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Dritter Band

Erstes Kapitel.

Wunderdinge, die für Geld nicht zu sehen sind.

 

Vier Jahre waren verflossen, seitdem ich mit den Bükkforsten mich befreundet hatte.

Zwei Jahre hieß ich Sajó; dann durfte ich wieder unter meinem eigenen ehrlichen Namen das Metier des Schreibens ausüben.

Wir gingen nirgends hin, ich und meine Frau, und empfingen auch keine Besuche. Wir hatten beide zu arbeiten. Meine Frau war Künstlerin, ich war Schriftsteller, und es glaube niemand, daß in diesen zwei Welten der Himmel voller Geigen hängt. Da ist die Arbeit hart und ist sie gethan, dann freuen wir uns der Ruhe und Erholung.

Zu meinem Schaden beschäftigte ich mich auch noch mit der Redaktion und Herausgabe eines Blattes. Dem Namen nach war zwar der Direktor des Nationaltheaters verantwortlicher Redakteur und Herausgeber des » Délibáb«, Wochenblattes für Belletristik und Kunst, denn mein Name war nicht »polizeifähig«; aber in Wirklichkeit war ich es, der das Blatt schrieb, redigierte, korrigierte, administrierte und expedierte und – dabei zu Grunde ging.

Mein einziger Gehilfe war ein wackerer Jüngling Namens Koloman Iglódy. Während des Freiheitskrieges hatte der Brave bei den »Rotkäpplern« als Lieutenant gedient; in dem Treffen bei Tarczal erhielt er drei Kugeln: eine in die Wange, die zweite in den Arm, die dritte in den Schenkel. Diesen drei Kugeln hatte er es zu verdanken, daß er als »Realinvalid« entlassen ward. Er trat dann in meine Dienste als Expeditor, Austräger, Sekretär und Thürsteher. Er war ein wackerer, guter Junge.

Eines Nachmittags trat er mit der Meldung in meine Stube, daß ein Dragoner da sei.

»Was für ein Dragoner?«

»Ein Oberlieutenant.«

»Was mag ich gegen ihn verschuldet haben?«

In den fünfziger Jahren war der Besuch eines Offiziers gleichbedeutend mit einer Herausforderung. Damals fanden jene politischen Duelle statt, in welchen Koloman Tißa, Graf Julius Szapáry und Franz Beniczky sich mit den delegierten Offizieren schlugen.

»Laß ihn herein.«

»Rufen Sie mich nur, wenn nötig!« ... sagte mein Gehilfe Koloman, wobei er mit der Papierschere eine vielbedeutende Geste machte.

Der Besucher trat ein. Es war ein Mann, der mich um einen halben Kopf überragte, mit kräftigen, breiten Schultern; sein knochiges Antlitz erhielt durch die mächtige Adlernase und das breite Kinn einen harten, schroffen Ausdruck, der nur gemildert ward durch treuherzige blaue Augen, einen kleinen Mund und das »impertinent« blonde Haupthaar, das in seiner hellen Färbung durch Schnurr- und Backenbart noch übertroffen wurde.

Von der Thür bis zu meinem Schreibtisch machte der Eintretende dreimal jenen kurzen Mazurkaschritt, mit welchem Männer einander den ersten Gruß bieten. Den schönen Helm mit den beiden goldenen Löwen und dem roten Federbusch hielt er in der Hand, an die Hüfte gedrückt. Als er vor mir stehen blieb, schlug er die Sporen zusammen und stellte sich mir in ungarischer Anrede vor:

»Dragoneroberlieutenant Wenzel Klatopil

Er hatte die Eigentümlichkeit, jedes Wort mit einer erläuternden Geste zu begleiten, so daß selbst ein tauber Mensch ihn hätte verstehen können. Die entschuldigende Handbewegung galt seinem Namen Wenzel Klatopil; seinen Oberlieutenant kündete er mit einem Hinweis auf die zwei Sterne an seinem Kragen; indem er den Helm hob, wollte er sagen, daß er Dragoner sei, und indem er mit der Rechten nach der Brust fuhr, wo der Küraß fehlte, schien er mir verstehen geben zu wollen, daß er kein Kürassier sei.

»Sehr erfreut. Womit kann ich Ihnen dienlich sein?«

»Ich hätte mit Ihnen eine längere Rücksprache zu halten, wenn Sie gestatten, mein Herr!«

Ich wollte ihm einen Sessel holen, aber das gab er nicht zu: er holte sich selber einen Sessel und nachdem er noch einmal um Entschuldigung gebeten, nahm er mir gegenüber Platz.

Ich forderte ihn auf, deutsch zu sprechen: ich sei imstande, in dieser Sprache mich mit ihm zu verständigen.

»Nein, nein, ich will ungarisch sprechen!« sagte er. Dabei machte er eine Handbewegung, wie wenn man einem widerspenstigen Kinde gewaltsam den Kopf in das Waschbecken drückt.

»Ich bin in Leitomischl geboren,« hub er an, und dabei ließ er betrübt den Kopf hängen.

Mit einer entsprechenden Mimik gab ich ihm zu verstehen, daß dieser Umstand nicht in Betracht komme.

»Mein Vater war ...« Er machte mit beiden Händen eine Bewegung, wie wenn man ein Schießgewehr anlegt.

Ich merkte allgemach, was die vielen Gesten sollten. Dies ist eine Gewohnheit solcher, die auf autodidaktischem Wege sich eine fremde Sprache aneignen und nicht gleich den gesuchten Ausdruck finden. Ich beeilte mich, ihm zu Hilfe zu kommen.

»Oberförster,« sagte ich.

»Ja, Oberförster.«

»Er hatte Söhne ... Er hob die zehn Finger und dann noch einen.

»Elf,« sagte ich.

