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Viertes Kapitel.

Kalte Douche.

 

Mein Herz begann heftig zu pochen, als ich die verhängnisvolle Expedition antrat.

Auf dem Wege von meiner Wohnung zu derjenigen Erzsikes führte mir das Schicksal sämtliche in Verdiensten ergraute Schauspielerinnen vom Nationaltheater entgegen; alle diese Damen hielten mich an, um mich zu befragen, wohin ich gehe; alle machten die Bemerkung, daß ich mich gar so schön herausgeputzt hätte: alle drohten mir: »Ei, ei, Sie Strohwitwer!«

Aber es hatte mich auch wirklich ein Teufel geritten, daß ich mein Haar so schön hatte frisieren lassen!

Als ich zum Thore des Hauses, wo Erzsike wohnte, hineinschlüpfen wollte, stieß ich auf den Sági Tóni. Nun, das hat mir noch gefehlt! Er war ein gemeinsamer Bekannter aus unserem Heimatskomitate und die berüchtigteste Zeitung für allen Stadtklatsch.

»Servus, Kamerad! Wie lange habe ich dich nicht gesehen! Ich komme eben von Erzsike. Das Frauchen befindet sich in einer Malefizstimmung; es fehlte nicht viel, daß sie mir die Thür wies. Sicherlich erwartet sie jemanden, – vielleicht eben dich.«

Ich bin verloren! Morgen wird es in allen Blättern zu lesen sein, daß ich hier war. Denn » quod licet bovi, non licet Jovi

Wenn ich jetzt Kehrt mache, ist's noch schlimmer.

Ich eilte denn die Treppen hinauf. Erzsike wohnte im dritten Stockwerk; sie hatte kein »Naturalquartier«. Ich mußte den nach dem Hofe zu offenen Korridor entlang gehen, um zu ihrer Wohnung zu gelangen. Auf diesem Wege kam ich an den Wohnungen einer Modistin, einer Versetzerin, einer Zubringerin vorüber und alle diese steckten die Köpfe zum Fenster heraus.

Vor Erzsikes Wohnungsthüre angelangt, fand ich daselbst, an der Glocke zerrend, einen jungen Lieutenant mit dem bereits geschilderten roten Peluchekragen, ein Herrchen von der Sorte, gegen welche ich nach dem Wunsche Klatopils als Vogelscheuche dienen sollte.

Die Thür ward ein klein wenig geöffnet und der Kopf einer grollenden Küchenfee kam zum Vorschein, die den Besucher kurz abwies.

»Die gnädige Frau ist nicht zu Hause!«

Wir traten einander schier die Sporen ab, wie wir auf diesem engen Korridor miteinander karambolierten.

Eine Minute später hatte das Antlitz derselben Küchenfee sich zu sonniger Freundlichkeit gerundet und sie sprach:

»Bitte nur hereinzuspazieren!«

Dabei öffnete sie die Thür sperrangelweit.

Da hätte man das verwunderte Gesicht des Rotkragenmännchens sehen müssen. Es genügte ihm nicht, mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen zu staunen; er mußte auch noch den Klemmer auf die Nase setzen.

Mit dem Manne habe ich morgen sicher ein Duell.

Mittlerweile aber nahm ich die Position ein.

In Erzsikes Wohnung diente die Küche zugleich als Vorzimmer, wo man die Oberkleider ablegen konnte. Die mehrfach erwähnte Magd war Köchin, Zofe, Stubenmädchen in einer Person.

»Bitte nur in den Salon hineinzuspazieren,« sprach die Magd einladend.

»Melden Sie mich vorher an; hier meine Karte.«

»Bitte, ich kann nicht darnach langen, weil ich beide Hände voll Teig habe. (Sie war eben damit beschäftigt, einen Butterteig zu kneten.) Stecken Sie mir die Karte zwischen die Zähne.«

In dieser seltsamen Weise apportierte sie meine Karte. Einen Augenblick später kam sie mit der Meldung:

»Sie können schon eintreten.«

Ich trat in das Zimmer ein, welches die Magd als Salon bezeichnet hatte.

Niemand war da. Ich blickte umher. Es fehlte die Eleganz, der Luxus, welche die Dame einst in ihrem Elternhause umgaben; doch war alles nett und hübsch. Manche Frauen verstehen die Kunst, selbst mit einem bescheidenen Hausrat Staat zu machen. Eigenhändige Stickereien, ein Musikpult mit Noten und Geige, Blumentöpfe, ein Käfig mit einigen exotischen Vögeln, walachische Katrinczas, Székler Thongeschirr, einige Bücher in Prachtband ergänzen die in der Einfachheit gesuchte Eleganz.

Eine Tapetenthür führte aus dem Salon in ein zweites Gemach; dieses ist wahrscheinlich das Schlafgemach.

Nach einigen Minuten öffnete sich diese Thür und die schöne Dame kam zum Vorschein.

Es entging meiner Aufmerksamkeit nicht, daß sie, als sie eintrat, den Kopf zur Seite bog und die Augenbrauen zusammenzog, als wollte sie jemandem, den sie dort zurückließ, stilles Verhalten empfehlen.

Als sie dann die Thür geschlossen hatte und ihr Antlitz zu mir wandte, nahmen die Züge der schönen Dame sogleich einen sehr freundlichen Ausdruck an. Sie eilte auf mich zu und reichte mir die Hand.

»Es ist sehr schön von Ihnen, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind. Zürnen Sie mir nicht, daß ich Sie bemüht habe?«

Die Dame war jetzt liebenswürdiger, denn je.

Sie war in einfachster Haustoilette, ohne jeden Kopfputz; nichts als das glänzende Seidenhaar, in einen Knoten geschürzt und durch ein einfaches Seidenband zusammengehalten.

Sie sah wie vor zehn Jahren aus, einem sechzehnjährigen Mädchen gleichend. Ihr ganzes Wesen erinnerte an ihre Kindheit; der harmlose, treuherzige Blick, die klaren Augen, der unschuldsvolle Mund.

Sie lud mich zum Sitzen ein, nahm mir Hut und Fokos ab und legte beides auf den Tisch.

»Sie bleiben ja zum Diner. Ich habe der Köchin aufgetragen, Ihr Lieblingsgericht zu bereiten.«

»Kennen Sie es denn?«

O gewiß: Bohnen mit Schweinsohr. Das wissen doch schon alle Ihre Verehrer im Lande.«

Darauf ward ich nun sehr stolz. Meine Nation hat denn doch Anerkennung für mich; anderen Lorbern ( babért), mir Bohnen ( babot).

»O, dann bleibe ich!« sagte ich.

»Zu Klatopils Zeiten durfte ich niemals Bohnen auf den Tisch kommen lassen; er sagte, man würde dumm davon.«

»Ganz im Gegenteil. Pythagoras weist nach, daß die Bohnen dieselben Bestandteile enthalten wie das menschliche Gehirn.«

Nachdem wir solchermaßen die Bohnen rehabilitiert hatten, ging ich auf den eigentlichen Zweck meines Kommens über.

»Ich würde Sie auch ohne besondere Einladung heute besucht haben.«

»Hatten Sie einen besonderen Grund, sich meiner zu erinnern?«

»Ich habe aus Italien einen Brief erhalten, dessen Inhalt Sie sehr interessiert.«

Bei diesen Worten blickte sie mich eisig kühl an.

»Mich interessiert?«

»Ich denke, ja. Am 20. dieses Monats hat eine Schlacht am Mincio stattgefunden, in welcher Ihr Gatte sich ausgezeichnet hat.«

»So?« sagte die Dame mechanisch.

»So?« – Das ist seltsam. Doch weiter!

