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Zweiter Band.

Erstes Kapitel.

Valentin Bálványosi und Tihamér Rengetegi.

 

Als Anfangs Oktober in den Wäldern die Eicheln zu fallen begannen, trafen in Tardona unverhoffte Gäste ein. Es waren zwei Grundbesitzer aus der Bükkgegend, zwei Brüder, die zusammen wirtschafteten, deren ganzer Grundbesitz aus Waldungen und deren Wirtschaft in einer ausgedehnten Schweinezucht bestand. Es waren zwei schöne Herren von gedrungener Gestalt in bunt ausgenähten Schaffellwämsern und roten Juchtenstiefeln.

Sie waren gekommen, um die Eichelmast in den Tardonaer Wäldern zu pachten. Die Schweine hatten in diesem Jahre keinen rechten Preis: das ungarische Geld war verbrannt worden und österreichisches Geld hatte man noch nicht gebracht: die Schweinezüchter waren genötigt, ihr Borstenvieh überwintern zu lassen.

Es waren prächtige Schweine von der guten, alten Szalontaer Rasse, die lange Beine haben wie die Rehe, rote Borsten und spitzige Ohren; halbwilde Tiere, die es mit dem Wolf aufnehmen. Wohl entwickelt sich diese Sau nur schwer; erst nach zwei Jahren erlangt sie die Größe der Mangaliczasau; doch macht sie diesen Fehler durch die gute Eigenschaft reichlich wett, daß sie keinen Stall braucht, Sommer und Winter draußen im Walde lebt und sich selbst ihr Futter sucht; das »fertige« Tier kostet dem Züchter nicht mehr als zwei Gulden per Stück und eine Maß Branntwein, die der Hirt als Lohn erhält.

Die beiden Brüder besaßen tausend solche Schweine. Tausend Schweine verursachen aber viele Sorgen.

Es waren brave, fröhliche Gesellen. Die Melancholie war ihnen völlig fremd. Es war eben die Zeit der Gährung des neuen Weines: sie tranken ihn (mit mir) so im Zustande der Gährung. Er schmeckte ganz gut auf das paprizierte Schweinepörkölt.

Sie hatten auch ein neues Lied mitgebracht und mir dasselbe gelehrt:

An der Thür ein Schaffel klein,
Der Gendarm, – er fällt hinein,
Trallala!

Aus diesem Lied erfuhr ich, daß es in der Welt auch ein Wesen gäbe, das Gendarm heißt; ferner daß die Ungarn nicht viel Sympathie für dieses Wesen haben.

Erst als das Abendessen zu Ende ging, begannen die Herren Gäste Anspielungen zu machen, daß sie nicht wüßten, »mit wem sie die Ehre hätten«.

Mein Hauswirt that seinem ehrlichen Gesichte Gewalt an und stellte mich ihnen mit dem Namen vor, unter welchem ich im Dorfe bekannt war: Herr Albert Benke.

»Doch nicht der Bruder der Künstlerin Laborfalvy-Benke? Der Bebus?«

»Doch, doch, der Bebus.«

Ich durfte mich getrost für ihn ausgeben. Der arme Bebus war während des Feldzuges irgendwo zu Grunde gegangen.

»Nun, den habe ich sehr gut gekannt. Ich erinnere mich jetzt seiner Physiognomie. Es ist Zug für Zug der Bebus. Und wie geht es Ihrer Schwester, ist es wahr, daß sie sich verheiratet hat?«

»Ich habe davon gehört.«

»Mit einem gewissen Maurus Jókai. Kennen Sie ihn?«

»Ich habe nie mit ihm gesprochen.«

Und das war richtig.

»Und Sie waren meines Wissens Schauspieler?«

»Jawohl, das war ich.«

»Ich sah Sie auch einmal in Miskolcz. Was gaben Sie damals?«

»Den Claude Frollo im Glöckner von Notre-Dame.«

»Richtig. Wie Sie da Ihre Fratze verändern konnten! Und wollen Sie sich jetzt nicht wieder irgend einer Schauspielergesellschaft anschließen?«

»Ich weiß nicht, ob es deren noch giebt.«

»Wie denn nicht? Auch in Miskolcz wird eben eine Truppe geworben. Sie wollen den nächsten Winter hier im neuen Theater spielen, dann in Kaschau. Der Bálványosi wirbt Mitglieder für die Gesellschaft. Sie kennen doch den Direktor Valentin Bálványosi?«

Da hätte ich mich schier verplaudert, daß ich ihn sehr wohl kenne, da ja Bálványosi derjenige war, der in meiner Geburtsstadt Erzsike die Rolle einstudiert hatte, die sie in der zweiten Dilettantenvorstellung mit mir zusammen spielen sollte. Doch ich faßte mich noch rechtzeitig und sagte: »Ich kenne ihn vom Hörensagen.«

»Nun, er kennt Sie sehr gut, er hat sich auch nach Ihnen erkundigt, und wenn er erfährt, daß Sie sich hier aufhalten, kommt er sicher hieher.«

Das fehlte mir noch!

