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Sechstes Kapitel.

Beichte.

 

Es hilft nichts: ich muß schließlich doch beichten, daß ich eine Geliebte hatte, um deren willen ich nicht nur meiner Frau, sondern auch meiner Muse untreu ward; eine Geliebte, die mich mit ihrem Spinnengewebe umstrickte und die mein Herzblut trank; eine Geliebte, die meine besten Gedanken für sich in Beschlag nahm, der ich nachlief von einem Ende des Landes bis zum andern und die mich als Sklave unterjocht hielt. Oft vergeudete ich für sie mein halbes Vermögen und stürzte mich blindlings in die größte Gefahr. Ihrethalben ertrug ich Flüche, Schimpf und Schmach; für sie setzte ich Leben und Freiheit aufs Spiel.

Manchmal, wenn ich ihrer Tyrannei überdrüssig geworden, versuchte ich ihr zu entrinnen; aber sie lockte mich wieder zurück und ließ mich nicht los.

Und wenn es doch wenigstens ein schönes Weib gewesen wäre! Aber es war eine häßliche, geschminkte, alte Megäre, kokett, flatterhaft, treulos, verlogen, verleumderisch: ihr huldigt alle Welt und sie hält alle ihre Verehrer zum besten; so viel Modetrachten.

»Politik« heißt die Schändliche – der Geier soll sie holen!

Es gab ein Jahr, in welchem ich wahnsinnig in sie vernarrt war. Ich that ihr alles zu Liebe, was sie nur immer forderte. Ihrethalben entzweite ich mich mit einem Freunde, der meine rechte Hand bei meinem Blatte war. Mit einem anderen Freunde mußte ich mich ihrethalben schießen; – und doch hatte er mir nichts und ich ihm nichts zu Leide gethan; im Gegenteil: wir schätzten einander aufrichtig. »Die Politik« hatte es gefordert und wir mußten uns vor die Mündung der Pistole stellen. Dann wieder hetzte sie mich gegen einen dritten Freund, einen sehr wackeren Mann und ungarischen Minister, daß ich ihn bei der Abgeordnetenwahl zu Falle bringe. Und ich habe ihn zu Falle gebracht, diesen von mir geachteten, geschätzten und geliebten Mann. Die »Politik« hat es so gewollt. Wie hat sie Staat gemacht, als sie mich auf ihrem Triumphwagen umherführen konnte! Sie ließ mich glauben, ich sei jetzt der berühmteste Mann des Landes! Aber sie ließ sich ihre Gunst auch bezahlen! Was waren das für » petits soupers« für fünfhundert Menschen! Und welch ein Korso mit zweihundert Wagen! Und erst die Toiletten! Sie wollte sich nur in neugegründete Zeitungen kleiden; außerdem ließ sie sich von mir den » Népkör« möblieren. Cora Pearl hat ihre Verehrer nicht dermaßen ruiniert, als wie diese alte Courtisane mich zu Grunde richtete.

Aber wie gesagt: ich war damals völlig in sie vernarrt.

Nach meinem großen Triumphe ging ein Platzregen von Gratulationsdepeschen und Briefen über mich nieder. Ich hatte einen Minister geschlagen – welch ein Triumph! Alle, die mit mir jemals bekannt geworden, besuchten mich nach diesem glänzenden Erfolge. Alte Schulfreunde, mit denen ich aus dem Hofe des Kollegiums gerauft hatte, erinnerten sich meiner jetzt: nach meinen Autogrammen entstand eine lebhafte Nachfrage. – Und ich war auf all dies ungeheuer stolz; so daß es mich gar nicht überraschte, als man mir eines Nachmittags eine Karte präsentierte, auf welcher zu lesen war: » Frau Esaias Medvési

Es ist ja ganz natürlich, daß auch sie mich besucht. Die Sonnenstrahlen meines Ruhmes haben die Eiskruste ihres Grolls zum Schmelzen gebracht! Ich hatte sie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Ich kann mir denken, wie sie seither in die Breite gegangen! Bequem und sorglos lebend, von Leidenschaften nicht gequält, konnte das schöne Ideal kein anderes Los haben, als – fett zu werden.

