Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Das Weib des Gyuricza Peter

 

Nach den Märztagen übersiedelte ich aus der Wohnung des Petöfischen Ehepaares in eine andere. Meine Verhältnisse hatten sich so günstig gestaltet, daß ich eine eigene, aus zwei Zimmern bestehende Garçonwohnung mieten und dieselbe mit meinen eigenen Möbeln einrichten konnte. Eigentlich wurde das Appartement erst zu einer Garçonwohnung, als ich dasselbe bezog, denn vor mir wohnte eine alte Frau darin, die sich mit Dienstbotenvermittlung beschäftigte. Alle Welt kannte die »Frau Mam'«; sie wohnte in der Hatvanergasse, im Hofe jenes zweistöckigen Hauses, welches zwischen dem Palais des Nationalkasinos und dem neuestens erbauten, eisernen Warenhause steht.

Ich war mit meiner Wohnung sehr zufrieden; dieselbe entsprach vollkommen meinen Bedürfnissen und hatte nur den einen Nachteil, daß die vielen Köchinnen, Stubenmädchen, Ammen u. s. w., die gewohnt waren, die frühere Mieterin zu besuchen, mich belästigten, in der Meinung, daß ich ihnen Dienstplätze verschaffen würde. Gar oft ward ich dadurch in der Arbeit gestört. Überdies ist so häufiger Damenbesuch geeignet, einen jungen Mann in argen Verdacht zu bringen. Vom Korridor der gegenüber gelegenen Wohnung konnte man meine Thür sehen. Jene Wohnung aber hatte Rosa Laborfalvy inne. Es würde mich verdrossen haben, wenn sie sich von mir eine schlechte Meinung gebildet hätte.

Ich war kein Weltschmerzler, hatte sogar meine Privatschmerzen über Bord geworfen.

Ich widmete mich wieder der Porträtmalerei. Auf meiner Staffelei stand das Porträt einer schlanken, hochgewachsenen Dame in weißer Atlasrobe, mit großen, schwarzen Augen und auf die Schultern herabfallenden kohlschwarzen Locken à l'anglaise; es waren nur mehr die letzten Pinselstriche zu machen, das Original brauchte mir nicht Modell zu stehen. (Dieses Bild besitze ich noch heute.) Mit einemmale ward an meiner Thür geklopft; auf meinen Ruf: »Herein!« geht die Thür auf und es tritt eine schmucke, junge Bäuerin ein.

Da hat man's wieder! Eine Kindsfrau, die einen Dienst sucht.

»Da ist nichts, die ›Zubringerin‹ wohnt nicht mehr hier,« rief ich verdrossen, weil ich gerade mit meinem Porträt beschäftigt war; und da die Besucherin sich trotzdem nicht zurückziehen wollte, schrie ich sie barsch an: »Gehen Sie in Gottes Namen!«

Daraufhin lachte die junge Bäuerin hell auf.

Mir schien, als hätte ich dieses Gelächter schon einmal gehört.

Ich wandte mich zu meinem Besuche und schaute die Frau an; und je mehr ich sie anschaute, desto größer ward mein Erstaunen.

Es war Erzsike.

Sie trug einen hellroten Rock, mit gelben und grünen Blumen ausgenäht; darüber eine breite Schürze von dunkelblauer Glanzleinwand und ein Leibchen von schwarzem Samt mit Puffärmeln; über dem Leibchen ein in der Taille quergebundenes Zitztuch mit eingewebten Palmblumen: auf dem Kopfe eine Sturmhaube mit gesteiften Zwirnspitzen besetzt; am Arme trug sie einen zugedeckten Henkelkorb.

Ihr Antlitz war von der Sonne gebräunt und aus ihren Zügen lachte mir ein neckischer Kobold entgegen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen.

»Erkennen Sie mich denn nicht?« fragte sie munter. »Ich bin Erzsike.«

Ich sah wohl, daß sie es sei; aber ich konnte mir nicht erklären, was sie bewegen konnte, in dieser Vermummung bei helllichtem Tage durch die Straßen von Budapest zu gehen und bei mir einen Besuch zu machen.

»Frau v. Bagotay?« stammelte ich verwirrt.

»O, ich bin nicht mehr die Frau v. Bagotay, sondern das Weib des Gyuricza Peter.«

»Was zum Kuckuck, das Weib des Gyuricza Peter?«

Meine Verwunderung war eine so aufrichtige, daß Erzsike lachend die Hände zusammenschlug.

»Wie, Sie wissen das nicht? Hat man es Ihnen denn nicht geschrieben?«

»Ich habe von ›dort‹ seit langer Zeit keinen Brief mehr bekommen.«

»Aber das war ja ein Skandal, von dem man fünfzig Meilen weit in der Runde gesprochen hat, ein Skandal, wie er in unserer Stadt seit der Franzosenflucht nicht wieder vorgekommen und Sie wissen nichts davon und sind doch ein Zeitungsredakteur!«

»Mein Blatt beschäftigt sich nicht mit Familienangelegenheiten.«

Erzsikes Wangen glühten und sie fuhr sich mit beiden Händen darüber hin, als wollte sie die verräterische Farbe des Errötens wegwischen.

»Ich habe mich auf der steilen Treppe so stark erhitzt,« sagte sie.

Die Flammenröte ihres Antlitzes schrieb sie der steilen Treppe zu.

Dies erinnerte mich daran, daß es sich vielleicht geziemen würde, der Besucherin einen Sitz anzubieten; ich lud sie ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen.

»O nein, dort setze ich mich nicht hin, das ist für die Damen. Es wird für mich schon da ganz recht sein,« sprach sie, indem sie sich auf meinen Koffer niederließ und ihren Korb neben sich auf den Boden hinstellte. »Ich bin wahrhaftig ermüdet; bis Waitzen bin ich auf einem Getreideschiffe gefahren; von dort bin ich zu Fuße nach Pest gekommen.«

»Sie hätten ja das Dampfschiff benützen können.«

»Ja, aber mein Mann konnte mir das Fahrgeld nicht geben; darum reise ich nach armer Leute Art. Hier meine ganze Ausrüstung für die Reise.«

Sie legte den Henkelkorb bloß und zeigte mir den Inhalt desselben: ein Stück schwarzes Brot und etwas, was in ein fettes Papier gewickelt war, wahrscheinlich ein Stück Käse oder Wurst.

»Das muß auch noch für die Rückreise auslangen.«

Dieser Cynismus erregte ein Gefühl des Unwillens in mir.

»Ich möchte doch endlich wissen,« sagte ich, »ob Sie da einen Faschingsscherz vor mir aufführen?«

»O nein! Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen zuliebe mich so vermummt habe. Ich bin jetzt eine rechte und wirkliche Bäuerin und will es auch bleiben. Die Sache ist für mich gar ernst und ich bin zu Ihnen gekommen, nicht damit Sie all dies in die Zeitung setzen, sondern damit Sie mir raten.«

» Ich soll Ihnen raten?«

»Wen sonst soll ich zu Rate ziehen? Die ganze Welt verurteilt und verstößt mich, und doch habe ich mich gegen niemanden vergangen, selbst in Gedanken nicht. Sie sind der Einzige, den ich bitter gekränkt habe, darum muß ich bei Ihnen Schutz suchen.«

Das ist die Logik der Weiber!

Ich trat näher zu ihr hin und lehnte mich an meinen Tisch. Ich nahm absichtlich diese Stellung ein, damit sie verhindert sei, das Porträt zu sehen, an welchem ich arbeitete.

