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17

Es zog eine drohende Wolke herauf über unseren Himmel, eine finstere Wolke, sie drückte mich nieder. Ich schlug an meine Brust, brach in die Knie und betete zu dem großen Geiste.

Die drohende Wolke zog vorbei, sie zerschmetterte mich nicht. Lange danach erst kam der Blitz, da der Himmel wieder klar und leuchtend war – –

Ingeborg erkrankte.

So begann es. Wir saßen auf der Wiese am Waldesrande, die Ingeborg Honigtröpflein taufte. Da standen viele gelbe Blumen, aus denen Honig tropfte. Man roch den Honig schon von weitem, ein Heer von Bienen brummelte immerzu auf der Wiese. Da saßen wir in der glühenden Sonne, aber Ingeborg fröstelte.

Wir gingen nach Hause, durch den Park, Ingeborg schmiegte sich an mich. Plötzlich stieß sie einen Schrei aus. In der Allee stand eine Statue, die das Schweigen darstellte, eine Frau, die zwei Finger an die Lippen legte. Die Blässe des Marmors hatte Ingeborg erschreckt. Am Abend erholte sie sich wieder. Karl speiste mit uns, wir waren guter Dinge, plauderten, lachten.

Aber am andern Morgen war Ingeborg krank.

Ich jagte in die Stadt und holte einen Arzt, depeschierte in die Hauptstadt. Der Weg führte durch den sommerstillen Wald, die Vögel zwitscherten. Mein Herz war unruhig, meine Ungeduld flog vor mir her. Ich jagte durch Dörfer und Ortschaften, die Leute drohten mit der Faust. Es kam auf ein Dutzend dieser Bauernkaffern nicht an.

Der Arzt verstand nichts. Auch Karl verstand nichts, oder er stellte sich so.

Ingeborg lächelte.

Es ginge vorüber, heute Abend wolle sie wieder aufstehen.

Niemand schien zu hören, daß sie hastig sprach, fast plappernd wie ein Kind, niemand schien den metallenen Glanz in ihrem Auge zu sehen.

Karl las vor. Ich hörte nicht, was er las, nur dann und wann trat ein Bild vor mein Auge, farb- und konturlos wie ein abgewaschenes Aquarell. Ingeborg schlief ein.

Ich saß allein bei Ingeborg im weißen Zimmer. Die Angst nagte an meinem Herzen. Goldene Dämmerung kam ins Gemach, Ingeborgs Haare glänzten wie Erz. Ihre Brust hob und senkte sich langsam, diese gleichmäßige Bewegung brachte Frieden in mein Herz. Unwillkürlich atmete ich im selben Takte, dann fiel es mir auf, wieder begann die Angst zu nagen. Es wurde dunkel, Ingeborgs Haare schimmerten, die Dämmerung senkte sich immer dichter über sie, es war, als entwiche sie mir. Ich zündete eine Kerze an. Da erwachte Ingeborg.

Sie blickte mich mit großen Augen an und es schien, als besänne sie sich.

»Wie spät ist es, Axel?« fragte sie.

Der Abend sei eben gekommen.

»Dann muß ich noch lange schlafen,« sagte Ingeborg. Aber sie schlief nicht wieder ein. Es sei heiß. Ihre Wangen glühten. Ich öffnete ein Fenster, ein kühler Wind wehte, wie nach einem Gewitter, ich mußte es wieder schließen, über den Himmel zogen schwere hängende Wolken, die die Wälder streiften. In der Ferne dampfte es, es regnete. Ich legte kalte Tücher auf Ingeborgs Stirne, aber im Augenblicke waren diese Tücher warm. Ingeborgs Augen waren feuchtglänzend, wie blaues und weißes Email.

»Nun bin ich krank,« sagte Ingeborg und nickte müde. Sie schloß die Augen.

Die Nacht kam. Karl ließ fragen, ob er mir irgendwie behilflich sein könnte. Nein, danke. Langsam gingen die Minuten. Der Wind wurde stärker, er fauchte gegen die Scheiben, zuweilen murmelte er, als schüttele ihn die Kälte. Es rumorte in den Bergen und Wäldern von fernem, dumpfem Donner.

Es zogen Gedanken hin und her in meinem Kopfe, eine Stimme flüsterte in mir. – –

Das große gelbe Haus mit den vielen Zimmern lag ganz still, als wohne niemand darinnen als die Bilder an den Wänden und Erinnerungen.

Man hörte weder Türen noch Schritte, und der Hof lag ebenfalls ohne Laut wie am Sonntage, wenn das Gesinde in der Kirche war. Nichts rührte sich, kein Ruf, kein Schritt. Dieses Schweigen war hörbar und es kam mir vor als verdichte es sich von Stunde zu Stunde.

Ich setzte einige Uhren in Gang. Nun hörte man nichts als diese Uhren. Das Schweigen aber wuchs, es breitete sich immer dichter um das Haus. Alles schien zu lauschen auf einen Schritt in der Ferne, der näher kam.