Umsomehr war ich betroffen, als ich sie erblickte.

Sie war gänzlich abgemagert. Ihre altmodische Kleidung, die volleren Formen angemessen war, hing schlaff und schlotterig an ihrem Leibe. Das heitere Antlitz war länglich und farblos; an Stelle der neckischen Liebesgrübchen gab es grämliche Falten, die unter dem Kinn zusammenliefen. Nur an den Augen war sie wieder zu erkennen: die Augen waren noch die alten.

Als sie meiner ansichtig ward, zwang sie sich zu einem Lächeln; aber man sah es ihr an, welche Anstrengung es ihr kostete.

Ich halte es nicht für passend, jemanden, dessen Antlitz sich verändert hat, zu fragen, ob er etwa krank gewesen. Allein, sie war es selbst, die den Gegenstand berührte.

»Ich bin sehr verändert, nicht wahr? Es wäre wahrlich ein Wunder, wenn Sie mich erkennten. Ich war sehr krank und bin nur nach der Hauptstadt gekommen, um einen Arzt zu konsultieren. Ich hatte viertägiges Wechselfieber, von welchem die Ärzte unserer Stadt mich nicht befreien konnten.«

»Aber im übrigen sind Sie zufrieden?«

»Nein, ich bin es nicht; ich glaube vielmehr, daß ich mein körperliches Leiden aus dem Grunde nicht loswerden kann, weil ich seelisch nicht im Gleichgewichte bin.«

»Darf ich Sie fragen, was Ihnen ist?«

»Ich habe Sie besucht, um es Ihnen zu sagen. Sie waren stets derjenige, der mir gute Ratschläge gab, und ich war diejenige, die diese Ratschläge niemals befolgt hat. Möglich, daß ich Ihren Rat auch jetzt nicht befolgen werde; aber es wird mir doch leichter ums Herz, wenn ich Ihnen mein Leid klagen darf. Mich quält eine geheime Sehnsucht, die mein ganzes Wesen erfüllt, die mich Tag und Nacht nicht ruhen läßt.«

»Welche Sehnsucht?«

»Mein Antlitz wird Ihnen künden, daß es keine sündige Begier sei.«

»Und dennoch muß sie geheim gehalten werden?«

»Jawohl; ich trage mich unablässig mit dem Gedanken, Katholikin zu werden.«

Ich war von diesem Geständnis dermaßen überrascht, daß ich kein Wort der Erwiderung fand.

»Dies ist mein fester Entschluß, fuhr sie fort. Meine Seele kann nur dann ihre Ruhe hienieden und ihr Heil im Jenseits finden, wenn ich zum römisch-katholischen Glauben übergehe.«

»Wie ist dieser Entschluß in Ihnen entstanden? In der Stadt, wo Sie wohnen, giebt es ja gar keine katholische Kirche.«

»Aber es giebt ein Kloster in der Nähe, auf einem einsam gelegenen, lieblichen Fleck Erde. Dorthin pflege ich zu pilgern, wenn mich niemand sieht. Anfänglich war es der Zufall, die Neugier, was mich in jene Klosterkirche zog, wenn ich die frommen Gesänge hörte; jetzt ist's die Andacht, die mich hinführt. Ach, um wie vieles ist dieser Andachtsort weihevoller, als unsere nüchternen, kahlen Bethäuser! Wohin ich blicke, sehe ich Gruppen verklärter Gestalten, die mich segnen und rufen. Und jene hehren Klänge, die aus dem Himmel herabzuschweben scheinen und sich dann zu Engelschören vereinigen, entführen meine Seele in eine unbekannte, ersehnte Welt; dann die melancholische Stille, die nur das feierliche Klingeln der Meßglöckchen unterbricht; und dann die Gestalt des Priesters, der einem überirdischen Wesen gleich am Altar steht und in einer Sprache redet, die die Menschen nicht verstehen, nur Gott allein. Wenn ich aus dieser Kirche trete, ist nur, als hätte auch ich mit Gott geredet.«

Ich sann darüber nach, was alldies heißen soll? Die Frau aber drängte mich zu einer Äußerung.