»Ich weiß nicht, ob er imstande sein wird, jetzt eine Gesellschaft zusammenzubringen.«

»O, eine Primadonna hat er schon. Das ist seine Frau. Ein flottes Weibchen! Die wird den jungen Leuten sicherlich den Kopf verdrehen! Doch einstweilen halten sie sich noch verborgen.«

»Verborgen?«

»Denn, unter uns gesagt, der Bálványosi hat etwas auf dem Kerbholz.«

»Was sollte er auf dem Kerbholz haben?«

»Er hat während der Revolution eine große Rolle gespielt.«

»Davon habe ich nichts gehört.«

»Ach, deswegen, weil Sie nichts gehört haben, konnte er ein großer Mann sein. Sie waren auch während der Revolution Komödiant, nicht wahr?«

Ich bejahte auch diese Frage.

Jetzt nahm der andere Bruder das Wort. Dieser war besser unterrichtet.

»Freundchen, Sie müssen die Sache so verstehen: der Schauspieldirektor Valentin Bálványosi hat während der Revolution den Namen Tihamér Rengetegi geführt.«

»Aha, dieses Namens erinnere ich mich schon. Er hat den Deutschen nicht übel mitgespielt.«

Der andere Bruder bestätigte diese Bemerkung.

»Wenn sie ihn erwischen, kann es ihm leicht geschehen, daß er fünf Fuß hoch in der Luft ein Tänzchen machen muß.«

»Ach, dieser Komödiantendirektor ist ein ganz schlauer Bursche!« erläuterte der jüngere Bruder. »Zur Zeit der Revolution trat er in die Dienste der Regierung und brachte es bis zum Major; er soll wunderbare Dinge vollbracht haben. Dabei war er aber vorsichtig, seinen äußern Menschen völlig umzuwandeln. Während der Revolution färbte er sein schönes blondes Haar tiefschwarz und ließ sich einen großen Schnurr- und Knebelbart wachsen; der leibhaftige Don Cäsar von Bazan.

Dann, als die Dinge schief zu gehen begannen, ließ er sich Bart und Haupthaar wegrasieren und nun wartet er nur, daß ihm sein ursprüngliches blondes Haar wieder wachse. Dann kommt er als Valentin Bálványosi wieder zum Vorschein und wer wagt es zu behaupten, daß er jemals der Tihamér Rengetegi gewesen?«

Ich mußte anerkennen, daß es ein genialer Gedanke gewesen, mit schwarzgefärbten Haaren der Revolution zu dienen.

»Wenn der erfährt, daß Sie hier herum spazieren, kommt er sicher her, um Sie zu engagieren.«

Dem mußte vorgebeugt werden.

»Ich bedauere, bleibe aber nicht lange mehr hier. Ich will nach Pest gehen.«

»Was suchen Sie in Pest, Freundchen?«

»Ich will mich um irgend eine Stelle umthun.«

Die beiden Schweinekrösusse machten nachdenkliche Gesichter, als sie diese Worte hörten. Wer heutzutage in Pest eine Stellung sucht, ist ein verdächtiger Mensch und es ist nicht gut, mit ihm aus derselben Flasche zu trinken. Von da ab traktierten sie mich sehr von oben herab.

Ich aber fuhr fort, in den Wäldern der Bükk herumzustreifen und Landschaften zu malen. Die Bilder, die ich damals malte, besitze ich noch heute. Es sind herrliche Motive; ach, wenn ein wahrer Künstler sie unter seinen Pinsel bekommen hätte! In der Mitte des tiefen Urwaldes die im Dämmerlicht verschwimmende Ruine eines Paulinerklosters; in gotischem Stile erbaute massive Mauern von grauem Granit, auf den Friesen der Pfeiler geflügelte Engelsköpfe; die Spitzbogen laufen in Blumenfiguren aus und diese steinernen Blumen ergänzt die Steinrose, die auf den Gesimsen reichlich wuchert. Hinter den in blauen Farben schattierten Ruinenmassen der dichte, dunkle Buchenwald. Vor denselben eine Quelle, die merkwürdigerweise aus dem Stamm einer umgestürzten alten Linde hervorbricht. Von der Höhe der Ruine neigt sich ein großer, breitästiger Haselnußbaum hernieder, dessen Laub vom Herbstreife schon rötlich gefärbt ist, während aus den Fenstern die dunkelgrünen Kränze der wilden Rose niederhängen, gemengt mit der Kornelkirsche und der Spindelstaude, mit allerlei Beeren in roter, rosaroter und siegelwachsroter Farbe. Und der Boden der Ruine ist mit bräunlichgrünem Engelsüß reichlich bewachsen. Und dieses große, stille Bild hat eine einzige lebendige Gestalt: einen Rehbock, der aus der im Halbdunkel gelegenen Thür der einstigen Kirche schüchtern hervorblickt. Der Rehbock erscheint da wie das zauberische führende Tier aus den Sagen der hunnisch-ungarischen Heidenzeit. Ach, du weißer Hirsch des Heerführers Almos, wohin hast du uns geführt! Hättest du uns lieber in Asien gelassen, dort müßten wir nicht Deutsch lernen.

