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40

Es ist Frühling.

Ich sitze auf der Treppe meines Hauses und rauche aus meiner kurzen Pfeife. Lustig wirbelt der Rauch heraus. Die Sonne scheint, die Welt ist grün. Grün und durchsichtig wie Glas ist die Wiese, das Laub der Buchen. Blau und durchsichtig wie Glas ist der Himmel. Die Sonne scheint. Die Vögel singen, Tau tropft aus den Bäumen.

Ich rauche die Pfeife und lächle.

Schön ist die Welt! Schön ist das Leben!

Da liegt das Tal, schimmernd und grün. Aus dem Walde drüben winkt eine kleine Fahne.

Die Apfelbäume blühen an der Straße. Ein Wegmacher scharrt auf der Straße, das Messingband auf seinem Hute funkelt wie ein Kronenreif.

Friede und Schönheit sanken vom Himmel auf die Erde, denke ich. Die Sonne schüttet brennenden Wein aus Kannen über die Welt, wie ehedem.

Ich lächle.

Es klingt im Walde, im Tal.

Die Bergstraße herab kommt ein Mädchen, ein schlankes Bauernmädchen, ein weißes Tuch um den Kopf geschlungen, ein Bündel in der Hand. Golden funkelt es unter dem Kopftuche.

Es nickt herüber zu mir, seine Zähne blitzen und seine Augen.

Kind, Kind, was funkelst du mit den Augen und lächelst? Gehst in den Wald und suchst nach einem Geliebten? Es ist Frühling, nimm dich in acht, Kind!

»Guten Morgen!« ruft das Mädchen mit klingender Stimme und geht die Straße hinab.

Und ich stehe auf. Diese Stimme –

Habe ich plötzlich Feuer im Kopfe?

Und ich lächle und stoße einen Schrei aus, wie ein Falke, der sich im Äther wiegt.

Ich gehe ins Haus und reiße mir alle weißen Haare aus. – – – – – – – – – – – – –

Die Dämmerung sinkt über das Tal, alles ist still, das Dorf schläft.

Ich sitze auf einem Brunnen, der vor der Hütte steht, weit draußen vor dem Dorfe.

Der Brunnen plaudert und mein Herz bebt.

Ein Mädchen tritt aus der Hütte, mit einem Kruge in der Hand.

Ich stehe auf.

»Guten Abend, Maria.«

Das Mädchen schrickt zusammen und lugt unter dem Kopftuche hervor. Auf dem Kopftuche sind graue blasse Sterne zu sehen.

Golden funkelt es unter dem Tuche.

»Guten Abend, Herr Schwager.«

»Ein schöner Abend, Maria?«

»Ja!«

»Wie schön, Maria! Es ist Frühling. Ich bin hierhergekommen, um mit dir zu sprechen. Ein Wegmacher hat mir gesagt, wo du jetzt wohnst.«

Ob ich ihr etwas von Ingeborg zu sagen habe? »Nein, nein! Sprechen wir nicht von Ingeborg. Wir wollen von uns beiden sprechen, haha! Aber da du von Ingeborg sprichst, so kann ich dir schon etwas sagen. Sei stolz auf Ingeborg, hörst du, sie ist ja deine Schwester. Sie feiern sie, sie beugen die Knie vor ihr. – Aber sprechen wir nicht von ihr. Sprechen wir von uns!«

Marie läßt den Krug voll Wasser laufen und der Krug gluckst, lacht und singt, immer heller.

Was ich wolle?

Mit ihr sprechen!

Aus der Hütte ruft eine Stimme.

»Der Bauer ruft.«

Maria geht hinein.


Im Walde liegt eine kleine Wiese und Maria pflügt, eine Kuh zieht den Pflug.

Ich trete aus dem Walde, das Gewehr auf der Schulter.

»Da bin ich wieder,« sage ich fröhlich. Unbefangen und jung mache ich meine Stimme.

Maria schweigt.

»Neulich kam der Bauer dazu – haha! Schön ist es heute, wie! Die ganze Welt brennt!«

Ich blicke unter das weiße Kopftuch Marias.

