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Die Frau, die meiner Wege geht.
Ich muß jetzt zu dem Tage zurückkehren, der im Leben der ungarischen Nation einen so denkwürdigen Wendepunkt bildet: zum 15. März 1848.
Der Tag kam nicht unvorbereitet. Für die erhabenen Ideen der Volksbefreiung, freien Presse, allgemeinen Besteuerung hatten hochragende Geister seit einem Jahrzehnt gekämpft; die Zeit war gereift, der Prozeß war entschieden; das Urteil lebte im Herzen eines jeden guten Patrioten; die großen Opfer, welche die Umgestaltung erheischen wird, wurden nicht gefordert, sondern angeboten; im Reichstage debattierte man über dieselben, Partei gegen Partei, mit der Glut der Überzeugung und mit den Mitteln der Macht.
Wir hatten auch ein trauriges Beispiel vor uns, welches uns das über unseren Häuptern schwebende Verhängnis zeigte, gleichwie die fata morgana des Meeres den Schiffern das Gespenst der umgestürzten Galeere zeigte. Dieses Beispiel waren die Ereignisse des verflossenen Jahres in Galizien.
Der polnische Adel in Galizien forderte seine »Freiheit« und gab seinen Worten mit den Waffen den gehörigen Nachdruck. Es war nicht nötig, gegen die neue Konföderation Armeecorps zu mobilisieren: die Arbeit ward von den Bauern verrichtet. Die galizischen Bauern schlugen den polnischen Adel nieder. Die Censur hatte den ungarischen Blättern verboten, die Details dieses Aufstandes mitzuteilen; auf dem Reichstage konnte aber nicht verhindert werden, daß der Deputierte des Komorner Komitats, der feuerherzige junge Dionys Pázmándy seine gewaltige Stimme für die Polen erhebe und der ungarischen Nation die entsetzlichen Schreckensscenen zu schildern. Es giebt viele traurige Blätter in der Geschichte der polnischen Nation, aber kein traurigeres als dieses. Und die Hand, welche jenes Blatt bloßlegte, kann leicht auch auf das benachbarte Blatt hinübergleiten und dies ist schon die Geschichte der ungarischen Nation. Auch hier stehen einer halben Million Adeliger fünfzehn Millionen Hörige gegenüber, welche dulden, arbeiten, zahlen, die Waffen führen und – schweigen.
Da brach in Paris die Revolution aus. Die französische Nation hatte den Thron zertrümmert. (Einer unserer Schriftstellerkollegen, Ludwig Dobsa, hatte einen Fetzen vom Thronhimmel mitgebracht und Petöfi zum Geschenk gemacht. Er hatte während der Februarrevolution auf den Pariser Barrikaden mitgekämpft.) Im ungarischen Reichstag wurden heftige Reden gehalten. Allein, Preßburg war zu jener Zeit ein kalter Boden; es mußte von Pest aus nachgeholfen werden. Sagen wir noch nicht Budapest, denn Buda (Ofen) gehörte nicht uns.
Die liberale Intelligenz hatte einen Versammlungsort, den »Pester Klub«. Dort wurden die »zwölf Pester Punkte« entworfen. Ich will nicht mit fremden Federn prahlen: nicht ich habe sie entworfen, auch Petöfi nicht, sondern Josef Irinyi. Diese »Punkte« beabsichtigte die liberale Partei in einer mit vielen Tausenden von Unterschriften versehenen Monstrepetition an den Reichstag nach Preßburg zu senden.
Mittlerweile brach die Revolution aus. Die Straßen Wiens widerhallten von dem Rufe: »Freiheit!« und waren von dem Blute der Helden gefärbt, die für dieses Losungswort gefallen waren.
» Also die Wiener Deutschen, die wir so viel schmähen, wissen ihr Blut für die Freiheit zu vergießen und wir prahlerischen Ungarn sitzen im Ofenwinkel!« – rief Petöfi erbittert aus.
Wir petitionieren nicht mehr beim Reichstage, der ist taub! Wenden wir uns an die Nation; sie wird uns hören! Damals schrieb er sein » Talpra magyar!« (Auf, auf, Ungar!)
