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1

Nun wohne ich in einer Hütte, die inmitten der weiten Steppe steht.

Ich lebe gerne hier, es ist so weit und so still. Niemand kennt mich, niemand kommt zu mir, ich bin ganz allein. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich habe keine Langeweile, meine Tage vergehen. Wie die Wolken über den weiten Himmel streichen, so streichen die Stunden über mich hinweg.

Ich bin zufrieden.

Zuweilen denke ich noch an das Mädchen aus dem Walde. Ich habe sie noch nicht vergessen, nein. Es ist ja nicht mehr wie früher, da ich keine Nelke am Wege sehen konnte und kein Fleckchen blauen Himmels, ohne zu denken: sähe sie es doch, sähe sie doch diese Nelke, dieses blaue Fleckchen! so ist es ja nicht mehr, aber doch denke ich zuweilen noch an sie.

Sie war ...

Schmuck der Welt nannte ich sie und Liebling Gottes. Ich gab ihr viele, viele Namen. Den richtigen fand ich nicht.

Möge es ihr wohl ergehen.

Es gab einen Sommer in meinem Leben, da ich mich am liebsten gekleidet hätte wie ein Grieche, wehende Haare, Rosen in den Haaren, eine goldene Leier in den Händen. Diesen Sommer gab es. Er ist längst vergangen. Sie schenkte ihn mir.

Möge es ihr wohl ergehen!


Sie kam aus dem Walde, da wo er ganz hoch und nächtig ist. Sie war blond. Golden kam sie aus dem schwarzen Walde, das dachte ich oft.

Sie ging durch den Wald und sang, sie ging durch das Feld und sang, sie sang Tag und Nacht. Es klang immer, wo sie ging. Sie schwebte von einer Stelle zur andern, wie ein Falter, sie küßte Blumen und Bäume, sie sah Augen in den Wipfeln der Bäume. Sie glaubte an Gnome und Waldwichte ...

An einem Morgen im zarten Frühling, da kam sie angestiegen. Ganz plötzlich tauchte sie vor mir auf. Ich saß auf der Treppe meines Hauses im Bergwalde und sonnte mich. Wir wechselten einige Worte. Ich habe sie noch im Gedächtnis.

Es fiel mir auf, wie schwebend ihre Stimme klang. Sie sang zur Hälfte, und sie hatte die Gewohnheit den Kopf dabei zur Seite zu neigen. Sie konnte auch keinen Augenblick ruhig stehen.

Damals sah sie naß aus wie ein Baum am Morgen. Ihr Kleid war durchnäßt, ihre Schuhe, die Haare waren zerweicht und hingen über Schläfen und Wangen. Sie hatte Tau auf den Lippen und Lidern. Tau und Sonnentropfen.

»Es ist heute so naß im Walde!« sagte sie, und es rieselte über ihre Wangen.

Sie lachte.

»Sie sitzen vor Ihrem Hause, Fürst, wie ein Dachs vor seinem Bau. Wo waren Sie den langen Winter über?«

»Zu Hause, Komtesse.« Sie lachte.

»Sie nennen mich immer Komtesse, ich bin aber gar nicht Graf Flüggens Tochter.«

Sie sei nicht Graf Flüggens Tochter?

»Papa nennt mich so, aber er ist nicht mein Vater. Haha, wie sagte ich?«

Sie lachte und blickte mich von der Seite an.

»Nein, er hat mich erzogen, Graf Flüggen, seit dem achten Jahre.« Und sie erzählte, daß sie Ingeborg Giselher heiße und ihr Vater ein Holzfäller sei, im Revier Otternbrücklein. Er habe viele Kinder, er vermisse sie nicht. Wenn er das Brot über dem Tische schneide, so sperrten sich so viele Mäulchen auf, wie wenn man Weißbrot in einen Karpfenteich wirft.

»– wie wenn man Weißbrot in einen Karpfenteich wirft, so viele Mäulchen«, sagte sie und lachte.

Sie sprach noch einige Worte, dann ging sie.

»Ich danke für den Besuch, Fräulein Giselher!« sagte ich.

»O, bitte,« erwiderte sie und lächelte über die Schulter zurück. »Es war ja kein Besuch, ich kam ganz zufällig vorüber. Adieu, Fürst!«

Sie steuerte durch die Wiese, sprang über den Graben und verschwand im Walde.

Ich blickte ihr nach. Wie durchnäßt sie war, dachte ich, wie es über ihre Wangen rieselte! Und ich dachte, wie war das mit dem Karpfenteiche? Wie kann ein Mensch nur auf diesen Einfall kommen? Ich lächelte.


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