Dann das andere Bild. Der mächtige Heiligengeistfelsen, ein turmhoher Felsen, der sich am Rande des Plateaus erhebt. Ihm zur Seite zwei riesige Buchen, die die halbe Höhe des Felsens erreichen. Das Laub der einen ist rotbraun, das der andern gelb gefärbt von dem großen Dekorationsmaler, dem Herbste. Oben auf der Höhe des Felsens grünen drei Bäume; wie sind diese hieher gelangt?

Ein kühner Kletterer kann auch dort hinauf gelangen und dann erschließen sich dem Maler neue Partien. Auf der schwindelerregenden Höhe des Felsens eröffnet sich eine Perspektive in das tiefe Thal. Das Profil der beiden Seitenberge wird gegenüber von anderen, in welliger Formation abfallenden Bergen abgeschlossen.

Die untergehende Sonne wirft ihr Licht auf die Hänge und während sie das ganze Bild in einen durchsichtigen, lilafarbenen Nebel taucht, hebt sie die waldbestandenen Ränder der Berghänge in scharfen, vergoldeten Umrissen hervor. Unten zieht sich das Thal wie ein schmales, grünes Band dahin und dort, wo es im abendlichen Nebel sich verliert, wird eine kleine Hütte sichtbar, deren Herdfeuer gleich einem blutigen Stern aus der Tiefe heraufschimmert. Wer mag dort hausen?

Das herrlichste Landschaftsmotiv (in welches ich auch richtig hineinfiel) war aber das vom »Abgrundstein« sich erschließende Panorama. Der »Abgrundstein« ist der höchste Punkt des Bükkgebirges. Betrachtet man ihn von Tardona aus, so ist er ein gleich einer Alpe hervorragender Felsgrat; doch war derselbe auf weiten Umwegen zu erklimmen. Dieser »Abgrundstein« war in der Regel das Endziel meiner Streifungen. Ein halber Tag dahin und ein halber Tag zurück; zum Mittag zündete ich ein Reisigfeuer an, röstete Brot und Speck, was mir ein fürstliches Mahl dünkte, dann setzte ich mich am Rande des schwindelerregenden Felsens hin, um mich an die (für mich unmögliche) malerische Aufgabe zu wagen. Unter mir, im Vordergrunde, hatte ich eine von den Kronen der Buchen gebildete dunkle Partie; wo diese endigte, gab es einen freundlich lachenden Winkel und in der Mitte desselben die zerstreut daliegenden Hütten des kleinen Dorfes Tardona mit ihren rauchenden Schornsteinen, umgeben von den Würfeln der Weingärten mit ihrem vergilbten Laube, und den auf den umliegenden Hügeln zerstreuten Streifen der grünen Saaten, über welchen die, eine Fortsetzung des Bükkgebirges bildenden dunkelgrünen Berge sich erheben. Diese Bergkette überragt dann die Gruppe der Gömörer Gebirge, deren ferne Schatten schon eine Lilafärbung annehmen; diese wieder beherrschen die Trencsiner und Thuróczer Gebirgsketten, die schon ins Wolkenbläuliche spielen; und alle überragt gleich einer Fata Morgana die fürstliche Reihe der Zipser Karpathen, die so blau sind, wie der Himmel selbst und bei welchen nur der Diamantschimmer der schneebedeckten Gipfel die Scheidelinie bildet. Das war denn nun eine Aufgabe, die mein Können weit, weit überstieg. Dies hinderte mich nicht, meine Kräfte daran zu versuchen. Wenn ich unterlag, so ist es nicht meine Schuld.