»Er hat in der Hitze des Gefechtes auch eine Wunde davon getragen.«

Bei diesem Worte rechnete ich mit Sicherheit auf die dramatische Wirkung, daß die zärtliche Gattin entsetzt auffahren, erbleichen, sich zu einer Ohnmacht anschicken, die Hände ringen und endlich schluchzend in den Ruf ausbrechen werde: O, mein Wenzel! o mein Klatopil! Doch Erzsike that nichts dergleichen.

»Wirklich?« sagte sie, kühl bis ans Herz.

Als ob es eine alltägliche Sache wäre, daß ein geliebter Gatte in der Schlacht verwundet wird.

Ich war entrüstet. Ein so undankbares Publikum war mir noch nicht vorgekommen.

Wie soll ich nun in meinen Mitteilungen fortfahren? Ich hatte darauf gezählt, daß ich, nachdem die verzweifelte Gattin sich tüchtig ausgeweint und ausgejammert haben wird, mit der Tröstung kommen werde.

»Seine Wunde ist aber glücklicherweise nicht gefährlich, so daß er weiterkämpfen kann.«

»Das glaube ich,« warf sie gleichgültig hin.

Nun, das ist schon eine krokodilhafte Unempfindlichkeit! Haben wir Rhinozerosnerven? Auf einen solchen Empfang war ich nicht gefaßt. »Das glaube ich.« Ist das alles?

Nun, wenn unsere zärtlichen Gefühle dermaßen eingekapselt sind, so wird die Empfindung vielleicht infolge der drastischen Wirkung sich dennoch regen. Die Eitelkeit erschlafft niemals.

Ich rückte denn mit dem groben Geschütz heraus.

»Der Oberfeldherr hat Ihren Gatten Wenzel Klatopil für seine vor dem Feinde bewiesene Tapferkeit gleich auf dem Schlachtfelde zum Rittmeister ernannt.«

Die schöne Frau sprang mir auch jetzt nicht an den Hals. Sie verhielt sich ganz still und zog die beiden Mundwinkel herab.

Was soll nun das bedeuten?

Wenn man einer Oberlieutenantsgattin sagt, daß sie von heute ab »Frau Rittmeisterin« heiße, und daß jedermann, der sie auf der Straße trifft, sie beglückwünschen und »Frau Rittmeisterin« ansprechen werde – die übrigen Oberlieutenantsgattinnen natürlich mit stillem Neide –; daß sie sich nun neue Visitekarten drucken lassen dürfe, – und auch dies nicht die Wirkung hervorbringt, daß die kirschroten Lippen sich mit einemmale aufthun, um die blinkende Doppelreihe der Perlenzähne der Freude zu öffnen und in die Mitte der sonnenheiteren Wangen Liebesgrübchen zu zaubern! Was soll man denken, wenn anstatt all dessen dieser häßliche, nach unten verzogene Mund und der in trotzige Falten gelegte Hals die Antwort auf unsere Mitteilung sind? Nichts ist häßlicher, als eine schöne Frau mit einem Doppelkinn!

Erzsike brachte mich völlig in Verwirrung. Womit soll ich nun dieser schönen Frau die Zeit vertreiben? Soll ich vom Wetter sprechen?

»Darf ich Ihnen gratulieren?« sprach ich, ihre Hände erfassend.

Anstatt meine Hand zu drücken, wie es sich geziemt hätte, zog sie verdrossen die ihrige zurück und wandte den Kopf zur Seite.

Mit einemmale ward es hell in meinem Kopfe! Meine maßlose Eitelkeit hatte mir dieses Licht aufgesteckt. Was preisest du jetzt den abwesenden Gatten, da du selbst so nahe bist? Hat man dich heute zum Diner geladen, damit du die Heldenthaten Wenzel Klatopils besingest?

Ich zog meinen Sessel näher zu dem Sofa, auf welchem Erzsike saß und fuhr mit der Hand durch mein frisiertes Haar.

Erzsike bemerkte diese Bewegung und wandte mir mit einemmale ihr Antlitz zu. Ein neckisches Lächeln flog über dieses Antlitz, ein Lächeln von jener Art, das uns in einem flüchtigen Augenblicke ein ganzes Kapitel lesen läßt. Das nenne ich eine Stenographie!

»O mein Herr, sind Sie mit diesen Gedanken hierhergekommen? Sie haben sich frisieren lassen und schön gemacht, um den Unwiderstehlichen zu spielen!« Dies ungefähr besagte jenes Lächeln.«

Tausend neckische, fischschwänzige Nixen tummelten sich jetzt in den Meeraugen. Dieses Lächeln tötete.

Ich ward mir der verkehrten Lage bewußt. Ich erschien hier (gegen meine sonstige Gewohnheit) geziert und geschniegelt, wie ein » petit maître«, während sie, die Dame, in einfachem Hauskleidchen, auf jeden Toiletteprunk verzichtend, mich empfängt und mir lächelnd den Spruch des großen Poeten als Pfeil zusendet: »Schwachheit, dein Nam' ist – Mann!«

Doch warum hat sie mich denn gerufen?

Warum hat sie einen Besucher davongejagt, vor dem andern sich verleugnet, wenn nicht mir zu Liebe?

Mein Gott, vielleicht wegen eines dritten, der noch früher gekommen! Als sie aus ihrem Boudoir zum Vorschein kam, schien sie jemandem mit einer Bewegung der Augenbrauen ein Zeichen zu geben.

Ich gewann sogleich meine Fassung wieder. Mich dünkt, daß ich in jenem Augenblick sehr rot vor Scham geworden bin (was ich übrigens wohl verdient hatte).

Als ich sah, daß ich in der Rolle Don Juans keine Lorbeeren pflücke, lenkte ich rasch entschlossen in die Rolle Tartuffes ein. Wir wollen denn den Sittenrichter spielen.

»Bin ich vielleicht zu ungelegener Zeit gekommen?«

»O, Pardon, ich war es ja, die sie um Ihren Besuch bat.«

»In einer ernsten Sache?«

»In einer für mich sehr ernsten Sache.«

»Die Sache, von der ich sprach, ist ja nicht minder ernst.«

»Es scheint so.«

»Und doch haben Sie dieselbe in sehr sonderbarerweise aufgenommen.«

»Ich habe Ihnen ja mit dem gebührenden Ernste zugehört.«

»Aber die Sache hatte ja auch ihr Erfreuliches.«

Ein geringschätziges Schnalzen mit der Zunge war die Antwort der Dame auf diese meine Bemerkung.

»Interessiert es Sie nicht, wenn ich Ihnen erzähle, daß Klatopil sich tapfer geschlagen habe, daß er verwundet und ausgezeichnet wurde?«

»Nein,« unterbrach sie mich in entschiedener Weise. Hu, wie flimmerten ihre Augen! sie glichen jetzt einem lodernden Naphthateiche.

»Nein?« wiederholte ich erstaunt. »Das Glück und das Mißgeschick Ihres Gatten interessiert Sie nicht mehr? Sie fühlen für ihn nicht kalt, nicht warm?«

»Nein.«

Schon wieder dieses »Nein!«

»Sie schieden doch in Liebe und Zärtlichkeit, als er ins Feld zog.«

»Das ist wahr.«

»Und seither ist kaum ein Monat verflossen!«

»Erst achtundzwanzig Tage, ich habe die Tage gezählt.«

»Und inzwischen ist der Winter eingetreten?«

»Ja, der Winter.«

Sie begann jetzt zu lachen, sprang von ihrem Sitze empor und fuhr nun ihrerseits mit ihren fünf Fingern durch mein frisiertes Haar.

