Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16

Es ist schön an diesen Sommer zu denken, ihn immer wieder zu durchwandern, durch seine Sonne zu gehen, seine Sonne, nicht die eines anderen Sommers. Ich habe ja seine Sonne im Gedächtnis, sie brennt noch auf meinen Händen und glüht noch um mein Gesicht.

Es ist schön diesen kühlen weißen Korridor zu durchwandern, die Türen zu öffnen, zuzuschlagen, zu Freund Bluthaupt hinaufzusteigen und eine Zigarette bei ihm zu rauchen, ja, es ist eine Lust, in diesen Wald dieses Sommers zu gehen, Ingeborg an der Seite, eingehüllt in Ingeborgs Liebe, die so warm ist, so warm.

All das ist schön. Es ist schön, in den verwilderten Park hineinzulaufen, zu rufen, zu singen.

Nun gehört dieser Park Anton Kreidmeier, einem Knechte.

Ich habe nichts vergessen, nein. Manches ist verschmolzen wie ein Schmuckstück, das man ins Feuer warf, aber vieles steht ganz klar vor mir, scharf, einzeln, für alle Zeiten ist es in meinem Kopfe. Ich bin reich, zuweilen schmerzt mich mein Reichtum, aber nur zuweilen.

Ich habe einen schmalen Riß in der Hand, er rührt von Ingeborgs Busennadel her, all die Jahre ist er nicht vergangen. Oft sehe ich diesen Riß an, ganz zärtlich betrachte ich ihn, ja, ich habe ihn schon gestreichelt. Ach, ich weiß, ich habe einem Manne auf einem Schiffe eine Geschichte über diesen Riß erzählt – er sah schlecht – er vermochte ihn kaum zu entdecken – einem mir gänzlich unbekannten Manne, eine rührende Geschichte von einem Hunde, der diesen Riß verursachte, nur um über diesen Riß sprechen zu können, da ich gerade an ihn denken mußte. So bin ich, muß ich an etwas denken, so komme ich nicht los davon, bis ich es hundertmal gedacht habe, ich muß fortgehen, hinauslaufen, immer wieder von vorne anfangen und an das bestimmte denken. Das ist mir geblieben, es ist recht gut zu vergleichen mit dem vernarbten Riß in der Hand.

Ich betrachte diesen Riß, ich fühle ein Paar Lippen darauf, die das Blut aufsaugen, ich sehe sie, diese gespitzten Lippen, diese bittenden lächelnden Augen, die mich von der Seite her anblicken, um Verzeihung bitten für etwas, was nicht der Rede wert ist, ich fühle ein paar Haare, die mein Handgelenk streifen. Ich spüre den Geruch dieser Haare. Worte höre ich. Ich höre das Wort mein. Diese Stimme die es sagt, ist weich und zärtlich, sie spricht noch ein kurzes I nach dem Ei, mei–in spricht sie. Ich könnte diesen kleinen Riß küssen und ihm danken, wäre er nicht auf meiner Hand. Ich tue es nicht. Wer hätte je gedacht, daß dieser unscheinbare Riß, das unscheinbarste Ereignis in einer Stunde, in der sonst noch viel geschah, mir so viel werden könnte, aus einer Zeit, da es viele Stunden gab, viele, viele Stunden, da ich die Stunden nicht zählte? Er ist mir nun alles, ja, ich muß sagen, jetzt in dieser Minute ist er mir alles, mein ganzes Besitztum, mein Liebling, mein Glück! Ich sehe ihn ja wiederum wochenlang nicht. Denke nicht an ihn, habe viele viele andere Dinge, die mich reich machen, in Entzücken versetzen, aber jetzt, ja jetzt ist er mir alles! –

Die Nachtigall hat uns verlassen, die Lerche brütet zum zweitenmal, die Kirschen sind rot. Viele Bäume sind schon geleert. Grüne Äpfel und Birnen, mit Flaum bedeckt, sieht man an den Bäumen. Die Erde fiebert. Sie ist Mutter, milliardenfach Mutter, hat viel zu tun und wird nicht müde, mit heißen Wangen schafft sie.

Die Sonne funkelt, der Himmel ist blau wie Stahl, stille weiße Wolken sind über ihn verstreut wie weiße Segel über ein Meer.

Was dachte ich? wie war ich?