Ja, ich sei zu ihr gekommen, gerades Weges zu ihr, sage ich und lege sanft meine Hand auf ihre Schulter.

Maria sieht mich erschrocken an. Es glitzert in ihren Augen.

Ja ja, gerades Weges zu ihr!

»Ich liebe dich Maria, kannst es glauben!«

Maria senkt rasch den Kopf. Blaßblaue Sternchen sind auf dem weißen Kopftuche Marias zu sehen.

»Ich liebe dich, Maria – was sagst du dazu? Nie – nie habe ich ein Mädchen so sehr geliebt.«

Ich sage es ganz leise und lächle nicht mehr. Meine Augen sind feucht.

»Ich bitte Euch, Herr –«

»Haha, hörst du nicht, daß ich du zu dir sage? Du sollst in mein Haus kommen, die Herrin sollst du sein, Maria – sprich doch –«

Maria blickt mich an und ihr Gesicht ist so weiß wie das Kopftuch.

Es ist stille. Ein Vogel singt. In der Ferne bläst ein Hirt die Flöte.

Dü – düdüdü – düdü – hell klingt es, nach Liebe und Glück.

Maria weicht langsam zurück, als habe sie Furcht vor mir.

Ich lächle.

»Du bist ganz bleich, Maria. Ich habe dich erschreckt. Wie ungeschickt war ich doch.«

Sie solle mir doch die Hand geben.

»Nein, nein!«

Maria weicht zurück. Sie sinnt nach, sie sinnt so lange nach, daß mir bange wird. Dann sagt sie, und das Blut kehrt in ihre Wangen zurück:

»Ich bitte Euch, geht. Das kann ja nicht sein« sagt sie hastig. »Seht doch, Herr, überlegt es Euch, ich bin eine Bauernmagd, Ihr seid ein Fürst, ein Schloß habt Ihr, Felder und Wälder –«

Maria spricht es gütig und sanft.

»Haha.« Ich lache.

»Was den Fürsten anbelangt – so ist das – eine Form – das ist – und –«

Ich nicke und gehe. Ein Gedanke jagt durch meinen Kopf.

»Auf Wiedersehn, Maria!« Ich verschwinde im Walde. Man muß nicht blöde sein gegen junge Mädchen. Frisch angepackt, immer los aufs Ziel!

Ich gehe nach Hause und schreibe einen Brief und siegle ihn mit dem Wappen.


Ich trete in den Hof, den Brief mit dem großen Siegel in der Hand. Ich gehe ans Fenster der Gesindestube und poche.

Der Mönch kommt heraus und nimmt den Hut ab.

Ich sage zu ihm: »Siehst du diesen Brief hier? Den trage in die Stadt. Er gehört an den Notar. Verliere ihn nicht, denn es steht auch für dich etwas darin. Ich habe dich einmal unrecht behandelt vor all dem Gesinde, ich habe es nicht vergessen – auch hast du Pazzo immer so freundlich gestreichelt. Ich habe es beobachtet. Auch die alte Maria habe ich nicht vergessen. Eile.«

Es ist Nacht. Dunkel liegt die Erde und hell ist der Himmel und er glitzert von Sternen.

Ich sitze auf der Bank unter der Birke und blicke auf das Schloß.

Ich lächle. Ein kleines Glück. Hörst du, was klopft in meinem Herzen?

Ich denke an eine kleine Hütte im Walde, an den Geruch des Düngers, an eine hübsche Kuh. An ein Gesicht beim Scheine der Kerze. Wie schön wird es sein, wenn ich dieses Gesicht ansehen darf!

Träume wiegen sich in meinem Kopfe. Wie lieblich sind die Frauen! Wenn sie nur guten Tag sagen! Wie das klingt! Wenn sie schlafen – es atmet unter der Decke, es atmet so!

Ich blicke auf alle Fenster des Schlosses. Noch ist nichts zu sehen. Aber plötzlich ist ein Zimmer beleuchtet, noch eines, wieder eines. Eine Scheibe klirrt und Rauch fährt heraus.

Das Schloß steht in Flammen.

Hunderttausend rote Derwische heulen und tanzen in den Sälen und auf dem Giebel.

