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11

Was dachten sich wohl Knechte und Mägde, die im Hause hin- und hergingen? Sie blickten mich an und dachten, daß sich mein Verstand verwirrt habe. Sie begriffen nicht, weshalb die Treppe mit Blumen bestreut war, als ob eine Hochzeit wäre, sie begriffen nicht, daß im Zimmer des Herrn ein Teppich aus Kornblumen gebreitet war, heute, morgen aus Mohn, und an einem andern Tage aus Birkenlaub.

Dieses Haus war weiß Gott ein verzaubertes Haus! Oft öffnete ich die Türen aller Zimmer und ging durch alle Zimmer hindurch. Hin und her, mit einem von Freude und Freiheit geschwellten Herzen.

Die Blumen der Tapeten schienen lebendig geworden zu sein und zu duften, die Bildnisse der alten Herrschaften mit komischen Hüten und Frisuren lächelten. Liselotte, geborene Weikersbach, blinzelte mir zu. Ich stellte mich vor sie und lächelte. Ja, sagte ich, konnte dir leider die Treue nicht halten, Liselotte, so ist die Liebe!

Eine ganz sonderbare Luft webte durch dieses verzauberte Haus.

Diese Luft barg Ausrufe, Flüstern, Blicke, das Schimmern von Zähnen, das Knistern eines schnellen Schrittes. Viele Geheimnisse waren in dieser Luft verborgen, leises Lachen, verliebte Worte, Lider, die sich bewegen, Arme, die einen Nacken umschlingen, das Rot eines Mundes, das Blitzen eines Ringes. Man dachte an nichts, plötzlich hörte man seinen Namen, die Luft rief ihn, plötzlich sah man einen Mund, der ein Licht ausbläst, man erblickte sich selbst, wie man gerade in einem Spiegel seine glücklichen Augen studiert. Die Luft spiegelte das.

Den ganzen Tag ging die Sonne in diesem Hause spazieren, sie stieg durch die Fenster ein, durch die Schlüssellöcher der Türen. Dann kam die Dämmerung und eine kurze Zeit war alles still und tot. Doch sobald der Mond und die Sterne heraufkamen, wurde es wieder lebendig in diesem Hause. Fünkchen sprangen über die Tische und Sessel, es knisterte und etwas kletterte an der Tapete herunter, etwas Silberiges spielte mit einer Quaste, und die Quaste begann zu baumeln.

Im Dorfe drunten schlug die Uhr. Eins, zwei, drei – zehn. Im Dorf drunten schlug die Uhr. Eins, zwei – elf.

Ein Hauch wehte durch das Haus. Es knisterte, eine Treppe knarrte, ein Schreiten, ein Flackern und Schweben – Ingeborg war da!

Es raunte in meinem Zimmer, es wisperte, flüsterte und lachte. Ganz als ob ein kleiner Springbrunnen sänge und kichere. Gewiß waren die Herrschaften mit den sonderbaren Kleidern und Frisuren aus den Rahmen gestiegen und gaben sich Stelldichein in meinem Zimmer.

In vielen, vielen Nächten kam Ingeborg zu mir. Mein Herz klopfte in den langen Stunden des Wartens. Mit einem Jauchzen empfing sie mein Herz. Ja, wie begrüßten wir uns doch? Als seien wir lange Jahre getrennt gewesen und hätte die Sehnsucht unsere Liebe geglüht und gestählt und vertausendfacht.

Ein Ineinandertauchen der Blicke, gestammelte Worte, ein Kuß auf die Fingerspitzen, das war unsere Begrüßung. Gar oft sagten wir gar nichts, wir gaben uns die Hände und lächelten uns an, lange Zeit.

Ingeborg kam aus dem Walde zu mir, in stiller Nacht, ich durfte ihr nicht entgegengehen, ich durfte sie nicht begleiten.

Nein, nein, ich bin deine wilde Geliebte, wohne im Walde, komme und gehe – verstehst du?

Sie sagte es nicht, wenn sie kam. Ich durfte es nicht wissen. Zuweilen sagte sie: heute komme ich nicht, aber es war kaum Mitternacht, da war sie bei mir.

»Ich hätte nicht schlafen können, Axel!«

»Dank, Dank, süße Ingeborg! Ich saß hier und dachte an den letzten Blick heute Abend. Er hat mein Herz glühend gemacht. Ingeborg, hüte dich! Ich werde dich in meinen Armen erdrücken.«

»Ja, ja!« Sie läßt den Kopf in den Nacken fallen und schließt die Augen. Ihre Zähne lächeln.

»Das werde ich alles Ernstes tun, hüte dich, Ingeborg! Ich liebe dich, du weißt es. Du kannst mit mir tun, was du willst, Ingeborg. Das ist keine Redensart, nein, es ist Ernst, du kannst mich blenden lassen, ich klage nicht, nein, ich lächle. Du kannst mich in den Boden hineintreten, alles was du willst, kannst du. Aber hüte dich, meine Liebe ist gefährlich! Mein Herz ist rot, blutig rot und wild!«

»O, Axel, wie gut muß Gott sein, daß er uns ein solches Glück schenkt!«

Ich erwidere: »Er liebt alle Liebenden, mußt du wissen. Seht, sagt er zu seinen Engeln, sie lieben einander! Und die Engel sagen: gelobt seist du, du Vater der Liebe, du bist ein guter Gott, ja!«

Die Nacht vergeht, die Nacht vergeht.

Heute verging die Nacht schneller als gestern, morgen wird sie schneller vergehen als heute, übermorgen schneller als morgen.

