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Zweites Kapitel.

Meine ersten Auszeichnungen. Das erste Unrecht. Der Damenwalzer. Das furchtbare Ungeheuer. Die in Ordnung gebrachte Schleife. Der zweite Nadelstich.

 

Fürwahr, ich bin dem Monsieur Galifard großen Dank schuldig. Ihm habe ich die erste Auszeichnung zu verdanken, die mir im Leben zu teil geworden. Dies war jener unvergeßliche Fall, als meine Kameraden, die hoffnungsvollen Hörer der Rechtsakademie zu Kecskemét, auf dem von ihnen veranstalteten Juristenballe mich einstimmig zum »Vortänzer« wählten.

Noch heute bin ich stolz auf diese Anerkennung. Wie erst damals! Gleich darauf folgte eine zweite Auszeichnung. Noch in demselben Jahre wurde anläßlich des Wettbewerbes um den Teleki-Preis der Ungarischen Akademie der Wissenschaften mein Trauerspiel der »lobenden Erwähnung« gewürdigt. Ja, zwei Beurteiler, Vörösmarty und Bajza, Berühmte ungarische Dichter. hielten es sogar des Preises wert. Das Stück hieß: »Der Judenknabe.« Es war dies nicht etwa ein mit Streichhölzern hausierender Bursche, sondern Emerich Fortunatus, unter König Ludwig II. ungarischer Finanzminister, den schließlich die Stände des Landes zum Feuertode verurteilten.

Als ich dann nach dreijähriger Abwesenheit in meine Vaterstadt zurückkehrte, genoß ich schon ein gewisses Renommee.

Und daß ich heimkehrte, das hatte auch seinen richtigen Grund. Schon zu meinen Zeiten bestand der Juristenkurs aus vier Jahrgängen. Der dritte Jahrgang war die »Patvarie«, der vierte war die »Juraterie«. Jeder ordentliche Jurist verbrachte die Patvarie in seinem Heimatskomitate, die Juraterie in Budapest.

Und noch etwas habe ich zu erwähnen, dessen ich mich berühmen darf. In meinen Mußestunden malte ich Porträte, Miniaturbilder in Öl. Den Hofrichter von Oszöny traf ich, ohne daß er mir gesessen hätte, so genau, daß alle Welt ihn erkannte. Noch mehr Sensation erregte das von mir gemalte Porträt der Frau Oberfiskalin, die für die schönste Dame der Stadt galt.

Und dennoch geschah es, daß, als in dem darauffolgenden Karneval der Herr Obergespan in dem Komitatshause einen Ball gab (damals gab es noch solche Obergespäne), nicht ich gebeten ward, die Funktionen des Vortänzers zu übernehmen.

Undankbares Vaterland!

Und wer war's, um dessen willen diese herbe Zurücksetzung mich traf? Ein Stutzer, ein Lion, der gar nicht aus unserer Stadt herstammte, ein Herr Bagotay Muki. Die Welt wußte von ihm nur soviel, daß er auch schon in Paris gewesen und eine sehr gute Partie sei.

Aus Rache beschloß ich, auf dem Balle des Obergespans nicht zu tanzen, obgleich auch ich eine Einladung erhalten hatte.

Mein Kummer ward noch dadurch vermehrt, daß gerade Erzsike von der öffentlichen Meinung als die für den Vortänzer bestimmte offizielle Tänzerin bezeichnet wurde.

Nun, die Nemesis hat sie denn auch erreicht!

Erzsike trug auf jenem Ball eine Frisur à l'anglaise, die zu ihrem Gesichte ganz entschieden nicht paßte. Ich freute mich schon im voraus des Malheurs, das dadurch entstehen würde, daß Erzsike mit ihren herumfliegenden Locken an den Frackknöpfen der Tänzer hängen bleiben würde.

Was aber den Bagotay Muki betrifft, so war ich mit meinen jungen Freunden, als wir ihn zum erstenmale erblickten, einig in der Überzeugung, daß es eine rechte Impertinenz sei, so schön zu sein. Solche vollkommene Männererscheinungen zu schaffen, ist nur der Romanschriftsteller berechtigt; in Wirklichkeit aber existieren sie nicht. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ein so schöner Kopf dumm sein müsse. Ich wußte damals noch nicht, daß die Dummheit eben der haut goût sei. Der Klang des Goldes ist dumpf.

