Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Der Mensch im Kampf der Hähne

Hundert bis dreihundert Personen faßt die Arena der Hahnenkämpfe, die der Stierkämpfe viele Tausende. Aber kein Dörfchen ist so klein, daß nicht eine Plaza de Gallos darin wäre, während es eine Plaza de Toros nur in den Städten gibt. In den Städten ist der Hahnenkampf verboten, weil er ein Glücksspiel ist. Auf dem Land, wo er ein Unglücksspiel für die Bauern bedeutet, ist er erlaubt.

Um der Gerechtigkeit willen sei zugegeben, daß auch in der Stadt auf Hähne gewettet wird; häufig melden die Morgenblätter, daß bei Razzien außer einem Dutzend Spieler ein paar Hähne auf die Wachstube abgeführt wurden. Bei anderen verbotenen Spielen ist die Entdeckungsgefahr geringer. Würfel lenken nicht durch Krähen die Aufmerksamkeit von Nachbarschaft und Polizei auf sich, Roulettekugeln pflegen kein Federwerk umherzuwirbeln und Spielkarten bluten nicht, so daß man, falls die Polizei par hasard eindringt, alles ableugnen kann. Das ist nicht so leicht, wenn Flaumfedern als schwerwiegende Beweisstücke auf dem Tisch des Hauses liegen. Dennoch nimmt man das Risiko in Kauf, erwischt zu werden. Es muß also im Hahnenkampf ein Element enthalten sein, das in keinem leblosen Spielzeug enthalten ist. Und wer den nicht blutenden, glattrasierten und lautlosen Kampfhahn erfindet, kann im Nachtleben der mexikanischen Städte sein Glück machen.

Im Dorf ist Kikeriki kein Hilferuf der dem Tod geweihten Hähne, keine Denunziation des Hasardspiels, denn hier krähen die Hähne immerdar, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, friedliche Hähne und solche, die zum Pläsier der Menschen ihr Leben zerfleischen, wobei die Obrigkeit sozusagen die Kerze hält. 180

Wegweiser pfeilen die Richtung zur »Plaza de Gallos«, damit Ortsfremde die Arena finden, welche von außen eine Scheune ist wie andere auch. Nur ein Schalter neben dem Tor läßt erkennen, daß der Eintritt in diese Scheune Geld kostet. Frauen zahlen halbe Preise. In der Nähe der Hauptstadt geht die Galanterie der galladores freilich nur so weit, daß die Damen mit ihrem Billett den nächstteuren Platz benützen dürfen.

Innen hat die Scheune ihren rustikalen Charakter verloren, innen sieht sie aus wie ein Boxring oder eine Ringerbox auf dem Rummelplatz. Zwei Stock hoch schlingt sich der plump gezimmerte Zuschauerraum im Kreis: Parterre und Galerie, Stühle und Bänke für die Menge.

Ein Mann am Manegenrand hat eine Geldschatulle vor sich und eine gewöhnliche Kaufmannswaage. Auf ihr werden die Hähne gewogen, bevor sie antreten. Das Wiegen dient nur der Feststellung der Gewichtsklasse, und es macht nichts aus, wenn der eine Hahn etwas weniger wiegt als der andere, ihm wird kein Ballast angehängt wie einem Rennpferd.

Der Betrieb ist eine Volksszene, gemalt von Hogarth. Nichts Heutiges läßt sich entdecken, weder Eisenkonstruktion noch Zement sind für den Tribünenbau verwendet. Kein Pressephotograph oder gar Filmoperateur schwirrt auf dem photogenischen, filmischen Schauplatz umher, kein Berichterstatter ist da. Dieser Sport bedarf der Reklame nicht, das Haus könnte nicht gefüllter sein mit Menschen und Spannung;

Am Büfett hinter den Bänkereihen werden Tacos und Enchiladas verkauft, auch mit Geflügelfleisch gefüllte. Das aber ist nicht das Fleisch der Hähne, die eben den »Tod am Nachmittag« erleiden. Solch prompte Ausschlachtung bleibt der Stierkampfarena vorbehalten. Dort wird der Stier, dessen Lebenslauf am Morgen in allen Zeitungen beschrieben und bebildert war, – der Stier, dessen Kraft und Mut dreißigtausend Menschen zu lebensgefährlichem Enthusiasmus hinriß, – der Stier, der einen vergötterten Torero auf seinen Hörnern 181 aufspießte, – dort wird er fast im Augenblick, da er den Todesstoß empfängt, an Ort und Stelle vom Fleischbeschauer gestempelt, vom Metzger zerschnitten und vom Publikum gekauft. Nach Gewicht gekauft, als ob er ein anonymes Stück Rindfleisch wäre.