»Ja, elf. Ich war der ...« Jetzt hielt er die flache Hand ganz nahe über dem Boden.

»Der Jüngste.«

»Richtig: der Jüngste. Mein Vater gab mir eine ...« Hier machte er eine sehr bezeichnende Handbewegung.

»Eine strenge Erziehung.«

»Hm. Aber das war alles ... (›vergeblich‹ machte die Hand). Er wollte, daß ich ein ...« Er legte die Hände wie zum Gebet zusammen.

»Daß Sie ein Geistlicher werden.«

»Ja; aber ich wollte nicht und habe ... (Eine große Geste, mit der er in die Ferne zeigte) – dem Seminar Valet gesagt.«

Darüber lachten wir nun alle beide.

Die nächsten Gesten, eine reitende Bewegung auf dem Sessel und das Zusammenschlagen der Sporen, sagten mir, daß er zur Kavallerie ging.

»Mit vierundzwanzig Jahren war ich Lieutenant. Zu Krakau lag ich zwei Jahre in Garnison. Den Feldzug in Ungarn habe ich vom Anfang bis zum Ende mitgemacht. Jetzt bin ich vierunddreißig Jahre alt und bin nur Oberlieutenant. Ist das nicht merkwürdig?«

Ich gab zu, daß dies sehr befremdlich sei.

»Meine anderen Kameraden sind schon Rittmeister, Majore und haben Auszeichnungen bekommen. Ich nichts. Sehen Sie: nichts! Und ich habe Courage, bin ein guter Reiter, verstehe den Dienst, habe gute Konduiten. Wissen Sie, was die Ursache ist?«

Ich war in der That begierig, die Ursache dieses Mißgeschicks zu erfahren.

»Ich war mit meiner Eskadron während des ganzen Feldzuges in Temesvár eingeschlossen und hatte keine Gelegenheit, meine Tapferkeit zu bethätigen. Kavallerie hinter Schanzen! Während meine Kameraden draußen ...«

»Tapfer kämpften« –

»Ja, konnten die Kavalleristen in der belagerten Festung ...« Hier steckte er den Daumen zwischen die Zähne.

»Ihre Pfeifen rauchen.«

»Ja, das thaten wir.«

Hier überließen wir uns einem neuerlichen Heiterkeitsausbruch. Ich bat meinen Besucher nochmals, er möge nur deutsch sprechen; allein er erwiderte: » muszáj!« Ja, wenn er auch dieses ungarische Wort schon kennt, dann freilich »muß sein!«

»Jawohl, ich muß Ungarisch reden, – auf allerhöchsten Befehl.«

»Wie? auf allerhöchsten ...«

»Ja, ja. Wen halten Sie für den größten Tyrannen der Welt?«

»Dionysos von Syrakus.«

»Hoho, junges Blut! Das ist der größte Tyrann!«

Dabei tupfte er sich mit dem Zeigefinger zwischen der vierten und fünften Rippe in die Seite.

»Das Herz?«

»Jawohl; das Herz ist der größte Tyrann. Es befiehlt mir, Ungarisch zu lernen.«

»Aha, wir sind also verliebt?«

Er fuhr sich mit dem Handrücken unter dem Kinn hinweg; – das war seine Antwort.

»Bis zum Halse?«

»Nein, bis zu den Ohren.«

»In eine schöne Ungarin?«

Er führte drei Finger zusammen und führte sie so an den gespitzten Mund. Das hieß: »Wunderschön!« Dann fuhr er sich mit beiden Händen sanft über die Wangen und gab mir so zu verstehen: »Auch jung und reizend.«

Beide Hände in die Hüften stemmend, kündete er mir: »Schlank wie eine Lilie.«

Nun legte er je einen Finger waagrecht an seine Augen und dies bedeutete ganz klar: »Welche Augen!«

Zum Schlusse kreuzte er die Arme und that sie gleich wieder auseinander, was nicht anders gedeutet werden konnte, als: »Kurz, eine bezaubernde Schönheit!«

»Ich gratuliere.«

»Ich bin auch wirklich zu beglückwünschen.«

»Ihre Liebe wird natürlich erwidert.«

»Oho!« rief mein Besucher, indem er an seinen Degen griff.

»Bitte, es war ja kein Fragezeichen bei meiner Bemerkung.«

»Natürlich.«

Nun schwieg er und machte sich mit seiner steifen Halsbinde zu schaffen. Ich merkte ihm an, daß er weiter gefragt werden wolle.

»Ist's ein Fräulein?«

»O nein.«

»Also eine Witwe?«

»Nein.«

»Doch keine Frau?«

»Welche Idee!«

»Nun, was ist sie denn?«

»Eine Dame, die einen Gatten hat und doch wieder keinen Gatten hat.«

»Aha, eine geschiedene Frau.«

»So ist's, eine Geschiedene.« (Und er machte eine entsprechende Handbewegung.)

»Nun, dann ist dies ja ein völlig legitimes Verhältnis.«

Jetzt erhob sich mein Besucher von seinem Sitze und stellte sich vor mir in Positur. Ich that dasselbe.

»Die Dame wünscht, Sie möchten sein ihr ...«

»Ihr Trauzeuge?«

»Ja, ihr Trauzeuge.«

»Kenne ich denn die Erwählte Ihres Herzens?«

»Natürlich. Wenn ich Ihnen nur ihren Vornamen sage, werden Sie sich ihrer sogleich erinnern. Es ist die ›Erzsike‹.«

»Ach, die Erzsike!«

»Wie rot Sie dabei geworden sind! Sie waren auch in sie verliebt; sie hat es mir gesagt. Nun, wollen Sie ihr Trauzeuge sein?«

»Recht gern.«

»Wirklich?«

»Von Herzen gern.«

Er faßte mit beiden Händen meine Hand und schüttelte dieselbe kräftig; seine Augen wurden ganz klein vor Wonne. Ich glaube, er habe mich auch küssen wollen; aber er hatte eine große Nase, ich habe dito eine große Nase und so mußte das zärtliche Attentat unterbleiben.

