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32

In der Nacht, da der erste Reif fiel, hatte ich einen herrlichen Traum. Ich träumte, Ingeborg stünde an meinem Bette. Ich sah sie stehen, es war wie im Sommer, der Mond schien durch die Kastanien und der Boden des Zimmers sah aus wie ein Spiegel, der in tausend Stücke zersprungen war. Auch Ingeborg glitzerte. Ich erwachte: da war es leer und kalt um mich. Ich stand auf und ging den Berg hinunter, über das Tal. Ich stieß auf Geleise. Die Geleise waren bereift.

Es kamen zwei glückliche Tage. Zwei Tage mit Wangen wie der Mai und leichten Füßen wie die Sonnenstrahlen.

An einem Tage kam Pazzo zurück. Am andern traf ein Brief von Ingeborg ein.

Ich stand am Fenster und blickte die Straße hinab. Die Straße herauf kam ein Jäger mit seinem Hunde. Nein, es war kein Jäger, er hatte kein Gewehr und ging auch nicht wie die Jäger gehen, es war ein Hirte mit seinem Hunde. Nein, es war auch kein Hirte, ein Bahnwärter war es, man sah es an der Mütze, und dieser Hund war nicht der Hund des Bahnwärters, dieser schleichende, magere Hund war ja Pazzo.

Ich riß das Fenster auf und pfiff. Der Hund stellte die Ohren, bellte matt und trabte müde heran.

»Kommen Sie herein! Herein, mein Freund!« rief ich dem Bahnwärter zu.

Pazzo kam kläffend die Treppe herauf und sprang an mir empor. Er sah verändert, ja ganz entstellt aus. Dann winselte er und kroch um meine Füße. Er heulte kläglich, legte sich auf den Boden und schlug mit dem Schwanze.

»Was ist mit dir, Pazzo? Deine Augen sind ganz trüb.«

Der Bahnwärter trat ein.

»Paulus schreibe ich mich,« sagte er. »Ich habe den Hund eingefangen. Er sprang hin und her mit den Zügen, immer am Bahndamm entlang.«

»Am Bahndamm? Jawohl. Ein guter Hund!«

»Ja, ein guter Hund. Aber er ist krank. Frißt nichts!«

»Das wird schon wieder werden, was, Pazzo?« Pazzo schlug mit dem Schwanze und winselte.

Er sei immer am Bahndamm hin und her gelaufen. Barbeck von Unternzell habe gesagt: Hast du den Hund gesehen – ein weißer Jagdhund –

»Nehmen Sie Platz! – Wein! – Bitte, erzählen Sie.« Der Mann, der sich Paulus schrieb, erzählte ausführlich von dem weißen Hühnerhund.

Er habe ihn in das Gärtchen eingeschlossen und auch eine Kiste für ihn hingestellt. Aber nun, ein schwieriger Fall! Wem gehörte dieser Hund, der nicht auf den Namen Waldmann oder Feldmann, Nero oder Packan hörte? Kein Halsband, nichts. Er mußte weit her sein, war vielleicht aus dem Zuge gesprungen. Nun, er wohne einsam, komme nur alle Sonnabend ins Dorf. Sagt der Wirt vom schwarzen Bären: Paulus, da steht es. »Nun, ich mache mich auf und bringe den Ausreißer gleich selbst her. Ich habe freie Fahrt.«

Die Erzählung währte lange Zeit, aber dann ließ ich mir noch ausführlich über Einzelheiten berichten.

Also was ich nun schuldig sei, fragte ich.

Der Bahnwärter schmunzelte, leckte den Schnurrbart und drehte die Mütze zwischen den Fingern.

Nun, der Hund habe keine Störung ins Haus gebracht. Gefressen habe er auch nicht viel. Er wolle halt sagen – er wolle es dem gnädigen Herrn selbst überlassen.