Mit einem Hahn im Arm kommt ein Mann in die Manege und legt ihn auf die Waagschale. Wie segnend wölbt er seine Hände oberhalb des Tiers, um es am Wegfliegen zu verhindern. Allzuweit käme es nicht, denn ihm sind die Flügel gestutzt. »Die Flügel gestutzt« ist nicht die einzige Metapher, die hier keine Metapher ist. Dem Hahn wurde auch der Kamm geschoren. Würden die Hähne einander den Kamm ausreißen, dann flösse das Blut über die Augen und nähme ihrer blinden Wut das Ziel.

Mag auch der Schwanz der Stolz des Hahnes sein, beim Kampf ist er hinderlich, – weg mit den Schwanzfedern. Nur eine bleibt als Steuerruder. Solcherart halbnackt, wirkt er weit kleiner als sonst Hähne wirken. Ritz-ratz wird ihm auch der Sporn abgeschnitten, dieses Stümperwerk einer Natur, die von moderner Waffentechnik nichts versteht. Kein Blut fließt bei der Beschneidung, der Sporn ist ja nur Hornhaut, aber schmerzhaft ist, wie der Widerstand des Hahnes beweist, die Operation doch. Wehre dich nicht, Hahn, sieh her, schon kriegst du Ersatz, eine Spornprothese, gefertigt von Menschenhand. Zwei stählerne Säbelchen werden einem Etui entnommen, und der Schiedsrichter prüft sie genau. Er prüft, ob sie einander gleich sind und Genüge tun dem »Reglamento para el juego de gallos«, dessen erste Ausgabe von Amts wegen schon in Druck gelegt wurde, als es im Königreich Neu-Spanien nur eine einzige Druckerei gab. Der Hahn, der das Reglamento nicht gelesen hat, glaubt sicherlich – da er doch zwei Beine hat – er werde beide Säbel bekommen. Aber nur einer wird ihm angeschnallt am Knöchel, wo der Sporn war von der Stunde an, in der die Sonne dem Hahn das erste Kikeriki entlockte. 182

Nun darf der Hahn ein bißchen umherstolzieren. Er wirft das Bein wie ein eben ausgemusterter und besäbelter Fähnrich, der bei jedem Schritt befürchtet, daß sich Säbel und Beine ineinander verwickeln.

Inzwischen aber entspinnt sich in der Arena ein Menschenkampf. Verglichen mit ihm wird der Kampf um Leben und Tod der Hähne nur ein harmloses Nachspiel sein.

In die Manege stürzt eine Meute Tollwütiger und jagt mit einer sich steigernden Schnelligkeit, mit einem sich steigernden Bellen im Rund: die Corredores, Buchmacher, ihrer fünfzehn. Gekleidet sind sie in übertrieben helle Anzüge, sie tragen keine Sombreros, sondern städtische Hüte, und auf jedem Hut steckt eine Nummer. Welche Typen! Andernorts würde man sie für Schlepper von Nachtlokalen halten, für Zuhälter, für Ausrufer vor Jahrmarktsbuden oder Chapper am Tandelmarkt.

Einer der Fünfzehn hat Tabes, aber zwei Krückstöcke verhelfen ihm, rasanter als seine Kollegen im Zirkusrund zu kreisen. Einer trägt einen schwarz gewichsten Schnurrbart inmitten einer Gesichtsrose, die ihn noch aufgeregter erscheinen laßt. Drei oder vier, betonte Schönlinge mit grellen Krawatten und pomadisierten Scheiteln, richten ihre Wettangebote ausschließlich an Damen. Einer ist ein ganz weißhäutiger Mestize, ungewöhnlich groß, unförmig dick, unermeßlich plattfüßig; all diesen Handicaps zum Trotz entwickelt er ein Tempo, das dem des Tabetikers nicht viel nachgibt.