Da wird die Türe aufgerissen und lautschreiend rennt eine Gestalt im Hemd heraus. Es ist die alte Maria. Sie schreit und läuft über die Wiese, die Straße, in den Wald hinein. Ihr Hemd leuchtet rot und weht um die dünnen nackten Beine.

Ich hatte gar nicht an sie gedacht.


Ein herrlicher, frischer Morgen. Rauch zieht über den Wald.

Ich trete aus dem Walde auf die Wiese, Maria pflügt.

»Da bin ich, Maria.«

Maria nimmt die Schürze vors Gesicht und bricht in Schluchzen aus. »O, Herr, Herr, was habt Ihr getan?«

»Siehst du es nun, daß ich dich liebe?« frage ich leise. Ich bin das Gras zu ihren Füßen.

»O, Herr, Herr, was habt Ihr doch getan!«

Ratlos stehe ich da. Die Kuh dreht den Kopf und blickt mich an. Ein Vogel singt. Wie gestern bläst des Hirten Flöte in der Ferne.

»Höre, Maria,« sage ich, »weine nicht. Welch gutes Herz hast du doch, Maria. Ich liebe dich, – nun –?«

Maria weint in die Schürze.

»O, Herr, Herr! Was habt Ihr doch nur getan!«

»So sei nur stille, Maria. Siehst du, eine Hütte werden wir haben, eine Kuh. Schön wird es sein. Wenn die Vögel singen, wenn der Regen rauscht –«

Maria schüttelt den Kopf.

Ich erblasse, ich fühle es. Wie? denke ich und erblasse.

Ich spreche.

»So sage, Maria, was ist dir? Kannst du mich nicht lieben? Ich sah es ja neulich deinen Augen an – Ingeborg – haha, wie sage ich, Maria –«

Maria schüttelt den Kopf.

»O, Herr, Herr.«

Ich stehe still. Meine Lippen zucken. Ich bin wie verzweifelt, einen Augenblick.

»Liebst du einen andern, Maria, sag es?« frage ich leise. »Sage es offen.«

Maria nickt.

»Ja,« sagt sie schluchzend, »was habt Ihr getan. Herr!«

»Nun, beruhige dich, Maria. Ja dann – –. Leb wohl. Maria gib mir die Hand. Willst du nicht?«

Maria nimmt eine Hand von der Schürze und reicht sie mir.

»Leb wohl, Maria.«

Ich gehe. Einige Schritte, dann kehre ich zurück. Ich habe etwas in der Tasche für sie.

Immer noch steht Maria da, die Schürze vor dem Gesicht und weint.

»Maria«, sage ich, »ich möchte dir wenigstens etwas schenken. Vielleicht gefällt es dir?«

Ich ziehe ein kleines grünes Väschen aus der Tasche.

»Da nimm es. Du kannst Blumen hineintun, die dir dein Liebster schenkt. Willst du es nicht nehmen?«

Maria nimmt die Hand von der Schürze und ich lege ihr das Väschen in die braune schöne Hand.

»Leb wohl, Maria!«

Maria weint.

Ich sehe sie mir noch einmal an – dann gehe ich in den Wald hinein.

Ich wende mich um, immer noch hat Maria die Schürze vor dem Gesichte.

Die Zweige verdecken sie.

Ich komme auf die Straße und wandere sie entlang, ins Tal hinunter. Die Sonne steigt über die Höhe.

Ich wandere und wandere. Viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Ich gehe immer weiter, immer weiter. Ich bin noch ein wenig traurig, aber es wird bald vorüber sein – – –

Ich schreite tüchtig aus – –


Nun lebe ich in der Steppe, wo die Sonne blendet und jedes noch so kleine Gräschen einen geschliffenen türkisblauen Schatten wirft.

Es ist Nacht geworden. Ich liege im Grase, die Arme unter dem Kopfe verschränkt und sehe den Sternen zu, die über den Himmel wandeln. Auch den Sternen im Nordwesten sehe ich zu.

Es ist Nacht, kein Laut in der Steppe, am Himmel glänzen feierlich und schön die Sterne. Tau fällt auf jede Kreatur.

 

Ende

 

Druck von W. Drugulin in Leipzig.

 


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