Eine Stimme flüsterte in mir. Ich verschloß ihr mein Ohr. Ich wollte sie nicht hören.

Der Arzt aus der Hauptstadt traf ein. Er sagte, daß Ingeborg eine außergewöhnlich kräftige Natur habe. Da flüsterte die Stimme in mir lauter, es waren nun zwei Stimmen, die in mir flüsterten. Ich hörte sie, aber ich glaubte ihnen nicht. Ich ging umher und trug ein gleichmütiges, ja ein zuversichtliches Gesicht zur Schau.

Die Stunden waren endlos. Bis die Nacht kam, bis die Nacht verging! Es waren kühle stürmische Gewittertage, die Wolken fingen sich in den Bergen und fanden keinen Ausweg mehr. Langsam schleppten sie sich im Kreise und knurrten.

Ich schlief nicht. Ich spürte keine Müdigkeit, aber mein Gehör schlief ein. Ich ließ Ingeborg nicht aus den Augen, es gab Kissen zu richten, Fruchtsaft zu reichen, Eis aufzulegen. Ich ließ niemand ins Krankenzimmer außer dem Arzte. Er hatte im Schlosse Wohnung genommen.

Ich trug Ingeborgs fiebernden Körper ins Bad und zurück ins Bett, ich war kräftig, im übrigen war es meine Ingeborg, und niemand hatte ein Recht, sie zu pflegen außer mir.

Schlafen Sie doch! sagte der Arzt. Sie sind selbst krank! Nein! sagte ich.

Es kam eine Nacht, da saß Ingeborg plötzlich steif im Bette mit langem Gesichte, glitzernden Augen, und zählte an den Fingern etwas ab.

»Sieben Zettelchen, es sind sieben!« rief sie mit der Stimme eines erschrockenen Kindes.

Ich erblaßte. Da war es!

Stundenlang phantasierte Ingeborg, bis sie ermattet in die Kissen zurückfiel.

Viele Stimmen schrien in mir, so laut, daß ich sie hören mußte. Sie ist verloren! schrien sie. Und eine schrie unausgesetzt: Ingeborg! Ingeborg! Und eine betete, betete wirre, entsetzte, hilflose Worte, immerzu.

Tag und Nacht waren die Stimmen in mir.

Pazzo heulte im Hofe. Er ahnte, daß die Herrin in Gefahr schwebte.

Ich taumelte hin und her in meinem Zimmer. Ich weinte nicht, ich klagte nicht, nein, ich betete nicht. Die Stimmen waren in mir. Es war nun auch eine Stimme in mir, die unausgesetzt weinte. Aber ich weinte nicht. Ich taumelte in meinem Zimmer hin und her.

Ich nahm ohne Gedanken ein Federmesser vom Schreibtisch und stieß es mir in die Hand. Ich spürte nichts, es blutete. Ich sah das Blut, ja, ich hatte mir das Federmesser in die Hand gestoßen, wann denn, warum denn?

Es kam noch eine Stimme in mich hinein, die schrie unausgesetzt: Hilfe, Hilfe! Sie rang die Hände, die Stimme rang die Hände. – – –

Ich habe gerungen mit Ingeborg, mit aller Kraft, sie war stärker als ein Mann, ich mußte sie zurückhalten, ich mußte ihr wehe tun. Sie jammerte, jammerte. Sie wollte in den Wald laufen. – – –

Ob etwa eine seelische Erregung vorhergegangen sei? fragte der Arzt.

Liebe, Liebe, mein Bester! – – –

Der Tag kommt und geht. Die Nacht kommt und geht.

Nun lebt kein Schweigen mehr im Hause. Nun lebt der Schrecken im Hause. Wo man hinsieht, kauert er, in allen Gesichtern kauert er und wo man hinhorcht, hört man ihn. Ingeborgs Rufen und Jammern wird für immer in den Sälen des Hauses bleiben.

Der Arzt mißt die Temperatur, zählt den Puls und gibt Befehle. Seine Mienen sind verschwiegen, er zuckt die Achseln.

Ich bin bleich und verstört, ich verstehe nicht, was man zu mir sagt. Mein Körper ist wie gelähmt, ich kann keine Miene mehr bewegen, aber ich schlafe nicht.

Auf einige Minuten überfällt mich hin und wieder der Schlaf, das ist alles. Ich blicke in den grauen Wald, über dem die geballten Wolken hängen, und der Schrecken greift in mein Herz. Ich blicke auf Ingeborg, die ohne Bewußtsein liegt, und es ist mir als presse eine Hand mein Herz zusammen wie eine Frucht.

Wie gut ist Karl! Er schläft nicht. Er sitzt nebenan im weißen Salon, einen großen Atlas auf den Knien und studiert Geographie. Es ist hübsch, wie ein Vogel über die Kontinente da unten zu fliegen, sagt er. Ich weiß wohl, daß ihn die Kontinente gar nicht interessieren, daß er leidet und es niemandem zeigen möchte. Und er beginnt stets von einem ähnlichen Falle zu sprechen, so oft er mich sieht.

