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Das Meerauge. Monsieur Galifard. Der erste Nadelstich.
Niemals habe ich solche Wunderaugen gesehen. Und doch traf ich in meinem Leben mit vielen schönen Augen zusammen. Ich könnte darüber eine ganze Astronomie schreiben. Die Augen jener Frau aber waren so mannigfach wie der Wechsel in ihrer Gefühlswelt. Darum nenne ich sie Meeraugen.
Von welcher Beschaffenheit ist denn das Meerauge? Von der Bergkuppe gesehen, ist es hellgrün; es liegt zur Hälfte im Schatten der Baumstämme an der jenseitigen Berglehne, aus der anderen Hälfte strahlt uns der Widerschein der Sonne entgegen: es ist wie ein frisches, frohes Lachen. Ein andermal, wenn eine Brise seine Fläche kräuselt, wird es tiefgrün, dann braun, dann schwarz: es wirft die Farbe der Wolken zurück, Blitze scheinen aus ihm emporzuschießen. Wenn die Nacht sich niedersenkt, dann erglänzen in seinem schwarzen Spiegel die zahllosen Sterne; ein Schimmer huscht von Zeit zu Zeit über die Fläche hinweg, ein Wasservogel zieht eine lange Silberfurche es ist das umgekehrte Paradies. Zwischen dem Gleis zweier hochragender Berge taucht der Vollmond auf: mit einem Schlage wird das ganze Meerauge in flüssiges Gold umgezaubert; weiße Nebelschleier schweben über ihm, allerlei Gespensterformen annehmend; die Wellen beginnen ohne jeden Grund zu tanzen; große Lichtringe breiten sich von der Mitte aus, immer einer den andern vor sich her drängend; jetzt verschwindet der Mond wieder hinter der Bergwand, die ganze Spiegelfläche in lichte Bläue getaucht zurücklassend. Wenn wir ganz hinabsteigen und aus einem roh zusammengefügten Floße hineinrudern, dann finden wir das Meerauge weder blau noch grün, sondern krystallrein und durchsichtig. Längs des Ufers sehen wir unter dem Wasser grünes Moos, einen wahren Blumengarten. Nie gesehene Pflanzen senden auf langen Stielen ihre im Sonnenlichte sich bestäubenden Blumenkelche empor. Hochaufragende Pflanzen, in ihrer Form der Tanne gleichend, erheben sich aus der Tiefe bis unter den Wasserspiegel: Bäume, denen es in Wahrheit versagt ist, in den Himmel zu wachsen. Der Grund des Wassers ist ein Blumengarten, aber ein Garten ohne lebenden Bewohner; kein Fisch, kein Amphibium hauset hier. Aber doch einen Bewohner hat der Garten am Wassergrunde: die Sirene. Nicht die mythische Zaubergestalt, sondern ein fratzenhaftes Ungeheuer mit großem, schwarzem Kopf, roten Kiemen, zwei Froschfüßen und plumpem, trägem Fischschwanze. Und auch dieses Geschöpf kommt aus seiner verborgenen Felsenhöhle selten zum Vorschein, nur dann, wenn es eine starke Wetterveränderung spürt. Ich hatte einigemale Gelegenheit, dies fabelhafte Amphibium zu sehen ...
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Als ich der schönen Erzsike zum erstenmale begegnete, waren wir beide noch Kinder: sie ein zwölfjähriges Mädchen, ich ein sechzehnjähriger Bengel. Wir lernten zusammen tanzen.
Ein Franzose ward in unsere Stadt verschlagen, ein fahrender Tanzlehrer, der die ganze Stadt zum Tanzen brachte.
Monsieur Galifard hieß der Wackere. Er hatte einen ungewöhnlich großen Kopf, eine tiefbraune Hautfarbe, ineinanderlaufende Augenbrauen, kurze Beine, eine große Adlernase und an der Spitze der letzteren eine große Warze.
Und mit diesem Physikum war der Mann ein wahrer Charmeur.
Wenn er tanzte, wenn er sprach, strömte ein unbestimmbarer Zauber von seinem ganzen Wesen aus; er ward mit einem Schlage eine verführerische Erscheinung. Die Frauen schwärmten für ihn, angefangen bei den Neunjährigen bis zu jenen von unberechenbarem Alter.