Ich war damals noch ein sehr unerfahrener Bursche. Mein Gesicht war noch bartlos, ich rauchte noch nicht, wollte um keinen Preis der Welt Wein trinken und die Frauen waren mir nur vom Sehen bekannt.

Doch wie gesagt, die Nemesis hat sie erreicht!

Die Tanzordnung begann mit einem Walzer. Hätte man mich zum Vortänzer gewählt, so würde ich mit einem » körmagyar« Ungarischer Rundtanz. begonnen haben. Ach, der körmagyar! Das war ein Tanz! Es ist nicht genug, ihn zu tanzen, es gehört auch Begeisterung dazu! Er wird von acht oder von sechzehn Paaren getanzt und alle zweiunddreißig Teilnehmer müssen mit bühnenmäßiger Genauigkeit auf den Tanz einstudiert sein. Das ist keine so leichte Aufgabe. Indessen, der Bagotay Muki protegierte den Walzer. (Der Pecsovics! Höhnische Bezeichnung für österreichisch Gesinnte. Anmerkung des Herausgebers.) Doch es giebt eine Nemesis!

Es war üblich, daß die Musikkapelle vor jedem Tanze einige Takte spielte und dann wieder aufhörte. Dies diente dazu, der Ballgesellschaft anzukündigen, was für ein Tanz nun folgen werde, eine Polonaise, eine Quadrille oder ein Walzer.

Dies wußte der Bagotay Muki nicht. (Was wußte er denn?) Und als die Musikkapelle dieses übliche Signal gab, faßte er seine Tänzerin um den Leib und begann mit ihr zu walzen. Und mit einem Male hörte die Musik auf und sie standen am anderen Ende des Saales auf dem Trockenen. Die Musik war ihnen unter den Füßen weg verschwunden. Und nun mußten sie beschämt zurückhumpeln, woher sie ausgegangen: zur Estrade der Ballmütter.

Erzsike zankte, Muki entschuldigte sich; wer sie sah, mußte glauben, sie seien seit einem halben Jahre miteinander verheiratet.

Es geschieht ihnen Recht!

Ich sah ihnen auch nicht weiter zu, wie sie tanzten, sondern setzte mich in eine Ecke und zeichnete Karikaturen auf die Rückseite meiner Einladungskarte. Dann begab ich mich in das Buffet, versammelte einen Kreis von mehreren lebensmüden, blasierten jungen Leuten um mich und erörterte mit ihnen die Zweckmäßigkeit des Industrie-Schutzvereins. Die Herrschaften da drinnen sollen zusehen, wie sie sich ohne uns amüsieren.

Plötzlich klopfte mir jemand mit dem Fächer auf die Schulter und noch ehe ich mich umwandte, hatte ich diesen jemand schon an der Stimme erkannt: es war Erzsike.

»Sie begnügen sich nicht damit, selbst aus dem Ballsaale zu flüchten, sondern nehmen noch ein halbes Dutzend Tänzer mit sich. Ist das recht gehandelt? Kommen Sie sogleich herein, es wird Damenwalzer getanzt.«

Vor dem Privilegium des Damenwalzers mußte ich kapitulieren. Nachdem ich mit der mich zum Tanze auffordernden Dame die obligate Tour gemacht hatte, führte ich Erzsike zu ihrer Mama zurück und dankte für diese unvergeßliche Auszeichnung. Erzsike mußte sogleich wieder ihren Platz verlassen, denn man hörte schon das Kommando des Vortänzers »Kotillon«. Die tanzenden Paare flogen pfeilschnell dahin, mich aber hielt die Mama zurück und ließ mich auf einem leeren Sessel an ihrer Seite Platz nehmen.

»Sie vernachlässigen Ihre alten Bekannten gänzlich,« sagte sie, mühselig atmend. (Sie war nämlich sehr dick und asthmatisch.) »Seitdem Sie ein berühmter Mann geworden, kümmern Sie sich nicht mehr um uns.«

Ein berühmter Mann! Sollte auch dieser Dame schon bekannt sein, daß die Akademie mein Trauerspiel lobend erwähnt hat? Nein, nein! Mein anderer Ruhm muß ihr zu Ohren gekommen sein: meine Erfolge in der Malkunst.