»Lassen wir die Sache bis nach dem Diner, dann will ich Ihnen alles sagen. Jetzt wollen wir uns den Appetit nicht verderben. Sie sind in diesem Augenblick entsetzt über mich und glauben, ich hätte Sie in irgend eine Falle gelockt. Sie werden später sehen, daß meine ernste Angelegenheit nichts als Spaß ist. Wir wollen uns die Sache bis zum Kaffee aufsparen.«

Ich erwachte zu neuem Leben. Die Dame ist kapriziös, das paßt für sie.

»Ich habe mich bestrebt. Sie mit einem guten Diner zu regalieren. Ich bin Ihnen Revanche schuldig. – Es ist sehr lange her, daß wir zusammen zu Mittag aßen. Zuletzt waren Sie es, der mich zu Tische lud. Erinnern Sie sich noch? Am Heidenaltar! Ich habe nie besser gegessen. Wie herrlich war das gebähnte Brot mit dem gerösteten Speck! Heute noch habe ich den paprizierten Geschmack im Munde. Heute will ich Ihnen ein Mahl bereiten, dessen Sie sich noch lange erinnern sollen.«

Nun, das ist wieder eine anmutende Äußerung! Diese Frau ist eine echte Katzennatur; sie schmeichelt und streichelt, doch muß man jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß sie ihre Krallen gebraucht.

»Kommen Sie, helfen Sie mir aufdecken. Die Köchin hat keine Zeit dazu.«

Ich mußte ihr denn behilflich sein, den Tisch zu decken. Der Salon diente auch als Speisezimmer. Von dem Tische, der vor dem Sofa stand, mußten vorher die Bücher, Porzellanfigürchen, Nippes und dergleichen weggeräumt werden, ehe wir das weiße Tafeltuch aufbreiteten.

Ich war neugierig, wie viele Gedecke sie auflegen würde? es waren nur zwei.

Und der dritte dort im Boudoir? Oder sollte ich den Wink mißverstanden haben?

Ich fing nachgerade an zu glauben, das Ganze sei nur Idiosynkrasie gewesen.

Plötzlich drang aus dem Nebenzimmer das Geräusch eines von der Stelle gerückten Sessels herein.

Die Dame des Hauses fuhr zusammen; ich sah es ihr an, daß ihr dieser Zwischenfall unangenehm sei. Sie preßte verdrossen die Lippen zusammen.

»Ist jemand in Ihrem Zimmer?« fragte ich in strengem Tone.

»Niemand!« erwiderte sie trotzig.

Ich that beleidigt. »Madame!« rief ich.

»Wollen Sie wissen, wer da drinnen ist?« entgegnete sie in gereiztem Tone.

»Ich bin nicht neugierig,« sagte ich, indem ich nach Hut und Stock langte.

»Aber ich will, daß Sie es erfahren!« rief sie, indem sie sich mir erregt in den Weg stellte. Sie ergriff meine Hand und zog mich zur Thüre ihres Boudoirs, dessen Thür sie aufstieß! In dem Zimmer sah ich eine blonde junge Dame stehen, die mit ihren großen, blauen Augen mich verwundert anstarrte.

Erzsike stellte mir die Dame vor:

» Frau Wenzel Klatopil aus Krakau

Jetzt trat Erzsike zu dem Bette und zog die Vorhänge weg. Ein Mädchen von etwa dreizehn Jahren lag darin.

»Das ist Wenzel Klatopils Tochter,« sprach sie. – »Die Ärmste ist krank. – Lassen wir die beiden allein.«

Ich hatte die Empfindung, als würde irgend eine magische Gewalt mit mir binnen einer Minute den Erdball durchrasen, vom Nordpol bis zum Äquator und wieder zurück.

Ich wußte nicht, wie ich wieder ins andere Zimmer gelangte.

Noch immer sah ich die erschrockenen, erstaunten Gesichter der Frau und ihrer Tochter.

Jetzt hörte ich jemanden hinter mir weinen. Es war Erzsike, die ihr Antlitz in den Kissen des Sofas barg und schluchzte.

»Wie sehr habe ich diesen Mann geliebt! Wie habe ich ihn für ehrlich und vollkommen gehalten! Er war mir das Ideal eines Mannes! Und auch jetzt noch kann ich ihn nicht anklagen! Nicht er war der Strafbare, sondern ich. Seine Sünde ist mein Verbrechen. – Ei was, Narretei! – Lassen Sie uns über die Lage sprechen. Sie begreifen wohl jetzt schon, weshalb ich Sie gebeten habe, mich zu besuchen. Ich bedarf Ihres Rates.«

Ich setzte mich zu ihr hin.

Erzsike trocknete sich die Thränen und begann ganz ruhig mit mir zu sprechen:

»Die ganze Welt beurteilt mich falsch. Man hält mich für leichtsinnig. Und doch: wenn mich etwas schmerzt, so schmerzt es lange. Seitdem ›er‹ fort ist, habe ich keine Gesellschaft mehr besucht und keinen Besuch empfangen. Wenn einer meiner alten Bekannten mich besucht, so sage ich ihm, daß im Hause eben aufgeräumt wird und demnach kein Platz da sei, wo der Besucher sich niederlassen könnte. Die Köchin hat überdies den Auftrag, jedem Besucher – mit Ausnahme eines einzigen Mannes – zu sagen, daß ich nicht zu sehen sei. Wer diese einzige Ausnahme sei? – Das können Sie leicht erraten, wenn Sie wollen. Wenn Sie es nicht erraten, ist's auch recht. Als ›er‹ so plötzlich fort mußte, war er in sehr rührseliger Stimmung. Er verlangte einen Eid von mir, daß ich ihm während seiner Abwesenheit nicht untreu werde. Er brachte zu dem Zwecke das Kruzifix herbei und als ich ihn auslachte, bat er, daß wenn ich ihn schon betrügen würde, ich es doch nicht mit dem erstbesten Windbeutel thun möge; ja er bezeichnete mir geradehin einen vortrefflichen Mann, auf welchen er nicht eifersüchtig wäre. Darauf erwiderte ich ihm sehr ernst, daß jener Mann, wie ich ihn kenne – wohl imstande sei, aus Liebe jemanden zu töten, aber unfähig sei, jemanden zu bestehlen

Bei diesen ihren Worten muß ich sehr rot geworden sein.

»Sodann schlug ›er‹ in eine mystische Stimmung um; er wußte, daß dies auf mich am meisten einwirke. ›In der Stunde, da du mich betrügen wirst, werde ich sterben‹ – sagte er. ›In der Minute, da ein Kuß von deinen Lippen auf dem Munde eines andern Mannes brennen wird, wird auch die mich suchende Kugel mein Herz durchbohren.‹ Ein furchtbarer Satz! – Diese Worte ließen mir keinen Schlaf, jagten mich aus meiner Nachtruhe auf. Wenn eine meiner Freundinnen zu Besuch kam und wir plauderten und scherzten, fühlte ich plötzlich ein Frösteln, das mich am ganzen Körper erbeben ließ. Während ich lache, liegt er vielleicht unter den Hufen der Rosse und haucht seinen letzten Seufzer aus. Mir wollte kein Essen munden, wenn mir einfiel, daß er in diesem Augenblicke vielleicht Hunger und Durst leide. Wenn der Sturm an den Fenstern rüttelte, dachte ich daran, daß er in diesem Augenblicke vielleicht den Unbilden des Wetters ausgesetzt sei. Er friert vielleicht und ich kann keine wärmende Hülle über ihn breiten. Seine Drohung machte mich völlig zu einer Somnambule.

