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31

Das Schloß lag im kahlen Bergwalde, im Regen, im Winde, geduckt unter den schleppenden Wolken, es sah verlassen aus. Es war still wie ein Haus, in dem jemand gestorben ist.

Die Tage waren lang und die Nächte noch länger. Es regnete und wehte, die Welt hatte ihre trübste Seele.

Diese Tage und Nächte waren nicht leicht zu ertragen.

In den schönsten Stunden, da träumte ich, daß Pazzo zurückkäme und ich mit ihm sprechen könnte, in den schönsten Stunden, da träumte ich von Ingeborg. Ein Rausch brauste durch die weiten Säle, die Blumen der Tapeten blühten wieder, die Gesichter an den Wänden lächelten wieder, es brannten viele Kerzen in meinem Zimmer und ich ging trunkenen Herzens hin und her. Es war Sommer.

Ingeborg lacht und fragt: »Wie oft wirst du mich heute noch küssen?« Ich stehe vor ihr und meine Brust ist weit. »Tausendmal!« sage ich. Und Ingeborg schlägt die Hände vors Gesicht, schüttelt sich und lacht.

Es ist Sommer und im Parke singen die Vögel, daß man glaubt, einer schüttele ein Bündel heller Schellen wie verrückt in der Hand.

Die Sonne funkelt. Hallo! Ein Regenbogen ist das Tor zu diesem Hause!

Die Kerzen erlöschen, eine um die andere, es wird dunkeler um mich und dunkler in meinem Herzen.

Ich sitze vor der letzten Kerze und sehe zu, wie sie kleiner wird. So vergeht die Zeit, sie schmilzt und man sieht es.

Ich bin allein, die Gäste gingen.

Und ich denke: schwer ist das Leben, es stellt schwierige Aufgaben. Suche dir ein Glück, o Mensch! Lebe ein Glück, o Mensch! Lächle wieder, nachdem du vor Glück geschluchzt hast, o Mensch!

Spricht das Leben und zuckt mit keiner Wimper.

In einer Nacht, da der Wind an den Scheiben rüttelte, verfiel ich auf den Gedanken, an Ingeborg zu schreiben. Ich schrieb die ganze Nacht hindurch und mein Herz wurde leichter. Ich schrieb:

Ingeborg, Ingeborg, warum hast du mich verlassen? Ja, warum? Habe ich dich nicht geliebt, war es nicht schön in diesem Frühling und Sommer? Ich frage dich, es soll kein Vorwurf sein, nein. Du sahst Karl, du sahst Karls wirkliches Gesicht, sein wirkliches. Dann mußtest du wohl. Ich schreibe an dich. Du wirst diese Briefe nie erhalten, aber es ist so verlockend schön, an dich zu schreiben.

Wüßtest du, wie einsam es bei mir ist. Nichts regt sich in den Zimmern. Ich schlage die Türen zu, ich pfeife, aber die Stille schlägt darauf um so furchtbarer über mich zusammen. Wüßtest du, was ich alles erdulde! Vielleicht kämst du auf eine Stunde zu mir. Vielleicht schriebest du mir ein paar Worte. Ja, du bist so gütig, du würdest es gewiß tun. Wüßtest du nur alles.

Ingeborg, sei gegrüßt! Ich denke immerfort an dich. Du mußt es mir nicht verübeln in diesen ersten Wochen. Sobald ich einmal nicht mehr Abschied von dir nehmen werde, wird es besser gehen.

Ingeborg, ich sehe dich. Du lächelst und aus deinen Augen springen Funken, hell wie die Funken, die aus einem Steine springen.

Ingeborg, du bist ein goldener, runder Ring, du bist eine goldene Kugel, ja, das bist du, denn die Kugel ist die Handschrift des Schöpfers, du bist wie die weiche Luft im Frühling, wenn der Schnee zerrinnt, Ingeborg. Du bist eine weiße Glockenblume voller Tau.

Wieviel schreibe ich dir doch, Ingeborg! Aber es ist erst zehn Uhr und die Nacht ist lang. Nun schreibe ich dir noch ein Stückchen.

Ingeborg, so fahre ich fort, ich fühle es, wenn du an mich denkst. Ich lese, aber da werde ich plötzlich unruhig, du stehst hinter mir, du streichst leise über meinen Scheitel und berührst die abstehenden Härchen, wohl fühle ich es.

Ingeborg, es kann sein, daß dein Antlitz in der Luft schwebt oder nur der Glanz deiner Wange, ein Lächeln deines Mundes. Ingeborg, höre, manche Nacht kommst du zu mir und legst mir zwei Tränen unter die Augenlider. Da erwache ich dann, denn die Tränen fangen an zu glühen, und ich finde sie auf meiner Wange.

Ingeborg, zuweilen sprichst du mit mir, du sprichst wie jemand, der sich abwendet und fortgehen will. Axel, so flüsterst du, weshalb gehe ich doch von dir? Wie schön war unsere Liebe!

Das Schicksal winkte.

Ich wollte dir nicht wehe tun. Axel.

Nein, nimmermehr, du Gute, wie könntest du es doch gewollt haben. Gehe hin und freue dich. Alles wird gut sein, lasse nur noch einige Tage verstreichen. Bis ich nicht mehr Abschied von dir nehme, weißt du – – –

Ingeborg, Ingeborg, fielen mir doch rasch zehntausend schöne Namen für dich ein!