»Was raten Sie mir? was soll ich thun? Mich zwingt meine Seele, diesen Schritt zu thun.«

»Liebe Freundin! Sie wissen, daß ich Protestant bin; als solcher denke ich liberal und wohlwollend über jedes Glaubensbekenntnis; ich ermuntere niemanden, seinen Glauben zu wechseln und rede auch niemandem ab davon. Die katholische Religion verehre ich aufrichtig; den Ritus derselben finde ich erhaben; in ihren Ceremonien liegt viel Ideales. Wäre ich als Katholik geboren und erzogen worden, so wäre ich ein sehr eifriger Sohn dieser Kirche. Aber wie kann ich, in anbetracht Ihrer Lage, Ihre Übertrittsabsicht billigen? Haben Sie nicht bedacht, daß Ihr Gatte Beamter der calvinischen Kirchengemeinde ist?«

»Das ist es ja eben, was mich meinem Glauben entfremdet, daß ich an dem Herde sitze, wo das heilige Abendmahl bereitet wird. Mit welch prosaischem Gleichmute erfüllen unsere Kirchenbeamten ihren heiligen Beruf! Gebete, Gesänge, Predigten sind ihnen ein Frondienst. Wie soll Segen von jenen ausgehen, die selber nicht von Inbrunst erfüllt sind? Diese Leute vermögen den Glauben anderer nur zu verhöhnen, während sie den eigenen mißachten.«

»Aber bedenken Sie doch, daß ein protestantischer Volksschullehrer seines Amtes verlustig wird, wenn seine Ehefrau zu einem anderen Glauben übertritt.«

»Er verliert nur die leibliche Ruhe, ich aber die Ruhe meiner Seele.«

»Liebe Erzsike, ich kann es begreifen, daß eine Frau, deren Nerven übermäßig empfindlich sind, die puritanische Einfachheit nicht tröstlich findet. Wenn Sie zur wahren Andacht Zuflucht nehmen wollen, verschaffen Sie sich Albachs katholisches Gebetbuch. Darin werden Sie alles finden, was in dem katholischen Glauben erhaben ist, zu Gott erhebt. Beten Sie aus diesem Buche, wenn Sie allein sind, wenn Sie niemand sieht.«

»Mich befriedigt das nicht. Die Ausübung der Religion besteht nicht bloß aus Singen und Beten.«

»Ist es etwa der Pomp der äußeren Ceremonien, der auf Ihr Gemüt einwirkt?«

»Dieser am wenigsten. Es giebt in der katholischen Religion eine Einrichtung, so erhaben, so trostreich, daß diese allein genügen würde, um dem katholischen Glaubensbekenntnisse auf dem ganzen Erdenrunde Verbreitung zu verschaffen, überall, wo es leidende Menschen giebt, die nicht nur dann Schmerz empfinden, wenn sie geschlagen oder gebissen werden. Diese Einrichtung ist die Beichte. Es war ein arger Mißgriff von Johannes Calvinus, daß er dieselbe nicht für seine Gläubigen beibehielt. Er hat die Herzen nicht gekannt und im besonderen nicht das Herz des Weibes. Es giebt kein größeres Leid, als wenn wir Tag und Nacht einen bösen Gedanken in der Seele mit uns führen, der uns verfolgt, der uns versucht, und wir diesen Gedanken niemandem mitteilen können. Die Katholikin findet in ihrer Verzweiflung ein tröstendes Wort, in ihrem Fall eine Hand, die sie aufrichtet. Für sie giebt es eine Zuflucht vor den Gewissensbissen; wenn sie gesündigt hat, kann sie um Ablaß beten und ihre Seele wird erleichtert. Aber wer erlöset mich? Wem soll ich mitteilen, was mein Inneres zerfleischt?«

Starr schauten ihre Augen, wie die eines Typhuskranken, der eine Schreckenswelt vor sich sieht, die kein anderer sieht; zugleich hob sie wie warnend den dürren Zeigefinger an die trockenen, geborstenen Lippen, als wollte sie die Stimme des stummen Schmerzes zurückdrängen.