»Ich will nun beim Anfang beginnen,« sprach die Frau, indem sie die langen Wimpern über die Augen senkte. »Sie wissen, daß ich heiratete. Wir feierten ein glanzvolles Hochzeitsfest; die ganze Stadt, das halbe Komitat war mit dabei. Mich dünkt, es war auch alles in den Zeitungen ausführlich beschrieben; wie denn auch nicht, wenn die reichste und schönste Erbin der Stadt von dem Ideal der Kavaliere zum Traualtar geleitet wird! Die Braut bringt ein Heiratsgut von hunderttausend Gulden mit, der Bräutigam führt die Dame seines Herzens in das Schloß seiner Väter heim, in einer Karosse, die mit vier feurigen Schimmeln bespannt ist. Nicht die Benediktion des Priesters ist der eigentliche Segen, sondern der Neid, den eine solche Pracht allenthalben hervorruft. Die Männer neiden dem Bräutigam die Braut, die Mädchen neiden der Braut ihren Bräutigam und alle sind genötigt, sich im stillen zu sagen: ›Fürwahr, ein passendes Paar!‹ Ach, die einzige Freude, die mir von all der Pracht geblieben, ist das Bewußtsein, daß, als ich nach vollzogener Trauung aus der Kirche trat und über die Menge hinblickte, ich mir sagen durfte: ›Nicht wahr, ihr beneidet mich?‹«

Nach einer Weile fuhr Erzsike fort:

»Von der Kirche fuhren wir geraden Weges in das Schloß meines Gatten. Sechsunddreißig Kutschen gaben uns bis dahin das Geleite, – ich habe sie genau gezählt. Und nun folgte ein reiches Hochzeitsmahl. An jenem Tage wechselte ich viermal die Toilette; zum fünftenmale legte ich ein Deshabillé von Spitzen an, denn ich ward von den Damen der Verwandtschaft dem alten Brauch gemäß in das Brautgemach geleitet. Dieses war wunderbar eingerichtet, ein Wiener Tapezierer hatte da ein Meisterwerk geliefert. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Aus dem Saale, wo die Hochzeitsgäste tafelten, tönten die Klänge der Klarinette und der Baßgeige zu mir herauf und mit diesen Klängen mengte sich das wüste Gejohle der zechenden Herren. Ich bekam meinen Gatten bis zum Morgen nicht zu Gesichte. Erst mit dem dämmernden Tage begann die Gesellschaft sich zu zerstreuen. Von Zeit zu Zeit mengte sich noch das heisere Gebrüll einzelner singenden Gäste in die Musik der Zigeuner. Jetzt endlich kam mein Gatte zum Vorschein. Es war ein Jammer ihn anzuschauen. Er nannte mich sein ›liebes Mühmchen‹ und fragte mich, ob ich nicht wüßte, wo er geblieben sei. Dann warf er sich in den Kleidern auf das Sofa hin und redete so tolles Zeug durcheinander, daß ich endlich darüber lachen mußte. Doch sagte ich mir dies sei wohl so der Brauch, wenn einer vom Junggesellenleben scheidet. Endlich übermannte mich der Schlaf und ich träumte unsinnige Dinge. Auch Sie waren dabei. Doch wozu erwähne ich dies?« ...

Erzsike richtete das Tuch zurecht, das sie um ihre Haube geschlungen trug und fuhr fort:

»Als ich erwachte, war Mittag. In meinem Traume muß ich viel geweint haben, denn wo mein Kopf gelegen, war das Kissen ganz naß. Mein Ideal lag jetzt nicht mehr auf dem Sofa, sondern auf dem Teppich, alle Vier von sich streckend wie ein Frosch. Es kostete mir viel Mühe, ihn wieder zum Leben wachzurütteln. Ein noch härteres Stück Arbeit war es, ihm begreiflich zu machen, in welchem Weltteile wir uns befänden und welche Verbindung zwischen uns beiden bestünde. Nun forderte er von mir um jeden Preis, daß ich mit ihm unter das Sofa kriechen solle und weil ich mich nicht hierzu einverstehen wollte, begann er gottesjämmerlich zu flennen und verlangte seine Pistole, um sich totzuschießen. Nun ließ ich mir das Waschbecken bringen und wusch ihm das Gesicht; ein paarmal drückte ich ihm den ganzen Kopf in das kalte Wasser. Dabei heulte mein Held wie ein schmutziger Range, den man gegen seinen Willen reinigt; aber endlich kam er doch zur Besinnung und willigte ein, daß man ihn vom Boden auflese. Er leerte einen Krug Wasser und davon thaten sich ihm die Augen auf. Aber sie waren klein wie Maulwurfsäuglein, und zum erstenmale merkte ich, daß sie überquer stünden.«

Während dieser Erzählung lachte Erzsike hell auf.

»Aber wie sah der Mensch da aus! Das Haar struppig und zerzaust, der Schnurrbart wirr und schlaff, die Kleidung zerknittert und beschmutzt. Ich mußte ihn ganz neu ankleiden. Ein kleinwenig schalt ich ihn aus. ›Ein netter Zustand, das muß ich sagen!‹ Darauf erwiderte er mir: ›Aber erst die Kameraden! Der Nuschi und der Lenzi und der Blikus: wie sind die erst verarbeitet worden! Alle sind zu Paaren getrieben; er allein ist Sieger geblieben!‹ Inzwischen gähnte er häufig und riß dabei so weit das Maul auf, daß ich ihn bitten mußte, mich nicht zu verschlingen. Endlich setzte ich ihn auf einen Stuhl, um ihm das Haar in Ordnung zu bringen. Dabei heulte und wetterte er, daß ihm jedes einzelne Haar weh thue, als ob alle Teufel mit eisernen Zangen daran zerrten.«

Und die Erzählerin lachte wieder einmal.

»Für Sie sind das lauter neue Dinge, nicht wahr? Ähnliches haben Sie wohl nie gesehen? Ja, ich bin eben die Braut des ersten Dandy geworden, um außerordentliche Dinge zu erleben. Übrigens war an alldem vielleicht nichts Außerordentliches. Nun ward das Hochzeitsmahl fortgesetzt, zunächst mit einer Krautsuppe. Jetzt präsidierte ich an der Tafel schon mit der Haube auf dem Kopfe. Unsere Gäste waren noch sämtlich benebelt. Ich bekam da sehr kuriose Dinge zu hören. Bei solchen Gelegenheiten wetteifern die Herren miteinander in dem Bemühen, der jungen Frau Komplimente zu sagen, die sie zum Erröten bringen. Alle redeten schon mit weinheiserer Stimme. Die weiblichen Hochzeitsgäste hatten sich schon am Morgen entfernt; viele hatten sich von mir verabschiedet. Jede beweinte mich, das ist so üblich. Ich war die einzige Frau in der Gesellschaft und war recht froh, als ich entwischen konnte. Ich denke, daß auch die Herren froh waren, mich verschwinden zu sehen; denn jetzt konnten sie die unterbrochene Unterhaltung wieder fortsetzen. Ich konnte wieder nicht schlafen. Es stellte sich Kopfschmerz bei mir ein. Zum erstenmale in meinem Leben lernte ich die Migräne kennen, jene furchtbare Plage der Frauennerven, von der ich bisher geglaubt hatte, sie sei nichts als Ziererei und Einbildung. Es hätte mir so wohlgethan, wenn mir jemand die kühlende Hand auf die fieberheiße Stirne gelegt hätte. Ein Trostwort würde meinen Schmerz gelindert haben; aber ich wartete vergebens auf ein solches. Ich schickte um meinen Mann, aber er kam nicht. Plötzlich aber – ich war in einen schmerzlichen Schlummer versunken – störte ein höllischer Lärm mich auf, als wären alle Teufel der Hölle losgekommen. Es war aber nicht das: nur mein Mann war angekommen und hatte die ganze betrunkene Kameradschaft mitgebracht. Ich sah vor mir eine Legion von wiehernden, lachenden, geilen Fratzengesichtern und unter diesen mein Ideal, mit einem blöden satirhaften Grinsen in den Zügen. Entsetzt sprang ich aus dem Bette, hüllte mich in meine Decke und flüchtete aus dem Zimmer, in die Kammer meiner Zofe, wo ich den Riegel vorschob. Lange pochte er da an der Thüre; ich drohte, zum Fenster hinauszuspringen, wenn er die Thür sprengen würde. Nun zerrten ihn seine Kumpane fort, unter welchen sich noch der eine und der andere fand, in dem nicht alles menschliche Fühlen erstorben war. – Nun folgte ein verdrossenes Schmollen von beiden Seiten. Ich wollte vierundzwanzig Stunden mein Zimmer nicht verlassen, er wollte nicht zu mir kommen. Daß er keinen Selbstmord begangen, das kündete mir der Lärm, der aus den oberen Gemächern zu mir drang. Den dritten Tag verbrachte die Hochzeitsgesellschaft schon bei nützlichem Thun. Die Herren spielten Karten, wie mir die kräftigen Faustschläge auf den Tisch kündeten. Es war, als würden Schmiedegesellen mit ihren Hämmern auf den Ambos niederfahren, um das Eisen zu strecken. Am Morgen erst, als ich schon angekleidet war, kam mein Mann zum Vorschein. Er war jetzt nüchtern, ja noch mehr: er war übellaunig. Wie das böse Gewissen, so spiegelt sich der Verlust im Kartenspiel in den Mienen. Er erzählte mir aufrichtig sein Mißgeschick, er hatte fürchterliches ›Pech‹, seine Kumpane aber großartiges ›Schwein‹. Sie überließen ihm den Talon mit elf Tarok in der Hand. Mit zehn Tarok, mit der Quintmajor, Touslestrois und zwei blanken Königen verlor er die Solo; vier Skat hatte er gegen sich. Bei einer fünfmaligen Partie brachten es seine Gegner auf dreiunddreißig, bei Kontra und Rekontra.