»Erlauben Sie, daß ich meine Braut hereinrufe?«

»Von wo denn?«

»Sie wartet draußen.«

»Doch nicht im Treppenhause?«

»Ja, im Treppenhause. Sie wollte nicht eher hereinkommen, als bis Sie einwilligen, ihr Trauzeuge zu sein. Sie schämt sich.«

Ich eilte hinaus, um der zögernden Besucherin die Thür zu öffnen.

Es war in der That Erzsike.

Wir waren im Winter, daher trug sie allerlei Pelzwerk und auf dem Haupte eine Pelzmütze; sie sah ordentlich wie eine Russin aus.

In ihren Mienen lag wirklich eine gewisse kokette Schamhaftigkeit. Ich konnte mir dies ganz und gar nicht erklären. Nach Muki Bagotay, Gyuricza Peter und Rengetegi war Wenzel Klatopil geradezu ein »Fall nach aufwärts«.

Der Bräutigam war in meinem Zimmer geblieben, bis ich die Dame hineingeleitete.

Hier bat er sie zunächst um die Erlaubnis, ihr die Hand küssen zu dürfen, dann bat er mich um Verzeihung, weil er dies gethan. Er war dann nicht mehr zu bewegen, wieder Platz zu nehmen, sondern blieb hinter dem Lehnsessel stehen, in welchem die Dame sich niedergelassen hatte.

»Haben Sie begriffen, was mein Held Ihnen auseinandergesetzt hat?« fragte Erzsike, nachdem sie die erste Gêne abgestreift hatte. Denken Sie sich, er hat mir sein ritterliches Wort gegeben, mit einem Ungar niemals anders als ungarisch zu reden. Zuerst quälte er seinen Privatdiener damit ...«

»Das ist ja ein sehr löblicher Vorsatz,« bemerkte ich.

»Doch nun lassen Sie mich Ihnen sagen, warum ich gerade Sie um das Opfer bitten mußte, mein Trauzeuge zu sein.

Ich versicherte ihr, daß mir dies kein Opfer, sondern ein Genuß sei.

»Nach unserer letzten Begegnung haben Sie vielleicht gar nicht erwartet, daß wir einander im Leben jemals wiedersehen würden?«

Betroffen schaute ich sie an.

»O,« fuhr sie fort, indem sie auf den Offizier zeigte, »Der geniert uns nicht! Er ist ein so guter Junge, daß man ihn um den Finger wickeln könnte. Vor ihm kann ich erzählen, was ich will. Meine Geschichte ist Ihnen soweit bekannt, daß ich nach der Revolution mich mit Bálvánossy eine Zeitlang verborgen hielt. Ich möchte nicht, daß Sie es für einen leichtfertigen ›Seitensprung‹ halten, daß ich jenen Mann verlassen habe. Denken Sie sich: er ist in der That zu jener Niedrigkeit herabgesunken, die ich Ihnen als Möglichkeit erwähnte, d. h. er erzählte dem kaiserlichen Kommissär die Geschichte von der Depesche, purifizierte sich dabei und denunzierte mich. Vor mir entschuldigte er sich damit, daß er sich reinwaschen habe müssen, um eine Konzession als Theaterdirektor zu erlangen; mir, der Frau – meinte er – werde man diesen ›kleinen Spaß‹ nicht als Schuld anrechnen. Ach, dem war aber nicht so. Sie citierten, verhafteten und verhörten mich. Diesem braven, guten Jungen da habe ich es zu danken, daß es mir nicht noch schlimmer ergangen. Er hat mich in seinen Schutz genommen, sonst wäre mir der ›kleine Spaß‹ teuer zu stehen gekommen. Nicht wahr, Wenzel?«

Der Oberlieutenant machte eine Handbewegung, mit der er sagte: »Lassen wir das!«

»Da beginnt unsere Bekanntschaft,« fuhr die Dame fort. »Dies wird vielleicht vor Ihnen auch entschuldigen, daß ich einen Fremden, einen Offizier mir zu meinem Zukünftigen erwählt habe. Ich hatte sehr triftige Ursache, gegen mein einstiges heldenmütiges Ideal zu erkalten.«

Die schöne Dame schien mit der Wirkung nicht zufrieden, die ihre Worte auf mich übten; ich muß wenigstens annehmen, daß die folgenden Kommentare nicht so sehr zur Freude ihres Bräutigams, als zu meiner Aufklärung dienen sollten.

»Ja, glauben Sie mir: ich sage es ganz ernst, daß ich Klatopil nicht bloß aus Dankbarkeit auszeichne, weil er mich aus so schweren Übeln befreit, und – was mir noch mehr gilt – vor allen weiteren Behelligungen dieses Bramarbas Bálványossy geschützt hat, sondern auch deshalb, weil er ein sehr ehrenwerter Charakter ist, die verkörperte Gerechtigkeitsliebe, ein Mann, der selbst zum Spaß nicht lügen kann; kühn und stark, dabei zärtlich und gefühlvoll; ein Mann von Wort und darum vorsichtig in der Verpfändung seines Wortes. Das Ideal von einem Mann.«

Ich hatte einen Bleistift in der Hand und vor mir lag ein Blatt Papier. Ich weiß nicht wie es kam, aber mit einemmale hatte der Bleistift Folgendes auf das Papier gekritzelt:

»Nr. 4.«

Die Dame begriff das Gekritzel und schüttelte den Kopf; sie lächelte sogar flüchtig.

