Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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Ihr Leben war schon früher ein ungewöhnlicher Vorhimmel vor ihrem Tode gewesen. Griechen und Römer und die großen Schriftsteller der neueren Zeit hatten sie erzogen und sie (nach ihrer Aussage) zu einer Republikanerin vor der Republik gemacht. Sie war kühn bis sogar in die Religion hinüber. Als das Revolution-Tribunal sie fragte: ›Haben Sie einen Beichtvater?‹, so antwortete sie: ›Keinen.‹ – Es fragte: ›Halten Sie es mit den vereideten Priestern oder mit den unvereideten?‹ – Sie antwortete: ›Ich verachte beide.‹ Folglich kein religiöser Fanatismus reichte oder weihete dem jungfräulichen Würgengel das Schwert. Bei aller Glut ihres innern Wesens und allem Glanz ihrer Gestalt blieb doch fremde und erwiderte Liebe von ihr abgewiesen; sie achtete die Männer wenig, weil eine weibliche Seele in der Liebe ein höheres Wesen suchtWenige Männer würden eine Corday, eine Jeanne d'Arc heiraten wollen; aber die meisten Weiber gewiß einen Brutus und ähnliche; und insofern steht die weibliche Liebe höher. In der Freundschaft kehren es aber beide Geschlechter um. und ihre erhabnere nicht einmal das ähnliche fand; daher sie, als der Präsident mit gewöhnlicher Härte gefragt, ob sie schwanger sei, versetzte: ›Ich fand und kannte noch keinen Mann, den ich meiner würdig geachtet hätte, denn Marat lebte noch.‹ – Die Expeditionstube des weiblichen Lebens kam ihr enge, dumpf und staubig vor. – ›Die republikanischen Franzosen‹ (schrieb sie an Barbaroux) ›begreifen es nicht, wie eine Frau ihr Leben, dessen längste Dauer ohnehin nicht viel Gutes erschafft, kaltblütig dem Vaterlande opfern könne.‹« – »Nur die Jungfrau« – unterbrach der Graf – »stirbt für Welt und Vaterland; die Mutter bloß für Kinder und Mann. Jene ist noch eine Alpenpflanze, an welcher die Blume größer ist als die ganze Pflanze. Du edle Charlotte, du liebtest nicht und warest so groß.« –

»Wenn schon gewöhnliche Weiber« – fuhr ich fort – »ihr Leben mehr in Phantasien führen als wir, nämlich insofern sie mehr mit dem Herzen denken, wir aber mehr mit dem Kopfe, und wenn sie daher oft durch ein großes Leben um die zugesperrte Wirklichkeit umherirren: so hat dies noch mehr bei genialen Weibern statt, in welchen die höhere Kraft des Kopfes nur mehr der höheren Kraft des Herzens gehorcht (aber nicht wie bei uns befiehlt), und deren Unglück daher häufig so groß wird als ihr Wert.

Charlotte Corday, auf einer Freiheit-Höhe einheimisch und es erlebend, daß sich plötzlich um sie her ihr ganzes Vaterland als eine geistige oder doppelte Schweiz aufrichtet und hohe Alpen voll Äther, Idyllenleben und Heimwehe der Freiheit in den Himmel stellt; – ergriffen und erhitzt vom Frühlingmonat der großen zurückkehrenden Freiheit und Welt-Wärme; – diese Corday, deren langbedecktes heiliges Feuer auf einmal mit dem allgemeinen Enthusiasmus zusammenlodern darf, so, daß nun die alten Ideale ihres Herzens lebendig und rüstig aufstehen und dem Leben die Fahnen hoch vortragen, und daß der ganze Mensch Tat wird, der Kenntnis kaum mehr achtend, so wie das durch die Nacht rennende Roß nicht die Funken achtet und flieht, die es aus seiner schnellen Bahn ausschlägt – – – diese Corday erlebt dennoch die Bergpartei.

Sie erlebt nämlich noch vor dem 31ten Mai den Untergang aller heiligsten Hoffnungen, wo die Freiheit entweder entfliehen oder verbluten muß – wo Revolutionen sich durch die Revolution wälzen, und der Staat ein Meer wird, dessen Bewohner sich bloß fressen und jagen – wo am zerfallenden, verstäubenden Freiheit-Riesen nichts übrig und fest bleibt als die Zähne – wo zuletzt das Vaterland sich in einzelne Glieder zerstücken muß, um mit gesunden die unheilbaren von sich abzulösen, und wo Corday sagen mußte: ›Ich bin müde des Lebens unter einem gefallenen niedrigen Volk!‹