Über diese schweren Schicksalsschläge mußte ich natürlich entsetzt sein.

Dies war meine Hochzeit.«

Erzsike barg ihr Antlitz in ihren Händen. Vielleicht lachte sie, vielleicht weinte sie? Ich konnte es nicht sehen.

Plötzlich richtete sie an mich die Frage:

»Spielen Sie Karten?«

»Ja, aber nur um Kupfergeld.«

»Das ist gleichviel; Sie sollten Ihre Zeit nicht damit vergeuden.«

»Ich verwende dazu nur die Zeit, mit der ich nichts Besseres anzufangen weiß; die Zeit, wenn ich von der Arbeit ermüdet bin und mich erholen will; und dazu ist das Kartenspiel gut.«

»Dann ist es schade, daß man die jungen Mädchen in den Pensionen nicht auch in der Kunst des Kartenspieles unterweist, so wie man sie auf den Landkarten die Städte kennen lehrt und in den illustrierten Naturgeschichten die Eigentümlichkeiten der exotischen Gewächse und Tiere. Eine neuvermählte junge Frau würde dann wenigstens begreifen, weshalb sie von ihrem Heiratsgute so und soviel einer mythologischen Gottheit opfern müsse, welche der ›Sküz‹ heißt, oder der ›Pagat‹.

»Aha, waren auch diese auf der Tagesordnung?« fragte ich.

»Natürlich. Mein Mann ließ nicht nur den Erlös für die Repsernte und die Schafwolle ›flöten gehen‹, sondern blieb auch noch in ›ritterlicher Schuld‹, die ein Gentleman binnen vierundzwanzig Stunden bezahlen muß. Er konnte daher die aufrichtige Beichte nicht verschieben. Auch rüsteten wir zur Hochzeitsreise nach Paris, wozu man ebenfalls Moneten braucht. Es waren dies sehr prosaische Scenen; ich will Sie nicht damit behelligen. Die Sache ging mir übrigens nicht sehr nahe, denn um Geld hatte ich mich nie sonderlich gekümmert; ein Gefühl der Bitterkeit ließ nur das eine in mir zurück, daß ich die ehelichen Zärtlichkeiten mit Geld bezahlen mußte. Bei jedem Schmeichelworte, bei jeder zärtlichen Liebkosung berechnete ich: was wird das kosten? und ich kann sagen, daß meine Berechnung mich niemals täuschte, höchstens in betreff der Höhe der Summe, welche meine Erwartung in der Regel übertraf.«

Ich unterbrach sie nicht, sondern stand nur da, mit beiden Händen auf den Tisch gestützt. Dies genierte die Erzählerin.

»Warum brennen Sie keine Cigarre an? Vor mir können Sie rauchen.«

»Ich erinnere Sie daran, daß Sie mich immer verspotteten, weil ich nicht rauche.«

»Es ist wahr, dem Manne läßt die Cigarre, die Tabakpfeife gut; sie giebt dem Antlitz einen freundlicheren Ausdruck. Schaut uns ein Mann an mit einem Kopfe, in dem keine Pfeife steckt, dann gleicht er einem Richter, der ein Urteil spricht, oder einem Priester, der die Beichte hört. Glauben Sie mir: ein Grund dessen, daß ich Ihnen untreu geworden bin, war der, daß Sie nicht rauchten. Nun, der Lohn dafür ist mir nicht ausgeblieben.«

»Der Muki hat ja den ganzen Tag an der Havanna gesogen.«

»Ach, der raucht nur Havannacigarren. Aber der Gyuricza Peter raucht Kommißtabak, ja, er verschmäht selbst den Kautabak nicht.«

Da mußte ich hell auflachen. Durch welche Mittel gewinnt man nicht die Gunst der Frauen! dachte ich mir im stillen. Nein, den Kautabak mag ich nicht und wenngleich die Göttin Melpomene ihre Gunst an diese Bedingung knüpfen würde!

»Ich will Sie nicht mit der Aufzählung unserer Pariser Amusements langweilen. Ich habe dort die Erfahrung gemacht, daß es zu den Alltagsgewohnheiten gehöre, daß Mann und Frau gesondert ihre Vergnügungen suchen. Mein Mann that nichts anderes, als was die übrigen verheirateten Männer thun. Einen Gatten, der in den Morgenstunden heimkehrt, nach seinem Verbleib zu fragen, gehört nicht zum › bon ton‹. Übrigens erzählte mir dies Muki selbst: mit voller Aufrichtigkeit schilderte er mir den öffentlichen Belustigungsort und die Wonnen der › petits soupers‹. Einmal nahm er mich sogar in eine solche Unterhaltung mit. Es verlangte mich kein zweites Mal dahin. Ich befand mich in dem Glauben, daß dem so sein müsse. Ich machte die Bekanntschaft von Damen, die zu meinem Range paßten; von diesen erfuhr ich, daß es für jedes Gift ein Gegengift gebe. Giebt es in Paris ›Kameliendamen‹, so giebt es auch ›Kamelienherren‹; nur fand ich diese Gattung menschlicher Mittelwesen unendlich widerlich. Ich war ordentlich froh, als wir zu Ende der Saison wieder heimkehrten und ich nach den vielen geräuschvollen Vergnügungen und dem eitlen Flirt und der Langeweile wieder allein sein konnte. Ich war froh, daß ich wieder auf die Wiese hinaus und dort meinen Strohhut mit Feldblumen füllen durfte, wie ehemals auf der Insel. Sie erinnern sich wohl: damals, als ich Sie in Ihrer Hütte besuchte; die Goldamseln suchten mich auch da auf; Sie wissen ja, dieselben Goldamseln, die mit Ihnen zu reden pflegten, die Ihnen sagten: ›Närrischer Bub! närrischer Bub!‹ Mir aber riefen sie zu: ›Was ist denn gut?‹ Auf seine Besitzung zurückgekehrt, hatte sich mein Gatte völlig ausgewandelt; es war, als ob man ihn ausgewechselt hätte. Aus dem geleckten Dandy ward ein sehr eifriger Landwirt. Er stand früh auf, war den ganzen Tag zu Pferde, ritt von einer Pußta zur anderen und brachte Gerstenähren auf dem Hut mit. Zu Hause sprach er mit mir von der Schafschur und von den Krankheiten der Rinder. Er hatte ein Gestüt und eine Zuchtrinderherde; auf die letztere schien er ganz besonders stolz zu sein. Manchmal nahm er mich in einem kleinen Wägelchen auf seiner Rundfahrt durch den ganzen Besitz mit. Es war eine schöne Domäne und man konnte einen ganzen Tag fahren, bis man auf derselben herumkam; er zeigte mir auch seine Rinderherde und bemerkte, daß es eine ähnliche im ganzen Lande nicht mehr gäbe. Eine Zuchtrinderherde! Ich verstand nichts davon und sah nur so viel, daß die Ochsen sehr große Hörner hatten.

»Aber die Gestalt des Rinderhirten überraschte mich wirklich. Es war der richtige Urmensch; so wie wir uns die Urmagyaren denken, die aus Asien in dieses Land eingewandert sind. Sein gebräuntes Gesicht glänzt in der Röte der Gesundheit; das schwarze Haar fällt in dichten, fettglänzenden Strähnen auf die Schultern herab; dazu der kühne, der Sonne trotzende Blick, die stramme, stolze Haltung, der mit bunten Tulpen ausgenähte Szür, Mantel von grobem, weißem Tuch. den er nachlässig über eine Schulter geworfen trägt. Seine weite Gewandung von weißem Linnen flattert im Winde und wenn er den Arm erhebt, um die Mütze vom Kopf zu nehmen, dann gleitet der weite, offene Hemdärmel zurück; es ist ein Arm, wie der einer Athletenstatue aus Bronze. Ich redete ihn an. ›Peter, ist es wahr, daß mein Mann mit Euch zu ringen pflegt!‹ Der so angesprochene Herkules senkte gleichsam beschämt die Augen und sagte: ›Ja.‹ – ›Und ist es auch wahr, daß mein Mann Euch im Ringen zu Boden wirft?‹ – Als der Gyuricza Peter diese weitere Frage hörte, warf er den Szür von der einen Schulter auf die andere, strich sich den Schnurrbart rechts und links zurecht, hustete und sagte endlich: ›So oft der gnädige Herr mich zu Boden wirft, bekomme ich fünf Gulden von ihm.‹ – Dies ist also das Geheimnis seiner akrobatischen Triumphe! – Wir fuhren dann auf den Hof des Rinderhirten; derselbe liegt ziemlich weit von dem Weideplatz, wo die Rinderherde Mittagsrast hält. Das Weib des Gulyás (Rinderhirten) hatte eine schmackhafte Jause für uns bereitet. Es war ein dralles, flottes Weibchen mit schelmischen Diebsaugen und kühn geschwungenen Augenbrauen, lauter Leben und Frische. Eine wahre Haiderose! Ich ertappte mich dabei, daß ich sehr häufig in den Spiegel blickte, um Vergleiche zwischen ihrem und meinem Gesichte anzustellen. Nach der Jause machten wir auf dem Wirtschaftshofe einen Rundgang, bei welchem die Hirtin uns von Stall zu Stall geleitete, um die nötigen Aufklärungen zu geben. Hierbei geschah es, daß mir ein Dorn durch den Schuh in den Fuß drang. Die Hirtin hockte nieder und zog den Dorn heraus. ›Spüren sie den Dorn nicht mehr?‹ fragte sie, mit ihren Glutaugen zu mir aufblickend. – ›Im Fuße nicht,‹ erwiderte ich.«

