstörten ihn hinter sich, so gut es ging.
In Popotlan rallierten sie ihre Reste. Popotlan ist heute eine Vorstadt der Vorstadt Tacuba und mit dem Autobus vom Zócalo in ungefähr ebensoviel Minuten zu erreichen, wie die fliehenden Cortezianer Stunden brauchten.
An der Endstation steht der einzige Überlebende jener unglückseligen Nacht. Aber Zeuge schweigt, als ob er aus Holz wäre, und das ist er auch. Sein Eigenname lautet: »Arbol de la noche triste« und sein Familienname »Ufergreis«, was eine Übersetzung des indianischen Wortes Ahuehuete ist.
Unser Ufergreis war schon ein Greis, als unter seinen Ästen der geschlagene Cortez saß und der Sage nach weinte. Vielleicht aber hat Cortez gar nicht geweint, sondern im Wurzelwerk dieser Sumpfzeder, deren 54 Wiederfindung nicht zu verfehlen war, die Schätze vergraben, die er bis hierher geschleppt.
Ein deutsches Mexikobuch verübelt es den Mexikanern, daß sie kein Mitgefühl für den höherrassigen Cortez empfinden, die Stätte seiner Trauer nicht genug verehren. Wörtlich: »Das heutige, entartete Geschlecht der Mexikaner, durch Negerblut verdummt, lacht über das allgemein Menschliche. Vor wenigen Jahren brannte man die Zeder an. Die Nordamerikaner, welchen das Land über kurz oder lang zufallen muß, spotten auch. Traurig hängen die Zweige des im Herzen getroffenen Baumes herab. Ein Gitter und die Polizei muß ihn schützen.« (Dr. Joseph Lauterer: »Mexiko, das Land der blühenden Agave einst und jetzt.«)
Die Legende von Tacuba erzählt, auf dem Grund des Weihers von Zancopinca glitzere der Schatz des Moctezuma und verlocke den Fischer oder Schiffer, sei er auch kühl bis ans Herz hinan, hinabzutauchen. Die Nixe aus dem Weiher von Zancopinca ist zum Unterschied von jener in Goethes Fischerballade nicht anonym: es ist Malinche, die Geliebte des Cortez. Weil sie ihr Volk verriet, darf sie nicht bei den Sternengöttern weilen, sondern muß spuken auf ewig im trüben Weiher der Hacienda San Cristobal Azpetia. Dort lockt sie in den Tod mit dem Gold, das die wahre Triebkraft der Eroberungslust, des Bekehrungseifers und der Frömmigkeit ihrer weißen Freunde war.
III. Das große Suchen
Die traurige Nacht währte eine volle Woche und dann erwies sich, daß sie nicht die entscheidende und endgültige Niederlage der Spanier war. Am Tage nach dem Abzug mußten sie, um sich eine Nächtigungsstation zu sichern, das indianische Vorwerk auf dem Hügel von Naucalpan berennen; ein paar Jahre später wird es eine bärbeißige 55 Zitadelle mit Bastionen sein, als Kirche getarnt und zu weiterem ideologischem Schutz mit einer Statue versehen, »Nuestra Señora de los Remedios de Méxiko«. Die zugehörige Legende schreibt die Auffindung der Madonna einem getauften Kaziken zu, der sie unter einer Agave erspäht und unter seinem Mantel nach Hause getragen habe, »so glücklich, als trage er den Schatz des Moctezuma«.
Uneinnehmbar ragt die fromme Zitadelle noch heute über einer unendlichen Landschaft, die auch ohne Krieger und ohne Schlachten heroisch ist. Kirche und Kloster beherrschen von karger Höhe aus die kargen Höhen, die sie umringen; kein Baum, kein Strauch hindert den Ausblick auf die viele Meilen entfernte Hauptstadt. Ganz nahe der Kirche überbrückt ein Renaissance-Aquädukt eine tiefe Schlucht. Auf beiden Seiten strebt in Spiralen je ein Wasserturm dem Himmel zu, jedoch auch diese gewundenen Rundtürme verstellen das Blick- und Schußfeld nicht, denn ihre Basis liegt tief unter der sakralen Bastion. Ringsum klaffen künstliche Erdhöhlen, Unterstände, vielleicht von den Spaniern ausgehoben, vielleicht aber von den Revolutionären, die dreihundert Jahre später die Spanier vertrieben.
Anno 1520 vermochten die Truppenreste des Cortez diese Höhe ein paar Tage und Nächte zu halten. Aber eine Woche nach der tristen Nacht ward ihnen im Tal von Otumba eine Schlacht aufgezwungen, eine aussichtslose, hoffnungslose Verteidigungsschlacht gegen das ganze Aufgebot der Azteken- und Otomi-Indianer, zweihunderttausend Mann.