Sie erlebt einen Marat, das unbedeutende, heuchelnde, rohe, mechanische, auch äußerlich-häßliche, bluttrunkene, aufgeblaseneMarat gedachte in seiner Perioptrik (s. in Lichtenbergs Magazin der Physik B. I.) etwas Newtonisches zu liefern und wollte den Prof. Charles erstechen, weil er ihn widerlegte; er schickte an die Akademien zu Rouen und zu Lyon erstlich eine Preisfrage mit 50 L'dor über seine Perioptrik, dann eine Antwort und wollte sein Geld, als man ihn nicht damit krönte. S. Eberts Unterhaltungen vermischten Inhalts. 1794. 2tes Heft. Wesen, das mehr als Blutigel denn als Raubtier leckte – das die Septembriseurs bloß mietete, bezahlte und lobte, und das wirklich keinen Menschen mit eigener Hand umbrachte, sondern nur sichDenn Louvet sagt in quelques notices pour l'histoire et le récit de mes périls etc. p. 50, daß, ohne Corday, Marat in zwei Tagen an seiner amerikanischen Krankheit von selber gestorben wäre. – das die Mörder des Generals Dillons gern noch zu Mördern seiner Offiziere machen und mit dem Blute von noch 250000 Köpfen die Weinlese der Freiheit erst recht düngen und begießen wollte – das am 31ten Mai einen InterimskönigMinerva, August 1793. S. 376. begehrte, weil die Extreme sich berühren und der höchsten Freiheit ein unumschränkter Diktator nötiger sei als ein beschränkter – das (nach Cordays Aussage) durch ausgeteiltes Geld zum Bürgerkrieg entflammte – ein Wesen, in welchem sich wieder die Bergpartei abschattet, das, als es zwei Tage vor seinem Tode hingerichtet war, im Konvent ein französischer Kato, ein unsterblicher Gesetzgeber und Volkfreund genannt, für dessen Strafgöttin neue Qualen (l'effroi des tourmens) gefodert und das einmütig zu einem Schmuck des Pantheons erklärt wurde und in der Todesnacht der Corday unter Kanonenschüssen und Prozessionen verscharrt.«Moniteur de l'année 1793. Nro. 197. – –

»Lasset uns wegtreten vom modernden Tier«, sagte der Graf, »und unser Auge an der glänzenden Göttin erquicken, die das Tier mit dem Fuße wegstoßen mußte, als sie durch die Ehrenpforte der Unsterblichkeit eindrang.« –

»Jetzt rüsteten sich in Caen, der Freistätte vieler fortgetriebenen Republikaner, 60000 Mann gegen die anarchische Freistadt. Corday, heilig überzeugt, daß der große Hilfzug eigentlich nur gegen einen Menschen, den vierjährigen Meuchelmörder und Mordbrenner Frankreichs, Marat, gelte, dachte freudig in sich (so sagte sie aus): ›Ihr sucht alle nur einen Menschen; ich kann ja euer Blut ersparen, wenn ich bloß meines und seines vergieße.‹ Sie sah sich für die Freiwillig-dienende des kriegenden Departements von Calvados an, folglich für eine Kriegerin gegen den Staatsfeind, nicht für die Straf-Parze einer obrigkeitlichen Person.

Am zweiten Juni erschien ihrem Geiste der Entschluß, zu sterben, zuerst; wie jener Engel dem Apostel im Kerker. – So viele Jünglinge sah sie um sich her dem Freiheitzuge nach Paris, dem großen Grabe, zuströmen. da reichte sie dem Engel die Hand, der sie aus dem Leben führen wollte.«

»O wenn man doch«, sagte der Graf, »in jene tiefe Stunde tiefer schauen könnte, wo die Heldin zu sich sagte: ›Mein Leben sei vorüber, alle heiteren Aussichten verschlinge die einzige; Verzicht sei getan auf alles Geliebte und Erfreuende, auf Vater, auf Freunde und Kinder, auf irdische Zukunft und auf alles, was um mich her die Menschen beglückt; gebt mir die Todesfackel statt der Brautfackel; und die Todesgöttin drücke als Blumengöttin das feste schwarze Siegel auf mein Rosenleben!‹ – Es ist bekannt, daß die Heldin darauf einen ganzen Monat lang ihren großen Vorsatz schweigend in der Brust bewahrte. Aber wie leicht und klein mußten ihr in dieser Zeit die Spiele und Plagen des Lebens erscheinen, wie frei ihr Herz, wie rein jede Tugend, wie klar jede Ansicht! Sie stand jetzt auf dem höchsten Gebirge und sah die Wetterwolken nur aus der Tiefe, nicht aus der Höhe kommen und sich von ihnen kaum verhüllt und benetzt, indes die andern, die tiefen Menschen auf dem Boden, ängstlich nach dem Gewölke aufblickten und auf dessen Schlag harrten. – Der edle Krieger, der handelnde Republikaner, der gottbegeisterte Mensch, sie haben diese hohe Stellung, die sie so sehr für alles häusliche Einnisten in bequeme warme Freuden entschädigt und erkältetet« 