»Schließlich ließ ich mich sogar vor meinen Freundinnen verleugnen. Ich ward ordentlich gemütskrank. Ich bildete mir ein, ich dürfe gar nicht froh werden. Zehnmal des Tages ging ich zu dem Kruzifix hinein, bei welchem er mich schwören lassen wollte, und kniete davor zum Gebete nieder. Ich leistete allerlei Gelübde, daß der Heiland mir den Mann schütze und unversehrt wieder heimbringe. Und doch bin ich calvinischen Glaubensbekenntnisses; allein jenes Kruzifix gehört ihm. Er ist demselben treu geblieben, wenngleich er einen andern Glauben angenommen. Ich war auf dem besten Wege, eine Pietistin zu werden. Ich begann das moralische Leben sehr schön zu finden. Gern hätte ich Sie von Zeit zu Zeit bei mir gesehen, nur um Ihnen zeigen zu können, daß auch ich so tugendhaft sei wie Sie. Ich hätte vor Ihnen Ihre Gattin gepriesen, Sie aber meinen Gatten. Dies wäre mein Ehrgeiz gewesen.«

Die Gefühlsergüsse wurden durch eine Frage der Köchin unterbrochen.

»Kann ich der Madame schon das Eingemachte hineintragen?«

»Wenn es fertig ist, ja.«

Nun wandte sie sich wieder zu mir, um mich über die Umstände aufzuklären.

»Ich muß für diese Frauen besonders kochen lassen, weil diese von unseren Speisen tödlich krank werden müßten. Darum auch ließ ich kein drittes Gedeck auflegen. Ihr Lieblingsgericht wäre für diese Deutschen der Tod.«

Die Köchin erschien mit einem eingemachten Huhn.

Erzsike kostete die Tunke, um sich zu überzeugen, ob dieselbe nicht versalzen sei, und ob die Köchin nicht etwa Petersilie dazu gethan hatte. Denn der Arzt, welcher die Kleine behandelt, ist Homöopath, der jedes Gewürz in den Speisen verbietet. Dann schnitt sie für das kranke Mädchen ein Weißbrötchen in Stücke und füllte ein Glas mit Wasser, das sie dann zwischen den beiden Händen ein wenig zu erwärmen suchte. Für die Mutter des Mädchens ließ sie aber eine Flasche Pilsener Bier entkorken.

Als ihre Gäste ihr Mittagessen verzehrt hatten, ließ sie für uns auftragen.

Bis dahin hatte sie sich in ihren Mitteilungen unterbrochen, denn die Magd kam häufig ins Zimmer und vor derselben durfte sie nicht sprechen. Und hernach, als wir schon bei Tische saßen (ich kann sagen, daß es ein sehr unerquickliches Diner gewesen!), unterbrach sie sich in der schweren Rede, so oft die Köchin eintrat, um eine Schüssel auf den Tisch zu stellen, oder die Teller zu wechseln. Sie spielte dann die Rolle der freundlichen Hausfrau, indem sie mich nach ungarischer Sitte aufforderte, doch tüchtig zuzulangen.

»Eines Morgens, als ich eben beim Frisiertische saß, kam die Magd, um mir zu melden, daß draußen eine dürftig gekleidete Frau mit einem Mädchen erschienen sei, die nach dem Herrn Oberlieutenant sich erkundigt. Auf diese Meldung ging ich in die Küche hinaus und sah eine blonde blauäugige Frau vor mir, die ungefähr in demselben Alter sein mochte, wie ich. An ihrem Arm hing ein rasch aufgeschossenes, etwa elf Jahre alt scheinendes Mädchen. Die Frau trug eine Reisetasche und einen großen leinenen Regenschirm in der Hand. Sie trug einfache bürgerliche Kleidung ohne die moderne Krinoline, einen einfachen Filzhut auf dem Haupte und genau so war auch das Mädchen gekleidet. Beide trugen das Haar glatt, von der Stirne zurückgekämmt. Die Frau wünschte mir in deutscher Sprache guten Morgen.«

Ich fragte sie, wen sie suche?

Die Frau erwiderte mir: »Ich suche meinen Mann, Herrn Wenzel Klatopil.«

»Den Oberlieutenant?«

»Als er mich verließ, war er nur Lieutenant.«

»Ich ergriff sie bei der Hand und führte die beiden aus der Küche rasch in das Zimmer.

»Glücklicherweise versteht die Köchin nicht Deutsch. Ich führte die beiden bis in mein Schlafzimmer und lud sie zum Sitzen ein.«

»Ach es wird uns gut thun, ein wenig auszuruhen, erwiderte die Frau. Wir haben einen gar weiten Weg hinter uns; wir kommen aus Krakau hieher.«

»Doch nicht zu Fuß?«

»Jawohl, zu Fuß. Wir hatten nicht die Mittel, um mit der Eisenbahn zu reisen.«

Schon der Gedanke ist furchtbar! Von Krakau nach Budapest mit einem zarten, heranwachsenden Kinde zu Fuß! Vermag die Einbildungskraft solches zu ersinnen?

»Sie sind die Gattin des Lieutenants Wenzel Klatopil?« fragte ich die fremde Frau.

»Jawohl, und das ist meine Tochter Marianne.«

»Und um ihre Behauptung nachzuweisen, holte sie aus ihrer Reisetasche den Trauschein hervor, welcher, sauber rubriziert, einen Auszug aus dem Matrikel der Krakauer Domkirche enthielt: »Bräutigam: Wenzel Klatopil, Lieutenant im ** Dragonerregiment; Braut: Anna Dunkircher. Trauzeugen: Babolescky, Oberst, und Kolmarscky, Krämer. Die Trauung vollziehender Seelsorger: Stanislaus Lubanßky, Pfarrer. Tag und Jahr: 16. Februar 1846.«

»Dann zeigte sie mir den Taufschein ihrer Tochter: »Marianne, geboren am 19. Juni 1846 in gesetzlicher Ehe. Vater: Lieutenant Wenzel Klatopil; Mutter: Anna Dunkircher. Taufgeistlicher: Stanislaus Lubanßky; Taufpaten: die obengenannten Trauzeugen.«

»Unter ihren Schriftstücken fand sich auch noch ein Ehevertrag. Es war alles schwarz auf Weiß wohl bestätigt.«

Plötzlich lachte Erzsike hell auf.

Die Köchin trat eben ein und brachte die Suppe.

»Hahaha! Wissen Sie schon nach Ollendorf, ›weshalb der Kapitän weint‹?«

»›Weil der Engländer kein Brot hat‹.«

»Susanne, Sie haben vergessen, meinem Vormunde Brot zu geben. Geben Sie ihm ein Eckstückchen, das ißt er gern.«

Die Köchin entschuldigte sich und meinte, man brauche doch zur Suppe noch kein Brot.

Es war eine prächtige Suppe mit Sahne und Ei angerührt, Reis und Hühnerklein darin. Erzsike füllte mir den Teller damit.

»Ich danke, es ist genug.«

Als die Köchin wieder hinausgegangen war, fuhren wir in unserer Unterhaltung fort. Es giebt auch kein angenehmeres Tete-a-tete in der Welt als ein solches, welches die Magd von zehn zu zehn Minuten unterbricht.

»Jetzt wissen wir,« sagte ich, »was die Ursache jener merkwürdigen Erscheinung gewesen, daß ein glücklicher Bräutigam unmittelbar nach der Trauung zu schluchzen beginnt. Dem armen Jungen fielen Weib und Kind ein, die er verlassen hatte.«

»Ja, Sie haben recht,« sagte Erzsike: – »aber lassen Sie die Suppe nicht kalt werden. Wünschen Sie Parmesan dazu?«

»Ich danke, mir ist die Suppe ohne Parmesan lieber.«

»Wenzel Klatopil aß sie mit Parmesan.«

Wir aßen nun die Suppe.