Fern im Hintergrund, in einer offenen goldenen Sänfte stehend, befehligte Cihuaca, der Feldherr der Azteken, die Schlacht. Die Übermacht und der Mut seiner Armee hatten den Ausgang bereits entschieden; 20 000 waren gefallen, zumeist Spanier und ihre tlaskalischen Partner, der Rest von Cortez' Truppen kämpfte nur weiter, um sich den sicheren Tod so teuer wie möglich bezahlen zu lassen, und um nicht auf dem Opferaltar geschlachtet zu werden. 56
Cihuaca war im Begriff, das Banner zu entfalten mit dem Emblem »Der Sieg ist errungen«, als sich ein Vorfall ereignete, den nur Homer singen könnte. Cortez erspähte den Indiomarschall und galoppierte im selben Augenblick auf ihn zu, mitten durch die ineinander verbissenen Phalanxen, ohne sich auch nur durch einen Lanzenstoß oder einen Schwertstreich aufzuhalten. Erst am Ziel führte er den Lanzenstoß und ihm folgte der Schwertstreich, der das braune Haupt vom braunen Rumpf trennte. Cortez war's nun, der die Zielfahne schwenkte, die Azteken sahen das Siegessignal in der weißen Hand und davonjagten sie wie von Dämonen gepeitscht.
Am Rand der Ebene von Otumba liegen Ortschaften, welche heute für heiratslustige Ausländer von einiger Wichtigkeit sind, weil die Gemeindevorsteher dort für die Trauungszeremonie etwas bescheidenere Gebühren und weniger Dokumente verlangen als ihre Kollegen in anderen Bezirken. Dafür müssen freilich die Trauzeugen und das ungeduldige Brautpaar oft stundenlang warten.
Die Sehenswürdigkeiten der Gemeindestube sind rasch besichtigt, denn sie bestehen nur aus einem Glasschrank mit Pistolen und Projektilen aller Altersklassen, konfisziert den Verbrechern oder Gegnern der offiziellen Kandidaten bei Gouverneurs- und Parlamentswahlen; diese Waffen harren ihrer einzelnen oder gemeinsamen Auferstehung, eine Scheibe des Schranks ist bereits herausgebrochen.
Draußen der Marktplatz ist wahrhaftig kein Marktplatz der Sensationen, – eine Pfarrkirche, ein Kloster, das jetzt als Schule dient, der unvermeidliche Musikpavillon, ein Laden der Konsumgenossenschaft, ein paar private Geschäfte und eine Pulquería. Vor dem Ort wächst der Pulque und nichts als der; Quadratmeilen von Agaven, eine unendliche Ebene, in der Ferne begrenzt von den berühmten Pyramiden Teotihuacans und von den Silberbergen Pachucas, die sich wie alle Berge Mexikos in schärferer 57 Konturierung vom Himmel abheben, als diejenigen Europas; hermelinweiß und königlich streng überblicken die Pulque-Haciendas das von ihnen beherrschte weite Schnapsreich.
Aus Langerweile identifiziert der Trauzeuge die Agavenplantagen mit dem Schlachtfeld. Nach scharfem Umherspähen bemerkt er links eine Hügelwelle, wo damals der Feldherr der Azteken statt des Sieges den Todesstreich empfangen haben könnte. Neugierig geht unser Trauzeuge näher, bis er durch das Spalier der Agavenstauden etwas Weißliches schimmern sieht. Es stellt sich als ein ungeschlacht aus Steinen gefügtes Kreuz heraus, auf dessen Sockel, einem vermörtelten Steinhaufen, einmal eine Inschrift gewesen sein muß. Lesen kann man sie nicht, wenn man nicht zufällig einen Blaustift bei sich hat und mit diesem die Vertiefungen entlangfährt. Zufällig hat unser Trauzeuge einen Blaustift bei sich, und so ergibt sich ihm Blau auf Grau das Folgende: »Acción librada entre Cuauhtémoc y Hernán Cortez. Julio 7 de 1590«.
Mit der anderen Seite seines Blaustifts, die ein Rotstift ist, könnte unser Trauzeuge in dieser Inschrift zwei grobe Fehler anstreichen: erstens war an jener Aktion Cuauhtémoc, der Nachfolger Moctezumas, nicht beteiligt, und zweitens wurde die Aktion nicht am 7. Juli 1590, sondern am 7. Juli 1520 geliefert. Wahrscheinlich war der Steinmetz mit der neuen Zeitrechnung noch unvertraut, und sein Auftraggeber kannte den Namen des Feldherrn nicht, der die erste Feldschlacht der Hemisphäre zwischen Rothaut und Bleichgesicht, die letzte Feldschlacht zwischen Urzeit und Neuzeit verloren hat.