»Dieser gleicht nicht den übrigen, versicherte sie. Er ist das gerade Gegenteil von alldem, was man unter den ›Eroberern‹ zu verstehen pflegt. Es wird Ihnen unglaublich scheinen, wenn ich Ihnen sage, daß er mich drei Jahre lang fast täglich besuchte, ohne sich einen Antrag, einen kühnen Schritt zu gestatten. Tagtäglich mußte ich ihn von neuem auffordern Platz zu nehmen, den Helm wegzuthun, den Säbel in den Winkel zu stellen; und unsere Unterhaltung ist über die gemeinsame Lektüre der Schillerschen Gedichte niemals hinausgekommen.«

Ich muß zugeben, daß dies in der That ein ganz außerordentlicher Fall sei.

»Dies ging so weit, daß ich mich über ihn moquierte, fuhr die schöne Dame fort. Sie wissen es ja: ich bin nicht daran gewöhnt, daß einer der mir den Hof macht, sich als Memnonsäule gebe. Da gestand mir denn Herr Klatopil aufrichtig, daß er sich ›vor mir fürchte‹. – ›Wenn ich vor dem Feinde so feig wäre wie vor Ihnen‹ – sprach er – ›würde ich verdienen, daß Se. Majestät mich sofort aus seinem Offizierscorps ausschließe‹.«

Der Oberlieutenant bekräftigte durch ein Kopfnicken, daß seine Worte richtig angeführt worden seien.

»Schließlich mußte ich um seine Hand anhalten,« fuhr Erzsike fort. – »Ist es so, mein Freund?«

Der Bräutigam bestätigte, daß dem wirklich so sei.

»Er that dann noch sehr bescheiden, erinnerte an seinen niederen Rang und erbat sich Bedenkzeit. Ist's nicht so?«

»Ja, so ist es.«

»Ich mußte diese seine Skrupel zerstreuen, einen nach dem andern, – bis ich ihn endlich zu der bestimmten Erklärung brachte, daß er mich zur Frau nimmt. Ich habe niemals einen solchen Offizier gesehen.«

Erzsike konnte mir die Frage vom Gesicht ablesen: Was geht all das mich an? Ich hatte nicht nach ihren Verhältnissen gefragt und kümmerte mich auch nicht um dieselben.

Doch sie fuhr in flehendem Tone fort:

»Alldies habe ich Ihnen nicht deshalb erzählt, um Sie damit zu amüsieren, sondern weil ich eine große Bitte an Sie habe.«

»Der Herr Oberlieutenant hat mir schon davon gesprochen.«

»Nicht die Trauzeugenschaft ist's, was ich meine. Diese wäre keine so große Sache. Diesen Gefallen würden Sie selbst Ihrer Magd erweisen. Ich habe mir was Größeres zu erbitten. Meine Bitte geht dahin, Sie möchten mein gesetzlicher Vormund werden.«

»Ich Ihr Vormund? Ihr Waisenvater?«

»Sie müssen das Wort ›Vater‹ nicht gar so stark betonen! Allerdings sind Sie nur um vier Jahre älter als ich.«

»Nicht von meinen Qualitäten rede ich, sondern von den Ihrigen; was soll einer verheirateten Frau ein Vormund?«

»Beispielsweise für den Fall, wenn die verheiratete Frau ihr Vermögen in leichtsinniger Weise verwaltet.«

»Halten Sie mich für eine große Finanzkapazität?«

»Ich halte Sie für meinen guten Freund, für meinen einzigen guten Freund in der Welt, der für das Gute, das er mir erweist, von mir nichts verlangt und nichts erwartet. – Das ist eine Sache, die ich erprobt habe. – Sie werden vernommen haben – und wenn nicht, konnten Sie es leicht erraten –, daß meine Verwandten mich verstoßen haben. Sie leugnen, daß sie mich je gekannt hätten. Meine Mutter hat geheiratet und ihren Wohnsitz nach Prag verlegt. Jeder, dem ich mich vertraue, will von mir etwas erlangen: Geld oder noch Wertvolleres. Wer sich mir anschließt, ist entweder ein Schwindler oder ein Verführer, oder ein Gelegenheitsmacher. Ich selbst bin ein dummes, leichtgläubiges Geschöpf, das noch immer nicht klug genug geworden ist. Ich muß mir jemanden suchen, der mir gebietet, der mich vor dem Ruin schützt und zu dessen gutem Willen ich Vertrauen habe. Ich könnte einen Vormund bekommen, der mehr Erfahrungen besitzt als Sie und müßte mich dieserhalb nur an die städtische Behörde wenden. Aber ich könnte niemandes Tyrannei ertragen; die Ihrige ertrage ich. Um Gottes willen: lassen Sie mich nicht zu Grunde gehen!«

Ich mußte mich ihrer erbarmen. Mit einemmal merkte ich, daß sie sich meiner Hand bemächtigt hatte.

Und doch ist es eine delikate Sache, der Vormund einer schönen Frau zu sein, – und vollends der einer solchen schönen Frau!

»Meinetwegen denn; wir wollen die Sache ernst nehmen, wenn der Herr Oberlieutenant nichts dagegen einzuwenden hat.«

Herr Wenzel Klatopil erklärte, er habe in diesem Betracht keinen Willen.

»Doch nun wollen wir auf den Kern der Sache übergehen. Besitzen Sie noch das Kapital, das Sie in der Wiener Sparkasse angelegt hatten?«

»Ja, ich besitze es noch, und sobald Sie amtlich zu meinem Vormund ernannt sind, können wir es dort kündigen und in der Pester Vaterländischen Sparkasse anlegen.«

»Hier geht die vierteljährliche Anweisung der Zinsen viel flotter von statten. Von diesem Kapital müssen Sie auch die Heiratskaution Ihres Gatten erlegen.«

»Ja, sechstausend Gulden.« (Soviel betrug damals die Heiratskaution eines Oberlieutenants.)