Hier schwieg Erzsike eine Weile. Sie fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirne, als ob sie ihre Erinnerungen ordnen wollte. Dann fuhr sie fort:

»Jawohl, der Dorn saß mir im Fleische, als ich diese Behausung verließ. Der große wirtschaftliche Eifer meines Gatten schien mir verdächtig. Dieser Fleiß liegt sonst nicht in seinem Naturell. Eines Morgens stieg er wieder zu Pferde, pfiff seinen Windspielen und sagte, ich solle ihn zum Mittagessen nicht erwarten, er würde erst am Abend heimkehren. Ein Instinkt ließ mich an jenem Tage keine Ruhe finden. Ich ging in den Garten, von da auf das Stoppelfeld hinaus und weiter, immer weiter, über Rüben- und Maisfelder, auf die Pußta hinaus. Niemand sah mich. Im Dorfe ward zu Mittag geläutet, als ich auf dem Hofe des Rinderhirten eintraf. Auf einem Stoppelfelde sah ich die zwei Windspiele meines Mannes, wie sie allein einem Hasen nachjagten. Ein schlechter Sonntagsjäger, der seine Hunde so gewähren läßt! Ich pfiff den Hunden; sie erkannten mich, rannten herbei und hüpften fröhlich um mich herum. – ›Wo ist euer Herr?‹ – Der Hund versteht, was man zu ihm spricht. Die beiden Windspiele begannen laut zu kläffen und liefen voraus, von Zeit zu Zeit sich umwendend, als ob sie mich rufen wollten, ihnen zu folgen. Sie führten mich geradenwegs zu dem einsamen Hofe des Gulyás. Sicherlich glaubten sie sehr gescheit zu handeln. Als ich in die Küche trat, schrie die kleine Magd ›Jesus Maria!‹ und ließ die hölzerne Schüssel zu Boden fallen, in der sie mit einem Kochlöffel einen Teig rührte. Als ich mich anschickte, in die Stube einzutreten, stellte sich die Kleine mir in den Weg. ›Gehen Sie jetzt nicht hinein, gnädige Frau!‹ Ich gab der Magd zwei tüchtige Maulschellen, schob sie in die Vorratskammer und verschloß diese von außen. Dann ging ich in die Stube. Da fand ich niemanden; aber die Thür der zweiten Stube, die sonst in Bauernhäusern immer offen steht, war geschlossen. Auf dem Tische der großen Stube lag der Hut meines Mannes und daneben seine Reitpeitsche. Ich verhielt mich ganz still. Auf einer Bank lagen die Kleider der Hirtin; ich zog dieselben an und legte dafür die meinigen hin. Ich bin auch jetzt so gekleidet.«

Und sie erhob sich und drehte sich vor mir im Kreise herum, damit ich sie besser betrachten könne. Dann fuhr sie fort:

»Nun ging ich in die Küche hinaus, hob die hölzerne Schüssel vom Boden auf, welche die kleine Magd in ihrem Schrecken hatte fallen lassen. Es war ein Teig zu Speckklößen. Ich machte den Teig fertig, formte zwölf schöne, runde Klöße daraus und kochte sie gar. Dann bereitete ich eine gute Zwiebelsuppe dazu, that das Ganze in einen großen Napf, hüllte diesen, wie es Brauch ist, in ein weißes Brottuch, damit das Essen hübsch warm bleibe, und machte mich auf den Weg nach dem Weideplatze. Auf der Schwelle fiel mir noch etwas ein. Ich machte kehrt, steckte die Reitpeitsche meines Mannes unter mein Busentuch und nahm sie mit. Der Weideplatz liegt ziemlich weit von dem Hofe des Rinderhirten. Es war spät, als ich dort ankam. Der Hirt war schon recht ungeduldig. Er hatte einen Pflock erklommen, der ihm als ›Lugaus‹ diente, und als er mein grellrotes Kopftuch erblickte, schrie er: ›Komm nur, komm, verfl... Beest! Du sollst mit meinem Knüttel wieder einmal Bekanntschaft machen! Jetzt bringst du mir das Essen, nachdem man im Dorfe längst schon zu Mittag geläutet hat! Hast sicherlich wieder mit deinem gnädigen Herrn geschäkert! Wenn ich dich einmal dabei ertappe, will ich dir die Haut ordentlich durchgerben!‹ Als ich vor ihm anlangte und mein Kopftuch in die Höhe schob, da stand er in höchstem Erstaunen, mit offenem Maule da. ›Schau, schau! die gnädige Frau!‹ – ›Ja wohl, Peter! Ich habe dein Mittagessen gekocht und habe es dir auch herausgebracht. Dein Weib kann nicht kommen; sie lernt Französisch bei meinem Manne. Ich habe auch die Reitpeitsche meines Mannes mitgebracht, die ich auf deinem Tische fand. Du kannst nun damit durchwalken wen du willst: mich oder dein Weib.‹«

Hier schwieg sie still.

Augenscheinlich wollte sie mir Zeit gönnen, das übrige zu erraten.

»Arme Frau!« stammelte ich bekümmert.

Sie aber lachte hell auf.

»Bedauern Sie mich nicht! Ich bin vollkommen glücklich. Nicht mich hat der Gyuricza Peter mit der Reitpeitsche durchgeprügelt. Jetzt bin ich die Hausfrau auf dem Hofe des Gulyás.«

Und sie sagte dies mit nicht geringem Stolze.

Dann begann sie mit wahrhafter Schwärmerei von ihrem neuen Ideal zu erzählen. »Er ist, wie Gott den Menschen erschaffen hat: eitel Kraft und Wahrheit. Nichts Anerzogenes, Erlogenes; keinerlei Schwäche. Wenn der › Gazda‹ (Hauswirt) abends heimkehrt, tritt er zum Feuerherd, um seine Tabakspfeife anzubrennen. Dann nimmt er einen Krug Buttermilch und leert ihn bis zur Neige. Wein kommt nur am Sonntag zu Tische. Dann fragt er: ›Mutterchen, ist eine gute Kleiensuppe da?‹ – ›Ei freilich! und dazu geräucherter Speck und Griesknödel‹. Sobald das Essen fertig ist, wird es angerichtet und man setzt sich zu Tische. Sie essen aus einer großen, gemeinsamen Schüssel mit Zinnlöffeln. Da bedarf es nicht erst der Aufmunterung. Wasser holt die Frau selbst vom Brunnen. Der Bauer leert den Krug zur Hälfte und reicht ihn dann seinem Weibe: ›Trink auch du!‹ Würde er die Frau nicht achten, so würde er verlangen, daß sie zuvor trinke, damit sie den Mann nicht › verderbe‹.

»Und dann, wenn das Abendessen verzehrt ist, kümmern sie sich wenig um den Lauf der Sterne und um den Lauf der Welt. Sie gehen zu Bett und schlafen bei offenen Thüren; die vier Schäferhunde sind eine sichere Wache für das Haus.

