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15

Eines Tags traf Karl Bluthaupt, der Dichter, ein. Das heißt, er kam mitten in der Nacht, hatte alle Züge versäumt, mit vielem Hallo und Lärm weckte er uns aus dem Schlafe.

Nun lebte er oben in den Giebelzimmern des Schlosses und arbeitete Tag und Nacht. Zuweilen kam er zu uns herunter, er lachte, strahlte, berauscht von seinem Werke, dann und wann sah ich ihn im Hofe stehen und mit einer zierlichen hübschen Magd eine Unterhaltung führen. Dieses Gespräch war weithin hörbar und der Wald gab Echo, lachte er. Wiederum konnte er uns begegnen, eine Falte in der Stirne, zerstreut, er grübelte über seinem Werke.

Er war groß, um einiges größer noch als ich, breitschulterig, knochig, er nahm große Schritte beim Gehen. Seine Haare waren dunkelrot, wie Kupfer, wirr, er hatte eine Habichtsnase, dunkelblaue Augen und einen immer offenen, immer lächelnden Mund. Er sah aus wie ein Sänger vergangener Zeiten, der am Tage hinter dem Pfluge einherschreitet und des Abends in der Halle vor den Frauen singt. Sein Wesen war schwer zu erkennen, viele Widersprüche waren in seinem Wesen, er war sehr stolz und doch schüchtern, seine Forderungen waren hart, grausam und doch war er weichherzig, er konnte wie ein Kind sein, tanzen, lachen, es gab Stunden, da war er düster, ernst, es zuckte in seinen Augen, seine Züge fielen ein, er redete sonderbare tiefe Worte, der Geist kam über ihn, er sprach mit sich selbst, mit einem Unsichtbaren. Dann ging er in sein Zimmer und arbeitete. Er konnte von der Arbeit kommen, müde, glücklich bis zur Ergriffenheit, dann sprach er mit feuchter weicher Stimme.

Er war geistig und körperlich mutig bis zur Verwegenheit, immer gut, immer edel, er verlangte nichts von den Menschen, nie, nein. Und gab ihnen immerzu, alles!

Ich liebte ihn. Stundenlang könnte ich von ihm sprechen, wenn einer es anhören möchte.

Ja, er kam mitten in der Nacht, durchnäßt bis auf die Haut, es regnete diese ganze Nacht.

»Hallo!« rief es.

Ich schnellte in die Höhe, das Blut schoß mir in den Kopf, das war er, dort stand er. Drei Jahre hindurch hatte ich auf ihn gewartet. Ich erkannte seine Gestalt wieder, ich hatte sie ja nicht vergessen gehabt, aber ich erkannte sie wieder. Ich erkannte seine Hand wieder, den Druck seiner Hand erkannte ich wieder. Sie war schmal und knochig, wie ein Skelett fast, Freund Bluthaupts Hand.

»Dir geht es ja gut, verdammt gut!«

Ich erkannte seine Stimme wieder. Wie ich sie liebte, diese kräftige, etwas bäuerische Stimme!

Natürlich ging es auch ihm gut. Immer ging es ihm gut, er konnte am Verhungern sein, er konnte mitten in der Verzweiflung leben; es geht mir gut.

Ich ging rasch zu Ingeborg. »Karl ist da,« sagte ich zu ihr, lachte und ging sofort wieder hinaus.

Ich ging rasch den Korridor zurück, der Regen trommelte gegen die Scheiben, es war ein wohliges Gefühl, ich fühlte alle Tropfen auf meinem Leibe.

Dann kam Ingeborg. In ganz unglaublich kurzer Zeit hatte sie sich angekleidet. Sie trug ihr schönstes Kleid, es war ganz weiß und schmiegte sich um ihren Körper, sie hatte die Schuhe aus Wieselpelz an, die ich für sie ersonnen hatte, eine Rose trug sie an der Brust und eine in der Hand. Die gab sie Bluthaupt. Ihre Augen waren feucht, sie sprach nichts.

Haha, ja, er war überrascht, ich muß es sagen. Er wurde rot und dann blaß, da sah er sehr schön aus.

Ingeborg bot ihm die Rose, wie ein Kind einem Landesherrn eine Rose überreicht, sie neigte den Kopf dabei zurück, ganz gebogen stand sie da.

Er nahm die Rose, gab ihr die Hand, stotterte etwas.

Er habe keine Ahnung gehabt – nicht die leiseste Ahnung – er bitte um Entschuldigung, aber alle Züge seien früher abgefahren, als man annehmen konnte.

Ich amüsierte mich sehr in dieser Nacht, ich war so glücklich, daß ich mich herzlich amüsieren konnte. Ingeborg blickte Bluthaupt an, seinen Mund, seine Stirne, seine Hände, sie lauschte, wenn er die Lippen öffnete. Er sprach solch einfache Worte.

Sie hatte noch keinen Dichter gesehen und gehört. Sie dachte, die Dichter trügen Rosen in den Haaren und sprächen in Versen. Ich stelle mir die Dichter vor wie etwas Wehendes, etwas Goldenes, so sagte sie einmal.

Wir hatten Bluthaupts Bücher gelesen, zusammen, Kopf an Kopf. Ingeborg sagte: er kennt mich und deutete auf ihr Herz. Wie er die Menschen doch kennt! – Bald wird er kommen, Ingeborg. – Ja, was sage ich zu ihm?