Da fast jeder zum Wetten entschlossen ist, kommt es nicht darauf an, das Publikum als Ganzes zu animieren. Jedem der Buchmacher kommt es darauf an, daß der einzelne bei ihm und nicht bei einem anderen die Wette abschließe, von der ihm drei Prozent zufallen. Es gibt kein zentrales Wettbüro, wo die Wetten eingezahlt und die Gewinne ausbezahlt werden, das Publikum wettet gegeneinander. Jemand bietet eine Quote, und nun muß der Buchmacher einen finden, der das Angebot annimmt.

Im Laufe ihres Laufs zeigen die Corredores mit einem Finger bald auf den, bald auf jenen und dann immer wieder auf sich. 183 Die gleiche Geste machen die in den Städten Australiens bettelnden Buschneger, nur haben die Buschneger nichts zu bieten, wogegen die Hahnenkampf-Buchmacher zum Beispiel »Silva 30 zu 50« zu bieten haben. Das bedeutet, daß derjenige, welcher 30 Pesos auf den Hahn des Señor Silva setzt, im Fall des Sieges 50 Pesos bekommen wird.

Die Geldscheine oder ein Nicken nebst Fingerzeichen, das barem Gelde gleich ist, fliegen kreuz und quer durch die Luft, sichtbare Summen und unsichtbare Unsummen. Aufgefangen werden sie von den Corredores. Die notieren nichts, sie nicken einfach mit dem Kopf, der ihr Kassabuch ist, ihre Registrierkasse und ihre Rechenmaschine.

Es wächst die Hast des Corredors, es wächst sein Eifer. Die Willigen hat er schon in der Tasche, jetzt gilt's, die Unschlüssigen zu packen und schließlich gar die zum Nichtwetten absolut Entschlossenen. Er bietet und drängelt und springt von einem zum andern und heult so laut, daß die krähenden Hähne ihre eigene Stimme nicht hören.

In den ersten Reihen sitzen schwerwiegende Männer mit Paketen von Geldscheinen vor sich, Rancheros, Getreidehändler, Habitués des Hahnenkampfs. Sie sind ein besonderes Ziel, erstrebt, umworben, umringt, belagert. Man flüstert ihnen Tips ins Ohr oder brüllt ihnen zu. Das alles dauert so lange, bis durch das Megaphon an etwas erinnert wird, was man beinahe vergessen hätte: den Hahnenkampf. »Der Hahn des Señor Silva aus Cuautitlén und der Hahn des Señor Echegaray aus San Bartolo treten an. Die beiden Señores Besitzer haben 300 Pesos gegeneinander gewettet.«

Ein Pfiff als Startzeichen, der Hahnenkampf beginnt und der Börsenkampf sollte zu Ende sein. Jedoch weder die ungeduldigen Rufe des Megaphons »Orden, Corredores« – »Zur Ordnung, Makler«, noch die Präludien des Hahnenkampfes sind imstande, die Finanzoperationen jäh abzubrechen. Wohl ist den Corredores vorgeschrieben, in diesem Augenblick die Bahn zu verlassen, nicht vorgeschrieben aber ist ihnen das Tempo. 184 So weichen sie denn nur langsam, verzweifelte Rückzugsgefechte liefernd, indem sie mit dem Schrei »Quién da? – Wer gibt?« noch Abschlüsse erfechten. Als letzter zieht sich der arme Tabeskrüppel zurück, und während er sich auf seinen Krückstöcken wie ein Stabhochspringer über die Manegenbrüstung schwingt, schmettert er seinen Schlachtruf: »Silva 40 zu 60! Quién da?«

Repräsentiert durch den grünen Hahn des Señor Silva tritt das Dorf Cuautitlán gegen den roten mit weißen Flecken an, der die Gemeinde San Bartolo ist.

Da sind sie in persona, die beiden gefiedert-entfiederten Gladiatoren, auf die jedermann im Rund einen Teil seines Vermögens gesetzt hat. Keine Spannung, kein Ausruf begrüßt sie, ja, nicht einmal ein Blick streift sie, weder ein hoffender, noch ein fürchtender, noch ein prüfender. Es scheint, als habe man nur aus Laune auf den einen oder den andern gesetzt, so willkürlich etwa, wie man oft in Monte Carlo auf Rouge oder Noir setzt, auf Pair oder Impair. Jedenfalls werden die Wetten mehr vom Steigen und Fallen der Odds bestimmt als von den Hähnen. Vorsichtige Spieler setzen auf den Favoriten, kühnere ziehen den Outsider vor, der zwar die kleinere Chance hat, aber den größeren Gewinst bringen kann.