»Wir haben das herrliche Porträt gesehen, welches Sie gemalt haben. In der That, so hat Madame Müller vor sechzehn Jahren ausgesehen. Warum haben Sie nicht lieber ihre Tochter gemalt, die ist doch viel schöner. Oder malen Sie junge Mädchen nicht gern? Fürchten Sie etwa mit ihnen die Partie zu verlieren?«

(Diese Dame hatte sonderbare Ausdrücke!)

Es war mir in der That unmöglich, etwas anderes zu antworten, als daß ich dies keineswegs fürchte und daß es mir eine besondere Freude sein werde, Erzsike zu malen.

Sie hatte die Gnade, ihre Einwilligung zu geben.

Es galt nur noch festzustellen, wann die Sitzungen stattfinden sollen. Sogleich konnte dies nicht geschehen, weil die Damen in den ersten Tagen nach dem Balle nicht vorteilhaft aussehen; auch rüsteten sich die Damen zu einer neuen Soiree; an Sonntagen gab es den Kirchengang u. s. w., u. s. w. Endlich fanden wir doch einen freien Tag, an welchem Erzsike mir sitzen konnte.

Es wurde noch die Frage erörtert, ob ich das Porträt in Aquarell auf Elfenbein oder in Öl auf Leinwand malen soll. »Elfenbein ist deshalb vorzuziehen,« sagte ich, »weil man in jedem beliebigen Augenblick mit einem nassen Schwamm das Bild wegwischen kann.«

Die Dame merkte die Selbstironie und war huldvoll genug, dieselbe durch einen Widerspruch zu neutralisieren. »Nein, wir wollen, daß uns das Bild für immer erhalten bleibe.«

Ich fühlte mich über alle Maßen verbunden.

Inzwischen nahm der Kotillon ein Ende. Erzsike kehrte zu ihrer Mama zurück und auch die Gesellschafterin kam wieder auf ihren Platz; ihr gehörte der Sessel, den ich usurpiert hatte. – Ich beeilte mich, den Sitz seiner legitimen Eigentümerin wieder zu überlassen und wollte mich verabschieden; allein die Dame hielt es für ihre Aufgabe, mich dem herrschenden Planeten des Tages vorzustellen, dem Herrn Bagotay Muki, der seine Tänzerin heimbugsierte. Sie sprach ihm von meinen malkünstlerischen Vorzügen und fügte hinzu, daß ich in den nächsten Tagen ihre Tochter porträtieren werde, und zwar in Öl, worauf Bagotay Muki mit seinem Komplimente sogleich zur Hand war.

»Wenn ich das gnädige Fräulein zu porträtieren hätte, ich würde sie mit meinem Herzblute malen.«

Und darauf erwiderte Erzsike lachend:

»Da wäre ich ja ganz rot.«

»Ich bitte, ich habe blaues Blut.«

Am liebsten hätte ich ihn mit meinem Federmesser in die Seite gestochen, um zu sehen, ob Indigo herausfließe. (Seine Mutter war eine Baronin, daher die Blaublütigkeit.)

Am Nachmittage des festgesetzten Tages erschien ich in Erzsikes Elternhause. Den Malkasten und die Leinwand hatte ich durch unsere Magd schon früher hingesendet.

Ich fand weder im Korridor, noch im Vorzimmer eine dienstthuende Seele und war daher genötigt, zu warten, bis jemand zum Vorschein käme, der mich anmelden sollte. Inzwischen mußte ich notgedrungen hören, was im Nachbarzimmer gesprochen wurde.

»Sie sind ein nichtswürdiger Halunke, ein Unverschämter!«

Ich erkannte die Stimme der Herrin des Hauses.

Darauf folgte ein protestierendes Kreischen.

»Gebt mir doch einen Stock!« rief die Dame des Hauses.

Die kreischende Stimme von vorhin aber erwiderte:

» Madame, vous êtes une friponne!« Eine schöne Konversation! Es scheint, daß ich nicht zur rechten Zeit gekommen bin.

Jetzt öffnete sich die Thür und es kam der Bediente heraus, der sich mit der einen Hand die andere betastete. Es war augenscheinlich, daß sie ihn schmerzte. Ich fragte den Diener betroffen:

»Hat man Sie geschlagen

Worauf der Diener verdrossen erwiderte:

»Nein, man hat mich gebissen

Ei, ei, der Diener wird gebissen!