Sie dauerte mich sehr. Sie brauchte es mir nicht erst erzählen, ihre Augen kündeten es mir, wie viel sie seit dieser letzten Wendung in ihrem Leben gelitten habe.

»Liebe Freundin,« sprach ich; »Sie kennen mich seit langer Zeit und wissen, daß ich Ihnen stets wohlwollend gesinnt war. Haben Sie einen Gedanken, der Ihnen die Seele drückt und den Sie beichten möchten, so teilen Sie ihn mir mit. Bei den Protestanten ist jedermann ein Priester. Dies ist ein Grundgesetz unserer Lehre. Beichten Sie mir.«

Sie lächelte so seltsam; – wie ein Schwerkranker zu lächeln pflegt, den der Arzt zu trösten sucht, daß er gesunden werde, während der Patient sich denkt: »Wart', dir will ich einen Streich spielen – und sterben.«

»Wirklich? Sie wollen meine Beichte hören?«

»Ich verspreche Ihnen, das Beichtgeheimnis zu wahren wie ein geweihter Priester.«

»Wahren Sie es wenigstens so lange, als ich am Leben bin; hernach können Sie es meinetwegen kundthun. Wenn ich tot bin, mögen Sie einen Roman über mein Leben schreiben, ich ermächtige Sie dazu. Einen solchen Roman haben Sie ohnehin noch nicht geschrieben. Bis dahin aber erzählen Sie niemandem, was Sie heute von mir hören werden, selbst Ihrer Frau nicht. Versprechen Sie es mir? Geben Sie mir Ihr Manneswort darauf?«

»Meine Brust ist eine Gruft von darin begrabenen Geheimnissen; Ihr Geheimnis wird unter den übrigen eine sanfte Ruhestätte haben.«

»Ich glaube, daß Sie das Geheimnis der Beichte bewahren werden wie ein Priester; aber können Sie mich hernach auch absolvieren?«

»Wie ein Mensch den andern zu absolvieren vermag.«

»Nun denn: hören Sie!«

Sie neigte sich zu meinem Ohr, daß ihr heißer Atem mir die Wange sengte, während sie mir zuflüsterte:

»Ich beichte Ihnen, daß ich meinen Mann töten will

Entsetzt blickte ich ihr in die Augen; höllisches Feuer loderte in denselben.

»Was ich sagte, werde ich auch thun,« fuhr sie fort, indem sie die Lippen fest aufeinander preßte, während sie die drohend flammenden Augen weit aufriß.

»Um Gottes willen! Welcher Gedanke ist das?«

Sie aber blickte mich mit einem schadenfrohen Hohnlächeln an und erwiderte:

»Da sehen Sie, daß Sie kein Priester sind und keinen Ablaß gewähren können.«

»Sicherlich würde auch der Priester es nicht thun. Nur für die bereute Sünde kann der Priester Buße auferlegen und Ablaß gewähren, aber nimmer kann er Nachsicht üben für die beabsichtigte Sünde. Auch der Priester könnte Ihnen nur sagen, was ich Ihnen sage: wenden Sie sich zu Gott und läutern Sie Ihre Seele von diesem finstern Gedanken. Wie konnte derselbe auch in Ihrer Seele aufkeimen? In dieser guten Seele, die stets nur geliebt, niemals gehaßt hat?«