»Dieser Betrag könnte übrigens auch auf Ihr Elternhaus einverleibt werden.«

»Wie Sie es für gut finden.«

»Ich halte dies für besser, weil ich denke, daß Sie von diesem Hause kein Erträgnis sehen werden und ich Ihnen von Ihrem Barkapital so viel als möglich gerettet sehen möchte.«

»Gerettet?« fragte Erzsike verwundert.

Ich kratzte mein Haupthaar ringsherum. (Ich hatte damals noch recht viel.) Es war meine Pflicht als Vormund, ihr meine Ansichten ganz aufrichtig darzulegen. Endlich fand ich die geeignete Form.

»Ich muß Ihnen sagen, meine Gnädige, und Ihnen, geehrter Herr Oberlieutenant: ich habe in meinem Leben schon vielerlei Wunder gesehen; einen einfüßigen Ballettänzer, der die schwierigsten Pirouetten machte; einen Maler ohne Hände, der mit seinen Füßen die schönsten Porträts malte; einen blinden Tragöden, der den Hamlet wunderschön spielte; – aber einen Kavallerieoberlieutenant ohne Schulden habe ich noch nicht gesehen.«

Als sie dies hörten, brachen beide in ein helles Gelächter aus.

»Nein, nein!« sagte der Bräutigam endlich, – »auch ich bin kein solches Wunder.«

Ich bat ihn nun, er möchte, da wir in den Geständnissen schon so weit sind, mit seinem Sessel ein wenig näher rücken und den Helm wegstellen, damit wir bequemer in Ziffern reden. »Wie viel machen die Schulden aus?«

Nun, es kam ein ganz artiges Sümmchen heraus.

Der Bräutigam konnte es leicht aus meinen Mienen herauslesen, daß mir dieser Preis für einen Oberlieutenant zu hoch dünke. Für so viel Geld hätte Erzsike auch einen Major gefunden.

Er beeilte sich, mir die Sache zu erklären.

»Nicht ich selbst habe die vielen Schulden gemacht; sondern einer meiner guten Kameraden, ein Oberlieutenant, der Sohn reicher, vornehmer Eltern. Dieser hatte mich bewogen, meinen Namen auf seine Wechsel zu setzen. Er war noch minderjährig; ich schrieb und schrieb, ohne zu wissen, was daraus werden solle? Als endlich meinem jungen Freunde das Wasser bis an den Mund reichte, schoß er sich eine Kugel vor den Kopf. Sein Vater verweigerte die Zahlung und so erbte ich seine – Gläubiger. Seither zahle ich fortwährend, aber die Schuld wird nicht kleiner, sondern größer, und immer enger und enger fühle ich um meinen Leib die Ringe der › Boa conscriptor‹ sich zusammenziehen.«

Über die » Boa conscriptor« lachten wir nun alle drei, obgleich es im Grunde darüber nichts zu lachen gab.

»Summa summarum: Nach Bezahlung der Schulden des Herrn Oberlieutenants und nach Erlag der Heiratskaution bleiben Ihnen, Madame noch fünfundzwanzigtausend Gulden.«

»Ich weiß es. Eben deshalb bitte ich Sie, mir ein strenger Vormund zu sein; denn wenn ich die freie Verfügung über dieses Geld behalte, so ist es in fünf Jahren aufgezehrt.«

»Ich bin verwundert, daß es so lange angehalten.«

»Dieses Wunder erklärt sich dadurch, daß Mama auf das in der Wiener Sparkasse hinterlegte Kapital ein Verbot gelegt hat; die Beschlagnahme erlischt erst dann, wenn ein ehrenwerter Mann von Rang mich zur Frau nimmt.«

»Sie müssen sehr sparsam leben, um mit den Zinsen dieses Kapitals das Auslangen zu finden.«

»Herr Klatopil hat ja auch seine Gage und als Kavallerie-Offizier auch Anspruch auf ein Naturalquartier.«

»Und dieses ›Naturalquartier‹ wird Ihnen genügen?«

»Sie wissen ja, daß ...« (Ich sah ihr an, sie wolle sagen, »daß ich an das gewöhnt bin« – und machte ein kurioses Gesicht. Sie begriff die Pantomimik: es würde sich nicht empfehlen, vor diesem »k. k.« Bräutigam die Erlebnisse von anno Rengetegi zu erzählen; darum schlug sie mit künstlerischer Virtuosität aus dem prahlerischen Ton der Marketenderin in ein zärtliches Girren um und sagte:) ... »die wahre Liebe zu jedem Opfer fähig ist.«

»Nicht wahr, Wenzel?«

»Ja, Elise.«

Und sie reichte mit einem bezaubernden Lächeln dem Bräutigam ihre Hand, die jener zärtlich an die Lippen führte.

An dieser Aufführung von »Romeo und Julia« fand ich wenig Vergnügen und ich fühlte nicht übel Lust, die Darsteller auszupfeifen.

»Nun nur noch eine Frage, meine lieben Kinder, ehe ich euch meinen väterlichen Segen gebe. Geehrter Herr Oberlieutenant, wie ich aus Ihrem curriculum vitae ersehe, hatte man Sie ursprünglich für die geistliche Laufbahn bestimmt; demnach sind Sie wahrscheinlich Katholik?«

»Richtig, ich bin römisch-katholischen Glaubens.«

»Haben Sie in der Zeit, die Sie im Seminar zubrachten, nichts davon gehört, daß ein katholischer Mann eine calvinische Frau, die von ihrem Gatten nach den bürgerlichen Gesetzen geschieden ist, nicht ehelichen darf, weil nach den Dogmen seines Glaubens die Ehe ein Sakrament ist, das kein weltlicher Richter lösen kann?«

Bei dieser meiner Frage schaute der Bräutigam sehr verwundert drein.

»Daran hat keiner von uns beiden gedacht,« sagte er.