»Bitte nur hineinzuspazieren, gnädiger Herr, man erwartet Sie,« sagte der Diener.

Als ich eintrat, ward mir das Rätsel offenbar. Derjenige, dem die gnädige Frau jene ehrenrührigen Benennungen gab, und der mit so geringschätzigen Repliken geantwortet hatte, war ein grauer Papagei, der soeben den Diener in die Hand gebissen und dafür eine Züchtigung empfangen hatte.

Die ganze Gesellschaft war in fieberhafter Aufregung. Es waren viel Leute da: Damen und Herren; unter den letzteren fiel mir sogleich Bagotay Muki auf. Die Hauptperson aber war der Papagei, dieses graulivrierte, rotschwänzige, großschnabelige Ungeheuer stand in drohender Pose mitten auf dem Kaffeetisch. Es war dem Vogel irgendwie gelungen, sein Messingbauer zu öffnen und mit einem Male stand er mitten unter der Kaffeegesellschaft auf dem gedeckten Tische. »Ach wenn er mir nur nicht auf den Kopf fliegt!« kreischte eine betagte Dame, indem sie mit beiden Händen sich die Seidenlöckchen schützte. Niemand wagte es, angriffsweise vorzugehen; der Bediente, der den Flüchtling hatte einfangen wollen, war von dem befiederten Meuterer schon kampfunfähig gemacht worden. Das Stubenmädchen erklärte, sie rühre nicht um ein Haus an den Vogel. Die Hausfrau hieb mit einem kurzen Stab von spanischem Rohr nach dem Papagei, wobei sie ihm allerlei ehrenrührige Titel gab; allein der kriegerisch gestimmte Günstling faßte jedesmal das Stöckchen mit dem starken Schnabel und wollte es nicht wieder losgeben; dagegen erwiderte er die Schmähungen mit reichlichen Zinsen.

Mein Eintritt wurde von der Gesellschaft kaum wahrgenommen. Als ich die Dame des Hauses mit den Worten begrüßte »Küss' die Hand, gnädige Frau!« – lautete die Antwort: »Infamer Halunke!« Doch fügte sie hinzu: »Das habe ich nicht Ihnen gesagt.« – »Selber aner!« schrie der dreiste Vogel zurück.

»Nun finden Sie da einmal einen Reim, Herr Reimschmied!« apostrophierte mich Herr Bagotay Muki.

Einen Reimschmied nannte er mich!

»Kommen Sie dem Vogel nicht in die Nähe!« rief mir Erzsike zu; »er könnte auch Sie in die Hand beißen und dann wären Sie am Malen verhindert.«

Das fehlte noch, daß man mich schreckte. Ich ging nun erst recht auf den Vogel zu. Und wäre es der russische Doppeladler gewesen, ich wäre nicht zurückgescheut!

War es eine Sehergabe, die mich erraten ließ, was man einem solchen, mit einer menschlichen Stimme ausgerüsteten Tiere sagen müsse?

»Gieb den Kopf her!«

Daraufhin senkte das schreckliche Beest mit einem Male den Kopf, so, daß es sich auf den krummen Schnabel stützte. Ich aber begann mit dem Zeigefinger ihm den Kopf zu kratzen, was dem Vogel so sehr behagte, daß er sogleich die Flügel zu schwingen begann.

Nun riskierte ich den zweiten Spruch.

»Gieb den Fuß her!«

Und der Papagei erhob zum Erstaunen der ganzen Gesellschaft seinen seltsamen, mit drei Zehen versehenen Fuß und faßte mit seinen Krallen meinen Zeigefinger, packte dann auch mit dem anderen Fuße meinen Finger und ließ sich so von dem Tische emporheben. Doch das war noch nicht alles. Als ich den Vogel so auf der Hand hielt, wie ehemals die Jäger den Falken, begann der Papagei, den Schnabel auf meine Hand senkend, Küsse auszuteilen. Dabei ging er sämtliche Varianten des Küssens durch, daß es ein wahrer Skandal war. Die Damen lachten und fragten sich: Von wem mag er das wohl gelernt haben?

»Ich habe den Vogel noch zu Lebzeiten meines Seligen bekommen,« sagte die Hausfrau gleichsam zur Erklärung.