»Ein Vorschlag.«

»Sagen wir im ganzen fünf Mark.«

Ich lächelte. »Aber bitte –?« sagte ich. Er sollte Pazzo nicht umsonst gepflegt haben!

»So sagen wir in Gottesnamen drei Mark. Ich versäume auch einen halben Tag. Verköstigung auswärts –« Ich mußte lachen. Der Bahnwärter bekam einen roten Kopf.

Ich mußte immer mehr lachen. Da saß ich nun, zitterte vor Freude und er verlangte fünf Mark! Das war unerhört. Er hätte mein Vermögen verlangen können, ich hätte es ihm gegeben. »Erlauben Sie, mein Freund,« sagte ich zu ihm, »es ist mir nicht zuviel, sondern zuwenig. Ich könnte Sie nun betrügen und fünfzig Mark geben – Sie würden zufrieden sein – aber es wäre Betrug. Denn dieser Hund da, jawohl dieser Hund da, ist kein gewöhnlicher Hund, nein!« Ich erzählte nun, was das für eine Rasse sei, daß er mir schon über fünfzigtausend Mark an Prämien eingebracht habe, demnächst nach Amerika eingeschifft werde zu einer internationalen Hundeausstellung.

Es fiel mir schwer, nicht herauszulachen, denn das Gesicht des Bahnwärters wurde länger bei jeder Prämie. »Die beste Zeit des Hundes ist ja vorüber,« schloß ich. »Er kann noch einige Prämien bekommen, ja. Ich würde ihn nicht für fünfzigtausend Mark hergeben. Ein Gerichtstaxator würde den Wert des Tieres auf etwa dreißigtausend Mark schätzen. Sagen wir zwanzigtausend. Nun haben Sie gerichtlich zehn Prozent des Wertes eines Fundgegenstandes zu beanspruchen, ich bin bereit, Ihnen zweitausend Mark auszubezahlen. Sind Sie damit zufrieden?«

»Nonono?!«

»Kein Scherz, ich kann Ihnen die Prämiierungs-Urkunden zeigen, wenn Sie es wünschen. Ich will Sie nicht betrügen.« – Ich sprach leichthin, aber in überzeugendem Tone.

Der Bahnwärter lachte wie besessen, stand militärisch stramm, legte die Hand an die Mütze, warf mir Kußhände zu. Dann rannte er wie verrückt den Berg hinunter, er verlor dreimal die Mütze.

Wie er sich freute! Zweitausend Mark! Es gibt Leute, denen kannst du ganz Indien und das Paradies dazu schenken, und sie werden nicht einmal rot.

Ich riegelte die Türe ab.

»Pazzo, Pazzo!«

Ich warf mich auf den Boden und weinte und lachte vor Freude.

»Ja, Pazzo, du gute Seele, mein Freund. Du guter Pazzo – immer am Bahndamm entlang, hin und her –«

Pazzo leckte mir die Hand und das Gesicht ab und wedelte und bellte. Ich sah ihn mir an. Was wußte er alles. Hätte er reden können!

Er war nicht ganz gesund. Halb verhungert war er.

Aber nun war alles gut. Hahaha!

Pazzo war da, Pazzo! –

Gib einem Menschen Indien und das Paradies dazu, die tausend schönsten Frauen der Welt – ein Herz beginnt zu schlagen, wo sie dich berühren, an jeder Stelle deines Körpers – er errötet nicht einmal. Gib ihm eine Zeile, ein Wort von der Geliebten, er wird bleich vor Freude.

Ja, ein Brief kam, von Ingeborg. Ich saß in meinem Zimmer und pflegte Pazzo. Pazzo schlief ununterbrochen und wandte den Kopf zur Seite, wenn ich ihm Wein reichen wollte oder gehacktes Fleisch. Seine Augen waren rot unterlaufen. Aber bald würde er gesund sein und dann war eine schöne Zeit gekommen. Wir würden den Winter ertragen können zusammen, die Tage, die Nächte, alles.