»Meine Schwester – zwanzig Tage – welch ein Fieber, Axel! Heute lachen wir, tolles Zeug sprach sie.«

»Mut! Axel, schlafe! Wir wachen ja. Der Alte sagt, Ingeborgs Natur sei außerordentlich kräftig.«

»Es ist schon gut, danke,« sage ich und begebe mich wiederum zu Ingeborg. Ich friere, meine Kleider sind durchnäßt, aber ich habe ja keine Zeit, sie zu wechseln. Sodann ist es ja auch höchst einerlei, ob meine Kleider naß sind oder nicht. Man mußte an einen Soldaten im Kriege denken, acht Tage keinen Schlaf, acht Tage im Schneegestöber mit zerschossenen Fingern, man mußte an einen Seemann denken, acht Tage Sturm. Meine Füße sind erstarrt, ich fühle den Boden nicht mehr, wenn ich gehe, bergauf, bergab scheine ich zu steigen, oft ist es mir, als ob ich auf den Knien ginge.

Ich weiß nicht wie lang mein Arm ist. Ich halte die Hand hinaus und ich glaube, mein Arm sei so lang, daß ich die Türe öffnen könnte, ohne vom Stuhle aufzustehen. Zuweilen denke ich, ich sei umgefallen und liege auf dem Boden, aber ich sehe doch, daß ich aufrecht stehe. Das Zimmer schwankt wie ein Schiff.

Aber sobald ich bei Ingeborg bin, sammeln sich meine Kräfte und ich verspüre weder Müdigkeit noch Schlaf.

Zuweilen erwachte Ingeborg und sie erkannte mich und sprach einige Worte.

Die Stimmen in mir jauchzten. Alle Stimmen waren zu einer geworden und diese jauchzte, jauchzte.

Ihre Stimme klang verändert, kindlich und ein wenig heiser. Häufig vermochte sie es nicht ihre Gedanken zu sammeln. Aber dann sprach sie durch einen Blick, eine Bewegung der Hand und ich wußte, was sie sagen wollte. Sie war blaß und schmal, die Haare umhüllten ihren Kopf und ihre Schultern.

»Ich bin wohl sehr krank?« fragte sie. Ich lächelte und entgegnete ihr, daß es nun schon besser mit ihr ginge.

»Axel, ich möchte den Himmel sehen!«

Ich zog die Vorhänge zurück, es regnete, die Wälder lagen grau. Eine hohe dunkle Wetterwolke stand drohend am Himmel und ängstliche Vögel flatterten weiß wie Asche hin und her vor ihr.

»Wie geht es unserer kleinen Birke, Axel?«

»Sie ist traurig, daß sie dich nicht sehen kann, Ingeborg.«

»Was tut sie?«

»Sie steht im Regen, wie ein Kind, das nicht ins Haus kann und wartet. Ihr Stamm sieht schneeweiß aus, ihre Blätter hängen durchnäßt nach unten und regen sich nicht.«

»Ist unsere kleine Bank da?«

»Freilich, Ingeborg. Die Regentropfen zerspringen auf ihr.«

»Wie sieht sie aus?«

»Vielleicht wie ein gelber Hund, der an die Birke angebunden ist und den sein Herr vergessen hat.«

Ingeborg neigt den Kopf zur Seite und lächelt müde.

»Was ist auf der Straße zu sehen, Axel?«

»Tiefe Räderspuren, in denen das Wasser rieselt. Grauer Schlamm ist sie. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Man sieht so wenig, daß du glaubst auf dem flachen Lande zu wohnen.«

»Einen Vogel siehst du wohl nicht, Axel?«

»Doch, Ingeborg. Ein ganz kleiner sitzt dort auf einem Apfelbaum.«

»Was tut er?«

»Er sitzt unter einem kleinen Dache aus Blättern und schaut dann und wann heraus, in den Himmel hinauf, ob es noch nicht bald zu regnen aufhört.«

Ingeborg blickt in eine unbestimmte Weite. Lange. Tränen treten in ihre Augen.

»Nein,« sagt sie dann, »es ist unmöglich!« Sie schüttelt langsam den Kopf; es ist als wiege sie ihn hin und her.

»Was meinst du?«

»Ich kann nicht sterben. Es ist unmöglich!« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Ein krankes, mattes Kindchen sei sie. Ich nehme ihre Hand. Es ist keine Kraft in den langen, abgezehrten Fingern.

»Ingeborg, ich liebe dich.«

Ingeborg nickt müde und lächelt.

»Ja,« sagte sie, »ja,« und blickt in die Weite.

Ich rufe Karl. Karl tritt ein.

»Hallo!« ruft er. »Nun geht es ja wieder gut, Frau Ingeborg!«

Ingeborg lächelt und nickt.

»Ja,« sagt sie und blickt in die Weite.


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