»Wenzel Klatopil aß von der Reissuppe immer zwei Teller voll.«

»Ich danke, ich nehme von einem Gerichte nie zweimal.«

»Ich weiß es. Und den besten Bissen pflegen Sie auf Ihrem Teller zurückzulassen.«

»Wie wissen Sie denn das?«

»Ich habe es noch als Mädchen beobachtet, wenn Sie manchmal bei uns zu Gaste waren. Man mißt diesem Gebrauch einen Aberglauben bei: der auf dem Teller zurückgelassene Bissen bedeute, daß unser fernes Lieb vielleicht hungert.«

»Das ist kein Aberglaube, sondern eine Regel der Gesundheitslehre: im Essen und Trinken aufzuhören, wenn es uns am besten, schmeckt.«

Kurz, wir führten eine regelrechte diätetische Erörterung, wie Leute, die keinen andern Wunsch haben, als ein hohes Alter zu erreichen und von der Gicht befreit zu sein.

Wie gesagt, gab es in der Suppe Hühnerklein. Erzsike bekam jenen Teil, in welchem sich der sogenannte Sporn befindet.

Es ist bekannt, daß in vertraulichen Gesellschaften unter jungen Mädchen der Brauch herrscht, daß, wenn einem derselben ein solcher Sporn zufällt, sie ihre Freundin auffordert, den Sporn mit ihr zu »brechen«. Die eine faßt das eine Ende des Knochens, die andere das zweite Ende und nun ziehen sie daran so lange hin und her, bis der Knochen bricht. Diejenige, welche mit ihrer Hälfte auch den Sporn davongetragen, wird früher heiraten. Dies ist auch ein Aberglaube.

Erzsike sprach lachend:

»Als wir, ich und Anna, das erste Mittagessen zusammen verzehrten, geriet mir ein solcher Spornknochen in die Hand. Ich reichte ihn der Anna und sprach: Wir wollen den Spornknochen brechen, um zu sehen, welche von uns den Klatopil bekommt?«

»Ah! Sind Sie plötzlich so gut befreundet worden?«

»Warum denn nicht? Da wir alle beide denselben Gatten haben! Natürlich behielt ich Mutter und Tochter bei mir zurück. Was wäre auch aus ihnen geworden, wenn ich sie nicht aufgenommen hätte? Sie besaßen keinen Kreuzer mehr. Auf der ganzen Reise hatten sie nichts als Kaffee genossen. Sie besaßen an Kleidern nicht mehr, als was sie am Leibe trugen, und Wäsche hatten sie während der ganzen Reise nicht gewechselt. Meine erste Aufgabe war die, beide zu bekleiden. Der Frau paßten meine Kleider; für die Kleine ließ ich welche auf der Kerepeser Straße kaufen. Das Mädchen mußte ich überdies sogleich zu Bett bringen, denn es hatte Kopfschmerz und starkes Fieber. Ich ließ einen Arzt kommen und dieser verschrieb ihr etwas, was sie einschläferte. Seither schläft die Kleine mit ihrer Mutter in meinem Bette, ich selbst schlafe auf dem Sofa. Diese Huhnleber gefällig?«

»Ich danke; fahren Sie nur fort.«

»Als die arme Frau sah, daß ich sie gut aufnehme, ward sie völlig gerührt und fiel mir um den Hals. Dann weinten wir um die Wette und wurden dabei die besten Freundinnen. Wir wußten, daß die eine für die andere den Tod bedeute. Aber welche wird das Opfer sein? Dann erzählten wir einander rasch unsere Geschichte mit dem gemeinsamen Gatten und wie wir mit ihm zusammengekommen seien. Es ließe sich eine merkwürdige Bühnenscene daraus machen.«

Ich frage: Sage mir, Anna, wie bist du mit Klatopil zusammengekommen? Und wie kam es, daß du dreizehn Jahre von ihm getrennt warst?

Anna antwortet: Das ist eine gar seltsame Begebenheit. Kennst du, Erzsi, die Geschichte der Krakauer Republik?

Ich. Nein, ich habe von der ärmsten nie etwas gehört.

Anna. Krakau ist eine große Stadt in Galizien, wo ehemals die polnischen Könige gekrönt und, wenn sie gestorben waren, begraben wurden. Dort bin ich geboren. Mein Vater war ein berühmter Handschuhmacher in Krakau; seine Handschuhe wurden in ferne Länder ausgeführt. Unsere Stadt bestand als letzte polnische Republik, als Polen zum drittenmale geteilt wurde. Sie hatte ein Gebiet von zweiundzwanzig Geviertmeilen.

»Weniger als Debreczin!« warf ich ein.

Erzsike aber fuhr in Annas Erzählung fort:

»Als ich ein zehnjähriges Mädchen war, entstand wieder einmal irgend eine polnische Revolution, die von den Österreichern, Preußen und Russen mit vereinigten Kräften niedergeschlagen wurde. Die Aufsicht über die Krakauer Republik wurde dann Österreich überlassen. Sie durften ihre alten Gebräuche, ihre Versammlungen beibehalten; aber in der Festung gab es fortan eine österreichische Besatzung. Als ich sechzehn Jahre alt war, starb meine Mutter und nun mußte ich anstatt ihrer als Gehilfin in den Handschuhladen eintreten. Hier ward ich mit Klatopil bekannt. Er war ein junger Lieutenant und kaufte gewöhnlich bei uns seine Handschuhe. Ach, wäre er doch bei den Handschuhen geblieben! Wer kann es einem sechzehnjährigen Mädchen verdenken, wenn es glaubt? Auch ich habe geglaubt. Er war übrigens ein guter Mensch. Als er sah, daß ich nur zwischen der Schande und dem Tode zu wählen hätte, erschien er bei meinem Vater und hielt um meine Hand an. Natürlich gab man mich ihm zur Frau. Bei den Polen war es niemals üblich, daß ein Mädchen, wenn es sich mit einem Offizier verheiraten wollte, vorher die Erlaubnis der Militärbehörde einholen und eine Riesensumme Geldes entrichten mußte. Der Pfarrer traute uns ohne lange Umfrage. – Wir waren kaum eine Woche Mann und Frau, als die Revolution wieder ausbrach. Krakau war der Mittelpunkt der Erhebung. Anfänglich kämpften die polnischen Insurgenten mit vielem Erfolge. Ich mußte sehen, wie die Reiterei meines Mannes, der nicht einmal so viel Zeit hatte, um sich von mir zu verabschieden, von den polnischen Sensenmännern durch die Straßen gejagt wurde.«

»Bist denn auch du eine Polin?« fragte ich sie.

»Warum sollte ich es nicht sein? Weil ich einen deutschen Namen habe? – Es kamen nun schwere Tage. Ich brachte eine Tochter zur Welt und mußte täglich zweimal zur Kirche gehen, einmal um zu beten, daß mein Vaterland seine Freiheit siegreich erringe, und ein zweites Mal, um zu beten, daß mir mein Mann wiederkehre. Ein wahnsinniges Verlangen, nicht wahr? Zwei entgegengesetzte Gebete zu erfüllen ist selbst einer Gottheit unmöglich. Mein Mann kehrte nach Krakau zurück, aber die Polen unterlagen. Die Freiheitskrieger verliefen sich, die Besatzung hingegen rückte in Krakau wieder ein. Es war ein trauriges Wiedersehen. Krakau hörte jetzt auf, eine Republik zu sein, es ward ganz einfach den österreichischen Erbländern einverleibt. Mein Vater weinte; ich aber freute mich, weil ich meinen Mann wieder hatte. Doch bald sollte ich für diese sträfliche Freude bitter büßen. Mein Mann teilte mir mit, daß es schlimm um uns stünde. Bisher hatten die österreichischen Offiziere der Krakauer Garnison nicht erst ihre Generale gefragt, wenn sie heiraten wollten.«

»Es ward auch im ungarisch-kroatischen Militärgrenzgebiete so gehalten,« bemerkte ich; »der Grenzeroffizier durfte ohne Bewilligung und Kaution heiraten.«

Anna fuhr fort: »Aber jetzt, nachdem Krakau einverleibt worden, ward das österreichische Militärgesetz auch auf uns ausgedehnt: die Gattin des Lieutenants mußte siebentausend Gulden erlegen.