Da kam ein Brief. Die alte Maria reichte ihn mir, sie tat, als sei es gar nichts besonderes – und ich las die Aufschrift: er war von Ingeborg –

Der Bote hat ihn nicht umsonst gebracht.

Freunde, Freunde, Freunde und liebe Leute allesamt auf der Welt. – Nein, stille, stille!

War das Ingeborgs Schrift? Ja, das war sie. Ruhte hier Ingeborgs Hand? Ja, ja. Ingeborgs Lippen haben den Brief zugeklebt.

Weißt du, wie das ist, wenn einem Unglücklichen eine Freude zuteil wird? Es ist eine Sonne um Mitternacht, es ist als ob Gott selbst zu ihm eintrete, es ist – – nein, stille!

Ich nahm den Hut und ging in den Wald. Pazzo? Aber Pazzo blinzelte nur und lugte und bewegte den Schwanz ein wenig. In den Wald. Denn der Brief mußte im Walde gelesen werden. Noch war er nicht dunkel genug, noch war er nicht schön genug. Hurtig!

Immer tiefer ging ich in den Wald hinein, den Brief in der Hand. Da begannen ringsumher Glocken im Walde zu läuten. Die Erde läutete und die Bäume.

Ihre Wipfel schwangen sich hin und her und läuteten.

Ich ging dahin, getragen von dem Summen der dumpfen, feierlichen Glocken, sie läuteten, läuteten. Und ich suchte mir ein verstecktes Plätzchen, streckte mich ins Moos und lauschte auf das sonderbare, summende, feierliche Läuten um mich her.

Schön war es, hier zu liegen und zu lauschen und Ingeborgs Brief anzusehen.

Hallo, Ingeborg!

Ingeborg schrieb nur wenige Worte. Ich solle ihr vergeben – – Hört, das ist Ingeborg! – Sie habe nicht gewagt, an mich zu schreiben – Hört ihr es? – Karl lasse grüßen, sie bitte um einige Kleinigkeiten. Ob sie mich nicht bitten dürfe, ihr das Medaillon mit dem Bilde ihrer Mutter zu schicken. Sie könne nicht leben ohne das Medaillon.

Viel zu tun habe sie. Gesangstunde. Karl arbeite fortwährend und nur ein Stündchen könnten sie am Abend zusammen sein. Aber sie sei sehr glücklich.

Das Medaillon sollte sie mit der nächsten Post bekommen. Ich trug es um den Hals, versteckt unter dem Kragen, aber sie konnte es haben. Was sie wollte, alles!

Schreibe bald, Axel.

Ja, heute noch wollte ich schreiben.

Ich bin tief in den Wald hineingegangen, Ingeborg, würde ich schreiben, der Wald begann zu läuten. Sonderbar war es, unvergeßlich. Ich habe mich sehr gefreut, wie habe ich mich gefreut!

Ja, ein herrlicher Brief würde es werden.

Hin und her streifte ich im Walde. Gab es heute einen glücklicheren Menschen auf der Erde? Nein, nein! Wer das behauptete, der kam nicht aus den finsteren Nächten hervor.

Vergessen waren die finsteren Nächte!

Den ganzen Nachmittag trieb ich mich im Walde umher und ich war ausgelassen wie ein Knabe. Hundertmal las ich Ingeborgs Brief. Immer noch läutete der Wald. Es war ein herrlicher Tag, der mit sanfter Dämmerung zu Ende ging.

Es begann zu rieseln im Walde, als regne es.

Ich kam auf die Bergstraße. Aus einer gelben, großen Wolke fiel der Regen in dünnen Schnüren durch die blaue Dämmerung. Blaue Adern zuckten über den Weg. Das Laub auf der Straße und zwischen den Bäumen erschien wie ein schöner Teppich.