Erzsike schaute mich mit Basiliskenaugen an. Huh, wie blitzte es in den Meeraugen!

»Wie wäre nun da abzuhelfen?« fragte mich der Bräutigam mit kindischer Unbeholfenheit.

»Nicht anders, als wenn Sie zum calvinischen Glauben übertreten.«

»Was? Cal...«

Das übrige sagte er schon draußen vor der Thüre. Er hatte in aller Eile seinen Helm ergriffen und rannte davon, ohne sich auch nur umzublicken. Mein Gehilfe Koloman sagte, er habe noch niemals einen Dragoner mit solcher Eile laufen gesehen.

Erzsike hatte er mir auf dem Halse gelassen.

Das Frauchen war furchtbar wütend.

»Das war von Ihnen nichts als Bosheit. Meinen Bräutigam so in die Flucht zu jagen! Wie konnten Sie mir diesen Streich spielen?«

»Er hätte dies früher oder später erfahren müssen. Der Pfarrer hätte Ihnen das kirchliche Aufgebot verweigert.«

»Das hätten Sie nur mir überlassen sollen. Hätte ich einmal seine Schulden bezahlt, dann wäre es seine ritterliche Pflicht gewesen, dieses Opfer für mich zu bringen; er hätte dann nicht mehr zurücktreten können.«

Ich mußte zugeben, daß ich eine große Ungeschicklichkeit begangen habe. Ich bat sie denn auch um Verzeihung und versprach, es nicht wieder zu thun. Ihr nächster Bräutigam konnte meinetwegen ein Türke sein.

»Mit Ihnen kann man nicht ernst reden. Aber es schadet nichts. Ich werde den Wenzel Klatopil wieder zurückbringen.«

Mit diesen Worten ging sie trotzig aus meinem Zimmer.

Ich kümmerte mich wenig um ihren Groll, denn ich hatte viel zu thun. Ich mußte auf die Kreuzbänder der neu eingetretenen Abonnenten die Adressen schreiben. Dies ist eine mehr realistische als ideale Beschäftigung, besonders wenn man auch noch das Zusammenpappen der Schleifen zu besorgen hat. Auch Korrekturbogen lagen da, mit entsetzlich vielen Druckfehlern. »Ja, die Pfarre ist arm, d'rum läutet der Pfarrer selber.« Ein sehr gebräuchliches ungarisches Sprichwort. Anmerkung des Herausgebers. In meinen Mußestunden schrieb ich – zu meiner Erholung – meinen Roman »Ein ungarischer Nabob«, zu dessen Hauptfigur ich aus einer Erzählung meiner Frau die Idee geschöpft hatte.

So verflossen einige Wochen.

Eines Nachmittags, als ich eben darüber nachdachte, ob ich selber meine Lampe in Stand setzen oder warten sollte, bis mein Bursche Koloman von der Post kommt, oder das Stubenmädchen heimkehrt, das ihrer Herrin die Kostüme ins Nationaltheater nachgetragen hatte, – ward plötzlich draußen geklingelt. Ich mußte selbst hinausgehen, um zu öffnen.

Zu meiner nicht geringen Verwunderung sah ich Erzsike vor mir, die ihrem Oberlieutenant den Arm reichte.

Wenzel Klatopil überfloß vor Freundlichkeit.

»Da bin ich wieder, mein Herr! Man hat mich gefangen genommen, in Fesseln geschlagen. Ich mußte kapitulieren.«

Ich dachte mir's wohl. Die Besatzung war eben ausgehungert.

»Es war ein starker Sturm! Mein Gott, mit solchen Batterien! Schauen Sie nur diese Augen! Was sind Raketen im Vergleiche damit? – Die Sternschanze ist genommen!«

»In der That: es muß ein mörderisches Feuer gewesen sein.«

»Und nun muß ich Sie abermals bitten, mein Trauzeuge zu sein.«

»Das heißt: der Trauzeuge Ihrer Braut.«

»Nein, zuerst der meinige. Zuerst müssen Sie mit mir zum Pfarrer kommen und anmelden, daß ich den katholischen Glauben verlasse.«

»Also doch!«

»Ich bin überzeugt.«

»Bitte Platz zu nehmen.«

»Ich bin vollkommen überzeugt. Dame Erzsike versteht besser zu kapazitieren als der beste Missionär.«

Ach ja: ich wußte es, wie Erzsike das Konvertieren verstand!

»Und wenn die Verdammnis meiner harrt, so bin ich bereit, mein Seelenheil für diese schönen Augen zu opfern.«

»Nun, nun, etwas mäßiger.«

»Bei meinem Ehrenworte! Ich wäre bereit, ihretwegen Mohamedaner zu werden.«

Das will ich glauben.

»Sie wollen also beim Pfarrer mein Zeuge sein?«

»Pardon, das ist eine ernste Sache. Ich achte meinen Glauben so hoch wie jeden anderen, bin aber kein Proselytenmacher. Wollen Sie aus ehrlicher Überzeugung Calviner werden?«

Entsetzt sprang er von seinem Sessel empor.

»Calviner? Nein, Gott bewahre!«

»Was denn sonst?«

»Lutheraner will ich werden.«

»Das ist ja gleichviel.«

»Durchaus nicht! Bei uns in Leitomischl sagt man, die Calviner seien Christusleugner!«

»Ihre Braut hätte Ihnen sagen können, daß dies nicht wahr sei.«

Nun legte sich Erzsike ins Mittel. Sie bat so schön, ich möchte ihr doch diesen Gefallen nicht versagen. Klatopil sei zur Konversion nur so zu bewegen gewesen, weil auch die Lutheraner ein Kreuz auf der Kirche haben und in der geheiligten Hostie den Leib des Herrn empfangen; weil man da von seinem Seelenheil nicht so viel riskiert und auch das Militärkommando die Sache nicht so krumm nimmt, als wenn er unter die calvinischen Kuruzen gehen wollte, u. s. w. u. s. w.