Und nun saß er vor ihr, sie konnte ihn nicht verstehen, sie konnte durch keines seiner Worte, keine seiner Mienen eindringen in ihn, sie grübelte, sie war enttäuscht.

»O,« sagte sie mir am andern Tage, mit besonders rundem Mäulchen sagte sie dieses O. »O!« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, was kümmern mich diese armen Droschkenpferde, von denen er so viel sprach? Ich bin nun froh keine Droschkenpferde mehr zu sehen! Dann fährt er mit dem Finger in die Luft hinein und lacht. Diese elenden Droschkenpferde! Haha, das ist der Dichter Karl Bluthaupt!«

»Und sieh, Axel, darauf wußte er mir nicht zu antworten, als ich ihn fragte, wie die Frauen seien. Ich wollte nun gerade seine Ansicht wissen. – Er wich aus. Das kann niemand wissen. Man kennt sie nicht, man kennt nur Beispiele. Ich traf ein armes Mädchen, sie ging mit mir. Am Morgen verließ sie mich und eine Stunde später war sie wieder da, sie hatte mir eine Kravatte angefertigt. So sind sie. Und wieder, eine Frau kann heute zu einem Mann sagen, du bist ein Heiliger, du kannst Wunder tun, am andern Tage, du bist ein kleiner erbärmlicher Mensch. Sie sind rührend, wenn sie lieben, interessant, wenn sie hassen. Man kann wirklich nichts bestimmtes über sie sagen.«

Einige Tage später kam sie zu mir, nahm mich am Arm und sagte: »Du Axel, nun habe ich es gesehen!«

»Was hast du gesehen?«

»Daß er ein Dichter ist. In seinen Augen sah ich ein Licht, einen Glanz. Woran er wohl dachte? Seitdem sehe ich das Licht immer wieder. Ich glaube es ist das Bewußtsein der Unsterblichkeit, dieses Licht?«

Einige Tage später, da sagte sie: »Komme, Axel, komme. Es ist etwas ganz Merkwürdiges geschehen. – Höre, es ist sonderbar. Der Knecht, den sie den Mönch nennen, ging an uns vorüber. Bluthaupt betrachtete ihn so sonderbar. Ich lachte. Er trägt Sommer und Winter diesen dicken Mantel und diesen großen Hut, sagte ich. Das ist es nicht, antwortete er, dieser Mensch ist ein Verbrecher. Der Mönch! hörst du, Axel? Ja, er hat ein Verbrechen begangen, einen Mord, aber es ist schon lange Jahre her. Woher er das wisse? Er hat das Gesicht des Opfers in dem seinen, er hat zwei Gesichter, ich sehe es, er dachte immer daran. Woher weiß er nur, daß der Mönch ein Verbrechen beging?«

Ich lächelte. »Glaubst du es denn?«

Ingeborg sah mich verblüfft an. »Ja?« sagte sie, kindlich verlegen. Und sie fuhr fort: »Hören Sie,« fragte ich dann, »wenn Sie nun durch die Straße gehen und sehen viele Gesichter?« Darauf sagte er, dann sehe ich viele Schuld, gewiß. Woher er das habe? Ich habe früher viel mein Gesicht studiert, sagte er, jedes Laster und jede Schuld prägte sich darinnen ab. Er wurde finster, während er dies sagte. Er ist unheimlich! Ich wollte noch mehr wissen. Wenn sie nun im Gesichte Ihres Bruders einen Mord läsen? fragte ich. So würde ich es ihm sagen und mich in acht nehmen. Wovor? Daß ich nicht auch einen Mord begehe. Ich fragte weiter. Wenn er aber Ihre Geliebte ermordet hätte? Was würden Sie tun?

»Ich würde ihn erschlagen, antwortete er, dabei lächelte er, aber ich erschrak über sein Lächeln, er log nicht.«

»Du forschest ihn aus?«

»Ja, ich forsche, Axel!«

Dann sah sie ihn mit der zierlichen kleinen Magd plaudern. Sie sah ihn mitten unter den Knechten stehen, er duzte sie alle. Sie schüttelte den Kopf.

»Er hat hundert Gesichter,« sagte sie, »ich gebe es auf ihn zu erforschen.«

Seitdem nannte sie ihn den Mann mit den hundert Gesichtern.

Und sie erzählte es mir immer, wenn sie ein neues Gesicht an ihm entdeckte.

Sehr spät erst entdeckte sie sein wirkliches Gesicht, so wie ich es sehe, wenn ich die Augen schließe und an ihn denke. –

Ich erinnere mich eines Abends, da er so wunderbar über die Menschen sprach, über Sehnsucht und Glücksverlangen, über Hoffnung, über Glück, über Verirrung, über ihre Trauer, ihren Schmerz, ihre Einsamkeit, ihre Verzweiflung. Wie ein Künstler in die Saiten greift und Akkorde und Melodien flicht, so flocht er Akkord an Akkord und wir hörten ein Lied über des Menschen Herz, das so wunderbar ist, so wunderbar schön, so wunderbar mild, so wunderbar wild, so wunderbar, so wunderbar .......

Ich glaube, daß Ingeborg an diesem Abend sein wirkliches Gesicht entdeckte, ich glaube es, denn sie sprach die ganze Nacht nichts darüber, sie blickte mich nur an und ihre Wangen lächelten. Sie zog meine Hand an die Lippen, sie küßte sie nicht, sie drückte sie nur an den Mund. Sie sann.

Ja, gewiß war es an diesem Abend. – – –


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