Ein Schritt klang auf der Straße und ich wandte mich um. Ein schmächtiger Mann mit bleigrauem Gesichte und kurz geschorenen Haaren kam die Straße herauf. Seine großen Augen flammten. Er schwang den Hut in der Hand und ging langsam, wie von schwerem Unglück gebeugt. Aber als er näher kam, bemerkte ich, daß er nur langsam ging, um ein wenig zu ruhen. Er kam wohl weit her. Seine Schuhe waren ganz weiß vom Staube, mit schwarzen Sternchen darauf, vom Regen. Er hatte das verhärmte Gesicht eines Mönches und die leuchtenden Augen, die frei und klar in die Welt sahen, beleuchteten es.

»Grüß Gott!« rief der Mönch und schwang den Hut.

»Grüß Gott!« antwortete ich.

Der Wanderer blieb stehen und blinzelte.

»Ha!« rief er, »ein herrlicher Regen! Wie! Diese Luft! Dieser Regen – der reinste Wein!« Er blinzelte, nickte, drehte den kahlen Schädel nach links und rechts und blinzelte wiederum.

»So ein Baum! Was? Eine Buche! Weiß der Himmel, diese Welt ist ein einziges Wunder!«

Schön sei diese Welt, ja.

Ich lachte.

Der Wanderer setzte sich in Bewegung und ich ging neben ihm her.

»Diese Farben! Rot, gelb, grün, wie du sie nur denken kannst. Ungeheuer schön! Der Wald groß, frei, verstehst du, Freund, der Himmel so hoch! Obschon es regnet. Hoch! hoch! Gott, wie hoch ist dein Himmel!«

Er jauchzte und schwang den Hut.

»Gott, wie hoch ist dein Himmel!« rief er und breitete die Arme aus.

Da sprang ein Eichhörnchen über die Straße.

»Teufel!« schrie er. »Hast du es gesehen? Ein verteufeltes Tier, einen Schwanz wie eine Fahne! Und – ratsch! – wie geschickt den Baum hinauf. Rings herum – holla! Dort sitzt es. Siehst du? Ein Eichhörnchen. Weiß der Himmel, ein feines, listiges und kluges Tierchen. Hab viele Jahre keins gesehen. Ah! – ha – ha – es flog!! Flog von einem Baum zum andern, gute fünf Meter unter Brüdern!«

Schritt auf Schritt brach der bleiche kleine Mann in Ausrufe des Entzückens aus. Er sah aus, als sei er jahrelang krank gelegen und habe erst heute wieder die dumpfe Krankenstube verlassen.

»Ein Frosch, du! Wohin, mein Herr? Hoppla!«

Ich lachte. Ich konnte mich nicht genug wundern über den sonderbaren Wanderer und nicht genug freuen über seine Fröhlichkeit. Wahrhaftig, zu keiner gelegeneren Stunde hätte er mir begegnen können! Ich war heute aufgelegt zu einem Gespräche, lange Wochen hatte ich mit keinem Menschen mehr gesprochen.

Ob er krank gewesen wäre? fragte ich.

Ja, schwer krank. Aber nun sei er wieder gesund! Niemand glaube, wie glücklich er sei. Es gäbe keine glücklicheren Menschen auf der Welt.

»Wie?«

Der Wanderer blieb stehen und blinzelte und lachte. Es war sonderbar, zu sehen wie dieses verhärmte Gesicht mit den grauen Tränenfurchen lachte. Ein Strich waren die Augen und augenblicklich darauf große, leuchtende Räder.

»Sieh mich an, Freund! Ein Bild! Etwas Seltenes, sage ich dir. Weißt du, mit wem du gehst? Vielleicht hältst du mich für einen Narren? Kurz und bündig, sieh mich an, der glücklichste Mensch der Welt steht vor dir!«

Ich schlug ihn mit der flachen Hand auf die Schulter, daß der kleine Geselle fast in die Knie brach.