Frühmorgens, noch beim Lampenlicht, versammelten wir uns in meinem Zimmer. Wir waren unser vier: Petöfi, Paul Vasváry, Julius Bulyovßky und ich. Meine Genossen betrauten mich damit, die Pester Punktationen in einer volkstümlichen, jedermann sogleich verständlichen, kurzgefaßten Weise aufzusetzen. Während ich damit beschäftigt war, besprachen sich die anderen darüber, was dann geschehen solle. Der heißblütigste unter uns war Paul Vasváry, eine mächtige Athletengestalt. Er hielt einen Dolchstock mit Horngriff in der Hand und fuchtelte damit so lange herum, bis das Stilet aus der Hülle flog und über meinen Kopf hinweg mit der Spitze in die Wand fuhr, wo die Klinge stecken blieb.
»Ein glückliches Omen!« rief Petöfi.
Die Proklamation war fertig und wir eilten nun auf die Straße hinaus. Der »Frau« sagten wir nichts. Jeder von uns hatte irgend eine Waffe bei sich; ich hatte die famose Doppelpistole eingesteckt.
Alles übrige ist sattsam bekannt: wie die Menschenlawine ihren Anfang nahm, wie sie immer mehr anwuchs, welche Reden wir auf öffentlichem Platze hielten u. s. w., u. s. w. Allein, reden genügt nicht, es gilt auch zu handeln. Die erste That sei die praktische Bethätigung der freien Presse. Wir werden die zwölf Punkte, die Proklamation an die Nation und das » Talpra magyar!« ohne Erlaubnis des Censors in Druck legen.
Der Buchdruckereifirma »Landerer & Heckenast« wurde die Ehre dieses aufgedrungenen Ruhmes zu teil. Der Buchdrucker durfte natürlich ohne behördliche Erlaubnis nichts drucken. Da schürzten wir denn selbst die Hemdärmel auf und stellten uns zur Handpresse. Der Schriftsetzer, der das erste freie Wort setzte, hieß »Potemkin«.
Während Irinyi und die anderen jungen Leute bei der Presse arbeiteten, hatte ich die Aufgabe, an das Publikum, welches die ganze Hatvanergasse füllte, Reden zu halten. Ich weiß wahrhaftig nicht zu sagen, woher ich die Beredsamkeit nahm; sie kam von selbst.
Mein lieber, treuer Altersgenosse Paul Szontágh citiert noch jetzt einige himmelstürmende Phrasen, die er damals von mir hörte und bis auf den heutigen Tag im Gedächtnis behalten hat.
»... Nein, Mitbürger! Nicht der ist der wahre Held, der für das Vaterland zu sterben weiß; wer für das Vaterland zu töten weiß, ist der wahre Held!«
Solche Kraftsprüche gab ich damals zum besten.
Inzwischen begann es zu regnen. Der Regen ist der reaktionärste Feind jeder Revolution. Allein, meine Zuhörerschaft ward durch den Regen nicht verjagt; dagegen füllte sich die ganze Straße sogleich mit ausgespannten Regenschirmen.
»Ei, ihr Herren, donnerte ich von der Straßenecke her. Wenn ihr schon gegen Regentropfen den Regenschirm aufspannt, was werdet ihr aufspannen, wenn es in Bälde Flintenkugeln regnen wird?«
Bei diesen aufmunternden Worten schlossen sich sogleich alle Regenschirme und die Zuhörerschaft blieb da.
Jetzt erst bemerkte ich, daß nicht nur Herren mich umgaben, sondern auch Damen. Einige der Letzteren hatten sich ganz in meine Nähe gedrängt. In einer der Damen erkannte ich die »Königin Gertrude«. Sie trug einen Federhut auf dem Haupte und war in einen mit Palmblumen gestickten persischen Shawl gehüllt. Hut und Shawl waren naß vom Regen. Ich war der Dame schon einige Male im Hause Szigligetis begegnet. Ich forderte die Damen auf, nach Hause zu gehen, weil sie hier ganz naß würden und weil sie auch noch anderen Zufälligkeiten ausgesetzt sein könnten.
»Es ist doch um uns nicht mehr schade, als um Sie,« lautete die Antwort.
Sie wollten warten, bis die Druckschriften fertig würden. Kurz hernach erschien Irinyi am Fenster der Buchdruckerei; es war die bare Unmöglichkeit, beim Thor hinauszukommen. Er hielt das erste Druckwerk der freien Presse in der Hand.