Mein Vater aber war nicht in der Lage, siebentausend Gulden zu hinterlegen. Er hatte außer mir noch sechs Töchter und durfte eine so große Summe seinem Gewerbe nicht entziehen.

Auch drohte die Gefahr, daß wenn die Vorgesetzten meines Gatten von unserer Ehe Kenntnis erlangten, Klatopil seines Offiziersranges verlustig würde.

Mein Vater riet uns, Klatopil möge den Dienst quittieren und irgend eine bürgerliche Anstellung suchen. Allein, daran war nicht zu denken. Wer würde in Krakau einen österreichischen Offizier angestellt haben, der gegen die polnische Insurrektion gekämpft hatte?

Eben zu jener Zeit war Klatopil zum Oberlieutenant befördert worden. Dies weckte in uns die freudige Hoffnung, daß er sehr rasch avancieren werde; und ist er einmal Major, dann braucht er keine Kaution mehr und dann dürfen wir es offenkundig machen, daß wir Mann und Frau sind. Bis dahin aber soll es kein anderer wissen, als unsere Anverwandten und Bekannten.

Dies ward denn auch unter uns abgemacht. Klatopil aber wurde alsbald mit seinem Regiment nach Ungarn versetzt.

Als in Ungarn der Freiheitskrieg ausbrach, hörte ich von Klatopil nichts mehr. Ich wußte nicht, wo er sei und ob er noch lebe. In Kriegszeiten macht man ein Geheimnis daraus, wo dieses und jenes Regiment sich befinde. Einmal lasen wir in einem Kriegsbulletin, daß das Dragonerregiment, bei welchem mein Mann diente, an einem Gefecht irgendwo im Banat teilgenommen habe. Mein armer Vater entschloß sich damals, eine Reise nach dem Banat zu machen, um sich bei dem Obersten des betreffenden Regiments zu erkundigen, ob mein Mann noch am Leben sei. Eben als mein Vater an Ort und Stelle anlangte, wurde der Oberst mit großem Trauerpomp begraben. Er war am Typhus gestorben. Dieser Oberst war unser Trauzeuge gewesen. Er allein hatte beim Militär Kenntnis von unserer Ehe. Er bewahrte unser Geheimnis, denn seine Funktion als Trauzeuge bei einer vorschriftswidrigen Eheschließung hätte ihn seine Stelle kosten können. Der Oberlieutenant wußte von Klatopil nur so viel zu sagen, daß derselbe mit seiner Eskadron detachiert worden war, um irgend eine Aufgabe zu lösen und daß er von dieser Expedition nicht mehr wiedergekehrt sei. Es sei wahrscheinlich, daß die ungarischen Insurrektionstruppen ihn samt seiner Eskadron in die Pfanne gehauen hätten.

Ich konnte denn Trauerkleider anziehen und sie auch tragen, denn bis nach Beendigung des Krieges hörte ich nichts von meinem Gatten.«

So weit sprach Anna und nun nahm ich das Wort:

»Daß du von ihm keine Nachricht erhieltest, erklärt sich aus der Thatsache, daß er mit seiner Eskadron während des ganzen Feldzuges in dem belagerten Temesvár eingeschlossen war. Die Cernierung dauerte ein volles Jahr und während dieser Zeit konnte er keine Nachricht von sich geben.«

»Aber hernach, als Temesvár entsetzt worden? Warum ließ er mich dann nicht wenigstens wissen, daß er noch am Leben sei?«

»Die Ursache dessen ist unschwer zu erraten. Was Ruhm und Ehren betrifft, war der ganze Feldzug für ihn unfruchtbar geblieben. Als Reiteroffizier konnte er in der belagerten Festung sich nicht hervorthun. Er blieb auch nach dem Feldzug Oberlieutenant, während seine übrigen Rangsgenossen vorrückten. Ihm blieb nichts, als die Erbitterung. Ein zurückgesetzter Offizier ist schlimmer, als ein toter. Er vermag die Worte nicht hervorzubringen: ›Gottlob, ich bin am Leben geblieben!‹

»Aber dann? In späteren Jahren? Warum hat er mir drei bis vier Jahre lang nicht eine Zeile geschrieben, daß er noch am Leben sei und meiner gedenke und seines Kindes, das er so sehr liebte?«

»Da weiß ich wieder den Grund am besten. Wegen eines leichtfertigen Kameraden hatte er sich in Schulden gestürzt, er war in die Hände von Wucherern geraten, die ihn immer tiefer in den Strudel hineinzogen. Ein Offizier in so qualvoller Lage kann fürwahr wenig Lust verspüren, auch noch das Schicksal von Weib und Kind an das seinige zu knüpfen. Nunmehr trennte ihn nicht bloß der Mangel der Kaution von dir, sondern auch noch jener Sumpf, welcher den Namen ›Schulden‹ führt und welchen er nicht zu durchwaten vermochte. Gedachte er deiner und seines Kindes, so war dies nur geeignet, seine Verzweiflung zu mehren. Hätte er dir einen Brief geschrieben, so hätte derselbe nur also lauten können: ›Wenn du diese Zeilen liest, habe ich zu leben aufgehört.‹«

Anna war begierig, zu erfahren, wie weit Klatopil es im Schuldenmachen gebracht habe.

Ich nannte ihr denn das nette Sümmchen.

Ei, wie machte meine Freundin da ein langes Gesicht!

Sie fragte mich erschrocken, ob er noch immer diese riesige Schuldenlast auf sich habe?

Die Situation war so komisch, daß ich trotz aller Bitternis meines Herzens darüber lachen mußte. Ich las es der armen Frau am Gesichte ab, daß wenn ich ihr jetzt sagen würde: »Ja wohl, liebe Freundin; denn die Schulden sind das Einzige auf Erden, was der Zahn der Zeit nicht vernichten kann; die Wechsel Klatopils leben noch immer« (freilich lebten sie, aber in meinem Schubfache) – die Unglückliche imstande wäre, ihr Kind an die Hand zu nehmen und zu Fuß nach Krakau zurückzukehren. Allein mich dauerte die Ärmste; ich sagte ihr denn die lautere Wahrheit. Vier Jahre lang waren es die Gläubiger, die Klatopil hinderten, ihr Nachricht von seiner Existenz zu geben; hernach aber war ich es. Ich war mit ihm bekannt geworden, und da ich nicht wußte, daß er verheiratet sei und er mir gefiel, bot ich ihm die Eheschließung an. Ich muß zugeben, daß er zögerte, auf den Vorschlag einzugehen. Er machte allerlei Einwendungen, nur die eine nicht, daß er schon verheiratet sei; diese wäre natürlich die wirksamste gewesen. Allein, ihm war damals das Wasser schon derart bis an den Mund gestiegen, daß ihm keine andere Wahl übrig blieb, als sich zu erschießen oder sich der Bigamie schuldig zu machen. Es scheint, daß er den letzteren Ausweg für angenehmer hielt.

Selbst Anna mußte zugeben, daß es von Klatopil klug gehandelt war, sich für das Letztere zu entscheiden. Dieses Weib ist ein herzensgutes Geschöpf!