»Nicht wahr, so haben Sie mich kennen gelernt? Ich war eine Närrin der Liebe. Sie haben eine Erzählung geschrieben, die ich noch als Mädchen las; in derselben erzählt ein mit sich selbst zerfallenes Herz, wie viele Arten, das Leben auszulöschen, es gebe. Unter anderem ist dort gesagt, daß der Rohrhonig, wenn man ihn so lange stehen läßt, bis er in Fäulnis übergeht, zu einem tödlichen Gifte wird. Was nun den Honig anbelangt, dessen das Herz eines armen, leichtgläubigen Weibes voll ist, so trifft da die Behauptung jener unglücklichen Seele zu, aber auf wirklichen Honig trifft sie nicht zu. Ich habe es erprobt.«

»Keines von beiden trifft zu. Glauben Sie nicht daran! Es giebt im ehelichen Leben kein solches Meer von Bitternis, das ein Tropfen Liebe nicht wieder versüßen könnte.«

»Ach, was ich leide, übersteigt Ihre Einbildungskraft. Hohn und Erniedrigung sind mein tägliches Brot. Der Argwohn folgt mir Schritt für Schritt. Wenn ich rede, werden meine Worte mißdeutet; wenn ich schweige, wird meine Stummheit getadelt; wenn ich weine, habe ich wegen meiner Thränen ein Verhör zu bestehen.«

»Ihr Mann ahnt vielleicht Ihre Absicht, den Glauben zu wechseln?«

»Er hat so viel in Erfahrung gebracht, daß ich wiederholt in dem Kloster gewesen und mit einem der Mönche öfter gesprochen habe. Ich schwöre bei Gott, daß ich vom Glauben, von frommen Dingen mit ihm gesprochen habe und von nichts anderem. Er aber klagt mich deshalb der schändlichsten Dinge an; Mittags und Abends, wenn wir bei Tische sitzen, vergiftet er mir jeden Bissen, indem er Spottlieder über die Mönche singt und über jene Weiber, die für Kutte und Holzschuhe schwärmen. Wenn er heimkommt, stimmt er schon auf dem Flur draußen ein solches Schandlied an: ›Der Pfaff, mein Liebster, ei! Hält g'rad die Litanei.‹«

»Sie müssen das nicht so tragisch nehmen. Diese Spottlieder werden seit uralten Zeiten gesungen und sind nicht von Ihrem Manne zu Ihrem Verdruß erfunden worden. Lachen Sie ihm ins Gesicht und er wird schweigen.«

»Wohl denn; was er thut, um mich zu verhöhnen, sei ihm vergeben. Allein, seitdem er meinen Seelenzustand ahnt, bietet er alles auf, um meine Andacht zu stören. Wenn Mittags und Abends der Schall der Klosterglocke zu uns herüberdringt und ich die Hände zum Gebet falte, lacht er auf: ›Hahaha! Wenn man läutet, betest du? Die Calviner läuten nicht zum Mittagsgebet und läuten auch kein Angelus.‹ Und dies schmerzt mich sehr! Es schmerzt mich mehr, als wenn er mir das Brot in den Kot treten und mich es so verzehren heißen würde. Dieser Hohn bleibt an mir haften wie Teer; mir wird übel davon, er droht mich zu ersticken. Ich habe das Gefühl, als müßte ich in einem Meer von Leim schwimmen. Was erzählt er mir auch seine unflätigen Anekdoten von den heiligen Gestalten! Neulich, an einem Sonnabend regnete es den ganzen Vormittag; ich war ungeduldig, denn ich hatte in die Stadt gehen sollen. Er merkte meine Unruhe und sagte lachend: ›Sei unbesorgt, Weib! Bis Nachmittag wird es wieder heiter, da wird die Jungfrau Maria für das Jesukindlein das Sonntagshemdchen trocknen.‹ Es war sein Glück, daß er sogleich das Zimmer verließ, denn ich war nahe daran, ihm ein Messer ins Herz zu stoßen!«

Ich besänftigte die aufgeregte Dame und sagte ihr, daß der Spaß von der Sonne, die am Samstag Nachmittag erscheint, zwar kein sonderlich gottesfürchtiger, im übrigen aber bei dem Landvolk in Ungarn sehr stark verbreitet sei und ernstlich betrachtet auch nicht gegen die Pietät verstoße, da sie die von uns allen verehrte heilige Gestalt als fürsorgliche Mutter in volkstümlicher Auffassung hinstellt.