Ach, ich vermag die Scene nicht zu beschreiben, als die ersten freien Blätter von Hand zu Hand gingen. Freiheit, Freiheit, du erster Sonnenstrahl eines neuen, schöneren Jahrhunderts! Du Anfangsbuchstabe des Evangeliums, auf einem Blatt Papier sichtbar gemacht! Es war die erste Frucht der freien Presse, des paradiesischen Baumes der Erkenntnis. Welches Getümmel, welches Getöse, welches Gestrampfe, als alle Hände nach dieser verbotenen Frucht sich ausstreckten! Welchen Galileischen Anstoß bekam da unser Globus!
Ach Preßfreiheit, du siebenköpfiger Drache, wie oft hast du seither mich gebissen! Und dennoch segne ich die Stunde, wo ich dich aus dem Ei kriechen sah und dir dabei behilflich sein durfte!
Der Anfangsbuchstabe war denn niedergeschrieben, aber auch nur der Anfangsbuchstabe. Junge Schriftsteller, Studenten, Advokaten, heißblütige junge Leute scharten sich um die unsichtbare Fahne. Wo bleibt da noch die ganze Nation? Wie soll diese durch das »Wort« bezwungen werden?
Ein junger Komitatsbeamter brach sich durch die Menge Bahn bis zum Thor der Buchdruckerei; von dort redete er mich an. Der mächtige Vicegespan des Komitats, Paul Nyáry, lasse mir sagen, ich möchte zu ihm auf das Komitatshaus kommen.
»Wir gehen nicht!« rief ich ihm vom Eckstein hinüber. Nur mit Kanonenkugeln vermag man mich von hier wegzuschaffen. Will der Herr Vicegespan mit uns reden, so mag er hieher kommen. Jetzt sind wir der »Berg«.
Und Mohamed kam in der That zum Berge und mit ihm eine Menge von reifen, ernsten Männern: die alten Koryphäen des freisinnigen Lagers.
Es gab unter uns einen kleinen, zwerghaften Krüppel, meinen Redakteursgehilfen bei den » Életképek«. Es war der wackere kleine Sükei. (Trotz seines Asthmas hat der Mann mit dem Gewehre in der Hand den ganzen Freiheitskampf zu Ende gefochten.) Zu seiner verkrüppelten Gestalt kam noch, daß er sehr stark stotterte.
Als Sükei die ernsten Patrioten sich durch die Menge winden und auf uns zukommen sah, hißte er sich zu mir auf den Eckstein hinauf und schrie mit voller Anstrengung seines Sprechvermögens: »Hö–hö–hö–ret nicht auf die–die – ge–ge–scheiten Le–Le–Leute!«
Indes, die gescheiten Leute waren nicht gekommen, um uns zu bekehren; vielmehr war Nyáry gekommen, um dasjenige zu billigen, was wir bisher gethan hatten und dann mit uns auf das Stadthaus zu gehen, um dort die Punktationen des liberalen Programms auch vom Stadtmagistrat annehmen zu lassen.
Auch das war eine merkwürdige Scene. Der Rathaussaal war zum Erdrücken voll. Wer gerade zu reden hatte, stieg auf den grünen Tisch und blieb dort stehen, so daß schließlich der ganze Magistrat, das Komitat, ich und meine Kollegen sämtlich auf dem Tische standen. Die Flamme griff um sich; der Bürgermeister, der wackere Rottenbiller, verkündete vom Balkon des Rathauses der vieltausendköpfigen Menge, daß die Stadt Pest die zwölf Punkte annehme.
Nun riß die Lawine auch die Bürgerschaft mit sich. Aber das war noch nicht alles. Am Nachmittag sah man die Masse der Arbeiter sich in den Straßen wälzen; sie hatten eine Fahne mit der Inschrift »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, und eine Fahne ist ein Wunderwesen, das immer vorwärts strebt!
Sie hatte übrigens ein Ziel, wohin sie getragen werden sollte. Pest widerhallte von den drei großen Worten, aber Ofen hörte sie noch nicht. Wir wollen hinüber, um sie ihm in die Ohren zu schreien. Ofen ist das alte Nest der Dikasterien, der Sitz des Militärkommandos; dort ist auch das Staatsgefängnis und in diesem sitzt ein halb blinder Mann, ein Schriftsteller, der für ein Werk, das er im Interesse der Volksfreiheit geschrieben, verurteilt worden war. Am Tage, da die Preßfreiheit geboren ward, muß dieser Gefangene frei werden. Laßt uns Táncsics aus Ofen holen!