Mit dem Gefühl unvergänglichen Dankes bin auch ich dieses wackeren Mannes eingedenk. Ihm habe ich den Walzer und die Quadrille zu danken, nicht minder die Wissenschaft, wie man beim Abgang rücklings die Thür findet, ohne Sessel und Schreine anzurennen, und wie man einen Fächer vom Boden aufheben müsse, ohne dabei den Blick von dem Antlitz der Dame zu wenden.
Mit Erzsike hatte unser maitre de danse die meiste Mühe; sie wollte kein Tempo halten, sich nicht an das elegante » pli« gewöhnen; er war nicht im stande, sie ihre ausgelassenen, wilden Allüren ablegen zu lassen. Wehe dem Tänzer, der ihr Partner war! Regelmäßig litt er in der Mitte des Saales Schiffbruch und ward obendrein von ihr noch ausgelacht. Auch dem Tanzmeister lachte sie ins Gesicht und in der Regel machte sie das Gegenteil dessen, was er kommandierte.
Ich aber fand alldies sehr natürlich. Wenn jemand so schön, so reich und so vornehm ist, dann ist er berechtigt, eine Ausnahme von jedweder Regel zu bilden. Daß sie schön sei, konnte man auf den ersten Blick sehen; daß sie reich sei, kündete die kostbare und elegante Karosse, in der sie einherfuhr; daß sie vornehm sei, konnte man daraus schließen, daß ihre Mutter von aller Welt als »gnädige Frau« betitelt wurde und daß selbst die »Herren vom Komitate« ihr die Hand küßten. Die gnädige Frau war in jeder Tanzlektion anwesend; mit ihr kamen noch ihre Tante, eine pensionierte Majorswitwe, und ihre Gesellschafterin, ein »in den besten Jahren« stehendes Edelfräulein. So stand denn Erzsike fortwährend unter dreifacher Aufsicht, Was naturgemäß zur Folge hatte, daß sie thun konnte, was sie wollte, weil jede ihrer Hüterinnen dachte, daß die anderen zwei ohnehin über sie wachen. Überdies war jede der drei dames de garde mit ihren eigenen Angelegenheiten vollauf beschäftigt.
Die gnädige Mama war eine Dame, die noch die Sonnenseite des Lebens suchte. Ihr Wittum lechzte nach Trost. Sie hatte offene Verehrer mit mehr minder ernsten Absichten, nach Rang und Qualitäten unterschieden.
Die Gesellschafterin entstammte einem berühmten adeligen Geschlechte, ihre Brüder dienten in der Armee. Ihr Vater war Hofkämmerer; in der eigenen Kammer hatte er allerdings wenig zu suchen. Die Toiletten des Fräuleins waren nach der letzten Mode angefertigt; sie selbst galt als Beauté und stand in dem Rufe, eine der besten Tänzerinnen zu sein. Allein die Zeit mahnte sie schon zu ernster Umschau; Erzsike, das Haustöchterlein, wuchs in drohender Weise heran, binnen wenigen Jahren kann sie zu einer gefährlichen Nebenbuhlerin werden. Die Gesellschafterin hatte also während der Tanzstunde ebenfalls ihre Beschäftigung, die sie nötigte, sich abseits zu halten, damit man nicht merke, mit wem und in welcher Weise sie sich unterhalte; denn die boshaften Augen der Frauen haben aus einem ausgetauschten Blick, aus einem Händedruck gleich alles heraus, und dann wird man gräulich »beredet«.
Die Tante jedoch suchte am meisten die Vorwände, unbemerkt aus dem Tanzsaale zu verschwinden. Im Buffet mußte sie zu allererst alle Erfrischungen und alles Gebäck verkosten und wie gründliche Geschichtsforscher zu erzählen wissen, huldigte sie auch der schwarzen Leidenschaft des Tabakschnupfens, was natürlich viel Heimlichkeit erfordert. War sie aber auch im Saale, so setzte sie sich mit einer zungenverwandten Schicksalsgenossin zusammen und dann beschäftigten sie sich gegenseitig mit dem Verlästern anderer so gründlich, daß sie an nichts anderes dachten.