Zum Schluß teilte mir die bezwungene Sphinx in vertraulicher Weise ihren Namen mit: »Koko, lieber Koko.«

Ich brachte nun Koko wieder zu seinem Käfig und setzte ihn auf den schwebenden Ring, welchen er, mit dem Schnabel vorausgehend, sogleich wieder einnahm. Es war ein wahrhaftes dreibeiniges Tier. Auf dem Ring stehend, machte er mir eine tiefe Verbeugung und ließ mit naiver Betonung seinen Gruß vernehmen: Schamster Diener!

»Nun, das grenzt ans Wunderbare,« sagte die gnädige Mama in dankbarem Tone. »Sie sollten ein Tierbändiger werden.«

»Das will ich auch.«

»Wie? was für Tiere wollen Sie bändigen?«

»Menschen.«

Dies wollte niemand verstehen.

»Nun, Herr Poet, die Ballade ist gelungen,« scherzte Bagotay Muki. »Jetzt wollen wir auch sehen, wie die Malerei einschlagen wird.«

»Wie wollen Sie das sehen?«

»So!« erwiderte Bagotay, indem er seinen Klemmer auf die Nase setzte.

»Da täuschen Sie sich. Wenn ich ein Porträt male, darf niemand dabei sein außer mir und demjenigen, den ich male.«

Die ganze Gesellschaft geriet in höchliches Erstaunen, denn jeder hatte geglaubt, es werde hier eine große öffentliche Produktion geben und es hatte sich eine große Gesellschaft zusammengefunden, um zu sehen, wie man Mund, Auge, Nase u. s. w. eines Menschen auf die Leinwand bringt. Man hatte für mich einen großen, runden Tisch bereit gestellt, damit recht viele an demselben Platz nehmen und sich mit dem Ellbogen darauf stützen können, um mich beim Malen zu dirigieren: Das Auge etwas höher, dieses Löckchen etwas tiefer, da noch etwas Rot und da noch etwas Weiß!

Ich aber erklärte kategorisch, daß ich vor einer solchen Menge nicht male, da dies eine Regel bei mir sei. Wenn ein Porträt gemalt wird, hat außer dem Künstler und dem Modell niemand im Atelier zu sein. Barabás Bekannter Maler des Vormärz. Anmerkung d. Herausgebers. macht es genau so.

Meine Haltung imponierte der Gesellschaft. Es sei doch eine schöne Sache, wenn man etwas kann. Sie mußten sich darein fügen, daß Erzsike mit mir allein in einem Nebenzimmer sitze, das nur ein Fenster hatte. Selbst von diesem einen Fenster mußte der untere Teil durch eine spanische Wand verdeckt werden, um eine günstigere Lichtwirkung zu erzielen, und niemand durfte uns stören, so lange die séance dauerte.

Die erste Sitzung währte übrigens nicht lange. Bei einem Ölgemälde muß das Bild zuerst mit schmutzigen neutralen Farben untermalt werden. Von einer Primmalerei hatte ich damals noch nichts gehört. In diesem Stadium ist das Porträt noch nicht zur Besichtigung geeignet. Es ist geradezu häßlich. Wenn die Ähnlichkeit vorhanden ist, dann um so schlimmer. Ich gestattete denn auch niemandem, es zu besichtigen, selbst Erzsike nicht. Ich verschloß das begonnene Bild in meinem Malkasten. Es war für diesmal genug, wenn das Einstellen gelungen ist: die Gestalt halbseitig, das Antlitz aber ganz en face; wenn die Schatten placiert, der Hintergrund halb und halb versucht, die Grundfarben der Kleidung ermittelt sind. Jedermann weiß, daß dies der schwierigste Teil sei.

Die Gesellschaft war in ihren Erwartungen sehr getäuscht, als sie erfuhr, daß ich nichts zu zeigen habe. Alle Welt erwartete, daß ich in anderthalb Stunden doch wenigstens die Augen oder den Mund hätte fertig bringen können und sie dachten sich nun, daß aus dem Ganzen gar nichts werden würde.

»Wird Erzsike in diesem Kleide auch schön sein?« fragte die Mama.

Auf diese Frage mußte ich ein recht einfältiges Gesicht machen. Weiß denn ich, ob Erzsike ein schönes Kleid habe? Ich wußte nur soviel, daß ich »englischen Lack« dazu brauche, dann »Neapolitanergelb«, »Venezianerweiß« und ein wenig gebrannten Ocker.