Ich sehe mich herumgehen. Ich trug einen weißen Anzug, meine Hände und mein Gesicht waren braun von der Sonne. Ich ging mit weiter vorgereckter Brust. Ich ging leicht dahin, der Boden wippte unter meinen Füßen, ich war nie müde, ich hatte immer das Gefühl zu schweben. Leicht geriet ich ins Tanzen. Ich ging in meinem Zimmer auf und ab, da passierte es mir oft. Rotes Viereck, blaues Viereck, meine Füße kaprizierten sich auf das rote Viereck. Rotes Viereck rechts, rotes Viereck links, – da tanzte ich schon. Oft schlich ich, ich ging leise, ganz leise. Weshalb aber ging ich doch nur leise?

Ich ging tief hinein in den Wald, wo er dunkel wurde und seltsame glänzende Pilze wuchsen und schillernde Fliegen, dort fing ich an zu singen, ich sang so laut ich konnte, unsinniges Zeug sang ich. Oder ich sang Ingeborgs Namen, ich sang so laut ich konnte und lauschte auf den Widerhall. Ich ging durch den Wald, alle Blätter hätte ich küssen mögen, jedes einzeln, vorn und auf der Rückseite. Viele küßte ich auch. Denn es konnte sein, daß eine plötzliche Welle von Glück über mich stürzte, dann mußte ich wohl oder übel die Blätter küssen.

Ich ging um den See herum, der im Parke lag, ich erinnerte mich plötzlich eines Wortes, eines süßen Wortes, das zwei Lippen mir aufs Ohr küßten.

Die Welle des Glückes stürzte über mich, ich zog die Ringe vom Finger und warf sie in den See, ich zog die Nadel aus meiner Binde und warf sie in den See.

Niemand sah es.

Immerzu sang es in mir.

Wir wollen uns schmücken, mein Mädchen, denn unser Glück ist gekommen! Laß uns Kränze von Rosen auf dem Haupte tragen, da es Sommer ist, gib mir deine Hände, du Liebe, sieh, wir wollen die Arme schwingen und tanzen, da die Wiesen grün sind!

So sang es in mir.

Einmal da stand ich am Fenster und die Sonne ging unter. So schön ging sie unter, das Tal leuchtete, alles hielt der sinkenden Sonne sein Geschenk entgegen, die Gräser funkelnde Rubine, die Wälder goldene Schleier, der Fluß Feuer, ein Winken war es, ein heiteres Abschiednehmen, und die Sonne lächelte und sank. Da kam es über mich, da ich die Freude sah und die Dankbarkeit des Tales und das Lächeln der Sonne, da ich so glücklich war, so reich, ich lächelte, aber es kam über mich, und ich mußte weinen, ich lächelte und weinte zu gleicher Zeit.

Wie ich weinte, faßte mich eine Hand und ein Paar Augen blickten mich an. »Du weinst, Axel?«

Ich lachte, die Tränen spritzten über mein Gesicht, weil ich beim Lachen den Kopf schüttelte, ich zog Ingeborg an mich und sie blieb regungslos bei mir, nur ihre Lippen bewegten sich unmerklich, sie küßte immerzu mein Herz. – – –

Der glückliche Mensch! Ich kann dir wohl sagen, wie er aussieht, wie er außen und innen aussieht!

Schön macht das Glück, weise und gut.

Wie ein junger Gott wandelt er, der Glückliche, er geht nicht, er wandelt. Rosen auf dem Haupte, Rosen auf den Wangen, Rosen in seinem Kopfe, was er berührt, das lebt, was er anblickt, das leuchtet. Feuer ist seine Stimme. Er steht auf seiner Höhe und blickt auf die Dinge und versteht sie, von oben blickt er auf alles und versteht, denn alle Dinge kommen aus Glück und Unglück hervor. Er versteht die großen Herzen und die kleinen, die glühenden und die vereisten, er versteht das Lied des Vogels und eines Dichters Vers.

Wisse, daß er Freude um sich streut, es gibt viele Bettler auf dem Wege des Lebens, und die meisten erkennt nur das Auge des Glücklichen. Er sucht. Er hat einen Feind, den er grimmig haßte, viele Jahre, einen der ihn bitter verriet, er ist glücklich, schreibt an ihn, laß es gut sein, schreibt er an ihn, es ist vergessen, neue Tage sind gekommen. Mit Tränen in den Augen schreibt er es, sein Herz strömt über. Er wandert zu dem Trotzigen, pocht an seiner Türe, pocht und pocht, bis er öffnet. Verzeihe, verzeihe, sagt er, ich, ich war ja schuld –

Schon manch einen habe ich gekannt, der Geld und Gut und Ehre verschenkte, weil er glücklich war, ja der selbst sein Glück verschenkte, da er glücklich war, und arm davontanzte in einem Hemde.