»Ich mag ihren Namen nicht aus seinem Munde hören. Eine Magd Namens ›Marcsa‹ (Mirzl), die lange Jahre bei mir gedient hatte, entließ ich nur aus dem Grunde, weil er sie immer ›Maria‹! rief. Es war mir jedesmal, als würde er mir mit einem Dolche durchs Herz fahren.«

Ich sah, daß diese Frau wirklich leidend und einer heroischen Kur bedürftig sei.

»Liebe Freundin, ich kann Ihren Gatten nicht verdammen. Ihre religiöse Schwärmerei, die durch Ihre langwierige, nervenangreifende Krankheit und die vielen Mixturen, welche die Provinzdoktoren Sie trinken ließen, nur noch gefördert wurde, ist für Ihren Mann eine Frage des Seins oder Nichtseins. Wenn Sie sich an die Heiligen klammern, verliert der arme Esais den Boden unter den Füßen. Sie sind aneinander gebunden. Indem Sie in einer anderen Kirche das Himmelreich suchen, installieren Sie in Ihrem Hause die Hölle. Wenn Ihr Mann diese Absicht erfährt, wird er wütend werden und Sie in Stücke zerreißen! Suchen Sie Heilbäder auf und stärken Sie Ihre Nerven.«

»Hm, hm. Sie kennen meine Krankheit nicht. Sie denken, dies sei nur so ein Frauenübel, zur Hälfte Einbildung. Schauen Sie dieses Rezept; einer der berühmtesten Ärzte der Hauptstadt hat es mir verschrieben. Ich war bei ihm, um mir bei ihm Rats zu erholen; er untersuchte mich und sagte, die Landärzte hätten mich nicht gut behandelt; sie hätten mich mit Chinin gefüttert, welches aber nicht das Heilmittel für meine Krankheit sei. Und er verschrieb mir etwas Anderes. Lesen Sie!«

Ich las auf dem Rezepte das Wort »Arsen«.

»Der Arzt gab mir die Weisung, am ersten Tage sechs Tropfen einzunehmen, dann jeden Tag um einen Tropfen mehr, bis zu zwanzig Tropfen, dann wieder jeden Tag um einen weniger, bis zu sechs Tropfen. Dann werde das Fieber ausbleiben. Er empfahl mir, mich genau an diese Weisung zu halten, denn das Mittel sei sehr ernst. Ist es so?«

»Ja.«

»Ich ließ das Medikament auch schon machen.«

Sie zog ein Fläschchen aus der Tasche und zeigte es mir; dann fuhr sie fort:

»Dies ist für mich. Und nun werde ich das Medikament noch in zehn Apotheken machen lassen. Zehnfach wird es doch wohl genügen

Entsetzt faßte ich ihre Hand.

»Was willst du thun, Unglückliche? Willst du zur Meuchelmörderin werden? Deinem Gatten willst du den Leib, mir die Seele vergiften? So oft ich deiner gedachte, sah ich dich in der alten, lauteren Liebe verklärt vor mir, und nun willst du den Abscheu an deren Stelle setzen? Gieb das Rezept!«

Entsetzt, mit starr auf mich gehefteten Augen, an allen Gliedern zitternd sank die Frau in die Knie; und als ich ihr sagte: »Bisher hatte ich dich in mein Gebet aufgenommen; willst du, daß ich dich künftig verfluche?« – da begann sie zu lächeln.