»Um drei Uhr Morgens erhebt sich Erzsike von ihrem Lager und geht in den Stall hinaus, um die Kühe zu melken; bis der Morgen graut, muß sie damit fertig sein. Der kleine Melkschemel ist jetzt ihr Thron. Sie schüttet dann die schäumende, frische Milch in Näpfe und bringt sie mit Hilfe der kleinen Magd in den Keller. Wenn der Kuhhirt tutet, müssen die Kühe schon zur Weide getrieben werden, die anderwärts liegt, als die der Zuchtrinderherde. Inzwischen verzehrt der Bauer sein Frühstück: Paprikaspeck mit rohen Zwiebeln und dazu einen tüchtigen Schluck Schnaps. Sodann zieht er hinter seinen Rindern auf die Weide hinaus. Laut knallt er dabei mit seiner Peitsche, weil er weiß, daß ›jemand‹ vor der Thür steht und ihm nachblickt. Jetzt heißt es für sie, an die Arbeit gehen. Sie muß von der gestockten Milch die Sahne abschöpfen, muß diese buttern und endlich die Butter kaltstellen. Wenn dies geschehen ist, geht sie ans Brotkneten; sie heißt die Magd den Backofen heizen und formt inzwischen die Brotlaibe; dann zieht sie mittelst der Ofenkrücke die Glut heraus und fährt mit dem nassen Ofenwisch hinein, um den heißen Boden abzuscheuern; sodann wird mittelst der langen Backschaufel das Brot ›eingeschossen‹. (Vorher werden aber rasch die ›Flammflecken‹ herausgebacken, die ›mein' Seel'‹ so gern ißt.) Endlich wird der Verschlußstein rundum mit Lehm beschmiert und so in die Öffnung des Backofens eingefügt. Dann gilt es, auf die Minute die Zeit zu treffen, da der Ofen wieder geöffnet werden muß, um die gargebackenen Brote ›auszunehmen‹. Inzwischen ist auf dem Kochherde auch das Mittagessen fertig geworden: Hirsebrei mit Speckschnitten. Dasselbe wird im Kochtopfe, wie es ist, auf den Weideplatz hinausgetragen, damit der Gulyás, wenn die Mittagsglocke läutet, nur seinen Mantel auf der Erde auszubreiten habe, der ihnen als Tafeltuch dient. Nach verzehrtem Mittagessen macht das Weibchen unter dem breitästigen Nußbaum ein kurzes Schläfchen, wobei sie sich die Schürze über das Gesicht breitet, um es vor der Sonnenhitze zu schützen. Wenn sie dann heimgekehrt ist, holt sie den gebrechelten Flachs hervor, um ihn auszuhecheln, damit, wenn der Bauer heimkehrt, Frau und Magd am Spinnrocken sitzen, wo unter munterem Gesange fleißig gesponnen wird, bis die Säue unter lautem Grunzen auf den Hof rennen. – Ein herrliches Leben fürwahr!«

Ich zuckte zweifelnd mit den Achseln.

»Sie werden dieses Lebens überdrüssig werden.«

»Überdrüssig werden? Erinnern Sie sich denn nicht mehr, wie ich Ihnen dort, in Ihrer Bretterhütte sagte, dieses Leben sei mein Ideal? Eine mit Rohr gedeckte Hütte und darin ein Lager von Stroh. Sie sprachen mir damals von Ruhm und Herrlichkeit ... Ich finde aber meine Freude am Ochsengebrüll, am Schall der Kuhglocken, am Peitschenknallen ... Und dies war auch damals schon meine Freude. Seither habe ich die große Welt kennen gelernt, aber meine Erfahrungen haben mich nicht geändert. Ich habe einen Ekel für alles gefaßt, was die Paläste bergen: jene halben Männer, jene Sonntagsgatten, jene Ehrenmänner, die es nur bei Tag sind, jene gezierten Sünderinnen, jene gespreizten, sittenrichterlichen Musterbilder, die Tag für Tag die ganzen zehn Gebote durchsündigen und mit den Figurantinnen vom Ballett wetteifern, mit dem Unterschiede, daß die Letzteren sich im geheimen weit weniger schamlos betragen. Ich bin ihrer satt bis zum Überdruß. Mir gefällt der ganze Mensch, die ganze Sünde. Lieber einen Mann, der sich den Mund nicht ausspült, wenn er Knoblauch gegessen, als einen solchen, der, wenn er sich zu einer Orgie begiebt, wichtige politische Beratungen vorgiebt. Mir ekelts vor den Parfüms und mir ist der Mistduft lieber. Keine Rachel, keine Viardot-Garcia besitzt einen Salon, der an Pracht einem Kuhstall gleichkäme, und das berühmte Hamiltonbett, in welchem eine jede Nachtruhe auf hundert Dukaten zu stehen kommt, ist der reine Bettel im Vergleich zu dem Lager von frischem Heu, auf dem ich schlafe. Glauben Sie mir: ich bin vollkommen glücklich.«

»Ich glaube Ihnen schon alles, nur einen Umstand giebt es, den ich nicht begreifen kann. Wie ist es möglich, daß diese Ihre glückselige Idylle durch nichts gestört wird? Ist denn der Mann, dem Ihr Glück so verdammt nahe geht, nicht mehr unter den Lebenden? Existiert Bagotay Muki noch irgendwo?«

»Ich denke ja, er existiert.«

»Und wenn er existiert, fließt noch Blut in seinen Adern, oder Molke? Er, der mächtige, reiche, große Herr, der Beamte des Komitats und überdies der Brotherr Ihres Ideals ... Alle Wetter, wenn ich an seiner Stelle wäre!« ...

Mit einem höhnischen Lächeln faltete Erzsike die Hände über ihren Knieen.

»Nun, wenn Sie an der Stelle des lieben Muki wären, was thäten Sie?«

»Fürwahr, ich würde den Gyuricza Peter nicht zum Duell fordern ... Aber ich würde auf den einen Tag das Prinzip der Demokratie an den Nagel hängen, würde alle meine Haiduken und Knechte versammeln und eine Treibjagd nach dem Gulyás veranstalten und ihn so durchwalken lassen, wie es sich gebührt, und schließlich an die Luft setzen lassen. Mein Weibchen aber würde ich an den Sattelknopf meines Pferdes binden lassen und so nach Hause schleifen, in mein Schloß, ja, das thäte ich, wenn ich der Mann der Frau des Bagotay Muki wäre.«

Ich hatte mich wahrhaftig ereifert. Dann erst fiel mir ein: »Was ist mir Hekuba?« Was kümmert mich der Gyuricza Peter?

Erzsike aber brach in ein Gelächter aus.

»Hahaha! Das hätten Sie wirklich gethan? Sie hätten mich an den Sattelknopf binden lassen und mit der Reitpeitsche traktiert bis nach Hause? Da ist es mir wirklich leid, daß ich nicht Sie zum Gatten erkoren habe. Wie prächtig wäre es doch, wenn ich mich berühmen könnte, daß ich die Spuren Ihrer Hiebe am Leibe trage! Sagen Sie mir doch: haben Sie jemals einen geschlagen, der Sie nicht zurückschlug?«

Da mußte ich denn schweigen.

»Lassen Sie es gut sein, fuhr sie fort, Sie könnten kein so guter Bagotay Muki sein, wie Bagotay Muki selbst einer wäre, wenn er es sein könnte. Er hat ja dasjenige versucht, wovon Sie eben ein Rezept entworfen haben. Gleich am folgenden Tage sandte er seinen Schaffner mit der mündlichen Botschaft an Gyuricza Peter, derselbe solle sich sofort von hinnen packen, mich aber soll der Schaffner brevi manu heimbringen. Der Schaffner wurde keck und wollte Gewalt anwenden, bis ich die Geduld verlor und ihm einen tüchtigen Backenstreich versetzte. Als der Gyuricza Peter dies sah, bekam er auch den richtigen Mut, faßte den Schaffner am Kragen und schleuderte ihn zum Thor hinaus, wie einen jungen Hund. Am folgenden Tage nahm die gekränkte Gattenehre zu stärkeren Mitteln ihre Zuflucht. Jetzt erschienen auf unserem Hofe sechs Komitatspanduren, mit Schwertern und Flinten bewaffnet. Ich und Peter waren draußen auf der Hutweide. Sie suchten uns daselbst auf. Doch auch der Peter war nicht faul; er rief seine Unterknechte zusammen; es waren ihrer vier, alle mit tüchtigen Knütteln ausgerüstet; und auch seine vier zottigen Hunde standen auf seiner Seite. Die sechs Panduren sollen nun sehen, wie sie mit uns fertig werden. Der Pandurenkorporal drohte, er werde schießen lassen, wenn man Widerstand leisten würde. Da sprang ich vor den Peter hin und sagte: ›Nun, schieße!‹ Das laute Geschrei und das Hundegebell machten schließlich auch das Vieh wild. Mit einemmale brachen vier Stiere aus der Herde und rannten auf die Panduren los. Diese brauchten nicht mehr; sie nahmen schleunigst Fersengeld und liefen was sie laufen konnten.«