Ich gab ihr nun die Beruhigung, daß ich vor unserer Eheschließung sämtliche Schulden des guten Klatopil ausgezahlt hatte. Ich zeigte ihr sogar die in meiner Schatulle verwahrten Wechsel, klärte sie darüber auf, daß dieselben auch schon verjährt seien und daß ich dieselben trotz der veränderten Verhältnisse nicht gegen Klatopil einklagen werde. Da sank die arme, gute Person, Dankesthränen vergießend, mir zu Füßen, küßte meine Kniee und versicherte, daß sie bis zu ihrer Todesstunde meinen Namen segnen werde. Und seit dieser beruhigenden Versicherung war ihre zärtliche Zuneigung für den geliebten Klatopil wieder hergestellt.

Um meine Güte zu einer vollständigen zu machen, erzählte ich ihr noch die Scene, wie Klatopil, als wir von der Trauung heimkehrten, in ein bitterliches Schluchzen ausbrach. Sicherlich waren es Weib und Kind, um die damals seine heißen Thränen flossen. Damit machte ich sie vollends weich.

»Sehen Sie, wie gutherzig der arme Klatopil ist!«

Und nun überboten wir einander in dem Streben, möglichst viel edle Züge in dem Charakter des guten Klatopil zu entdecken. Und schließlich holten wir die Photographie des uns so teuren, gemeinsamen Klatopil hervor, reichten uns dieselbe hin und wieder und bedeckten sie mit unseren heißen Küssen, bis wir uns endlich einigten, daß die Photographie keiner von uns beiden, sondern der kleinen Marianne gehören solle.

»Wie haben Ihnen die Bohnen mit Schweinsohr gemundet?« fragte mich jetzt die Köchin, die eingetreten war, um die Teller zu wechseln.

»Bei meinem Dichterwort! Noch nie habe ich diese Speise köstlicher gefunden, als heute!«

Sie brachte nun eine Mehlspeise, der ich ebenfalls wacker zusprach. Erzsike aber fuhr fort:

»So weit reichte die Idylle. Jetzt folgt die Prosa. Nach dieser unangenehmen Entdeckung suchte ich meinen Advokaten auf und erzählte ihm die Sache, um seinen Rat einzuholen, was ich in dieser Lage anfangen solle. Ich hatte mich zuerst an den Rechtsanwalt gewendet, der ein trockener, prosaischer Herr ist und nichts anderes kennt, als das Gesetz; – dann erst wollte ich die Sache Ihnen darlegen, damit Sie Richter zwischen uns seien.«

»Zwischen wem?«

»Zwischen mir und meinem Rechtsanwalt; denn wir sind ganz verschiedener Meinung in betreff des Vorgehens, das ich nun befolgen soll.«

»Wie? auch Sie haben Ihre Ansicht?

»Ei, gewiß! Doch hören Sie vorher diejenige des Gesetzeskundigen. Und ehe Sie hören, lassen Sie uns auf das Wohl derjenigen anstoßen, die uns lieben!«

Und wir stießen an, ohne zu sagen, für wen.

»Hören Sie nun das Gutachten meines Rechtsfreundes. ›Das ist schlimm‹ – sagte er –, ›aber nur für die Anna Dunkircher. Wären wir jetzt in normalen Friedenszeiten, dann könnte die Sache den Ausgang nehmen, daß die Militärbehörde den Oberlieutenant Wenzel Klatopil zur Strafe dafür, daß er ohne behördliche Erlaubnis geheiratet hat, zur Quittierung seines Offiziersranges nötigt. In diesem Falle bleibt seine mit der Anna Dunkircher geschlossene Ehe gültig; dagegen hat Herr Klatopil nach österreichischem Strafgesetzbuch für die später eingegangene zweite Ehe die angenehme Aussicht auf zwei Jahre Kerker. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen jedoch, da die in der Lombardei kämpfende Armee jedes tapferen und tüchtigen Offiziers bedarf, würde man der Frau aus Krakau sicherlich antworten: »Ihre Ehe ist in ungesetzlicher Weise geschlossen worden und daher null und nichtig.« Der Geistliche, der sie getraut hat, wird zur Disziplinarstrafe auf ein Jahr in ein Kloster geschickt; Wenzel Klatopil aber bleibt Oberlieutenant; ja, wenn er tapfer kämpft, kann er sogar zum Rittmeister avancieren; Sie aber halten mit ihm gleichen Schritt und sind Frau Oberlieutenant oder Frau Rittmeisterin; denn infolge der Ungültigkeit der ersten Ehe erlangt die Ihrige volle Rechtskraft.‹ – Dies waren die Worte des Advokaten. Ich habe mir sie wohlgemerkt. Kennen Sie die Militärgesetze?«

»Ich muß aufrichtig gestehen, daß dieselben einen hervorragenden Platz unter den zahlreichen Wissenschaften einnehmen, die ich nicht kenne.«

»Ich erwiderte meinem Advokaten folgendes: ›Es ist gut; die Gesetze, die Umstände, die Situationen sprechen dafür, daß die Anna Dunkircher ihre Rechte auf diesen Gatten verlustig werde; wie aber, wenn das Gesetz des menschlichen Herzens zur Geltung kommt?‹ – Habe ich mich in einem guten Kurialstil ausgedrückt?«

Ich mußte ein klein wenig darüber lachen. Sie aber fuhr fort:

»Der Advokat lachte noch mehr. ›Wie?‹ sagte er: – ›Sie glauben, Wenzel Klatopil werde sich der verlassenen Gattin erbarmen? jener Frau, der er absichtlich keinen Brief schrieb, auch dann nicht, als er schreiben konnte, damit sie nicht etwa einen schriftlichen Beweis dafür in Händen habe, daß Wenzel Klatopil sie wirklich für seine legitime Ehegattin ansehe und nicht für ein verführtes Mädchen, mit welchem er eine Ehe eingegangen, von deren Ungültigkeit er überzeugt gewesen? Glauben Sie, daß Wenzel Klatopil jetzt, nach dreizehn Jahren so empfindsam sein werde, um mitten im Kampfe, vom Kriegsschauplätze weg, seine Entlassung zu verlangen? daß er den Eid, den er seinem Herrscher, seiner Fahne geschworen, vergessen werde, bloß um der Anna Dunkircher die Haube zu retten? Glauben Sie, daß Wenzel Klatopil seine so verheißungsvolle Carriere verlassen und sich auf zwei Jahre ins Zuchthaus sperren lassen werde, um von dort als gebrandmarkter Bettler herauszukommen und dann mit einer Bettlerin in gesetzmäßigem Ehebündnisse weiterzuleben? Und glauben Sie endlich, daß Wenzel Klatopil den Gebrauch seiner fünf Sinne dermaßen einbüßen könnte, um eine schöne, junge Frau wie Sie sind, eine reiche Edeldame, welche die Mittel hat, ihm eine bequeme Existenz zu bereiten, zu verstoßen, zum Gegenstande des allgemeinen Hohnes hinzuwerfen, und sich statt ihrer eine abgeblühte Lebensgefährtin zurückzunehmen, deren Gesicht in stillem Harm sich mit Runzeln bedeckt hat, die Tochter eines braven Handschuhmachers, für den es nicht einmal ein Vorteil wäre, wenn er anstatt des wohlrenommierten Namens Dunkircher den Namen Klatopil auf die Firmatafel setzen würde? Nein, Madame, ich glaube nicht an die Existenz eines derartig gutmütigen Menschen. Noch eher möchte ich glauben, daß es fischschwanzige Meerjungfern giebt.‹«

»Ich ließ den Advokaten ausreden, ohne ihn zu unterbrechen. Doch als er eine kleine Pause machte, warf ich ein: ›Ich rede nicht von dem Herzen Klatopils, sondern von dem meinigen.‹«

»›Von dem Ihrigen?‹ fragte er erstaunt. ›Wie kommt Ihr Herz in diese Sache?‹«

»Ich habe nämlich folgende Idee, um die peinliche Affaire zu schlichten. Die Kautionssumme, welche ich bei Gelegenheit unserer Verehelichung hinterlegt habe, werde ich auf Anna Dunkircher übertragen; dann wird von ihrer Seite die Bedingung erfüllt sein, unter welcher dem Offizier die Eheschließung gestattet ist. Möge sie mit dem ihr angetrauten Gatten glücklich sein! Ich aber werde irgendwohin verschwinden. Die Welt ist ja so groß! ...«

»Darauf erzürnte sich der Advokat gar sehr und rief: ›Wenn Sie das thun, verdienen Sie, nach Döbling ins Irrenhaus gebracht zu werden.‹

»Ich aber habe ganz ernst und entschieden die Absicht, so zu handeln.« – Mit diesen Worten schloß Erzsike ihre Erzählung.