»Hören Sie, das war ein sehr langweiliges Amüsement,« bemerkte Erzsike. »Das Gesicht besser hierher wenden – nicht so ernst – nicht so heiter – nicht so gerade sitzen – den Zeigefinger heben – nicht so viel sich bewegen! Dann haben Sie soviel Bärenzucker auf mein Porträt gethan! Mir scheint, es wird ein Zigeunermädchen daraus.«

Ich beruhigte sie, daß dies nur die Grundmalerei gewesen und daß die Arbeit morgen heiterer von statten gehen werde.

Am folgenden Tage gleich nach Tisch war ich wieder zur Stelle. Vormittags hatte ich bei meinem Prinzipal in der Patvarie zu thun, Vormittags war man Rechtsgelehrter, Nachmittags Künstler, Dichter, Deklamator.

Diesmal fand ich keinerlei Gesellschaft vor. Die Mama, die Tante und die Gesellschafterin waren allein zu Hause. Das Porträt machte rasche Fortschritte; den Familienmitgliedern war es nun gestattet, einzeln hereinzukommen und von Zeit zu Zeit das Gemälde zu besichtigen.

Jetzt studierte ich das Antlitz schon im Detail. Es war ein interessanter Kopf, fast herzförmig, unten in einem schmalen Kinn auslaufend, das durch ein Grübchen fein geteilt ist. Die an die Schnecke gemahnenden Lippen mit ihrem eklatanten roten Email, die ein klein wenig aufwärts gerichtete Nase mit den unruhig vibrierenden Flügeln, runde, rosige Wangen, da und dort mit kleinen Fleckchen, die ich »schwarze Sterne am Morgenhimmel« nannte; ihr dichtes kastanienbraunes Haar war natürlich gelockt und schimmerte in goldigem Email, nach Art des Venusideals des Phydias die glatteste Stirne verschmälernd und neckische Löckchen auf die von blauen Äderchen durchzogenen Schläfen sendend. (Ich mußte alldies so im Detail kennen, da ja alles durch meinen Pinsel ging.) Aber was mit dem Pinsel nicht wiederzugeben: das ist das wunderbare Augenpaar. Diese Augen brachten mich in Verzweiflung. Mich dünkt, daß ich, selbst wenn ich ein wirklicher Künstler und nicht ein armer Dilettant gewesen wäre, doch niemals das Geheimnis dieser Augen hätte ergründen können. Wenn ich schon glaubte, daß ich sie jetzt getreulich wiedergebe, blitzten diese Augen auf und meine Arbeit war wertlos. Endlich blieb ich doch bei einem schwärmerischen Ausdrucke, der mir am besten gefiel. Die drei Familienmitglieder, welche die Aufsicht führten, behaupteten zwar, daß sie auf dem Antlitze Erzsikes einen solchen Ausdruck noch nie gesehen hätten, nichtsdestoweniger waren sie einig in der Anerkennung dessen, daß sie »zum Sprechen getroffen« sei.

Der Kopf war demnach fertig, es galt nun, die Kleidung zu malen, was ich auf den nächsten Tag ließ.

Am folgenden Tage gab es eine Préférence-Partie in der Festung, bei der Frau Generalin. Erzsikes Mama war eine leidenschaftliche Préférencespielerin. Der Schauplatz wechselte jeden Tag. Die Mama war demnach nicht zu Hause; auch ihre Nichte war mit ihr gegangen, denn diese hatte wieder eine andere Partie auf dem Fortifikationsgebiete. Als Mädchenhüterin war die Tante allein zu Hause geblieben. Diese aber pflegte am Nachmittag zu schlummern oder Patience zu spielen.

Ich weiß nicht, wer bei dieser Gelegenheit die Toilette Erzsikes überwachte; vielleicht niemand.

Dieses ausgeschnittene blaßrosa Leibchen brachte auch an anderen Tagen die reizenden Formen zur Geltung; heute aber war es noch vertraulicher als sonst; mir schien es, als wäre die Krause von tulle anglaise sehr tief von der Schulter herabgeglitten.

Kein herrlicheres Werk des Schöpfers konnte man sehen, als diese Büste. Ein Maler aber hat das Recht, ja sogar die Pflicht, nicht nur zu sehen, sondern auch zu schauen. Ein verhängnisvolles Vorrecht! Mir zitterten die Hände; ich glaubte zu fiebern. Und doch standen mir die hellen Schweißtropfen auf der Stirne. Ich bemerke, daß damals die jungen Mädchen kein Mieder trugen. Beim Tanze konnten wir durch unmittelbare Berührung uns hiervon überzeugen.