Und das Ende von der Geschichte war, daß ich, der calvinische Presbyter, der lutherischen Kirche eine neugewonnene Seele zuführte.

Ich muß doch ein guter Junge gewesen sein, einst – als mein Herz noch nicht so arg verhärtet war.

Endlich waren alle Hindernisse überwunden. Ich bewährte mich als Trauzeuge, Wenzel Klatopil als Bräutigam; Erzsike erhielt von der Excellenz Mama (sie war jetzt schon Frau Generalin) den Dispens zur freien Verfügung über ihr in der Wiener Sparkasse hinterlegtes Kapital; die Heiratskaution ward erlegt, die » Boa conscriptor« der Gläubiger gesättigt. Alles war fix und fertig und wir konnten zur Trauung gehen.

Die Hochzeitsgesellschaft bestand nebst Braut und Bräutigam aus den beiderseitigen Trauzeugen. Derjenige des Bräutigams war der Eskadronskommandant, ein Major, der auch seine Gemahlin mitgebracht hatte.

Da wird jedermann fragen: Und warum war denn nicht auch die Gemahlin des anderen Trauzeugen anwesend?

Das ist eine heikle, ich könnte sagen: eine kitzlige Frage.

Ich könnte die Frage ganz kurz mit der Antwort abthun, daß meine Frau damals ein Gastspiel in Szabadka absolvierte. Sie war gleichfalls geladen, konnte aber nicht kommen.

Ich weiß, daß diese Antwort eine unvollständige ist.

Vor allem muß ich ein Axiom aufstellen.

»Ein anständiger Ehemann darf seiner Frau keinen Grund zur Eifersucht geben, aber er darf sie auch ohne Grund nicht eifersüchtig machen.«

Sicher ist, daß ich Erzsikes Namen vor meiner Frau niemals ausgesprochen habe. (»Pantoffelheld!«) Ob sie von ihr Kenntnis hatte, weiß ich nicht; sie war viel zu stolz, um es zu zeigen.

Ich besaß auch ein Porträt von Erzsike; dasselbe lag in meinem Schreibpulte, auch nach meiner Verheiratung. Hätte man es zufällig gefunden, so hätte ich nicht sagen können, es sei das Porträt meiner Großmutter. Allein, es geschah folgendes: Als die Russen ins Land kamen und ich das Ende dieses ungleichen Verzweiflungskampfes voraussah, griff auch ich zur Büchse, schnallte meinen Säbel um, nahm meinen Reisesack, sagte meiner Frau Lebewohl und machte mich zu Fuße auf den Weg, um mich der Armee Görgeys anzuschließen. Unterwegs begegnete ich Paul Nyáry. »Wohin so schrecklich bewehrt, Freund Moriz?« – »Ich gehe, um für das Vaterland zu sterben,« erwiderte ich mit tragischem Pathos. – »Und was hast du in deinem Reisesack?« – »Einen Schinken.« – »Nun, ehe wir für das Vaterland sterben, wollen wir noch den Schinken verzehren.« Und er ließ mich in seinen Wagen steigen. Außer ihm war noch Josef Patay im Wagen. (Somit zwei Mitglieder der Debrecziner ungarischen Regierung.) Ich war begierig, wohin wir fahren und auf diese meine Frage erwiderte mir Nyáry: »Mein lieber Freund: wie es im Volkslied heißt: Der Hund, der läuft nach Szegedin, der Schweif ihm hängt gen Ofen hin.« Selbst in der gefährlichsten Lage verließ ihn seine bittere Ironie nicht. – So fuhr ich denn mit Nyáry nach Szegedin. Eine Woche später folgte meine Frau mir nach. Unsere Wohnung hatte sie der Obhut der guten alten Frau Kovács anvertraut. Diese wackere »komische Alte« hatte von den Kosaken nichts zu fürchten. Als dann die Russen unsere Hauptstadt besetzten und der strenge Befehl erlassen wurde, daß alle Waffen, Uniformen und ungarischen Banknoten abzuliefern seien, weil jeder, bei dem ein verbotener Gegenstand oder eine revolutionäre Proklamation gefunden würde, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen werden soll: da raffte die gute Alte alles zusammen, was sich in meinem Schreibtischpulte vorfand – darunter Petöfis Korrespondenzen, ein Brief Klapkas, mein Tagebuch, das ich während der Revolution geführt hatte, mit seinen zahlreichen interessanten Einzelheiten – und heizte damit ein. In diesem großen Autodafé verbrannte auch Erzsikes Porträt. Ich vermute nach alldem, daß man wohl irgend etwas ahnte; doch hat man nie etwas dergleichen merken lassen.

So kam es, daß ich allein bei Erzsikes Trauung anwesend war.

In ihrer Wohnung versammelte sich die Hochzeitsgesellschaft. Hier hatte ich Gelegenheit, die Bekanntschaft des andern Trauzeugen, des Dragonermajors zu machen. Es war ein wackerer, affabler Herr, die richtige Kopie eines echten ungarischen Vicegespans, voll Scherz und Gemütlichkeit; man merkte ihm kaum den Soldaten an, am allerwenigsten den österreichischen Soldaten. Er schimpfte wie ein Rohrspatz über die »Bachhusaren«, lobte dagegen die Ungarn. Er war nicht zu Temesvár eingeschlossen wie der Oberlieutenant; zuerst hatte er in Italien gekämpft, von dort war er nach Ungarn gekommen. Er hatte die Gewohnheit, seine Rede mit ungarischen Kernsprüchen zu würzen. Auch seiner Frau stellte er mich vor, bei welcher Gelegenheit er sie seinen »Hausdrachen« nannte. Und doch hatte sie nichts Drachenartiges an sich, war vielmehr eine stattliche, wackere Dame in den besten Jahren, mit sehr angenehmen Gesichtszügen. Die Eigenschaft hatte sie allerdings, daß wenn sie einmal ins Reden kam, sie weder Punkt noch Pause kannte. In meinen Augen ist dies aber ein Vorzug, denn ich amüsiere die Damen am liebsten so, daß sie reden und ich ihnen zuhöre.