Theoretisch kennen Männer mit Hahnenverstand ihren Favoriten ab ovo und sogar ante ovo; sie haben schon seinen seligen Vater gekannt und wissen, welche Schulbildung der Sohn genossen hat. Auf Ranchos, die als Hegehöfe und Trainingsplätze für Kampfhähne berühmt sind, werden sie von Jugend auf mit irritierender Nahrung und exaltierenden Injektionen gefüttert. Dort muß Hähnchen auf dem Reck turnen, um den Kopf nicht zu verlieren, wenn dieser nach unten hängt oder sich dreht. Dort werden ihm Muskeln und Sehnen gelockert und der Körper massiert. Dort tritt er gegen Sparringpartner an, denen wohlweislich eine Art Boxhandschuh über den Sporn und über die Schnabelspitze angelegt wird, so daß der künftige Kampfhahn alle Partner erledigt, ihm der Kamm 185 schwillt und er sich von nun an für unbesiegbar hält. Aber weist nicht sein künftiger Kampfgegner ein ähnliches Pedigree auf, genießt er nicht die gleiche Erziehung?

Vorläufig ruhen beide im Arm ihrer Züchter. Beileibe aber liegen sie dort nicht, um gehätschelt und geschützt zu werden wie einst unter den Fittichen von Mutter Gluckhenne. Solche Gefühle von Friedlichkeit im Hahnenherzen aufkommen zu lassen, daran hat der Züchter durchaus kein Interesse. Im Gegenteil. Er erlaubt einem fremden Manne mit einem fremden Hahn sich dem seinigen zu nähern, mit einem Hahn, der heftig vorstößt. Dieser reizende Mann hieß im elisabethianischen England »Cockteaser«, Hahnenreizer, und der Ausdruck ging auf Frauen über, die es mit Männern ebenso machen, ohne die Absicht, sich nachher zu stellen. Der Kampfhahn möchte den Provokateurhahn anspringen, wird jedoch von Menschenhand verhindert. Es genügt, daß er in Rage gerät, die Betätigung dieser Rage hat er gegen den Partner aufzusparen.

Ist er wirklich bis auf den Siedegrad des Zorns erhitzt? Für alle Fälle reißt ihm sein Herr und Gebieter noch ein paar Flaumhaare aus, zwickt ihn ins Bürzel, beißt ihn ins Rückgrat, schwingt ihn in der Luft und schlägt zuletzt das Kreuz über ihm, auf daß das Tier gottgefällig und gottgesegnet sei im Streit für die gute Sache.

Das Kreuz ist geschlagen, es ist so weit. Die Besitzer, in der Sprache des Hahnenkampfs »Soltadores« – »Loslasser« genannt, treten aufeinander zu, jeder mit seinem Hahn im Arm, damit die beiden, die einander umbringen sollen, vorher Bekanntschaft schließen. Die Hähne reagieren wie gewünscht, sie blitzen einander Mordgelübde entgegen. Gut, gut!

Sie werden auf den Boden gestellt, aber die Hand des Herrn hält sie an ihrem Hintern fest. Die beiden Hähne können nichts anderes tun als aufeinander zustreben, sie strecken sich zu übernatürlicher Länge aus wie Reitpferde vor dem Ziel, bilden zusammen einen unterbrochenen horizontalen Strich. 186

Dies ist der Moment, in dem die heulenden Derwische der Buchmacherei verstummen, nachdem sie mehr als fünfzehn Minuten geheult. Dies ist der Moment, in dem die Kombattanten, jeder auf einer anderen Seite der Arena, von den Loslassern losgelassen werden.

Nicht im Hahnentritt nähern sie sich, sie schnellen aufeinander zu, schwingen sich übereinander hinweg, einmal, zweimal, aber da der eine landet, überfällt ihn der andere von hinten, eine blitzartige Umdrehung erfolgt und im gleichen Augenblick sind sie ineinander verzahnt, verhakt, verbohrt.