»Das trifft sich gut, Freund« rief ich lachend aus und verbeugte mich tief. »Ich bin dein Bruder. Ebenfalls der glücklichste Mann der Welt!«

Hehehehe!

Hahaha!

Wir lachten und es schien als machten wir einander große Verbeugungen, so schüttelte uns das Lachen. Standen mitten auf der Straße, im Herbstwald, im Regen, und verneigten uns.

»Ja« sagte ich, »glaubst du es nicht? Lieber Freund, was ich für ein Glück hatte! Ich bin ein Bahnwärter bei Unternzell. Sehe immer einen Hund am Bahndamm laufen, ich fange diesen Hund, Waldmann rufe ich, Feldmann, fange ihn wie gesagt und bringe ihn seinem Herrn. Hast du das Schloß gesehen, da drunten?«

»Ja, schönes Schloß!«

»Nun höre weiter. Ich bringe ihm den Hund. Was verlangst du, fragte er. Ganz kurz, wie die reichen Leute sprechen, er wollte eben ausfahren mit seiner Frau. Lieber, was er für eine schöne Frau hat, sage ich dir! Schlank, blond und ein gewinnendes Lächeln. Die Locken hängen über die Wangen, wie man es bei Kindern sieht. Augen hat sie, klein und frisch, hellblau wie Vergißmeinnichte. Eine Stimme wie ein Vogel. Wenn sie nur spricht – –«

»Also was verlangtest du?«

»Ich verlange also fünf Mark. War es zuviel?«

»Wielange hattest du den Hund in Pflege, darauf kommt es an.«

»Sechs Wochen!«

»Dann ist es nicht zuviel.«

»Was meinst du aber was passierte? Der Herr lachte gerade heraus. Und auch seine schöne Frau lachte. Noch nie habe ich eine Frau so lachen gehört. Du, Ingeborg, sagte der Herr, fünf Mark verlangt er. Die schöne Frau sagte darauf, daß ich verrückt sei. Und beide lachten. Was meinst du aber, daß sie mir gaben?«

»Zwanzig Mark?«

»Zweitausend!!« Ich schrie es, daß der Wald hallte.

»Hoho! hehehe! Sachte, sachte!« schrie der Kleine, ebenso laut.

»Ja, zweitausend Mark. Du kannst sie sehen.« Ich zog meine Brieftasche heraus.

»Hier sind sie. Siehst du? Also keine Lüge. Du hast keine Vorstellung, was das für ein Hund war! Ein preisgekröntes Vieh, überall preisgekrönt. Nächstens kommt er nach Amerika.«

Sehr merkwürdig. Höchst eigentümlich.

»Ja, Glück muß der Mensch haben, so laufen ihm preisgekrönte Hunde ins Haus. Was sagst du jetzt, wenn ich behaupte, der glücklichste Mensch der Welt zu sein?«

»Gehen wir weiter,« sagte der Wanderer, »im Gehen spricht sich’s ebenso gut. Selbst wenn ich annehme, daß es so ist, so ist dein Glück doch nicht so groß, wie das meinige. Es ist mehr äußerlicher Natur. Geld macht kein Glück. Du kannst dir viel schönes und nützliches dafür anschaffen, stimmt. Aber mein Glück sitzt tiefer, das sitzt mitten im Herzen, da zittert es, da drinnen, ja! Ich bin wiedergeboren, verstehst du, habe Leben und Freiheit, ich wandere durch die schöne Welt, wandere noch vierzehn Tage, dann bin ich bei meiner Frau, habe zwei Kinder, die nun schon in die Schule gehen. Ein Mädchen, ein Knabe. Das ist etwas anderes, nicht? Du hast alles vielleicht auch –«

»Gewiß, gewiß! Nur in die Schule gehen meine Kinder noch nicht. Hm. Ich verstehe dich schon, du hast deine Gesundheit wiederum, das Wiedersehen zu Hause nach langen Jahren, ja, aber trotzdem bin ich sehr glücklich, Freund, sehr glücklich. Sage, ist es bei dir ebenso, wenn ich glücklich bin, so möchte ich anderen gerne eine Freude machen.«

Eine allgemein menschliche Eigenschaft sei dies.