So konnte denn Erzsike treiben was sie wollte, konnte im »Damensolo« Czárdás tanzen, bei der » tour de mains« dem vis-à-vis-Tänzer auf die Hände schlagen und Anekdoten erzählen so laut, daß man es im ganzen Saale hörte; und wenn sie lachte, preßte sie die beiden Hände zwischen die Knie – zur wiederholten Verzweiflung des Monsieur Galifard.
Eines Nachmittags wurde in der Tanzschule Generalprobe gehalten. Mit den kleinen Mädchen kamen auch große Mädchen und mit den großen Mädchen große junge Leute. Solche Burschen aber glauben das besondere Recht zu haben, derlei Bengeln wie ich einer war, auf die Füße zu treten.
Glücklicherweise war Mr. Galifard ein sehr gutherziger Mann, der es nicht zugab, daß seine Protegés in den Hintergrund gedrängt werden.
» Nix cache-cache spielen, Monsieur Maurice. Allons! Walzer geht an. Nur Courage! Ne cherchez pas toujours la allerschlekteste Tänzerin! Fangen Sie Fräulein Erzsike par le 'and. Valsez la!«
Dann nahm er mich beim Arme, führte mich zu Erzsike, legte ihre Hand in die meinige und kommandierte: »Ein, zwei!«
Der damalige Walzer aber war grundverschieden von dem heutigen. Der heutige ist reiner Spaß, jener aber war eine gar ernste Sache. Tänzer und Tänzerin hielten den Oberkörper in möglichster Distanz voneinander, dagegen stemmten sie die Füße gegeneinander. Dann geriet der Oberkörper mit einem Male kräftig in Schwung; dies mußte bei beiden in einem Tempo geschehen und die Beine waren genötigt, dem dahinfliegenden Körper in raschem Laufe zu folgen. Gleich dem schwanken Kahn auf den Meereswogen hob und senkte sich das tanzende Paar und je schneller es sich im Kreise drehte, desto weiter voneinander hielten sich die beiden zurückgeworfenen Köpfe. Das war ein rechter Willitanz! Willi – gespenstige Sumpfnixe, auch Irrlicht. Anmerkung des Herausgebers
Der Meister stand im Kreise und folgte unserem Tanze, wobei er nicht müde ward, uns zu ermuntern.
» Très bien, Monsieur Maurice, Ça va ausgezeiknet! 'alten Sie brav, Mademoiselle. Nix auf die Füße schauen. Regarder aux yeux. Das ist riktig. Embrassieren ist besser als embarrassieren. Pouah! Da likst schon alle beide!«
Nein »liegst« justament nicht! Ich hatte den unvermeidlichen Fall vorausgesehen und, um meine Tänzerin zu retten, mich selbst aufgeopfert, indem ich mich auf die Kniee warf; sie berührte das Parkett kaum mit den Fingerspitzen. Um meine Kniee wäre nicht schade gewesen, aber mein Beinkleid barst just oberhalb des Kniees. Ich war vernichtet. – Nichts Schrecklicheres kann einem zustoßen.
Erzsike lachte über meinen trostlosen Zustand; dann aber fühlte sie Mitleid mit mir.
»Warten Sie, ich will den Riß mit einer Stecknadel zusammenheften.«
Sie zog aus den Falten ihres Kleides eine Stecknadel, hockte vor mir nieder und heftete die an meiner taubengrauen Hose entstandene Unterbrechung schlecht und recht zusammen. In der großen Hast stach sie mit der Stecknadel bis ins Lebendige.
»Habe ich Sie nicht gestochen?« fragte sie, mit ihren treuherzigen, großen Augen zu mir aufblickend.
»Nein,« sagte ich. – Ich verspürte doch nichts von dem Stich.
Und wir tanzten weiter. Ich übertraf mich selbst, – mit einer Stecknadel im Knie und einer zweiten – wer weiß wo? Dreimal walzte ich mit Erzsike im Saale herum, und als ich sie zu ihren Hüterinnen zurückführte, war mir's, als würden dreiunddreißig Mamas, Tanten und Gesellschafterinnen mich umkreisen.