Während die Braut Toilette machte, schilderte mir die Frau Majorin die Familienverhältnisse sämtlicher verheirateten Offiziere des Regiments.

Als endlich die Braut in vollem Hochzeitsschmucke erschien, begleitet von dem Bräutigam, der in der einen Hand seinen Helm, in der anderen ein riesiges Kamelienbouquett trug: da ging, nach ungarischer Sitte, mit aller gebotenen Feierlichkeit der Notenwechsel zwischen dem Beistande des Bräutigams und dem Beistande der Braut vor sich.

Der Major war übrigens nur mir gegenüber der gemütliche » Táblabiró«; dem Oberlieutenant gegenüber blieb er fortwährend der Vorgesetzte und kommandierte ihm, als säße er zu Pferde und sollte auf Eclaireursdienst gehen. Und der Oberlieutenant gehorchte stramm.

Der Bräutigam machte auf mich den Eindruck, als säße er im Sattel, an der Spitze der Eskadron. Das Kleingewehrfeuer beginnt; die Flintenkugeln pfeifen ihm rechts und links an den Ohren vorbei, die Granaten schlagen zischend vor ihm in den Boden ein; und er darf sich nicht rühren, selbst den Kopf nicht zur Seite neigen, bis endlich das Kommando ertönt: »Vorwärts! Marsch! Marsch! Schwerter heraus! Drauf und dran! Schlag zu! Hau zu!« – Was sag' ich: Hau zu? Ach nein, hier galt es nicht zuzuschlagen, sondern die zärtlich liebende Braut ans Herz zu drücken.

Immer auf Kommando kamen wir endlich zum Altar.

Es war geschehen: ich hatte Erzsike an den Mann gebracht.

Sie hatte sich sehr wacker gehalten; freilich war sie nicht ganz ohne Übung.

Dem Bräutigam hingegen mußte jede Bewegung kommandiert werden; er war daran gewöhnt. Er fand kaum so viel Fassung, um den Handschuh abzuziehen und wollte durchaus, daß die Braut zu seiner Rechten stehe, während der Pfarrer verlangte, daß sie zu seiner Linken Aufstellung nehme. Und als die Trauungsceremonie vorüber war, wandte er sich zu seinem Beistand mit einer Miene wie ein zum Tode verurteilter Delinquent, der nur mehr in die allerhöchste Gnade seine Hoffnung setzt.

»Man hat uns ›zur linken Hand‹ getraut,« stammelte er.

»Sei unbesorgt, Kamerad, das ist so üblich. Deine Braut stand zu deiner Linken, aber man hat eure Rechten ineinander gelegt.

»Unmöglich!«

Der gute Klatopil wußte nicht mehr, welche seine rechte und welche seine linke Hand sei.

Auf der Heimfahrt saßen Mann und Frau schon in demselben Wagen.

In Erzsikes Wohnung war die Tafel zu einem reichen Hochzeitsmahle gedeckt.

Als dann der glückliche Gatte seine liebreizende Gemahlin in unsere Mitte gebracht hatte, warf er sich auf das Sofa hin, barg das Gesicht in beiden Händen und begann bitterlich zu weinen.

Nun, ein ähnliches Wunder hatte man noch nicht gesehen, weder für Geld, noch umsonst. Daß der Bräutigam nach der Trauung in Weinen ausbreche und mit bitteren Thränen seine Junggesellenschaft beklage!

Die beiden Damen bemühten sich, ihn zu trösten und zu beschwichtigen; allein, er vermochte den Ausbruch seiner Gefühle nicht zurückzudrängen. Auch der Major begann ihm Mut zuzusprechen. »Aber, lieber Freund! Man muß die Sache nicht gar so tragisch nehmen. Sehen Sie: ich habe es auch überstanden und komme mit meinem ›lieben Hausdrachen‹ ganz gut aus.« Auch dies war noch kein Balsam für seinen großen Schmerz. Doch endlich ging dem Major die Geduld aus. »Tausend Bomben und Granaten! Wollen Sie uns etwa eine Produktion aus der höheren Gefühlsduselei vormachen? Vorwärts, Herr Oberlieutenant! Umarmen Sie Ihre junge Frau!«

Erzsike schaute mich flehend an, als wollte sie mich um meine Intervention bitten.

»Herr Oberlieutenant,« sagte ich, »haben Sie Englisch gelernt?«

»Ja,« erwiderte der junge Ehemann verwundert.

»Aus Ollendorffs Grammatik?«

»Ja.«

»Erinnern Sie sich der zweiten Aufgabe: › Warum weint der Kapitän?‹ – ›Weil der Engländer kein Brot hat.‹ Nun, wir wollen vor allem dem Engländer Brot geben.«

Nun lachte die ganze Gesellschaft, auch der Oberlieutenant.

Und damit war die trübselige Scene zu Ende. Wir setzten uns zu Tische und bei fröhlichem Becherklang scherzten wir viel über die seltsame Frage Ollendorffs: »Weshalb weint der Kapitän?« – und über die noch seltsamere Antwort: »Weil der Engländer kein Brot hat.«

Dieser merkwürdige Seelenzustand des Oberlieutenants blieb mir übrigens ein Rätsel, dessen Lösung mir erst nach mehreren Jahren offenkundig wurde.

Er hatte einen ganz anderen Grund zu weinen, als den, welchen Ollendorff in seiner Grammatik angab.


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