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28

Es kamen die Tage des lauten Schmerzes.

Allmächtiger Geist über den Sternen, Vater der Menschen, habe Erbarmen mit mir. Ein neues Herz, ein neues Hirn! Ich flehe dich an, ein neues Herz, ein neues Hirn! Erbarme dich meiner! – –

Ein Gebet war in mir, meine Lippen flüsterten es nicht, meine Seele sprach es. Einst lag ich in der Nacht im Walde, da hörte ich, wie meine Seele es sprach, ich lauschte, ich verstand. Es waren diese Worte.

Ich dachte, ich könnte nicht unglücklicher werden, als ich in jener ersten Nacht war. Ich dachte, ich hätte den tiefsten Grund des Unglücks erreicht. Nein. Es sollte in die Tiefe mit mir gehen, jene erste Nacht war die erste Stufe, dann ging ich Stufe um Stufe abwärts, immer tiefer, immer tiefer.

Ich habe die Hände gerungen, ich lag Nächte hindurch im Walde und preßte die Zähne zusammen, ich irrte umher, durch Nacht und Regen, mit verwirrtem Sinn. Die Bäume woben sich zu Ingeborgs Antlitz, die Wälder, die Wolken, wo ich hinsah, da war es, da lächelte es, da schimmerte es. Ich sah es im Sternenhimmel. Und schloß ich die Augen, so war es in mir, in mir da funkelte Ingeborgs Antlitz in den Farben des Brillanten. Überall waren Rufe, überall ein Flüstern, ein Lächeln, Worte, Gesang.

Daß ich doch krank würde! Krank, lange Wochen und dann erwachte, erneuert, gesund – – o, o! Daß ich doch körperliche Schmerzen zu ertragen hätte, die mich vergessen ließen, was da innen so wehe tat.

Einmal hagelte es, ich weiß es, ich nahm den Hut ab, die Schloßen schlugen mich auf den Kopf, ins Gesicht, auf die Lippen und Augen, es war wie eine Züchtigung, die der Himmel über mich verhängte. Das tat gut. Ich verstand viel, viel, was ich nie verstanden hatte. Die Klöster, wo sie kein Wort mehr sprachen, nur knieten, knieten, lange Gänge entlang rutschten auf den wunden Knien, ich verstand die Flagellanten, die sich den Rücken geißeln, die Einsiedler in den Wüsten. Das war eine Wonne, o, das war ja eine Wonne gegen all das andere, gegen das da innen.

Ich verstand die Trinker, die Verbrecher, die Elenden, die Verworfenen.

Ich erinnerte mich an Harry Usedom, wie er vor uns im Walde stand und mit den Fingern auf sein Herz trommelte. Ich erinnerte mich an Claire Davison, wie sie vor mir stand, einst, wie sie drei Worte sagte: Leben Sie wohl! Ich verstand sie nicht, nicht diesen Blick. Ich habe gesündigt an ihr, schwer gesündigt.

O, wenn dich einer liebt, so sei gütig und schonend gegen ihn, wandere, wandere, bis du ihn findest, wirf dich in die Knie und danke ihm!

Ich irrte umher. Tage und Nächte. Lange Tage kam ich nicht in mein Haus zurück. Lange Tage kam ich nicht in eine menschliche Wohnung. Ich war da tief drinnen im Walde. Ich redete mit mir, mit den Bäumen – –

Ein neues Herz, ein neues Hirn! Es betete in mir, betete – –

Ich habe Ingeborg oft gesagt, daß ich sie liebe. Nein, ich liebte sie nicht. Ich glaubte es, ja, ich log nicht, aber ich liebte sie in dem Augenblick erst, da sie mich verließ. Ich wußte nicht, was Liebe ist, nein. Nun wußte ich es. Ich fand kein Wort mehr für diese Liebe, die die richtige war. Flammen, Brausen, das war sie. Sie zerriß mein Herz. Es war, als schnitten Messer kreuz und quer in meinem Herzen. Das war sie.

Ich ging durch den Wald, es war Nacht, es brauste im Walde, die Blätter fielen.

Ich ging, ich ging neben Ingeborg einher. Ich sprach mit ihr. »Ich liebe dich,« sagte ich, »Ingeborg, jetzt, ja, jetzt liebe ich dich! Jetzt bist du in mir, jetzt – keine Worte –« Die Tränen stürzten mir aus den Augen. Ich kniete nieder und drückte die Stirne in den Boden.

»Jetzt liebe ich dich, Ingeborg, jetzt.« Es stach in mein Gesicht, Nadeln stachen und Ästchen, ich drückte die Stirne tief hinein, es schmerzte, ich hob das Gesicht, es war gespickt mit Nadeln.

»Jetzt liebe ich dich, Ingeborg! jetzt!« – – –

Wenn aber Gott aus seinem Sternenwagen gestiegen wäre zu mir herab in den Wald, wo ich litt und verzweifelte, wenn er es getan hätte und gesagt: Ich will dir ein neues Herz geben, ein neues Hirn! Siehe, jetzt lösche ich alles aus, alles.

Nein, nein, mein Gott, tue es nicht!

Das hätte ich geschrien.

Die Tage gingen, ich wurde ruhiger.

Ja, es ist wahr, mein Herz zitterte noch, es war, als verändere es seinen Platz in der Brust, es war, als fräße etwas daran, als hinge etwas Schweres mit scharfen Zähnen an meinem Herzen, es ist wahr, ich erwachte oft des Nachts, weil ich weinte, ich schlief auch wenig, aber ich war doch ruhiger geworden.


Ich begegnete Harry Usedom im Walde.

Wir sahen uns an. Wir grüßten. Wir gingen aneinander vorüber.


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