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Zehntes Kapitel.

Wo die Welt mit Brettern vernagelt ist.

 

Es war eine förmliche Kriegsoperation, von Világos dorthin zu gelangen, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist.

Diesen Ort hatte meine Frau für mich noch in Pest erkoren, als sie beim Herannahen der Katastrophe auf einem bäuerlichen Fuhrwerke sich auf den Weg machte, um mich im Lande aufzusuchen. Eine Zeitlang reiste sie mit der Gattin Alexander Körösis, diese führte sie auf meine Spur. Bei der Einnahme von Szegedin hat wenig gefehlt, daß wir alle miteinander mit dem Pulvermagazin in die Luft geflogen wären.

Im Borsoder Komitat, in den Buchenwaldungen tief versteckt lag das Dörfchen Tardona, dessen Name auf der Landkarte des Franz Karacs sich nicht verzeichnet findet. Hier hatte Telepi, der ausgezeichnete Komiker und Dekorationsmaler des Nationaltheaters, sich ein Häuschen gebaut mit dem Vorsatze, in sturmvollen Zeiten hier seine Familie zu verbergen. Als dann die Russen ins Land rückten, sandte er denn auch seine Frau dahin samt seinem Sohne Karl, der damals ein junger Malerschüler war. Telepi hatte meiner Frau den weisen Rat gegeben, daß wenn einmal »Alles drunter und drüber« gehen sollte, sie auch mich dorthin bringen solle. Dort werde mich niemand finden. Tardona beteiligte sich nicht an der Revolution. Hier geschah es, daß, als der Seelsorger vom Predigerstuhle aus die Proklamation der Regierung verkündete, wonach »die Russen kommen und jedermann die Waffen ergreifen soll, um den Feind zu verderben« – der Herr Kirchenvater aus der ersten Bank ihm zurief: »Das ist nicht wahr, ehrwürdiger Herr Pfarrer!«

Es war eine wahrhaftige kleine Odyssee, hieher zu gelangen. Auf einem kleinen gedeckten Bauernwagen reist eine Frau und führt Wassermelonen zu Markte. Vorn auf dem Kutschbocke sitzen der Kutscher und der Knecht. Der Knecht bin ich, der Kutscher ist Johann Rákóczy, vor zwei Tagen noch Kossuths Sekretär.

Der Preis der Wassermelonen war ein Silberzehner per Stück. Unsere Köpfe waren nicht einmal so viel wert.

In der ganzen Länge des Weges von Világos bis Békés-Gyula fuhren wir den vordringenden russischen Truppen entgegen. Es kamen uns Kosaken, Ulanen, Fußvolk, Artillerie, Trainabteilungen entgegen. Niemand fragte: was kosten diese Köpfe?

Nur die beiden schönen Pferde, mit welchen unser Gefährte bespannt war, ließen die Vermutung aufkommen, daß wir keine Bauern seien, wenngleich Rákóczy das kurze, blaue Wams der Kutscher trug.

Als wir das Gebiet des Röhrichts erreichten, nahm ein berittener Betyár uns in seinen Schutz, geleitete uns auf Wege, wo niemals ein Wagen gefahren und wo unsere Pferde bis an die Brust im Sumpfe versanken, bis wir die endlose Pußta erreichten. Der Gruß: »Gott lohne euch's!« war alles, was er für seine Mühe von uns annehmen wollte.

Unser lieber Freund Johann Rákóczy war als alter Landwirt ein ausgezeichneter Kutscher, so lange es galt, die Pferde zu lenken: allein jenen Teil des Kutschermetiers, der nach der Abschirrung der Pferde folgt, hatte er nicht erlernt. So kam es, daß, als wir auf unserer Fahrt über den salpeterhaltigen Boden der Pußta in drückender Hundstagshitze in einer Ortschaft ankamen, Rákóczy nichts eiligeres zu thun hatte, als die Pferde auszuspannen und am Brunnen zu tränken und dann erst im Stalle zu versorgen. Die Folge war, daß das Stangenpferd eine Lungenentzündung bekam, die das Tier nach einer Stunde hinraffte. Das Sattelpferd ist wunderbarerweise am Leben geblieben. Statt des umgestandenen Pferdes spannten wir nun ein anderes an, das wir unterwegs um hundert Gulden erstanden hatten. Dieses war um anderthalb Faust kleiner, als das andere. Und mit dieser Gelegenheit reisten wir nun weiter. Da hat uns gewiß niemand mehr für Herrschaften halten können.