Als diese Nachricht sich verbreitete, galoppierte der Ofner Artilleriekommandant auf das Pester Stadthaus mit der Drohung, daß er mit Kartätschen unter die Menge feuern lassen werde, wenn sie es wagen sollte, nach Ofen zu kommen. Nun, er soll es nur versuchen!
Wir führten das Volk nach Ofen. Noch nie hat eine Stadt sich so auf die andere gelegt, wie damals. Am Nachmittag war in der That ganz Pest in Ofen. Das Militärkommando benahm sich sehr klug und die Statthalterei wetteiferte mit demselben an Weisheit. Die Excellenzherren nahmen die Pester Proklamation zur Kenntnis und lieferten den guten alten Michael Táncsics aus. Diesen führten wir in einer offenen Kutsche triumphierend nach Pest zurück, wo er ein kleines Häuschen besaß, in welchem er mit seiner Familie wohnte. Der Befreite war damals so erschrocken, daß er mehr einem Toten, als einem Lebenden glich. Er begriff nichts von der ganzen Umwälzung der Welt.
Dieser große Tag mußte nun einen glänzenden Abschluß haben; die Stadt wurde am Abend illuminiert, im Theater wurde eine Gratisvorstellung veranstaltet, für welche sogleich » Bánk bán« angesetzt wurde.
Doch das einmal in Ekstase versetzte Publikum hatte nicht mehr die Geduld, die fromme Opposition des Petur bán bis zu Ende anzuhören. Es verlangte das » Talpra magyar!«
Was war da zu thun? Der glänzende Hof des Königs Andreas II. mitsamt der Königin und Bánk bán mußten zur Seite treten, um die Komparserie um Gabriel Egressy zu bilden, der in einfacher Attila, mit dem Schwert an der Seite in der Mitte der Bühne Aufstellung nahm und mit dem eigenen mächtigen Vortrage das begeisternde Gedicht Petöfis sprach. Das war nun gut, aber noch zu wenig. Da wurde vom ganzen Künstlerpersonal das » Szózat« gesungen. Das Parterre-Publikum und die Galerien sangen mit. Das war nun auch zu Ende. Was geben wir noch? Das Orchester intonierte den Rákóczimarsch. Das zündete, löschte aber nicht. Und letzteres wäre jetzt schon von nöten gewesen. Das aufgestachelte Publikum war durstig in seinem Siegesrausche.
Da rief eine Stimme herab:
»Es lebe Táncsics!«
Die Antwort war der einstimmige Schrei des ganzen Publikums:
»Laßt uns Táncsics sehen!«
Es entstand ein entsetzlicher Lärm. Táncsics war nicht bei der Hand; er wohnte irgendwo draußen in der Franzstadt. Aber wäre er auch in der Nähe gewesen, so wäre es wahrhaft grausam gewesen, einen gebrechlichen kranken Mann auf die Bühne zu schleppen, damit er dort, wie irgend ein berühmter Virtuos, sich vor dem Volk verneige.
Allein, wer vermochte mit dem Leviathan zu disputieren?
»Nun, meine Kinder,« sprach Paul Nyáry, mit dem ich mich in derselben Loge befand, »ihr habt das große Ungeheuer erweckt, zeiget nun, daß ihr es wieder in den Schlaf lullen könnt.«
Meine jungen Freunde versuchten es, zum Publikum zu sprechen, Petöfi aus der Loge der Akademie, Irinyi vom Balkon des Nationalkasinos herab. Allein ihre Stimme ging in dem Gebrüll der Menge unter.
Auf der Bühne ward der Vorhang herabgelassen, worauf der Lärm nur noch größer wurde. Auf den Galerien wurde gestampft, es war ein höllisches Getöse.
Da fuhr mir ein Einfall durch den Kopf. Bei der Loge Nyárys gab es einen Durchgang auf die Bühne: ich stürmte zwischen die Coulissen hinein.
Ich mochte eine saubere Figur machen. Den ganzen Tag war ich durch alle Straßen der Hauptstadt gelaufen und war demzufolge bis zu den Knieen hinauf mit Kot vollgespritzt. An den Füßen trug ich große, plumpe Gummischuhe. Mein Cylinderhut war völlig durchnäßt, ich konnte ihn daher ohne Schwierigkeit zu einem Chapeau-bas zusammenklappen und unter den Arm nehmen.