»Das ist ja schon ein wahrhaftiges Epos!«

»Ja wohl, aber es ist noch nicht zu Ende. Als dieser zweite Sturm abgeschlagen war, organisierte der Muki einen echten und rechten Feldzug gegen uns. Eines Abends kam unsere Magd, die wir auf Kundschaft ins Dorf geschickt hatten, mit der Schreckensbotschaft zurückgelaufen, der gnädige Herr habe den Befehl erteilt, daß am folgenden Tage alle seine Hörigen mit Knütteln, Dreschflegeln und eisernen Heugabeln bewaffnet, sich auf dem Schloßhofe zu versammeln haben; auch habe er unter seine Heiducken und Jäger Schießgewehre mit scharfen Patronen verteilen lassen. Morgen werde diese ganze Armee gegen uns ausrücken. Es wäre am besten, bei Zeiten zu fliehen. Aber wir flohen nicht.«

»Nun, und wie endete die Geschichte?«

»Ach, sehr drollig. – Als die Not aufs höchste gestiegen war, da sandte ein gütiges Geschick uns einen Befreier, einen guten Freund, wie er in guten Dramen vorzukommen pflegt, einen Freund, der mit mächtiger Hand eingriff und diesen Schlag von unserm Haupt abwendete.«

»Und wer war der gute Freund?«

»Wer sonst, als der Träger dieses schönen, blonden Bartes,« antwortete sie mit einem verführerischen Lächeln, indem sie mir das Kinn streichelte.

»Ich? Wie so denn? Ich war gar nicht dort!« ...

»Ei, die Dichter haben gar lange Arme! – Genau zu jener Zeit, als Muki seine Parasiten gegen uns zu den Waffen rief, proklamierten Sie hier in Pest die Freiheit. Auf Windesflügeln verbreitete sich im Lande die Nachricht: die Revolution ist ausgebrochen. In Preßburg erzählte man sich, daß Sie und Petöfi an der Spitze von vierzigtausend Bauern aus dem Rakos stehen, um einen neuen Bauernkrieg zu beginnen. Auch die Hörigen Mukis strömten zum Herrenhof hinauf, aber nicht um ihm bei seinem Anschlag gegen uns Beistand zu leisten, sondern um ihre Freiheit von ihm zu fordern: sie wollten ihm fürder keinen Robot leisten, keinen Zehnten, keinen Rauchzoll entrichten. Ja, die Freiheit war ›ausgebrochen‹. Der liebe Muki erschrak dermaßen, daß er in die Kleider seines Kammerdieners schlüpfte und so beim Hinterthürchen seines Schlosses entfloh. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört. So hat Ihre mächtige Hand die große Gefahr von unserem armen Haupte abgewendet. Wir tranken denn auch tüchtig auf Ihre Gesundheit.«

Auf diesen Erfolg hatte ich in der That nicht gerechnet.

»So wären wir denn einstweilen mit dem Herrn Johann Nepomuk Bagotay fertig. (›Einstweilen‹ sage ich, denn schließlich wird ja auch er merken, daß es in Ungarn keinen Bauernkrieg giebt und dann wird er mit erneuerter Kraft zurückkehren.) Aber was sagt zu alldem die gnädige Mama?«

»Ich wäre auf die Sache gekommen, auch wenn Sie mich nicht gefragt hätten. Das ist es ja eben, was mich zu Ihnen hieher führt. Als ich eines Abends vom Maisfelde heimkehrte, fand ich am Thore unseres Hofes irgend ein amtliches Schriftstück angenagelt. Der Jurat, der es gebracht, hatte zu seiner großen Freude niemanden zu Hause gefunden und darum das Schriftstück an das Hausthor genagelt. Es war eine Vorladung, aus der ich erfuhr, daß Muki wegen Ehebruchs den Scheidungsprozeß gegen mich angestrengt habe. Es ist ein Termin bestimmt, an welchem wir dort und dort vor dem Pfarrer zum Zwecke des Versöhnungsversuches zu erscheinen haben. Nach Ablauf von sechs Wochen wird der Pfarrer die Aussöhnung noch einmal versuchen; dann, wenn ihm dies nicht gelingt, wird er sagen: ›Hol' Euch der Teufel!‹ – und wir gehen dann zum Richter.«

Ich begann zu ahnen, welchem Umstande ich diesen Besuch zu danken hatte. Gern wäre ich ihr mit der Erklärung zuvorgekommen: »Bitte, ich bin kein Advokat mehr!« Doch sagte ich nichts und ließ sie fortfahren.

»Ich nahm das Schriftstück vom Hausthor und sandte es durch die kleine Magd meiner Mutter in die Stadt. Zur näheren Erklärung der Sache schrieb ich ihr auch einen Brief, was nicht ohne Schwierigkeiten ging, sintemalen die Behausung des Gyuricza Peter eines Schreibzimmers völlig entbehrte. Zunächst machte ich mir Tinte aus dem Safte von Wachholderbeeren, dann schnitt ich mir mit Hilfe eines Taschenmessers aus einem Gänsekiel eine Schreibfeder zurecht; und da ich kein Papier hatte, benützte ich schöne, glatte Maisblätter.«

»Wie die Ägypter den Papyrus.«

»Wenn für die Töchter der Pharaonen der Papyrus gut war, warum sollten für mich die Maisblätter nicht gut sein? Ich schrieb meiner Mutter alles was vorgefallen war und rechtfertigte mein Vorgehen vollkommen. Wenn sie nur im Geringsten billig denken wolle, werde sie zugeben müssen, daß mein Recht klar sei wie das Sonnenlicht. Der Muki hat dem Gyuricza sein Weib genommen; nach dem Spruche: ›Aug' um Aug‹ nahm ich mir den Gyuricza. Der Muki hat gegen mich die Scheidungsklage angestrengt; der Gyuricza wird gegen sein Weib ebenfalls die Scheidungsklage anstrengen. Wir stehen auf gleicher Rechtsgrundlage. Wird die zweifache Ehescheidung vollzogen sein, dann will ich das rechtmäßige Eheweib meines Erwählten werden und werde sein, was ich jetzt schon bin: die Frau Gyuricza Peter. Ich habe mich in meinem Briefe sogar auf Sie berufen.«

»Auf mich?«

»Jawohl, auf Sie. Ich habe erwähnt, daß es keinen Unterschied mehr gäbe zwischen Bauern und Edelleuten und daß auch Sie seit dem 15. März das privilegierte › y‹ am Ende Ihres Namens in ein einfaches › i‹ umgetauscht haben, – und doch seien Sie ein berühmter Patriot. Somit habe man sich des Namens Gyuricza Peter nicht mehr zu schämen. Ich werde es übrigens nicht zugeben, daß der Gyuricza Peter weiter ein Gulyás bleibe, sondern werde, sobald Mama mir mein Erbteil herausgiebt (insoweit es der Muki noch nicht vergeudet hat), dem Gyuricza eine Pußta kaufen, wo er selbständig eine Schäferwirtschaft betreiben kann.«

Die Sache begann mich zu amüsieren. Ich sah im Geiste die Hogarthsche Gruppe, wie die drei Damen den auf Maisblättern geschriebenen Brief durchbuchstabieren.

»Nun, und wie lautete die Antwort?« fragte ich.