Blutend und verblutend martern sich bis zum letzten Pulsschlag zwei Angehörige der gleichen Art und des gleichen Geschlechts. ». . . des gleichen Geschlechts«, das ist es! Nebenbuhlerschaft des Männchens gegen das Männchen. Sexualneid. Hast du, Hahn, denn nicht Hennen genug zur Umarmung? Gönnst du keinem andern den kaum eine halbe Minute währenden Genuß der Liebe? Merkst du nicht, daß der Mensch deine Instinkte mißbraucht? Niemand anderer als er hat durch Beißen, Zwicken, Rupfen und Schütteln deine Wut geschürt, damit du sie an einem ebenso absichtlich gequälten Artgenossen ausläßt. Warum willst du morden, und dabei selbst gemordet werden ? Nun, du willst und er will, und so müßt ihr.

Auf dem Erdboden und oberhalb des Erdbodens vollzieht sich das Gemetzel, vollzieht sich mit Griffen, Stößen, Kratzen und Schlägen. Der Schnabel hämmert dem Feind in die Weichen, aufs Schädeldach und gegen die Augen. Säbelhiebe sausen, Flügelreste umklammern den Gegner.

Die Partner, verbissen, gehen in die Luft. Denn sie vergessen oder bedenken nicht, daß ihnen die Flügel gestutzt sind, und glauben noch immer fliegen zu können. Und der Glaube verleiht Flügel. Senkrecht heben sie sich vom Erdboden, ein Klettern, wobei der eine Hahn dem andern als Stange dient. Aneinander klimmen sie hoch.

Dort oben sind sie zunächst ein Doppeladler, indivisibiliter ac inseparabiliter, ein durch Zauberei lebendig gewordenes 187 Wappentier mit Köpfen, die sich furios gegeneinander richten, mit Schnäbeln, von denen der eine den anderen pickt, und mit zwei Beinpaaren, die einander Fußtritte geben und metallene Schwerthiebe. Durch die Luft sausen Feder und Flaum. Die zusammengewachsenen Zwillinge rotieren um eine nicht vorhandene Achse. Und da! Da entsteht die Achse wirklich. Sie ist rot und scheint sich aus einer Pfütze zu erheben. In Wahrheit aber führt die flüssige Linie von oben nach unten in die Mitte der Blutlache, sie immer mehr und mehr vergrößernd.

Auf der oberen Spitze der Linie dreht sich ein Wetterhahn in Wirbelwind und Schneesturm. Plötzlich fällt ein Auge hernieder. Ihm nach klatscht alsbald das Doppelwesen in die aufspritzende rote Brühe. Aber noch ist es keineswegs gewillt, als Suppenhuhn zu enden, es teilt sich in seine beiden Bestandteile, die einander jetzt noch mehr hassen als vor ihrem Aufstieg in die Sphären. Wie besessen rücken sie vor, legen los mit Schnäbeln und Säbeln, mit Hieb und Stich, mit Schlag und Stoß, mit Griff und Dreh, boxend, fechtend und ringend. Bis der eine auf den Rücken fällt und alle viere von sich streckt, die freilich nur zweie sind.

Er ist nur halbtot, nicht ganz tot. Aus der Rückenlage hebt ihn sein Besitzer und trägt ihn fürsorglich, fast zärtlich auf die andere Seite der Manege. Unterwegs schon lüftet der menschliche, fast zärtliche Chef seinem Hahn die Flügel, sieht nach, ob sie nicht einen Herzstich oder einen Lungenstich verbergen. Mit diagnostischem Blick betrachtet er die Schädeldecke. Um nicht selbst von dem Säbelchen verletzt zu werden, faltet er die Hahnenbeine sorgsam unter dem Hahnenbauch.

Dreizehn Kämpfe bietet der Nachmittag mitsamt dem Abend, da Petroleumlampen das Schlachtfeld beleuchten. Dreizehn Kämpfe und jeder mit Pausen, und jede Pause mit seltsamen Wiederbelebungs- und Doppingversuchen des Züchters. Er öffnet dem Hahn den Schnabel, fährt mit dem Finger tief in den Schlund. Dann nimmt er den Kopf des Hahns in den Mund, hält ihn zwischen den Lippen fest und streckt den 188 Hals des Tieres. Massageschläge auf die Flanken. Wunden saugt er aus, preßt mit Zähnen und Fingern die Wundränder zusammen. Schließlich läßt er das Bürzel in seinem Mund verschwinden. Lutscht er, beißt er, bläst er Chilepfeffer hinein? – Nur der Gott der Alektromachien mag wissen, was sich hier begibt.

