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13

Sommer! Unser Sommer. Wir wohnen hoch oben über dem Tale, wie Vögel in ihrem Horste. Wir fühlen uns stolz und frei, etwas vom Stolze und dem königlichen Gefühle der Adler ist in uns gekommen. Tief unten das kleine Tal, Berge, Berge, Wälder, Wälder, soweit wir blicken können. Viele Stunden weit reicht unser Blick, bis zu den fernen hellblauen Höhenzügen, die den weiten Himmel tragen. All das was wir sehen ist für uns zu einem Gesichte geworden, in dem wir lesen, lächeln kann das Gesicht, schmunzeln, es kann hilflos aussehen, es kann vor Zorn und verhaltener Wut beben, todtraurig kann es sein, gleichgültig. Es kann ein Zittern der Rührung über dieses Gesicht rieseln, wenn die feurigen Boten der Sonne am Morgen über den Himmel schweben, das Gesicht kann voller Sehnsucht der scheidenden Sonne nachblicken, verzweifeln, wenn die Sonne gesunken ist, sterben.

Der Mond kommt und kitzelt es, es lächelt, es kichert.

Wie schwebte der Mond in diesem Sommer empor! So frei und stolz und königlich still. Erstaunt sah er zuweilen aus, zuweilen lächelnd wie ein Verschwender, glänzend, als käme er aus dem Bade. Es ging ihm gut. Er blendete wie ein Spiegel aus Silber, in den die Sonne fällt. Alle Sterne waren am Platze, funkelten, er lächelte überlegen.

Die Lerche sang und trillerte in diesen weißen Nächten.

Die Sonne schüttete brennenden Wein auf die Erde, jeden Tag. Es regnete Sonne, in hellen dampfenden Bächen floß sie die vielen Wege und Pfade ins Tal hinab. Ein Dampf von Sonne lag über den Wäldern, ein roter Dampf, in dem lauter kleine Sonnen zitterten. Man mußte die Augen scharf machen und das Licht mit der Hand abblenden, wollte man durch diesen Sonnennebel hindurchspähen. Dann sah man tief unter den schlummernden Wäldern etwas Blitzendes, eine Schlange aus Quecksilber, das war der Fluß. Etwas blitzte, es zappelte, regte sich, das waren Leute, die auf den Feldern arbeiteten.

Es summte, brummte. »Horch!« sagte Ingeborg. Ja, ich hörte es, es war als ob irgendwo in großer Entfernung eine Dreschmaschine surre. Das war der Sommer.

Der Frühling klingt, der Sommer surrt, der Herbst klagt und murmelt, der Winter schweigt.

Die Wälder schliefen, sie lächelten im heißen Schlafe, heitere Träume hatten sie, der Boden war heiß, als würde Brot auf ihm gebacken. Traten wir plötzlich auf eine Lichtung, so stand das Licht vor uns wie eine Mauer, wir prallten zurück. Die Luft zitterte und farbige Feuerchen tanzten über den Gräsern.

Die Erdbeeren wurden rot, das Korn golden und die Menschen braun. Der Schweiß stand auf ihren Stirnen, in den schweißigen Augen kochte die Sonne. Langsam stiegen die Bauern die Bergstraße herauf und sie blieben oft stehen und fuhren sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Die Bergstraße war schneeweiß, mit hohem Staube bedeckt, und es ging sich auf ihr wie auf Samt. Die Spuren vieler nackter Sohlen hatten sich in ihr abgeprägt, ganz deutlich wie in Mehl.

Das Haus funkelte golden hinter den Kastanien hervor, in seinen Fenstern brannten helle Feuer. Die Wiese stand hoch und unaufhörlich wimmelte sie von Faltern in allen Farben. Ging man durch sie hindurch, so flatterten sie ringsum in die Höhe und es war als verfolgten sie einen. Prächtige Trauermäntel saßen häufig auf der heißen Treppe und sonnten sich.