Ich konnte mir nicht versagen, meine Hand auf die ihrige zu legen.

Wie viel Edelmut schlummert in diesem Herzen! Daß sich keiner gefunden, der diese schönen Empfindungen zum Leben erweckt hätte! ... Welch' eine wackere Frau wäre aus diesem Weibe geworden, wenn es einen Mann gefunden hätte, der, im gewöhnlichsten Sinne genommen, ein guter Mensch war, wie es deren neun unter zehn giebt! Warum mußte sie aus der Schicksalsurne immer den zehnten herausziehen?

Sie erriet, mit welchen Gedanken ich mich in diesem Augenblicke des Stillschweigens beschäftige. Ihre großen, in dunklem Feuer glühenden Augen füllten sich allmählich mit Thränen. Das Feuer des Diamanten ist nichts im Vergleiche mit dem Strahlenfeuer der Thränen! Wie schön war sie in diesem Augenblicke!

Ihre Lippen bebten und vermochten kaum die Worte zu stammeln: » Die andere hat ein Kind

Und bei diesen Worten begann sie krampfhaft zu schluchzen, wobei sie mit der einen Hand ihr Antlitz verdeckte, während sie mit der anderen Hand die meinige heftig drückte.

Sie dauerte mich tief und ich war nahe daran, gleichfalls in Thränen auszubrechen. Als sie sich ausgeweint hatte, seufzte sie auf und trocknete ihre Thränen.

»Sie wissen nunmehr, weshalb ich Sie zu mir gebeten habe. Sie sollen Richter sein in dieser Sache. Sie sollen entscheiden, wer recht habe: der Verstand oder das Herz? Sie sollen mir sagen, wessen Rat ich befolgen muß: den meines Advokaten, oder den meines Herzens?«

Wie schwer war da eine Antwort zu finden!

»Wir wollen einen Mittelweg suchen.« sagte ich. »Vielleicht gelingt es uns, einen solchen zu finden. Ich rate Ihnen, weder dasjenige zu thun, was Ihr Advokat Ihnen vorgeschlagen, noch dasjenige, was Sie ersonnen haben. Lassen Sie sich noch ein Weilchen Zeit. Wir haben jetzt einen großen Krieg; mehr als eine halbe Million Soldaten stehen einander gegenüber. Wenn der Krieg vorüber ist, wird der fünfte Teil dieser Kombattanten nicht mehr zu den Seinigen zurückkehren. In diesem Riesenkampfe, der über das Schicksal von Ländern und Reichen entscheidet, wird Klatopil entweder fallen oder nicht. Wenn er fällt, werden Sie und Anna ihn betrauern. Um den Witwenschleier hadern die Frauen nicht. – Wenn Klatopil aber glücklich durchkommt, dann wird er, der tapfere, ehrgeizige Offizier sicherlich vorrücken; auf dem Schlachtfelde geht man rasch in die Höhe! Er wird dann Major. Als Major braucht er keine Heiratskaution. Damals war es noch so. Er kann sich dann seine Anna Dunkircher nehmen; Sie aber brauchen ihr nicht Ihre Kaution zu schenken, deren Sie selber noch sehr bedürfen können.«

»Ich danke Ihnen,« sprach die Dame. »Das ist in der That so einfach, wie das Ei des Columbus. Wir wollen denn warten, ich und Anna, bis der Krieg zu Ende ist. Bis dahin will ich diese Familie bei mir behalten.«

»Ich möchte Sie noch auf etwas aufmerksam machen. Es wird sich empfehlen, daß Sie während dieser Wartezeit die Hauptstadt verlassen und in irgend einem kleinen Städtchen zurückgezogen leben, wo Sie keine Bekannten haben. Hier, in der Hauptstadt, geraten Sie in eine verkehrte, unhaltbare Lage. Die Geschichte der ersten Gattin wird alsbald offenkundig werden. Der Titel einer ›Strohwitwe‹ geht noch an; aber der Titel einer ›Strohgattin‹ klingt nicht gut. Ziehen Sie ehestens aufs Land hinaus und nehmen Sie Ihre Gäste dahin mit.«

»Das will ich thun.«

Kaum hatten wir diese Unterredung beendet, als der Arzt an die Thür klopfte. Wenn man einen Kranken im Hause hat, kann man sich vor dem Arzte nicht verleugnen. Der Arzt zählte auch zu meinen Bekannten. Er war Homöopath und erfreute sich einer ausgebreiteten Praxis. Es kann als sicher angenommen werden, daß dieser Herr Doktor heute und morgen allen seinen Patienten mit der nux vomica auch die neueste Nachricht eingeben werde, daß er mich bei der schönen Frau gefunden habe » inter pocula«. Ich wartete, bis er von der Besichtigung der Kranken wieder herauskam. Er äußerte sich beruhigend. Die Kleine sei hergestellt und könne das Bett verlassen. Erzsike fragte, ob man das Kind aufs Land führen dürfe.

»O, das würde ihr sehr gut thun.«

Mein Freund, der Doktor, wandte sich nun zu mir.

»Wie geht es immer?«

»Danke, recht gut.«

»Sachte, sachte: ich sehe dir's an den Augen an, daß du Kongestionen, Wallungen hast.«

»Ich hatte solche Zustände, bin aber schon geheilt davon.«

»Hoffentlich auf homöopathischem Wege.«

»Durchaus homöopathisch.«

Mit dem Arzte zugleich ging auch ich fort. Als ich auf die Straße trat, stieß ich wieder auf Sági Toni.

» Corpo di Bacco! Seither warst du immer bei der schönen Frau?«

»Und du bist seither immer vor ihrem Hausthor herumspaziert?«

Die Fenster des gegenüber gelegenen Hauses waren mit neugierigen Damenköpfen dicht besetzt. Ich warf mich in einen Fiaker und fuhr zum Bahnhof. Am Abend war ich in Szegedin. Dort blieb ich drei Tage, bis meine Frau ihr Gastspiel absolviert hatte. Dann kehrten wir zusammen nach der Hauptstadt zurück. Während dieser drei Tage hatte meine Frau in Szegedin täglich mehrere anonyme Briefe aus Budapest erhalten, die alle ungefähr folgenden Inhalt hatten: »Arme Freundin! Dein Mann verbringt Tage und Nächte bei seinem einstigen Ideal, der Frau Oberlieutenantin. Wir alle teilen deinen Schmerz. Die ganze Stadt weiß von der Sache.«

Wir lachten herzlich über alle diese Briefe. Aber wie, wenn ich die gute Absicht der »lieben Freundinnen« nicht durchkreuzt hätte!

... Ich war ein gar schlauer Bursche zu jener Zeit, als die Adler mir noch nicht das Haar ausgerauft hatten!


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