Ich schaute um mich und erblickte Egressy. Ich bat ihn, den Vorhang in die Höhe ziehen zu lassen, damit ich von der Bühne aus das Publikum haranguiere.
Da kam »Königin Gertrude« auf mich zu; mit wahrhaft königlicher Huld bot sie mir lächelnd ihren Gruß und reichte mir die Hand. In ihrem Antlitze war kein Schrecken wahrzunehmen. Sie trug eine Kokarde in den ungarischen Nationalfarben an die Brust geheftet. Ungebeten nahm sie die Kokarde von der Brust und heftete sie an die meinige.
Nun ward der Vorhang in die Höhe gezogen.
Als die Volksmenge meine durchnäßte, kotige Figur erblickte, begann sie zu jubeln und der Lärm löste sich allmählich in » Halljuk!«-Rufe auf. Als ich endlich zu Worte kommen konnte, hielt ich ungefähr folgende meisterhafte Rede:
»Mitbürger! Unser Freund Táncsics ist nicht hier, sondern zu Hause, im Schoße seiner Familie. Laßt den armen, blinden Mann die Freuden des Wiedersehens genießen.«
Da erst merkte ich, was für kurioses Zeug ich redete: ein »blinder« Mann und »Wiedersehen«. Wenn da das Publikum zu lachen beginnt, bin ich ein verlorener Mann.
Doch die dreifarbige Kokarde rettete mich.
»Seht ihr diese Kokarde auf meiner Brust? Diese sei das Embleme des heutigen ruhmvollen Tages. Diese soll jedermann, der ein Kämpfer für Freiheit ist, an der Brust tragen: sie soll uns ein Merkmal sein, das uns von dem Söldlingsheer der Sklaverei scheidet. Diese drei Farben repräsentieren drei heilige Worte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diese Farben wollen wir alle an unsere Brust heften, alle, in denen ungarisches Blut fließt und ein freier Geist lodert!«
Dies half. Die dreifarbige Kokarde stellte die Ordnung wieder her. Wer eine dreifarbige Kokarde an die Brust stecken wollte, der mußte erst nach Hause gehen. Nach zehn Minuten war das Theater leer, und am folgenden Tage trug jedermann die dreifarbige Kokarde an der Brust, angefangen bei dem Seidenrock des Magnaten vom Nationalkasino bis hinab zu dem groben Tuchrocke des Taglöhners; und wer einen Mantel trug, der steckte die Kokarde an den Hut.
Im Taumel meines Triumphes eilte ich nach dieser Scene zu Rosa Laborfalvy, um ihr die Hand zu drücken.
... Dieser Händedruck war unsere Verlobung.
*
Ich mußte diese ganze Episode erzählen, um zu erklären, in welcher Weise jenes Porträt auf meinen Tisch gelangt ist, welches das lächelnde Antlitz der Dame mit den Meeraugen zur gespenstischen Fratze der Iblis verzerren konnte. Seither waren vier Monate verflossen.
*
Und wie die Verlobung, so war die Hochzeitsreise.
Kanonendonner und Säbelgeklirr waren die Musik bei meinem Hochzeitsfeste.
Ach, welche Hochzeitsnacht!
In dem Augenblick, da der glückliche Bräutigam seine Braut fragt: »Liebst du mich wohl so, wie ich dich liebe?« – ertönt Trommelwirbel auf der Straße. Es wird Alarm geschlagen: »Zu den Waffen, Bürger!«
Ein italienisches Regiment hatte sich gegen die ungarische Regierung empört. Da galt es, ohne zärtlichen Abschied das Gewehr zu ergreifen und nach dem Sammelplatz zu eilen, von dort aber geradenwegs ins Feuer, mitten in den Kugelregen. Die Karlskaserne mußte gestürmt werden: vor Tagesanbruch war das meuterische Regiment entwaffnet, dann konnte der Bräutigam wieder heimkehren, mit pulvergebräuntem Antlitz, und von neuem seine Braut fragen: »Liebst du mich wohl so, wie ich dich?«
Die Antwort kann nur das Herz empfinden, der Mund nicht aussprechen.
Das waren Honigwochen! Mit der Schmach über verlorene Schlachten im Herzen und verzweifelnd an der göttlichen Gerechtigkeit! ... Um in jenen Tagen lieben zu können, mußte man sehr lieben.