Im Hause war es heiß und die blendendweißen Korridore mit den vielen Türen waren die einzig kühlen Orte des Hauses. In den Zimmern war es meistens dunkel, da die Läden geschlossen werden mußten. Steckte man einen Finger durch den Fensterladen, so konnte man fühlen, wie die Sonne ihn röstete.

Am schönsten war es im Parke. Der Park war verwildert, alt, einem Urwalde nicht unähnlich mit den dicken bemoosten Bäumen, die von allerlei Schlinggewächsen umsponnen waren. An vielen Stellen vermochte die Sonne nicht durchzudringen, sie stach mit scharfen Nadeln durch das Laub, aber sie hatte nicht die Macht, diese Dunkelheit zu zerstören. Hier war es kühl und feucht, moderig. Alle Wege des Parkes waren verwachsen und man mußte sich mit den Ellbogen Bahn schaffen. Es gab nur einen langen Hauptweg, der zum Schlosse führte. Wie ein Bach floß die Sonne im Zickzack in seiner Mitte. Hier befand sich ein Brunnen, ein rundes Becken, in dem eine dicke kurze Säule Wassers sprudelte. Diesen singenden murmelnden Brunnen, über dem immer Kühle schwebte, liebte Ingeborg ganz besonders. Sie konnte stundenlang auf seinem Rande sitzen und die Hände in das kühle grüne Wasser tauchen und das goldene Netz betrachten, das auf dem Grunde des Beckens zitterte. Es entstand durch die Brechung des Lichtes mit den kleinen Wellen, die ohne Aufhören zum Rande des Beckens eilten, und schien nach Ingeborgs Händen zu haschen.

Da saß sie und träumte, dann wandte sie sich plötzlich nach mir um und lächelte fein und voll unsäglicher Liebe. Ihr Lächeln glänzte zuerst in den Augen, dann glitt es über die Lippen. Die Lippen öffneten sich und ihre Zähne lächelten, ihre Wangen überzog ein besonders gütiges, beinahe kindliches Lächeln.

Dann sprach Ingeborg mit verträumter, weicher Stimme: »Höre wie der Brunnen rauscht!«

Sie deutete mit der Hand die Allee hinunter. Etwas Weißes schimmerte dort im Sonnenlichte, die Treppe, die ins Haus führte. Und sie sprach: »Dort wohnen wir!« Wie im Traume sagte sie es.

Und ich ging näher, legte die Hand auf ihre Schulter, so leicht es ging und sagte: »Ich liebe dich, Ingeborg.« So leise es ging.

Ingeborg erwiderte nichts darauf, sie lächelte zu mir empor, nahm meine Hand und legte sie an ihre Brust.

Fühlst du? fragte ihr Lächeln.

Und mein Lächeln antwortete ihr, daß ich es wohl fühlte.

Hörst du, was mein Herz sagt? fragte ihr Lächeln.

Und mein Lächeln antwortete ihr, daß ich wohl hörte, was ihr gütiges, herrliches Herz sagte.

Ingeborg, Ingeborg, wie soll ich doch dein Herz nennen? – –

Ingeborg wohnt in den weißen Zimmern des Schlosses, die gegen Sonnenaufgang gehen. Ich höre sie singen, hell und rein ist ihre Stimme und kräftig, die Wände klingen, und der Wald hallt wie von geschwungenen Glocken, wenn sie drinnen im Walde singt.

Ich sehe auf meine Türe. Da steht: Gehst du, Ingeborg? Und außen an der Türe da steht: Willkommen Ingeborg!

Ich schlafe ein, fünf Minuten schlummere ich, ich erwache, ein großer Brief mit fünf roten Siegeln ist angekommen, oder ein Paket mit Blumen und einigen hübschen Kieselsteinen.

Briefe schwirren hin und her, obschon wir fast stündlich beisammen sind. Aber immer gibt es noch etwas zu sagen, man hat es vergessen, man kann es nicht aussprechen. Es kommt ein Buch mit einer angestrichenen Stelle, oder auch nur ein weißes Blatt Papier, ganz leer, nichts steht darauf, aber näher zugesehen findet man eine kleine matte Stelle.