Wisse, so macht das Glück, daß sich einer ans Kreuz schlagen läßt und seinen Mördern nicht flucht, ja, es kann geschehen, daß einer lügt und den Menschen Paradiese erdichtet, weil er glücklich ist.

Eine Lawine von Glück rollt er durch Jahrtausende.

So ist das Glück: Sprichst du davon, so mußt du sprechen, tausend und tausend Tage und Nächte und du findest kein Ende, immerzu mußt du sprechen, immerzu –

Zwei glückliche Menschen wohnen da oben im Bergwalde.

Ich sehe ein kleines Lichtchen brennen in einem dunkelen Zimmer. Ein kleines Lichtchen, ich sehe ein Lächeln, ein Gesicht, das in goldenen Haaren schwimmt.

Ich höre flüstern. »Ich bin dein.«

Ich bin dein, ich bin dein.

Sommernacht, du bist ein dunkelblauer Edelstein.

Sommernacht, du bist ein duftender Hauch aus Gottes Munde. Sommernacht, du bist das klare gütige Auge einer jungen Mutter.

Ist nicht das die Sommernacht, ein warmer dunkelblauer Wald, ein nacktes Kindchen im Moose, das mit einem brummelnden Bären spielt? Ist nicht das die Sommernacht, ein Zwerg sitzt auf einem Brunnenrande und blickt in einen Spiegel? Ist nicht das die Sommernacht – ein Gesang aus der Ferne – ein Winken irgendwo – ein Kuß in der Luft – – ein Seufzen – – ein Blitz von Blut –

Ich bin dein, ich bin dein!

Ich denke an den Leib eines Weibes, der zu blühen beginnt. Das träumte ich einmal, es standen rätselhafte Worte auf den Lidern des Weibes – weiße Augen – Augen wie Lichter –

Ich denke – – Tiefen öffnen sich, die Welt schlägt ihr Auge auf und blickt mich an – ich knie vor Gottes Thron und Gott flüstert mir seine Geheimnisse ins Ohr.

Ich bin dein, ich bin dein!!

Die Welt steht still, es ist weder dunkel noch hell, laut noch leise. Es flüstert.

»Siehst du meine Augen?«

»Ja, ich sehe sie. Sie brennen.«

»Deine Augen sind eine glänzende Nacht. Sterne sind darin.« Es flüstert.

Es ist ein Sprühen und Schreiten ringsum. Alte uralte Götter wandeln um uns. – –

Sommernacht, du bist ein dunkler Zypressenhain, durch den uralte Götter wandeln mit langen Bärten. Sie tragen die Bärte auf den Armen, um nicht daraufzutreten, es ist dunkel, ihre Augen leuchten – –

Diese Dinge, die kein Mensch erfassen kann, kein Mensch denken kann – –

Der Tag graut, es wispert in meinem Zimmer, es kichert. »Der Mond fällt rückwärts in den Wald,« sagt Ingeborg und kichert.

»Was sieht er wohl alles in einer Nacht?« sage ich.

Ingeborg kichert.

»Mir fällt eben ein, Ingeborg, erinnerst du dich, ein Mann hat geschrieben: Des Lebens ungemischte Freude –?«

»Ja, o Axel, ein armer, armer, unglücklicher Mann war das –«

»Hahaha!«

»Sind wir Kinder?«

»Ja, ich bin so fröhlich, so leicht. Ich fliege. Ich könnte ohne Aufhören lachen, lachen!« – –

Auf der Wiese vor dem Schlosse stand eine kleine schlanke Birke. Sie hatte seidenweiche junge Blätter, die immer etwas zu wispern hatten, und eine Rinde so weiß und weich wie das Fell eines Kaninchens. Vor diese Birke zimmerten wir eine Bank, Ingeborg und ich. Einen Tag brauchten wir dazu, bis wir die Pflöcke zuspitzten, das Brett sägten. Wir lachten viel bei der Arbeit und Ingeborg fieberte vor Eifer.