Und dann hinaus in die öde, unwirtliche Welt, bei sibirischer Kälte, bei nächtlichem Dunkel, das nur das Aufblitzen der Kanonen erhellte, mit der retirierenden Honvédarmee durch die Schneewüsten des Alföld fliehen, in ungastlichen Gehöften übernachten, wo bis zum Morgen die geschlossene Thür vor uns einfror, und dann, wenn Trommelwirbel und Trompetenschall ertönen, sich wieder vom Lager emporraffen und weiter marschieren. Die da noch lieben konnten, mußten sehr lieben.
Die Frau kam überall mit mir. Sie verließ ihr bequemes Heim, gab ihr Vermögen, ihre glänzende Laufbahn verloren; sie ließ den himmlischen Olymp im Stich, um Hunger, Frost und Elend mit mir zu teilen. Und niemals vernahm ich aus ihrem Munde einen Laut der Klage. Wenn ich in Zagnis verfiel, war sie mir eine Trösterin und wenn ich mit meinen Hoffnungen zu Ende war, teilte sie die ihrigen mit mir.
In Debreczin, wo die ungarische Regierung ihren Sitz aufgeschlagen hatte, hausten wir in einem schmalen Stübchen, mit welchem verglichen der Hof des Gyuricza Peter für einen königlichen Palast aus »Tausend und eine Nacht« gelten konnte. Und meine Königin arbeitete wie eine Sklavin, wie das Weib eines nach Sibirien Verbannten. Nicht zum Spaß und nicht aus Trutz arbeitete sie; sie spielte nicht die Bauernmagd, es war ihr bitterer Ernst.
Das Kriegslos änderte sich wieder; wir drangen vorwärts, von einem Schlachtfelde auf das andere. Auch bei der Belagerung von Ofen war sie an meiner Seite. Selbst in jenen fürchterlichen Tagen verließ sie mich niemals, als wir Nacht für Nacht glaubten, das Himmelsgewölbe stürze über uns zusammen.
Nach den glänzenden Siegestagen kam abermals schweres Mißgeschick über uns. Der nordische Koloß sandte seine Heerscharen gegen uns aus. Wir mußten abermals flüchten, unser glückliches Heim verlassen. Dann setzten wir unsere Hochzeitsreise durch andere unwirtliche Gegenden fort, wo wilde Horden alle Dörfer in Schutt und Asche gelegt hatten. Die nackten, rußigen Mauern waren unser Obdach, die halbverbrannten Strohtriften unser Ruhelager; so flohen wir, gehaßt von dem Fremden, gefürchtet von dem Bekannten, ein Schrecken des Hauses, an dessen Thüre wir klopften.
In der wüsten Kriegszeit wurden wir endlich voneinander getrennt. Ich bat sie, mich zu verlassen; ich konnte ihre Leiden nicht länger mit ansehen; ich durfte so viele Opfer nicht annehmen. Ich bat sie, mich allein meinem Verhängnisse entgegengehen zu lassen.
Nach der Világoser Katastrophe war auch mein Leben abgeschlossen.
Der mächtige Riese, das ruhmvolle Ungarn, von dem wir geträumt hatten, zerfiel in seine Atome. Die großen Männer wurden zu Staubkörnern.
Auch ich war eines dieser namenlosen, gewichtlosen, ziellosen Staubkörnchen.
Das Ende allen Endes war gekommen!
Die Prophezeiung der Dame mit den Meeraugen stand in ihrer Größe vor mir: Galgen oder Selbstmord. Ich war vierundzwanzig Jahre alt und tot.
Mein einstiger Prinzipal, der brave, catonische Josef Molnár, Präsident des nationalen Blutgerichts, hatte bereits das Beispiel gegeben. Er lag, von eigener Hand getötet, vor mir, auf dem Rasen bei Világos. Er konnte den Anblick nicht überleben, wie der letzte Husar sein Schwert zerbrach.
Da ward meine Hand von einer anderen heißen Hand ergriffen. Es war die ihrige; die Hand der Frau, die mich liebt. Als alles verloren war, da war ihre Liebe nicht verloren. Sie brachte mir sie nach und führte mich mit sich. Sie rettete mich. Als ganz Ungarn unterworfen war, gab es noch einen Fleck Erde im Vaterlande, wohin die Hand der Gewalt nicht reichte. Sie entdeckte jenen Winkel und führte durch alle feindlichen Heerlager mich dorthin.
Das war jene Frau, die meiner Wege ging.