»Sie können die Antwort leicht erraten, als ob sie vor Ihnen läge. Mama antwortete mir, daß sie jede verwandtschaftliche Verbindung mit mir verleugne, daß ich von ihr keinen Kreuzer zu erwarten habe und daß ich es nicht wagen solle, in ihr Haus zu treten, nachdem ich eine so große Schande über die ganze Familie gebracht.«

»Und hatte der Gyuricza Peter Kenntnis von alledem?«

»Ich mußte es ihm sagen, denn Mama hatte auch unsere Botin, die kleine Magd, zu Tode geschreckt und ihr gedroht, daß wenn sie noch einmal es wagen würde, in die Stadt zu kommen, sie an den Pranger gestellt und ausgestäupt werden solle. Die Kleine war denn auch weder durch Versprechungen, noch durch Prügel mehr zu bewegen, noch einmal in die Stadt zu gehen. Dies sagte sie auch dem Peter ins Gesicht. Lieber wolle sie das Haus verlassen und ihren Lohn verlieren. Und doch sollte sie an jedem Wochenmarkte Butter und Käse in die Stadt zu Markte bringen. Dies ist die Einnahmsquelle des Gyuricza Peter. Was sollte ich nun thun? Ich mußte mich selbst entschließen, Butter und Käse zu Markt zu bringen.«

»Sie selbst? Wie so denn?«

»Mein Gott, ich fahre dabei nicht in einer Karosse mit Spiegelfenstern. Die Stadt liegt von unserem Wirtschaftshofe kaum zwei Stunden entfernt, da gehe ich immer hübsch nach dem Kirchturm meiner Wege. Die Bäuerinnen machen es so: wenn sie einen Korb mit den Sachen füllen, die sie zu verkaufen haben, dann legen sie einen aus Tuchresten genähten Kranz auf das Haupt und setzen den Korb darauf; der Kranz dient dazu, daß der Korb nicht allzu hart auf den Scheitel drücke.«

»Und so machen Sie es auch?«

»Freilich, ja. Es ist um mich nicht mehr schade, als um die übrigen armen Weiber, und im Grunde ist dieses Marktgehen für die Bäuerinnen ein Amusement, wie die Promenadekonzerte für die Damen. Es war nur ein kleiner Übelstand dabei, nämlich der, daß heuer die Binnenwasser alle Weiden, Wiesen und Felder rings um unsern Hof bis weit hinein vor die Stadt überflutet haben. Es ist ein kleines Meer, durch welches wir waten mußten.«

»Wie, Sie gingen durch das Wasser?«

»Ach, es reichte nicht weit über die Kniee, nur an manchen Stellen mußten wir unsere Röcke hoch aufschürzen; inzwischen zogen wir die Stiefel aus und trugen sie an den Korb gebunden. So legen jetzt die Weiber jenen Weg zurück.«

»Und auch Sie gingen über die überschwemmten Felder?«

»Unzählige Male. Ich hätte zwar auch auf dem Damm gehen können, aber dann hätte ich den Weg nach dem Dorfe nehmen müssen, was einen Umweg von vier Stunden bedeutet; auch giebt es auf dem Damm einen knietiefen Kot, während es sich in der Ebene sehr angenehm geht. Auf dem weichen Rasen verletzt man sich nicht die Fußsohlen, auch giebt es dort keine Blutegel.«

»Und hat Sie niemand gesehen?«

»Mich konnte jeder sehen, der da wollte. Was lag weiter daran? Es that mir wohl, so durch das Wasser zu spazieren. Es erinnerte mich an meine Seebäder in Trouville, wo ich noch weniger Toilette hatte. Wenn ich mich der Stadt näherte, brachte ich meine Kleider wieder in Ordnung, zog die Stiefel an und nahm mit meinem Korb vor dem Hause meiner Mutter Aufstellung. Es ist das ein sehr guter Standplatz zum Verkauf, ein Eckhaus am Ende zweier Straßen gelegen, mit der Thoreinfahrt auf dem Marktplatz.«

»Und hat Sie niemand erkannt?«

»Wie denn nicht! Alle Welt hat mich erkannt, selbst der Marktkommissär, der das Standgeld einsammelte. Mir schenkte er das Standgeld, weil ich ›Eine aus der Stadt‹ war. Meine ehemaligen Verehrer kamen zu meinem Standplatz und kauften mir die Butter ab; den Weichkäse verkaufte ich ihnen in kleinen Bröckchen und er ging, wie man zu sagen pflegt, ›reißend‹ ab. Niemals hatte der Gyuricza Peter für Butter und Weichkäse so viel Geld eingenommen, als seitdem ich auf den Markt ging.«

»Und die gnädige Mama?«

»Ach, die Arme konnte nichts anderes thun, als am hellen Tage an allen ihren Fenstern die Jalousien schließen zu lassen. Ich kaufte dann aus dem Erlös der Butter unseren Bedarf an Salz und Tabak ein, legte alles in den Korb, setzte diesen wieder auf den Kopf und kehrte auf dem Wege, auf welchem ich gekommen, wieder heim.«

»Und haben Sie jenen Weg öfter zurückgelegt?«

»So oft es Wochenmarkt gab. Manchmal, wenn es regnete, schlug ich mir nach Art der Bäuerinnen den Rock über den Kopf. So improvisieren sich die Bäuerinnen einen Regenschirm. Ich mußte mich auch daran gewöhnen. Einige übermütige junge Leute aus der Stadt – frühere Bekannte von mir – machten sich einmal den Spaß, mir in einem Kahn nachzurudern. Der Spaß sollte ihnen übrigens schlecht bekommen; die übrigen Bäuerinnen, die mit mir gingen, fielen über sie her, nahmen ihnen die Ruder weg und ließen sie so mitten in der meilenweiten Lake festsitzen.«

»Aber seither liegen doch die Felder wieder trocken!« rief ich unmutig.

»Ei, ei! wie Sie mich zornig anschreien! Freilich liegen sie wieder trocken. Jetzt legen wir den Weg trockenen Fußes zurück; nur wenn wir durch eine Wasserader zu waten haben, ziehen wir die Schuhe aus. Aber, du lieber Gott! was schwatze ich da alles zusammen, anstatt zur Sache zu kommen! Denn, lieber guter Herr Advokat, die Sache, die mich jetzt zu Ihnen führt, ist eigentlich die. Nachdem weder ich zu der Versöhnungstagfahrt erschienen bin, noch auch mein Mann – der erste Mann, – so gelangt unsere Sache nunmehr vor den Richter. Und weil überdies auch meine Mutter in ernstlicher Weise ermahnt werden müßte, mir mein Erbteil auszufolgen, will ich Sie nun bitten, diese meine Angelegenheiten zu übernehmen. Ich will dafür recht dankbar sein.«

Ich erklärte ihr, daß ich die Advokatur nicht ausübe, von Ehescheidungsprozessen übrigens keinen Begriff hätte, weil man in der Schule davon nichts lernt.

Da begann sie nun in ernstem Tone zu sprechen. Sie habe auch gar nicht erwartet, daß ich ihre Sache übernehme; sondern habe mich nur aufgesucht, weil sie gehört habe, daß die Advokaten, bei welchen ich als Jurat gearbeitet, sehr angesehene Sachwalter wären; diesen möchte sie ihren Doppelprozeß anvertrauen. Da sie aber fürchtet, daß die Herren, wenn sie in solcher Tracht vor ihnen erscheint, sie nicht empfangen und ihren Worten keinen Glauben schenken würden, bitte sie mich, ich möchte ihr ein Empfehlungsschreiben an die Advokatursfirma »Molnár & Verhovßky« geben, aus Freundschaft oder – um welchen Preis immer.

Nun, das kann ich thun – ohne jeden Entgelt.

Um den Brief zu schreiben, mußte ich vor meinem Schreibtische Platz nehmen.

»Darf ich sehen, was Sie schreiben?«

»Nur zu!«

Ich konnte ihr diese Neugierde nicht verübeln.

»Ich werde Ihnen schreiben helfen,« sagte sie scherzend, indem sie sich hinter meinen Rücken stellte.

Ich muß sagen: sie hatte eine seltsame Art, mir schreiben zu helfen. Sie beugte sich ganz über mich, so daß ich ihren heißen Hauch an meiner Wange und das Pochen ihres Herzens an meiner Schulter fühlte.

Ich verdarb denn auch den ersten Entwurf des Briefes, indem ich das vorjährige Datum obenan setzte. Dann wieder fiel mir der Name meiner Klientin nicht ein und es gingen aus meiner Feder ganz andere Namen hervor, als jene, an die ich dachte; dann wieder konnte ich die einfachste Wortfügung nicht treffen und schrieb im Stil eines Konjugisten. Schließlich konnte ich mich aus dem Wirrsal einer langen Phrase gar nicht herauswinden. So geht es, wenn man auf das Pochen zweier Herzen hören muß! ...

Auf demselben Schreibtische stand auch das erwähnte Porträt; ich hatte nicht Zeit gefunden, es in meinem Schubfache zu verbergen. Doch warum hätte ich es auch verbergen sollen? Muß ich »vor ihr« ein Geheimnis daraus machen?

Meinem Schreibtische gegenüber hing der Wandspiegel.

Bei einer Stelle, die mir nicht recht aus der Feder wollte, blickte ich auf, um besser nachzudenken, – und da sah ich im Spiegel die Frau, die hinter mir stand.

Ach, welch' ein Gesicht war das!

Sie schaute nicht in meinen Brief, sondern auf jenes Porträt. Die Augen waren nach abwärts gedreht, daß oben das Weiße sichtbar ward; die langen, dichten Wimpern schlugen wie Adlerflügel in raschem Tempo nieder. Ihre Lippen waren verzerrt und zwischen ihnen blinkten die zusammengepreßten Zahnreihen hervor. Die Augenbrauen zuckten wie die Schlangen. Sie blies auf das Porträt los wie eine Katze.