Erzsike schien meine Erregung zu bemerken. Eine neckische Flamme loderte in ihren Augen, die jetzt keineswegs jenen des gestrigen Bildes glichen. Sie schien mit mir ihren Spott treiben zu wollen.

Und was that ich nun?

Ich verbesserte auf dem Gemälde jene verräterische Krause, so wie sie hätte sein sollen. Das nenne ich in Wahrheit: Corriger la fortune.

In dieser Séance wurde das Bild fertig. Ich dankte Erzsike für ihre Selbstaufopferung und sagte ihr, sie dürfe nun das Porträt besichtigen, es sei ganz fertig.

Das Mädchen erhob sich aus dem Lehnsessel und nahm hinter mir Aufstellung. Sie betrachtete das Bild und lachte mir darauf ins Gesicht.

»Sie haben die Krause meines Kleides in Ordnung gebracht. Haben Sie es wahrgenommen? Giebt es da etwas, was Sie nicht gern sehen?«

»Ich will nicht, daß auch andere es sehen.«

»Schau, schau, ich betrachte Sie schon seit Tagen, während Sie hier herumschafften und sehe fortwährend etwas an Ihnen, was häßlich ist, was mir nicht gefällt.«

»Das war wohl nicht schwer zu entdecken.«

»Es ist nur ein kleiner Punkt, so groß wie eine Linse.«

»Was mag es sein?«

»Jene Warze an Ihrer Hand.«

Am Gelenke meiner rechten Hand, gerade unter dem Daumen hatte ich in der That einen kleinen unschönen Auswuchs, welchen, wenn ich schrieb oder malte, jedermann sehen konnte.

»Ich kann die Warze nicht wegschneiden lassen, weil sie genau über der Pulsader sitzt. Ich habe sie einem Arzte gezeigt und dieser sagte, die Operation wäre mit Gefahr verbunden.«

»Was versteht der Arzt davon? Geben Sie die Hand her. Ich will die Warze fortschaffen und es soll Ihnen nichts weiter geschehen. Ich habe das Mittel in der Pension von einer meiner Freundinnen gelernt. Sie sollen sogleich von der Warze befreit sein.«

»Wie wollen Sie das machen? Etwa durch einen Zauberspruch?«

»O nein, es wird Sie schmerzen, aber wenn ein Mädchen es überstanden hat, werden auch Sie es überstehen.«

Ich erklärte mich bereit.

Da zündete sie eine Kerze an und stellte dieselbe auf den Tisch. Dann nahm sie eine Stecknadel (schon wieder eine Stecknadel!), stach dieselbe unter der Warze hindurch; dann hob sie meine Hand zur brennenden Kerze empor und hielt den Kopf der Stecknadel an die Flamme, bis die Nadel weißglühend wurde.

Und inzwischen waren jene wunderbaren Augen weit geöffnet und blickten mit der nach abwärts gekehrten Iris in die meinigen. So schauen die Dämone auf die zur Hölle Verdammten, wenn diese auf dem Roste braten.

»Thut es weh?« zischte sie zwischen den Zähnen hervor. Es war augenscheinlich, daß sie ihre Freude daran hatte.

»Der Nadelstich thut nicht weh.«

»So, Sie können jetzt gehen.«

... Nach zwei Tagen fiel die abgebrannte Warze von selbst ab und es blieb an der Stelle derselben ein linsengroßer Fleck zurück, der auch heute noch zu sehen ist und sich durch seine Weiße von der Grundfarbe der Hand kräftig abhebt. Und ich muß diesen kleinen weißen Fleck täglich sehen, wenn ich die Hand auf das Schreibpult lege. Und wenn ich diesen Punkt lange betrachte, scheint es mir, als würde aus diesem kleinen weißen Mal ihr Antlitz auftauchen, so wie ich es damals sah und dann sehe ich auch alle weiteren Variationen desselben bis zu dem allerletzten Bilde, das mich aus dem Schlafe aufschreckte.

Bisher war alldies ein Geheimnis, das Geheimnis anderer: jetzt ist es schon das meinige, die übrigen ruhen. Ich darf es schon erzählen.


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