Wir mußten auch durch Miskolcz kommen, wo die Russen kampierten. Hier wohnte der Vater meiner Frau, der wackere und gelehrte Professor Laborfalvy-Benke. Er zeigte uns den nach Tardona führenden Weg. Fünf Stunden lang drangen wir durch die dichten Wälder vorwärts, wo es keine Straße, keine menschliche Behausung gab. Das in vielfachen Krümmungen sich hinwindende Thal war von einem Bach durchschnitten und längs desselben, bald rechts, bald links, zog sich der Weg dahin, natürlich ohne jede Brücke; zur Bequemlichkeit der Fußgänger waren von Schritt zu Schritt große Steine im Bette des Baches niedergelegt.

Dort, in einem herrlichen Thal tief versteckt, liegt das kleine Dörfchen, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist.

Ich und meine Frau stiegen im Hause Telepis ab, wo die wackere Hausfrau uns mit vieler Herzlichkeit empfing; Rákóczy mit dem Fuhrwerke mußte in einem anderen Hause untergebracht werden. Der Bruder der Frau Telepi, mein wackerer Freund Benjamin v. Csányi gesegneten Angedenkens, wohnte nebenan; er hatte auch einen Stall, wo die Pferde Unterkunft fanden. Später zog auch ich zu ihm hinüber.

Csányi war das Muster eines kleinen Landedelmannes; so sollten sie auch heute sein. Ein wohlunterrichteter, intelligenter Mann, der Lateinisch und Deutsch sprach, sein Jus absolviert hatte und dabei, von einem Knecht unterstützt, selber seinen Acker bestellte; er aß sein eigenes Brot, trank seinen eigenen Wein, war gastfreundlich und zögerte nicht dem Fremden zu Liebe, der über seine Schwelle schritt, ein Schaf oder ein Ferkel schlachten zu lassen. Die Frau schaut selbst nach der Küche, giebt im Spinnen ihrem Gesinde das Beispiel, näht für die Kinder selbst die Kleider. Sie haben drei Söhne, und das Geld, das in die Haushaltung fließt, wird für den Unterricht der Knaben verwendet. Csányi nimmt nichts geborgt und ist niemandem etwas schuldig. Manchmal spielt er mit dem Nachbar Karten und was am Schlusse des Spieles der eine Partner dem andern schuldet, wird einfach – von der Tafel abgelöscht. Seine Arbeitsstube ist eine Tischler- und Wagnerwerkstätte; wenn am Wagen etwas bricht, schnitzt er selbst das betreffende Stück: das ist der schönste Zeitvertreib. Er besitzt auch eine Bibliothek und darin finden sich Bücher, wie Walter Scotts Geschichte der französischen Feldzüge. Zeitungen liest er nicht; wenn ihm ein Gedicht gefällt, lernt er es auswendig und verbreitet es durch mündlichen Vortrag. Er führt mit niemandem Prozeß und wo zwei miteinander in Streit geraten, söhnt er sie wieder aus. Doch wenn es heißt: »Das Vaterland ist in Gefahr, laßt uns für das Gemeinwohl Opfer bringen!« dann trennt er von seinem Dolmán die silbernen Knöpfe ab und legt sie auf dem Altar des Vaterlandes nieder.

Daß ich in jenen schweren Tagen nicht den Verstand verlor, habe ich zum guten Teile diesem wackeren Manne zu verdanken.

So wären wir denn hier angelangt; ich bin gerettet, bin nicht mehr tot; ich lebe.

Aber wie lebe ich? Wie ein neugeborenes Kind: hilflos und ohnmächtig.

Rákóczy verließ uns am folgenden Tage wieder und nahm seinen Weg nach den Karpathen. Dort trat er – natürlich unter falschem Namen – bei einem reichen Grafen als Kutscher in Dienst. Man war mit ihm zufrieden; er war ein vernünftiger, nüchterner Kutscher. Aber einmal passierte ihm eine sonderbare Geschichte. Als er eines Tages den Grafen und dessen Schwager spazieren führte, unterhielten sich diese Herren unterwegs über die Geschehnisse der Zeit Ludwigs XIV. und da wollte keinem von den beiden der Name des damaligen berühmten Finanzministers einfallen. Der Kutscher konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich umzuwenden und den Herren zu sagen: » Colbert.« Die beiden Grafen stiegen augenblicklich aus und gingen zu Fuße nach Hause. Dem gelehrten Kutscher wurde sofort der Dienst gekündigt. Es ist nicht gut, mit einem solchen Menschen unter einem und demselben Dache zu wohnen.

Wir aber, ich und meine Frau, einigten uns in dem Plane, daß meine Frau nach Pest heimkehre, um ihre hervorragende Stellung am Nationaltheater wieder einzunehmen und dort zu bleiben, bis ich mein väterliches Erbteil erhalten würde; dann würden wir hier, in den Bükkwaldungen verborgen, ein kleines Anwesen neben demjenigen der Familie Csányi erwerben und dasselbe bewirtschaften bis an das Ende unserer Tage.