Ingeborg geht in den Wald, um Blumen zu pflücken, ich sage: eigentlich habe ich nichts zu tun, Ingeborg, ich gehe mit.

Ich gehe um den kleinen See herum, der mitten im Parke liegt. Da kommt Ingeborg daher.

Wohin gehst du, Axel?

Ich gehe um den See herum!

Ich habe ganz den gleichen Weg!

Ich lese aber dieses Buch.

Ich lese ganz das gleiche Buch!

Ich erwache des Morgens, ein Mund küßt mich, Ingeborg steht vor mir zerzaust und naß vom Tau, Blumen in der Hand.

Wo warst du?

Ich schlief im Walde, o herrlich war es. Ich habe oben im Bach gebadet!

Viele Nächte schläft Ingeborg im Walde, oft bekomme ich sie Tag und Nacht nicht zu sehen. Ich sitze und tue nichts, ich warte auf sie. Mein Herz klingt und singt. Mein Sinn wird dunkel – ich fühle, daß sie nun kommt. Da kommt sie aus dem Walde. Pazzo begleitet sie. Er ist von mir zu ihr übergegangen.

Danderadei – danderadei – singt sie und schwingt den Strauß in der Hand. Es klingt wie Fanfaren.

Meine Hände beben, meine Füße zittern, ich gehe ihr entgegen, mit feuchten Augen gehe ich ihr entgegen und ich gehe langsam, weil meine Knie zittern. Außerdem würde ich ja springen, sausen. O, du Herrliche! denke ich, ich flüstere es.

»Ich fand etwas im Walde!« ruft Ingeborg. »Sieben Zettelchen. Du hast sie geschrieben, Axel! Erst fand ich eines. Ich lese: Ingeborg. Axels Hand, denke ich. Ich suche und finde ihrer sieben. Vergilbt sind sie, aber doch kann ich sie noch lesen. Wann schriebst du sie?«

»Ich schrieb sie einige Tage, nachdem du auf der Höhe mit mir gesprochen hattest, Ingeborg! Ich schrieb viele, viele und streute sie in den Wind.«

»Axel, Axel!«

Ich lasse die Pfeife in das Gras fallen, um unauffällig niederknien zu können vor ihr.

Oft fassen wir uns an den Händen und laufen über die Wiese – durch den Wald und schreien und lachen. Huriho! Hurihohoho!

Groß und weit ist meine Seele geworden. Ein ganzer Weltenraum ist meine Seele nun, voll wiegenden Lichtes. Meine Seele zieht ihre Kreise immer weiter. Ich entdecke mich. Ich staune, staune über mich selbst, bin verwundert über mich selbst. Ich sitze und sehe in mich hinein, blühendes Chaos, wiegende Wunder, Licht und Purpur und sanfte Musik. Ich breite die Arme aus und sehe in den Himmel hinein, nie sah ich tiefer in die Unendlichkeit des Blaus.

Ich breite die Arme aus ... Da du so schön bist, du großer Gott, wie gütig mußt du sein!

Ich höre mein Blut klingen, es ist rot, funkelt, hat Feuer angezündet, es lacht durch meinen Kopf, es klingt gegen meine Hirnschale, Licht fährt aus meinen Augen.

Ich fühle wie mein Herz das Blut in die Adern schleudert, es rauscht, eine sprudelnde Quelle von Blut bin ich.

Ich fühle das Leben um mich her. Das Leben in einem Halme, einem Blatte, die Säfte pochen, der Halm erschauert, eine Blume schwankt, zuckt vor Wollust zusammen, sie gibt sich hin.

Ingeborg hat den Finger an mein Herz gelegt, da begann es zu schlagen, und nun schlägt es, schlägt es!

Es sind erstickte Schreie der Wonne in mir, mein Blut schreit und ich zucke zusammen – ja – – –

Es gab Stunden, da flocht Gott unsere Seelen zusammen zu einem Wesen. Ein Lächeln entdeckte uns alles was in des andern Brust vorging, wir fühlten es, die Worte brauchten wir nicht. Ich empfand Ingeborgs Stimme als meine Stimme, und Ingeborgs Atemzug war mein Atemzug. Dann brach in meinem Kopfe ein zweites Auge auf, ein schärferes, und dieses Auge blickte hinein in eine zweite Welt, deren Ahnung mich erschütterte.