Mit dem mächtigen Eichenstock in der Hand, dessen Knauf mit Blei gefüllt war, und einem scharfen Küchenmesser im Stiefelschafte, hielt ich mich gegen den Anfall eines Wolfes genügend bewehrt. Das Schießgewehr hielt man zu jener Zeit in sicherem Versteck, denn es verlautete, daß derjenige ein Mann des Todes sei, bei dem man ein solches finden würde.

Mitte Oktober war gekommen.

Jetzt traf wieder ein Gast in Tardona ein, diesmal ein sehr willkommener Gast, der allezeit heitere Telepi. Er war gekommen, um seinen Sohn Karl abzuholen und ihn nach dem Auslande zur Fortsetzung seiner Malerstudien zu senden.

Telepi war der Lieblingskomiker des Nationaltheaters, der Darsteller der Huglis und der Prospekte, ein rundes Gesicht und eine runde Gestalt, dabei lauter Leben mit seinen funkelnden Augen, spitzigen Augenbrauen und seinem kleinen, scharf zugespitzten Schnurrbärtchen; er sah aus, als ob er vier Augenbrauen oder vier Schnurrbärte hätte; der verkörperte ungarische Humor.

Telepi war es, der mir die erste Nachricht von der Außenwelt brachte; die Nachricht von den Ereignissen der furchtbaren Oktobertage, von den unglaublichen und undenklichen Schreckensthaten eines Wahnsinnigen, für den es wahrlich nicht genug Strafe ist, daß er zweimal lebendig begraben wurde.

Wenn ich doch wenigstens diese Hiobsbotschaften nicht aus dem Munde eines scherzenden, unter Lachen schimpfenden wackeren Komikers vernommen hätte. Allein er wußte diese Schreckensnachricht dermaßen mit Anekdoten und wohlthuenden Aufmunterungen zu mischen, daß er dem Messer seine mörderische Schärfe nahm. Auch war der Mann voll des Optimismus; »jetzt erst wird unsere Sonne aufgehen!« meinte er. »Es kommen die Engländer, es kommen die Franzosen uns zu Hilfe; die Türken rüsten, die Amerikaner zeigen die Faust«; und wenn ich zu alldem den Kopf schüttelte, tröstete er mich, daß die Amnestie komme.

Als wir aber allein blieben und kein anderer uns hörte, da erzählte er mir alles wahrheitsgetreu und ohne Schönfärberei.

Er war geradenwegs auf Ersuchen und im Auftrage meiner Frau gekommen. Sie wäre selbst gekommen, sei aber noch schwach; sie sei sehr krank gewesen, doch jetzt schon auf dem Wege der Besserung. Sobald sie völlig hergestellt ist, wird sie nach Tardona eilen; ich könne sie noch diese Woche mit Bestimmtheit erwarten. Meine Frau habe einen Plan, durch welchen sie mich mit Bestimmtheit zu befreien hoffe, so daß ich keinen Verfolgungen mehr ausgesetzt sein würde.

Doch könne sie mir den Plan noch nicht mitteilen, bitte mich nur, einstweilen, bis sie hieher kommen würde, mich nirgends zu zeigen, mit niemanden in Berührung zu treten, niemandem zu verraten, wer ich sei und auch keinen Brief zu schreiben, weil man meine Handschrift erkennen könnte, womit dann alles verloren wäre. Ich müsse daher heilig geloben, nirgends hinzugehen, und mit Ausnahme der braven, rechtschaffenen Leute von Tardona mit niemandem zu sprechen.

Ich gab mein Wort auf alldies. Zugleich hatte mir meine Frau einen guten, warmen Winterrock, eine große Pelzmütze und ein paar doppelt gesohlter Juchtenstiefel gesendet; denn es komme der Winter, den ich noch hier in den Wäldern werde zubringen müssen. Telepi brachte mir von meiner Frau auch einiges Silbergeld, denn für Papiergeld war hier nichts zu haben, außerdem auch Kaffee, denn solcher war hier nicht zu kaufen, ich aber trank ihn zum Frühstück gar so gern. Im Laufe des Gesprächs verriet Telepi, daß die Frau ihren Smaragdschmuck verkauft habe und in einer kleinen Wohnung zurückgezogen ein strenges und sparsames Leben führe.

Aber das hat alles nichts zu sagen und es lebe noch der Gott der Ungarn!

Niemals werde ich jenes lachende Gesicht vergessen, über dessen rote Backen bei den heitersten Aufmunterungen zwei schwere Thränen hinabrannen. Sagen wir, alldies sei ein Traum gewesen, aber es ist gut, daß wir aus diesem Traum erwacht sind.

Ich übergab Telepi die Bilder, die ich gemalt hatte, mit der Bitte, sie meiner Frau zu bringen.


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