Was könnten wir auch sonst anfangen? Es giebt kein Vaterland, keine Nation, keine Freiheit mehr. Der Geist hat keine Schwingen mehr. Wir kleben an der Scholle.

Genau am Tage der Jahreswende unserer Hochzeit, der zugleich der Namenstag meiner Frau war, schieden wir voneinander. Genau ein Jahr hatte die Hochzeitsreise gedauert; ich wünsche niemandem eine ähnliche, würde es aber für alle Freuden der Welt nicht hingeben, daß ich sie durchlebt habe.

Ich blieb dann inmitten eines Urwaldes zurück, verborgen, vergessen.

Diese letzte Nachricht aus Pest erhielt ich durch den wackeren Csányi, der auf seinem Viergespann meine Frau nach der Hauptstadt führte, wobei er selbst die Pferde lenkte. – Dort oben gab es schlimme Zeiten. – Haynau hatte selbst das Nationaltheater für die deutschen Schauspieler in Beschlag genommen. (Das deutsche Theater, das dort gestanden, wo jetzt die Redoute und das Palais Haas stehen, war ein Jahr vorher abgebrannt.) Allein der Direktor Johann Simoncsics, vormals eine Celebrität der Konservativen, protestierte gegen diese Verfügung des allmächtigen Tyrannen, und als dieser ihn vor sich citierte, um mit dem hartnäckigen Táblabiró darüber zu verhandeln, wie viele Male in der Woche er das Nationaltheater der deutschen Muse überlassen wolle, da antwortete der wackere Simoncsics in seinem guten Ofner Deutsch: »Wenn i reden muß, so sag' i: amol; wenn i reden darf, so sag' i: kamol.« Und es blieb bei »kamol«.

Mir hatte meine Frau sagen lassen, ich solle ihr durch die Post keine Briefe senden, weil die Stadt von Spionen wimmelt. Wenn sie mir schreibt, wird sie den Brief nach Miskolcz an ihren Vater senden, abzugeben für »Judith Benke«.

Ich mußte also auch das erleben, daß ich zu einer Frau umgetauft ward.

Noch jetzt hole ich nicht selten jene Liebesbriefe hervor, die an mich gerichtet waren und mit der Anrede begannen: »Liebste Juczi!« Noch jetzt erhellen sie mir jene unendliche Finsternis, welche ich »die aus meinem Leben ausgelöschte Zeit« nenne.

Von August bis Mitte Oktober hatte ich keinerlei Kenntnis von allem, was draußen in der Welt geschah.

Es war dies ein Versteck, wohin kein Besucher kam und dessen Bewohner nirgendshin gingen. Im Winter wird es einen Schlittenweg geben und dann wird sich auch der Verkehr zwischen Tardona und Miskolcz erschließen: man wird Brennholz nach der Stadt fahren können. An Holz ist kein Mangel; Csányi hat zu vierzig Joch Acker vierhundert Joch Urwald.

Täglich durchstreifte ich diese Wälder, in welchen kein menschlicher Laut zu hören war. Niemals begegnete ich einem Menschen und wenn ich die höchste Kuppe erstieg, sah ich nichts als die rauchenden Schornsteine des im Thalkessel gelegenen Tardona. Auf meinen Streifzügen entdeckte ich eines Tages die Quelle des Baches, der dieses Thal durchschnitt. Sie heißt die »Lindenquelle«, weil sie von Linden umstanden ist. Ich hatte Muße genug zu dem Kinderspiele, aus Hollunderholz eine Mühle zu schnitzen, zusammenzufügen und über dem Bache aufzustellen. Damit vertrieb ich mir die Zeit.

Eines Tages erhielt ich von meiner Frau eine Schachtel Aquarellfarben. Dieses Geschenk gereichte mir zum Troste; ich fand nun Beschäftigung für den ganzen Tag und füllte ein ganzes Album mit Landschaftsbildern. Dann malte ich die gewisse Reise durch die Pußta, auf dem gedeckten Bauernwagen, mit den zwei Pferden von ungleicher Größe bespannt. Mich selbst malte ich auf einem fingernagelgroßen Stückchen Papier, das in einem Medaillon Platz finden konnte und sandte das Miniaturporträt meiner Frau. Csányis Gattin bat mich, ich möchte doch auch ihren »Alten« so klein malen; auch sie habe ein Medaillon. Dies war in jenem Schreckensjahre meine einzige Arbeit von bleibendem Werte.

*


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