Unaufhaltsam konnten damals die spanischen Sieger, die bislang in die ferne, schifflose Hafenstadt Veracruz zu flüchten gedacht hatten, wieder zur Kapitale ziehen. In konzentrischen Kreisen wurden drei Monate lang die Häuser demoliert, der Schutt zur Ausfüllung der Kanäle verwendet, der Trinkwasserzufluß abgeschnitten und 58 verhindert, daß die Belagerten ihre Leichen begruben, auf daß die Pest vollende, was Durst und Hunger begonnen.
Oft schallte von den Dächern den Belagerern ein Zuruf ans Ohr. Er bestand aus zwei spanischen Worten: »oro« und »agua«. Das sollte besagen, das Gold sei ins Wasser versenkt worden, In der stereotypen Wiederholung dieser Mitteilung lag nicht nur Hohn der Untergehenden. Die naiven Indios hofften, der Eindringling würde abziehen, wenn er erführe, die Moctezuma-Schätze seien ihm verloren. Daß es noch andere Motive für seine Eroberungslust gab, hatten die Indios nicht bemerkt.
Am 13. August 1521, dem Tag des heiligen Hippolit, fiel die Hauptstadt in den Besitz der Europäer. Die rannten zunächst in den Palast, den sie ein Jahr vorher bewohnt hatten, rannten hin, um sich wieder des Schatzes zu bemächtigen. Aber nichts mehr war da, keine Spur davon. So viel man auch fragte und forschte, »oro – agua«. Das Gold war zu Wasser geworden.
Die Soldateska schäumte vor Wut, denn die Gier, den Schatz wiederzusehen, hatte sie beseelt, hatte sie aller Unbill des Lebens und aller Gefahr des Todes spotten lassen, hatte sie zu jenen verzweifelten Leistungen aufgestachelt, welche man in den Chroniken Heldentaten zu nennen pflegt. Und nun haben sie ihren Lohn dahin.
Verdächte und Gerüchte schwirrten durch das Lager. Sicherlich habe Cortez den Tesoro für sich beiseite geschafft. »Ein Fünftel ist für den Marschall nicht zu wenig / Ein zweites Fünftel nehm' ich als König / Ein drittes Fünftel braucht mein Weib . . .« So sangen die Pasquille, so stand's am Morgen auf der Kasernenmauer.
Der Wille des spanischen Kriegsvolks heischte, daß man den gefangenen Aztekenkaiser Cuauhtémoc (Cuautemotzín) hochnotpeinlich nach dem Versteck des Schatzes inquiriere. 59 Angeblich mochte Cortez zunächst nichts davon hören, hatte er doch eben Cuauhtémoc, dem heldenhaftesten seiner Gegner, zugeschworen, daß er sich als seinen ewigen Freund betrachte. Als aber auch der königliche Oberrechnungsführer Alderete, sozusagen als Sprecher des Madrider Hofs, gebieterisch ein Verhör nach den Methoden der Heiligen Hermandad forderte, ließ Cortez seinen »ewigen Freund« und mit ihm den Kaziken von Tacuba in die Folterkammer schleppen.
Dort fachten die Büttel unter den Füßen der beiden Opfer Feuer an. Als der Kazike sein Fleisch brennen fühlte, begann er zu stöhnen. Cuauhtémoc verwies ihm solch unmännliches Zeichen der Schmerzen, der gleichen Schmerzen, die er selbst litt. »Glaubst du denn, daß ich mich wie in einem Dampfbad fühle?«
Der Kazike, dem Verbrennungstod nahe, gab schließlich an, das Gold sei in seinem Palast vergraben. Man band ihn los und brachte ihn nach Hause. Dort jedoch gestand er ein, gelogen zu haben in der Hoffnung, den Tod unterwegs, also unter weniger entsetzlichen Qualen zu finden.
Aus Cuauhtémoc kriegte man nichts heraus als die Mitteilung, er habe die Schätze des Moctezuma in den See werfen lassen, wo sie niemand bergen könne. Die Folterknechte mußten ihn unverrichteter Dinge losbinden.
Bronzefarben wie er war, beherrscht Cuauhtémoc heute die Prunkstraße Mexikos, den Paseo de la Reforma. Auf einem Relief des Sockels sieht man seine Folterung, sein Besieger und »ewiger Freund« steht dabei, das einzige Denkmal für Cortez in dem von ihm eroberten Land. Nicht einmal ein Grabmal hat er. Während des Unabhängigkeitskrieges exhumierten die Spanier seine Gebeine aus der Kirche von Jesus Nazareno in Mexiko, und seither kennt man weder das Versteck des Cortez noch das Grab des Schatzes. 60
Cortez und nach ihm andere suchten auf dem Grund des Texcoco-Sees, suchten in den Brunnen des Kaiserpalastes, suchten in den schwimmenden Gärten von Xochimilco, suchten mit Wünschelruten und Spürhunden im urwaldlichen Park von Chapultepec und suchten auf dem schwarzen Lavafeld Pedregal. Aber bis zum heutigen Tag wurde nichts gefunden vom Schatz des Moctezuma. 61