Der dermaßen behandelte Hahn tritt wieder an, greift wieder an, solange seine Kraft dauert. Manchmal versucht einer der Partner zu entweichen, jagt die Peripherie entlang mit Todesangst im Blick, sofern er noch einen Blick hat, denn bestenfalls haben Verfolger und Verfolgter zusammen nur noch drei Augen.

Liegt einer endgültig auf dem Boden, so triumphiert der Triumphator nicht; er trompetet kein Halali und stolziert keine Siegesrunde, wie es Menschen im analogen Fall tun. Ruhig und blutbetupft steht er neben dem sterbenden Gallier, halb abgewendet, als wolle er nicht sehen, was er angerichtet. Nur wenn das Opfer noch eine Zuckung macht, dreht er sich ihm zu und gibt ihm den Gnadenstoß. Ex!

Während des Gemetzels unterhielten sich die Zuschauer miteinander, aßen Tacos und tranken Pulque. Nur hie und da warfen sie einen Blick hinüber, um festzustellen, wie sich ihr Einsatz gegen den Gegeneinsatz halte.

Bei anderen Tierkämpfen gellen den Kampftieren befeuernde Zurufe entgegen. Aber den Hähnen, bei denen es nicht sinnloser wäre als bei Stieren, Pferden oder Greyhounds, gilt kein Geschrei. Wer wird einem Würfel, einer Roulettekugel, einer Spielmarke oder einem Lotterierad seine Wünsche, seinen Beifall und seine Mißbilligung zurufen? Der Hahn ist nur ein Utensil des Spiels.

Nicht immer kann das so gewesen sein. Wie Pferd und Rind waren auch Hahn und Henne von den Spaniern in Mexiko eingeführt worden. Um wieviel schöner, um wieviel gelenkiger, um wieviel stolzer war der Hahn als der eingeborene Truthahn. Die gleichzeitig mit den Hähnen importierten 189 Hahnenkämpfe ließen die Indios glauben, daß göttliche Krieger im Federschmuck einen Streit ausfechten, den eine noch höhere Gottheit entscheide. Vertrauten doch diesem Urteilsspruch der Götter selbst die weißen Gebieter und verspielten oft Haziendas mit Tausenden von Seelen im Hahnenkampf.

Im Circo de Gallos von Tlalpan saß Tag für Tag der Vizekönig Iturrigaray, herrschte von dort über ganz Neu-Spanien, und je nachdem, ob er gewann oder verlor, war er gnädig oder ungnädig. An einem Sommertag von 1808 stürzte einer seiner Beamten mit der »Gazeta de Madrid« herein: Revolution in Spanien, Invasion durch Napoleon, Thronentsagung des Königs. »Das ist das Ende unserer Herrschaft«, sagte der Vizekönig und setzte auf den nächsten Hahn. Allerdings waren gute Hähne im Spiel, darunter vier malaiische, wahre Raubvögel, eben mit dem Kurier angekommen.

Auch die Republik wurde von der Hahnenkampfarena aus regiert, als der General Santa Ana Diktator war. Gummikauend saß er tage- und nächtelang an den Hähnen, und die Schlachten gegen Landsleute und gegen die Amerikaner waren ihm nur störende Unterbrechungen der Hahnenkämpfe. Seine Lieblingsgladiatoren waren die krummschnabeligen Aseelhähne aus Westindien, denen er vor ihrem Antritt in die haßfunkelnden Augen sah, um zu wissen, wer siegen werde.

Heutzutage werden keine Kampfhähne mehr importiert, einheimische tun's auch. Sobald einer mit seinem Sterben das Resultat der Wetten anzeigt, tritt ihm sein fürsorglicher, fast zärtlicher Besitzer auf den Hals, auf daß er besser ausblute, und die Buchmacher stürzen von neuem in die Arena, kassieren die Verluste ein (ganze Bündel von Geldscheinen), und zahlen die Gewinne aus (ganze Bündel von Geldscheinen). 190

 


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