»Nun höre. Ich hätte ebensogut nur tausend Mark bekommen können. Wie wäre es, wenn wir teilten? Ich brauche das Geld nicht.«

Der Wanderer blinzelte und lachte. Er klimperte mit der Hand in der Tasche und es klang nach harten Talern.

Er schnalzte mit der Zunge. »Da, habe Geld, brauche keines,« sagte er. »Ich bin so glücklich, daß das Geld bei mir keine Rolle spielt, Freund. Alles steht gut, meine Frau hat sich eine Strickmaschine angeschafft, ist sehr geschickt und fleißig.«

Ja, wenn er nun so stolz wäre –

»Lassen wir uns die Stimmung nicht verderben,« sagte der Kleine, »weil wir doch die glücklichsten Menschen der Welt sind. Du hast ein gutes Herz, du bist auch glücklich, ja, denn sonst würdest du nicht so lächeln. Ich kenne Lachen und Lächeln der Menschen genau, ich war da, wo man selten lacht, verstehst du. Du bist so glücklich, daß du Scherze treiben mußt. Sieh, Bruder, ich sehe deine Hände an. Du bist kein Bahnwärter, nein –«

Haha!

»Nein. Hat ein Bahnwärter eine Brieftasche? Wo hast du das schon gesehen? Ein Bahnwärter spricht auch ganz anders. Ich bin Reisender und kenne die Bahnwärter also besser als du. Wer sollte auch so ein Narr sein, daß er zweitausend Mark bezahlt, wenn man ihm seinen Hund zurückbringt? Wir sind doch nicht in Amerika! Ich weiß wohl, daß du aus dem Schlosse da drunten bist, vielleicht der Herr selbst –?«

Ich lachte.

»Schlaukopf, Schlaukopf! Soll ich jedem sagen, weshalb ich glücklich bin?

Nun, dir kann ich es sagen, das mit dem Hunde war freilich Lüge. Aber ich will dir die Wahrheit sagen. Ich habe heute einen Brief von meiner Frau erhalten. Sie ist im Bad. Ein Kind hat sie geboren, einen Knaben!«

»Aha! Aha! Ja, das sitzt schon tiefer, das Glück! Gratulation, Gratulation!«

»Danke, danke!«

Ich mußte mich abwenden. Plötzlich hatte ich Tränen in den Augen. Wie dumm das war!

Der Kleine blinzelte. Er schüttelte eigentümlich den Kopf. »Was ist mit dir?« sagte er. »Du bist so sonderbar – so sonderbar bist du – ei, ei –?«

»Es ist nichts,« rief ich und lachte und warf den Kopf zurück in den Nacken.

»Desto besser. Es schien mir so – auch dein Lächeln ist so eigentümlich. Lebe wohl! Noch eines, eine Aufrichtigkeit ist die andere wert, Freund! Sieh mich nur an, mein Gesicht, meine geschorenen Haare. Wenn du nicht blind bist, so weißt du, aus welchem Krankenhaus ich komme. Vier Jahre! Es war ein schlechter und leichtsinniger Streich. Vorbei, vorbei – lebe wohl.«

Wir schüttelten uns die Hände.

Der Kleine stieg mit raschen Schritten ins Tal hinunter. Er wandte sich dazwischen um und jauchzte und schwang den Hut.

Und ich schwang den Hut und jauchzte Antwort.

Bald sah ich ihn nicht mehr, er tauchte in die Dämmerung unter.

Aber ich hörte noch lange Zeit den jauchzenden Gruß und ich antwortete, bis ich nichts mehr vernahm.

Ein herrlicher Tag!


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