Ingeborg kämmt sich die Haare. Ich denke daran.

Ingeborg liebte es, sich die Haare zu kämmen, sie konnte Stunden damit zubringen. Und ich konnte stundenlang zusehen.

Es waren so viele Haare! Es waren Bäche, sie rieselten, stürzten über ihre Schultern, über ihre Brust, wenn sie den Kopf schüttelte, so bewegten sie sich von oben bis unten, wie Flammen wehten sie. Sie konnten das Gesicht einhüllen, daß es wie aus einer Höhle blickte. Dann schimmerten die Augen so stolz und gütig.

Sie bändigte die freigelassenen Haare mit der Hand und drehte den Kopf nach links, während sie mit dem Kamme durch die Haare fuhr. Ich habe nie gesehen, daß sie den Kopf nach rechts gedreht hätte. Und es knisterte.

»Heute knistert es besonders stark!« sagte Ingeborg. Die Haare lagen auf meiner Hand, ein Netz, ein Gespinst, sie waren weich, sie schmeichelten. Man konnte sich nicht denken, was es ist, Haare, nein, etwas ganz Wunderbares war es.

Dann wurden sie gefesselt und in den Nacken gewunden. Ich sah ihnen nach. Ingeborg kämmt sich die Haare. Ich denke daran. Stunden vergehen. Es ist eigentümlich, ganz unbedeutende Dinge können zu Ereignissen werden.

Aus einer Zeit, da ich einen gespitzten Mund küßte und ausrief: Alle Tage ist nun Hochzeit, du!


Ich habe einen Geschmack auf den Lippen.

Zuweilen vergeht er, aber er taucht immer wieder auf.

Ich fühle ihn des Morgens, wenn ich aufstehe und das ist mein ganzes Glück für den Tag. Es kann sein, daß ich den Geschmack auf den Lippen verliere, aber ich träume des Nachts von ihm, ich erwache, er ist auf meinen Lippen. –

Dann wage ich es nicht wieder einzuschlafen. – – –

Was soll ich tun? Soll ich lesen? Ich begreife ja keine Zeile. Soll ich Klavier oder Geige spielen? Ingeborg ist ja in jedem Tone. Soll ich den Wald ausrotten, eine Wiese entwässern, einen Kanal graben für die Schiffahrt und den Handel?

Soll ich fortreisen, in die Ferne, bis dorthin, wo die Bahn aufhört und dann wandern, wandern –?

Ja! aber wenn es Ingeborg einfiele, mich auf Edelhof zu besuchen? – – –

Ich mußte in dieser Zeit viel an die Geschichte von Hermann Ecke denken, den Gutsherrn auf Entenweiher, den seine Frau verließ.

Zur Zeit von Ingeborgs Genesung hatte ich sie Ingeborg erzählt. War es nicht sonderbar? Ahnte meine Seele voraus, was kommen sollte?

Ich mußte oft an die Geschichte denken von Hermann Ecke, der glaubte, daß Eva wieder zu ihm käme.

Einen Rosengarten legte er ihr an, er baute eine Veranda für sie. Immer frische Sträuße in den Vasen, eine brennende Lampe die ganze Nacht in ihrem Zimmer.

Hurtig, hurtig, ihr Leute.

Ja, nun konnte Eva kommen.

Sagt der Freund zu Hermann Ecke: Kommt sie auch? Hahaha, antwortet Hermann Ecke. Das ist alles, was er antwortet.

Freilich kommt Eva wieder. Herrliches habe ich erlebt, wird sie sprechen, alle haben mich angebetet.

Königin, dein Thron ist bereit – ah, ein Narr! Ja, Hermann Ecke ist ein Narr. Aber ein glücklicher Narr ist er. – – – – – – – – – – – – –

In einer Nacht schrie der Hirsch in den Bergen. Ich stand am Fenster und horchte auf seinen Schrei.

Da stieg er in meinem Herzen auf der Gedanke, zum erstenmal, ganz deutlich, fordernd und stark. Ich rang mit ihm. Wochen und Monate habe ich mit ihm gerungen, mit diesem Gedanken.

Ich war traurig, traurig.

Ich ging in Sack und Asche einher. Ich lachte nicht mehr, ich lächelte selten. Ich liebte es, zu tanzen und zu jubeln vor Freude, ich liebte es, prächtige Gedanken im Kopfe zu tragen, ich liebte es, mein Herz klopfen zu hören. Ja, in jenem Sommer, da waren Symphonien in mir, Symphonien, ohne Ende, ohne Ende.

Nun war ich aus meinem Reiche vertrieben, ein Bettler, der sich dahinschleppte, Hunger in den Augen.

Einst wandelte ich, jetzt kroch ich.

Möchte doch die Sonne erblinden, möchte doch die Welt zerfallen in Schutt, Schutt.

Die Hand des Schicksals hat mein Gesicht zerknittert, es erscheint mir fremd. Meine Augen sind zusammengerückt und sie stechen, eine tiefe Falte spaltet meine Stirn, meine Lippen hat die Bitternis gesäumt.

Ich bin unglücklich.

Es ist ein kleines Wort. Wehe, wenn du einmal nichts anderes mehr sagen kannst als dies.


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