Ich sah dies im Spiegel, und jener Spiegel hatte die Eigenschaft, daß in ihm alles grün erschien. In dieser zauberischen Färbung erschien mir die hinter mir stehende Frau wie die »Iblis« aus »Tausend und einer Nacht«, welche ihren Liebsten das Blut aussaugt und die Toten zum Tanze führt.

Ich beendigte den Brief, den ich an meine früheren Prinzipale schrieb; dann trocknete ich ihn mit Löschpapier ab. Ich habe stets den Streusand gehaßt; ich hielt es damit, wie der Graf Stefan Széchényi, der, wenn er einen mit Sand bestreuten Brief erhielt, denselben vor der Durchlesung seinem Diener übergab, mit dem Auftrage, den Brief draußen abzubürsten.

Bevor ich den Brief zusammenfaltete, wandte ich mich um und sagte: »Bitte zu lesen.«

Jetzt war der drohende Ausdruck aus ihrem Antlitz verschwunden; die »Iblis« hatte sich wieder in ein schmuckes Weibchen verwandelt.

»Wieso wissen Sie, ob ich den Brief nicht schon gelesen habe?« fragte sie erstaunt.

»Mein kleiner Finger hat es mir souffliert.«

Mit hellem Lachen schob sie den Brief zurück.

»Nein, ich lese ihn nicht. Ich weiß, daß Sie von mir das Allerbeste geschrieben haben.«

Nun faltete ich den Brief zusammen und schrieb die Adresse darauf: »An die Herren Advokaten Josef Molnár und Alexander Verhovßky«. Dann übergab ich ihr das Schreiben.

Sie stand noch immer vor meinem Schreibtisch und drehte den Brief hin und her, wobei sie unablässig auf das Porträt schaute. Ihr Antlitz hatte inzwischen den tief ernsten Ausdruck angenommen und ein verräterischer Schimmer in ihren melancholisch blickenden Augen zeugte davon, wie schwer sie die Thränen zurückdrängte. Dann seufzte sie tief auf.

»Ei was, Dummheiten!« sagte sie. Und sie schob den Brief hinter ihr Busentuch und sprach in warmem, aufrichtigem Tone: »Ich danke Ihnen recht, recht schön!« Und sie fügte halb im Scherz, halb im Ernst hinzu: »Aber nicht wahr: Sie werden diese meine Geschichte nicht in die Zeitung setzen?«

Ich beruhigte sie, daß solches nicht in meinen Gewohnheiten liege.

»Und Sie werden auch in keinem Roman und in keiner Novelle meine närrische Geschichte erzählen, – wenigstens so lange nicht, als ich lebe?«

»Niemals! Seien Sie beruhigt!«

»Nein, sagen Sie nicht: Niemals. Nur so lange nicht, als ich am Leben bin. Doch wenn ich sterbe, wo immer es sein würde, werde ich Ihnen in meiner Todesstunde Nachricht davon geben, daß Sie nun alles erzählen können, was Sie von mir wissen.«

»Liebe Freundin! Weit deutlicher steht mir der Tod an die Stirne geschrieben, als Ihnen.«

Sie schrak fröstelnd zusammen. Dann nahm sie ihren Henkelkorb und verabschiedete sich. Ich wollte ihr bis zur Thür des Vorzimmers das Geleite geben, allein sie hielt mich zurück.

»Bleiben Sie nur; es könnte jemand sehen, daß Sie einer Bäuerin das Geleite geben.«

Als ich wieder allein geblieben war und über diese ganze Scene nachdachte, war es mir, als würde mir der Ruf der Goldamsel in den Ohren nachklingen: »Närrischer Bub!« Zum zweitenmal lasse ich eine jener Gelegenheiten zur »Beraubung« des Paradieses ungenützt vorübergehen, wie die Götter sie nur als seltene Gunst gewähren. Ich bin doch kein Heiliger und will auch keiner werden! Ich bin ein rechter Adamssohn von Fleisch und Blut ... Auch verpflichtet mich kein Gelübde zu einer asketischen Lebensweise! ... Und dann bin ja auch ich so gut wie der Gyuricza Peter! Ei, käme doch die Versuchung in Gestalt jener Frau nur noch einmal zurück! Sie soll erfahren, daß ich nicht der biblische Josef bin ... Diese heißen Hallucinationen wollten meine Phantasie den ganzen Tag nicht zur Ruhe kommen lassen. Im Schubfache meines Schreibtisches lag jenes Porträt, das ich einst im heldenmütigen Turnier ihrem Verlobten entriß und welches sie selbst mir übergeben hat, damit ich es ausbessere. Ich nahte mich mehrere Male meinem Schreibtische, um jenes Porträt hervorzuholen um ihr noch einmal in die Augen zu schauen. Allein auf meinem Schreibtisch lag das andere Porträt und ließ es nicht zu. Es wird das Beste sein auszugehen und den ganzen Tag in der Stadt herumzustreifen. Vielleicht begegne ich ihr irgendwo auf der Straße? ...

Es war später Abend, als ich heimkehrte. Ich war allein, denn mein Diener kam nur am Morgen. Kaum hatte ich meine Lampe angezündet, als man an meine Thüre klopfte. Ich hatte die Vorzimmerthür sicherlich offen gelassen, so daß der Besucher eintreten konnte.

»Wer ist's, der mich noch so spät behelligt? Herein!«

Als die Thür geöffnet ward drang mir alles Blut zu Kopf. Sie kam zurück. Sie ist also wieder da. Aber sie trat nicht ein, sondern stand, mit der Klinke in der Hand, auf der Thürschwelle, als ob sie vor mir Furcht hätte.

»Es ist nicht schön von mir,« stammelte sie, »daß ich so spät hierher komme. Ich war dreimal hier, habe Sie aber nicht zu Hause gefunden. Und doch muß ich Ihnen erzählen, was ich gehört habe. Zürnen Sie mir deshalb nicht.«

Ich bat sie, einzutreten, und nahm sie bei der Hand. Mein Herz pochte fieberhaft.

»Die Herren Advokaten haben mich sehr gut aufgenommen. Beide waren zu Hause. Sie haben meine Angelegenheit übernommen und sprachen mir Mut zu, indem sie versicherten, der Prozeß müsse zu meinen Gunsten entschieden werden; auch sind sie bereit, die Prozeßkosten für mich vorzuschießen. Es sind sehr wackere Gentlemen. Auch von Ihnen ward gesprochen. Die Herren fragten, wie es um unsere Bekanntschaft stünde? Ich sagte so viel, als ich sagen konnte und schloß mit der Erklärung, daß Sie mir der einzige, selbstlose Freund seien. Darauf sagte einer der Advokaten, der hochgewachsene, hagere Herr (mit vieler Gutmütigkeit in der Stimme): ›Nun, wenn unser junger Freund Ihnen lieb ist, sagen Sie ihm, daß der Weg, auf dem er jetzt so stürmisch vorwärts eilt, geradenwegs zum Galgen führt.‹ Worauf der andere, der Blonde, mit den roten Backen hinzufügte: › Oder zum Selbstmorde.‹ – Dies ist's, was ich Ihnen sagen mußte.«

Nach diesen Worten trat sie einige Schritte zurück.

Auf jeden anderen würden diese Worte wie eine eisig kalte Douche gewirkt haben; mich versetzte diese Botschaft in Feuer und Flammen. Ich hatte ein Ideal, das ich mehr anbetete, als meine Liebste; es war das Ideal meiner Jugend: die Freiheit. Wenn jemand meine Liebste kränkt, so bin ich bereit, Blut zu vergießen; an meine Prinzipien aber soll selbst meine Liebste nicht rühren; denn für diese vergieße ich mein eigenes Blut.

»Sei dem so!« rief ich heftig aus. »Das geht Sie nichts an!«

Und ich schlug ihr die Thür vor der Nase zu. Ich zitterte an allen Gliedern.

Sie schrecken mich mit dem Galgen? ... oder mit dem selbstmörderischen Dolche Catos! Aber ich erschrecke nicht! ...

*

Meine armen Prinzipale! Nach einem halben Jahre rannten auch sie auf meinem Wege dahin, an dessen Ende jene Schrecken lauern. Ich verlor nur die Haare in den Händen jener Gespenster, sie aber die Köpfe. An beiden hat jene Prophezeiung sich erfüllt ... Seit jenem Tage zürnte ich der Dame mit den Meeraugen.


 << zurück weiter >>