Wir plaudern. Wir schweigen. Wir lauschen auf das Lied des Vogels, der im stillen Parke von seinem Glücke singt. Die Nacht vergeht.

»Horche doch, was der Vogel singt, Axel! Hörst du alles? Nun sang er deinen Namen –«

Ingeborg sieht mich an – »bleibe so«, sagte sie, »bleibe so – schließe die Augen – lächle ein wenig, so! Überirdisch siehst du aus! Bleibe so, rühre dich nicht!« Sie gleitet in die Knie und flüstert:

»Bleibe so, ich will dich ansehen« – Sie streicht mit dem Finger über meine Hand, ganz leise.

»Ich liebe deine Hand, Axel – ich liebe jedes Härchen deiner Hand, jeden Nagel, bleibe so, bleibe so – ich will deine Hand liebkosen –«.

Ich sitze mit geschlossenen Augen. Meine Hand wird leicht in die Höhe gehoben, Ingeborgs Lippen berühren sie – es durchschauert mich. Es ist ein erstickter Schrei der Wonne in meiner Kehle –

Die Nacht vergeht, der Morgen dampft. Ein helles Kleid verschwindet im Dampfe des Morgens. Ich nehme mein Gewehr und wandere in den Wald hinein. Tief im Walde fallen zwei Schüsse.

Was hat der Herr geschossen?

Nichts, nichts.

Ich treffe nichts, schlechte Augen, sodann zittere ich auch etwas, von der kleinen Pfeife rührt es her. – – –

Ich begegnete ganz zufällig Graf Flüggen im Walde, als ich mein Gewehr spazieren trug. Wie ein Zwerg kam er daher mit langen schlenkernden Armen. Er ging immer, als suche er etwas auf dem Boden.

»Hören Sie doch nur, was für ein sonderbares Geschöpf diese Ingeborg da ist!« sagte Graf Flüggen und seine Äuglein blinkerten. »Tag und Nacht läuft sie im Walde herum. Ja, hihi, auch in der Nacht.

Schon jeden Sommer trieb sie es, aber Heuer treibt sie es doch toll. Schläft im Walde, das Mädchen, schläft im Walde.«

Ich lachte.

Graf Flüggen lachte ebenfalls. Er hustete, so lachte er.

»Aber – aber natürlich« – er schlug die Hände an die Schenkel – »sie ist im Walde geboren.« –

»Im Walde fand ich sie. Ganz wie in einem Märchen saß sie da, blond, ein Zöpfchen wie ein Schwänzchen, sang, sang, daß man es meilenweit hörte. Wie heißt du? Ich heiße Ingeborg Giselher. Wer ist dein Vater? Er haut Bäume um für die Schiffe und meine Mutter ist aus Dänemark. Sie sprach so klug und munter, daß mir das Herz aufging. Bist du vielleicht der Waldgott, sagte sie. Ja. Nun, dann kenne ich dich. Ich habe dich vor drei Tagen gesehen, mit einem Buschen auf dem Kopf und einem großen Prügel in der Hand. – Hi hi hi – – du singst, Ingeborg? Ja, ich werde eine Sängerin, die Mutter hat es gesagt. Dann zeigte sie mir auch einen hohlen Baum, in dem gerade zweitausend Zwerge zu Mittag aßen. Seine Tochter ist krank, sagte sie. Wessen Tochter? Nun, die vom König Waps. Sie liegt da. Wo? Nun in der Spinnenwebe. Sie hat Husten .... Ja, was ist uns Ingeborg geworden, meiner Gattin und mir? Hihi – eine Freude für unsere alten Tage, eine Lust, ein Vergnügen – –.« Er kicherte, nickte, Tränen liefen über seine Wangen.

Immerzu sprach der alte Mann von Ingeborg. Er war etwas schwatzhaft geworden in den letzten Jahren. Aber ich hörte zu, meinetwegen.

»Ja, ja, schläft im Walde, fast jede Nacht. Nun, sie soll ihre Freude gerne haben, unsere Ingeborg.«

Da stieß mich der Teufel ins Genick und ich sagte:

»Vielleicht hat sie einen Geliebten, den sie besucht? Wie?«

Graf Flüggen pfiff durch die Zähne und blinzelte.

»Welch ein Einfall! Nein, nein, eine falsche Vermutung – er ist ja sehr begabt und hübsch, aber es fehlt ihm – ja, er ist kein Mann – er ist leidend, sehr krank, glaube ich. Nun, denken Sie, schon mit zwölf Jahren schleppten sie ihn von Stadt zu Stadt. Nein nein, welch ein Einfall von Ihnen!«

Graf Flüggen lachte.

Auch ich lachte.

»Besuchen Sie mich doch! Keine Zeit? Ich glaube auch unsere Ingeborg wird sich freuen. Sie sagte neulich, weshalb sieht man Fürst Axel so selten?«

Ich würde wohl bald wieder vorsprechen.

»Viele Grüße an Fräulein Ingeborg.«

»Danke, danke. Das wird sie freuen, ja gewiß. Sie hat mir einmal etwas von Ihren Augen gesagt, kann es Ihnen nicht sagen, junger Freund – hihi –

Früher stellte sie sich unter Ihnen so etwas wie einen Ritter Blaubart vor, ganz sicherlich, wie in den Märchen – dann bekam sie Sie zu Gesicht, vorigen Herbst. Papa, sagte sie, nun und dann sagte sie eben das von Ihren Augen. – Adieu, junger Freund. Weidmannsheil!«


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