» Zum erstenmal in meinem Leben duzen Sie mich ... Gestatten Sie, daß ich dies erwidere? Nein; ich mag nicht; das Wort will mir nicht über die Lippen. Richten Sie mich nicht auf; lassen Sie mich hier knieen. Ich möchte nur weinen, nichts als weinen, aber ich habe keine Thränen mehr. Hier das Rezept: zerreißen Sie es. Ich bin von Sinnen und weiß nicht mehr, was ich rede. Sie haben recht: wenn mich das Leben schmerzt, bin ich es, die sterben muß.«

»Auch das ist Sünde, was du jetzt redest. Die Seele, den göttlichen Funken, hat uns der Himmel nicht gegeben, damit wir sie zurückwerfen. Lerne im Leid dich veredeln. Jeder hat sein Kreuz, das Gott ihm zugemessen, und jeder trägt es; nur seinem Sohne hat der Herr ein so schweres Kreuz auferlegt, daß er unter der Last zusammenbrach. Willst du an die Heiligen glauben, so folge ihrem Beispiele! Sei Märtyrerin, wenn es Gott so gewollt. Das ist die wahre Religion der Katholiken.«

Sie rutschte mir auf den Knieen nach und dankte so für die Rüge, die ich ihr erteilt hatte.

»O, wie hat es wohlgethan, was Sie mir sagten! Ich kann wieder weinen und fühle mein Herz erleichtert. Sie tilgen mein Andenken nicht aus Ihrer Seele, Sie verteidigen mich. Sie reinigen mich von der Schlacke, in der ich mich wälze. Sie sagten, daß Sie mich in Ihr Gebet aufnehmen; ach, vergessen Sie meiner auch künftig nicht! Auch ich werde beten lernen. Ich will Albachs Gebetbuch kaufen und werde mir denken, daß wir uns denn doch irgendwo begegnen, wo niemand es weiß, nur der gütige Himmel!«

Ich beschwichtigte sie noch weiter, daß sie zu weinen aufhörte und gab ihr allerlei hausbackene Ratschläge; die Frau müsse sich ihrem Manne anschmiegen und dürfe die Fehler ihres Mannes nicht mit kritischen Blicken beurteilen. Sie müsse vielmehr bemüht sein, in allen Stücken nach seinem Willen zu handeln. Sie möge ihn einmal zu mir bringen, damit ich ihn kennen lerne; wenn ich ihm ins Gewissen rede, wird er vielleicht von seinen Schrullen einiges nachlassen. Möglich, daß ich ihm irgend eine geistige Arbeit übertragen kann, die seine Seele in veredelnder Weise beschäftigen würde; vielleicht kann ich einen Ehrgeiz in ihm erwecken, der ihn aus seinem Cynismus herausschält. Er ist ja ein redlicher, guter Mensch, der nur einer leitenden Hand bedarf, um vorwärts zu kommen.

Still, kopfnickend vernahm die Dame mit den Meeraugen meine guten Ratschläge. Diese Augen wußten so viel Dank auszudrücken! ... Es schien, als hätten unter der Einwirkung meiner Worte auch ihre Wangen ihre Röte wieder erlangt.

Ach nein! eitler Wahn! Nicht meine Worte haben dies bewirkt, – etwas ganz Anderes!

Sie erhob sich und nahm sich zusammen.

»Es ist gut; ich will Ihrem Rate folgen und will dulden. Ich werde folgsam sein, jeden schlimmen Gedanken von mir scheuchen. Ich werde zeigen, daß ich ein gutes Weib zu sein verstehe. Sie können meinethalben ruhig sein. Aber eines muß ich Ihnen sagen. Dieser Mann droht mir, er werde mich prügeln. Wenn ihm einfallen sollte, diese Drohung zur Wahrheit zu machen, dann soll Gott ihm und mir gnädig sein!«

Jetzt begriff ich, weshalb ihre Wangen sich gerötet hatten.

»Wenn mein Mann mich auch nur mit einem Hiebe beschimpfen sollte, dann – ich schwör's bei Jehovah dem Rächer! – ergreife ich sein Jagdgewehr und erschieße ihn!«

Nach diesen Worten verließ sie eilig mein Zimmer.

Mir war's, als sollte ich ihr nachrufen: »Kehre nicht heim, unglückliches Weib!«

Aber es war zu spät; sie war schon zum Thor hinaus. Sie war verschwunden wie ein Traumgesicht.


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