Wir saßen im dunkeln Zimmer und sahen zu, wie sich eine Blume öffnete. Es war eine weiße Lilie. Sie schälte sich aus ihren Häuten, sie sprengte langsam die Knospe, die Blätter sanken herab, müde befriedigt, voller Lächeln, voller Weinen und Hoffen.

Es dauerte Stunden, bis die Lilie sich entfaltet hatte. Wir erlebten sie. Es war als steige Gott mit dem Dufte aus dem Kelche, als jubele es ringsum, als habe diese kleine Blume eine Erschütterung, eine Veränderung der Welt hervorgerufen. Die Welt hatte einen Schritt vorwärts gemacht und wir fühlten ihn. Keine Blume konnte aufgehen, kein Vogel aus dem Ei schlüpfen, ohne daß alles was lebte, es fühlte, es miterlebte.

Oft eilt ein leises Lachen durch mein Blut, in Stunden, da ich traurig bin, ich weiß wohl woher es kommt, dieses leise Lachen.

Zuweilen erzählte Ingeborg.

»Hoho!« lachte sie, »das war noch schön!« Dann lachte sie noch eine Weile für sich und dann begann sie. Sie erzählte immer vom Walde. »..... da stand eine alte, alte Tanne, an der das Moos nur so herunterhing wie graue Bärte. Ich sah sie oft lange an. Einmal nun, da klopfte ich an die Tanne – warum? – das weiß ich nicht mehr. Was meinst du? die alte Tanne sprach! Gott, Axel, ich habe, habe es gehört. Sie sprach mit einer tiefen, tiefen Stimme, wie ein Faß: Willst du Zapfen haben? Dann schüttelte sie sich und es kamen viele, viele Zapfen herunter.« Tausend solcher Geschichten erzählte sie.

»... Da schickten sie mich in die Stadt, weil ich etwas lernen sollte. Ich träumte immer vom Walde. Einmal da träumte ich von einer großen Lichtung, die von Erdbeeren ganz übersät war. Ja, nie habe ich soviele Erdbeeren gesehen. Ich bückte mich, sie fielen herunter, alle, alle, alle, es sah rot im Grase aus, es klebte ... In der Stadt hielt ich es ein Jahr aus. Dann kam ich zurück. Höre Axel, wie erschrak ich! Der Wald kannte mich nicht mehr. Er zürnte mir, o, wie sah er mich an! Ich weinte. Dann kam ich auf eine famose Idee. Sie schmückten mich in dieser Zeit so. Ich nahm die Kette aus den Haaren, zog mein ältestes Kleid an, zog die Schuhe und Strümpfe aus, brachte mein Haar in Unordnung, und nun lief ich in den Wald hinein und schrie wie toll. Solltest du gesehen haben, Axel, Axel, hoho! Ja, er kannte mich wieder ...«

»Einmal wieder, da kam ein Mann durch den Wald, ich habe vergessen, wie er aussah, er lächelte und hatte helle Augen. Ich ging mit ihm ein gutes Stück Weges. Er küßte mich auf die Stirne. Ich dachte, ich sei mit Jesus Christus gegangen, und später als ich erfuhr, daß Jesus Christus vor langer Zeit gelebt hatte, trauerte ich. Aber einige Jahre darauf glaubte ich doch wieder, daß mir Jesus Christus begegnet sei und es wurde so licht in meiner Seele –«

»Und jetzt?«

»Frage nicht, Guter!« Sie brach in Weinen aus und bettete den Kopf an meine Brust.

Nach einer Weile, da sie sich ausgeweint hatte, flüsterte sie: »Du bist der Mann im Walde gewesen, du! Ich erkannte dich wieder, als ich dich zuerst sah. Gehe hin, rede, hilf ihnen, den armen Menschen!«


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