Viele Abende saßen wir auf dieser kleinen Bank und sahen zu wie die Sonne unterging.

Wir saßen wieder auf der Bank unter der Birke und der Abend begann zu glühen.

»Euch Göttern schreiben wir einen Brief! Wir Ingeborg und Axel!« sagte ich.

»Beginne Axel!« sagte Ingeborg.

Und ich begann: »Ihr Götter, ihr guten Götter, ihr habt eure guten und eure schlechten Tage wie wir Menschen. An euern schlechten Tagen, da schafft ihr Menschen mit gewöhnlichen Gesichtern und einer Seele nicht tiefer und wärmer als eine Regenpfütze im März.

Aber an euern guten Tagen, da schafft ihr Menschen mit einem Antlitze, unvergeßlich, mit einer glühenden tiefen Seele. An eurem besten Tage, da schufet ihr Ingeborg.«

»Ihr guten Götter, ihr habt gewiß große Ohren, dann hörtet ihr was Axel sprach und ihr vernahmet seine sanfte Stimme. Seht euch sein Gesicht an und ihr wißt, wie gütig er sein muß.«

»Ihr Götter über den Wolken, ihr kennt Ingeborg wohl, dann begreift ihr auch und ihr verzeiht mir, daß ich nicht mit euch über den Wolken wandeln möchte, trotzdem ihr Götter seid.«

»Das möchte ich auch nicht!« schrie Ingeborg. »Nein, ihr alten freundlichen Götter. Aber ich bitte euch, straft uns nicht für unsern Frevel!« – –

Wir saßen wieder auf der Bank unter der kleinen Birke. Die Bank hatte gerade Raum für zwei Menschen.

Es war in der Stunde, da die Sterne noch nicht aufgegangen sind und man sie doch alle mit den Blicken ahnt.

Ich sagte: »Ingeborg, du bist mein Liebling, und mein Herz ist so reich geworden, seitdem ich dich küßte.«

Ingeborg sagte: »O, Axel, ich erschrecke vor Freude, sehe ich deinen Schatten um die Ecke kommen. Das Blut weicht aus meinen Wangen, wenn ich deine Stimme höre. Es ist mir unbegreiflich, daß ich deine Küsse ertrage, ohne zu sterben.«

Ich sagte: »O, Ingeborg, ich bin ein Garten, ein blühender Garten. Ich bin in Blüte, Ingeborg!«

Ingeborg sagte: »Ich sehe alle Dinge verändert, und liebe sie mehr als je. Ich liebe die Steine sogar, die auf der Straße liegen. Auf allen Dingen scheinst du zu sein. Die ganze Welt ist ein Spiegel geworden, der dich mir zeigt. Ich habe dein Lächeln schon im Laube einer Buche gesehen und deine Hand in einer Wiese, die sich bewegte. Ach, käme doch etwas, wodurch ich dir meine Liebe zeigen könnte. Ich würde betteln gehen für dich, von Haus zu Haus –«

Ich sagte: »Ich höre kaum was du sagst, ich höre nur deine Stimme. Sie singt mich in den Tod. Das ist herrlich. Das ist herrlich, die Augen zu schließen und in Gedanken der Linie deines Profiles zu folgen.

Das ist herrlich, deine Haare anzusehen, ich habe jedes Fünkchen deiner Haare im Gedächtnis. Wie sind deine Haare? Sie sind als ob sie überall Augen hätten. Das ist herrlich, deine Wimpern haben einmal meine Schultern berührt, immerzu fühle ich es – jetzt – in jeder Minute –«

Ingeborg sagte: »O, mein Geliebter, wirst du mich immer so lieben?«

Ich sagte: »Warum fragst du, süße Herrlichkeit?« Ingeborg sagte: »Ich weiß es, ja! Aber doch sollst du mir es im Tage einmal sagen und tausendmal, daß du mich liebst.«

Ich nahm Ingeborgs Hände und legte sie auf meine Brust, ich öffnete das Hemd, so daß sie meine nackte Brust berührten.

Und ich sagte: »Ich werde dich lieben in alle Ewigkeit, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich – –«

So ist das Glück: Sprichst du davon, so mußt du sprechen, Tag um Tag, Nacht um Nacht, du kannst nimmer aufhören, nein, das kannst du nicht, du mußt sprechen, sprechen – schreien – flüstern – immerzu – –


 << zurück weiter >>