»Den 7. Juli reisete sie nach Paris ab, nachdem sie ihrem Vater, um Einverwickelung und Vaterängste abzuwenden, geschrieben, daß sie vor dem harten Anblicke des Bürgerkriegs nach England entweiche. Schweigend, ohne einen Ratgeber, ohne eine teilnehmende oder stärkende Seele, schied das 25jährige Mädchen von allen geliebten Wesen und trat in der heißen Jahreszeit die lange Reise zum Altare an, wo es bluten wollte. ›Ich befand mich‹, schreibt sie an Barbaroux, ›in der Postkutsche in Gesellschaft guter Bergbewohner, die ich ganz nach ihrem Wohlgefallen reden ließ; ihr Geschwätz, das so dumm war als ihre Personen unangenehm, diente nicht wenig, mich einzuschläfern. Ich wachte gewissermaßen nicht eher auf, als da ich in Paris ankam.‹ Mit dieser festen Ruhe so wie mit dieser kalt-hellen Ansicht tat sie den ersten wie den letzten Schritt zu ihrem Blutgerüste hinauf. Den Helden begeistert die mitziehende Hilf-Schar; diese Heldin ging einsam nur mit ihrem Herzen und mit dem unsichtbaren Todesschwert zur Richtstätte –«

»– des Opfertiers und der Opferpriesterin zugleich« – unterbrach der Graf. – »Aber es konnte nicht anders sein; sie wußte ja, sie bringe mit ihrem Marats-Dolche den Freiheit-Zepter mit, und sie sei, obwohl unbekannt der blinden Masse, in ihrem Siegwagen nach Paris schon angetan mit den Feierkleidern der glänzenden Zukunft. Ruhe und Stille und Kälte mußten ja der starken Seele kommen durch den festen Glauben, daß sie, sie allein, mit einem einzigen Tode ihres Körpers einen Bürgerkrieg und Bürgermord verhüte und dem wunden Vaterland mehr als eine Schlacht gewinneS. ihr Verhör und das Schreiben an Barbaroux. und daß sie (dies mußte sie sehen) ganz anders mit dem hingegossenen Blute der Jugend, der Schönheit, des Geschlechtes und des Vaterlandes beschäme, befeuere, befruchte als ein sterbender Mann und Greis. O selig, selig ist der, welchem ein Gott eine große Idee beschert, für die allein er lebt und handelt, die er höher achtet als seine Freuden, die immer jung und wachsend ihm die abmattende Eintönigkeit des Lebens verbirgt! Als Gott (nach der Fabel) die Hände auf Muhammed legte, wurd' ihm eiskalt; wenn ein unendlicher Genius die Seele mit dem höchsten Enthusiasmus anrührt und begabt, dann wird sie still und kalt, denn nun ist sie auf ewig gewiß.«

»Donnerstags (den 11ten Juli) kam Charlotte Corday in Paris als auf dem Richtplatz ihres Vaterlandes und ihres vorigen innern Lebens und ihres jetzigen äußern an, wiewohl als ein stiller weißer Mond, der da aus dem heißen hohlen Krater aufgehen muß wie vor Neapel der Mond aus dem Vesuv. Sie ging zuerst zum Deputierten Düperret (einem noch nicht vertriebenen, aber schon angeklagten Girondisten, den man erst später hinrichtete), übergab ihm einen Brief von Barbaroux und bat ihn, sie zum Minister des Innern zu begleiten, dem sie Papiere einer Freundin abzufordern habe. Er entschuldigte sich mit seiner Tischgesellschaft und versprach, sie den andern Morgen zu sehen und zu begleiten. Er erzählte darauf seinen Gästen, wie sonderbar und außerordentlich ihm das ganze Betragen und Sprechen dieser Jungfrau vorgekommen.

Am Freitag Morgen bat sie Marat in einem Billet um Zugang, unter dem Vorwand republikanischer Geheimnisse; sie kam nach einer Stunde, aber umsonst. Eigentlich war dieses Mißlingen schon ein zweites; denn anfangs hatte sie ihn und folglich sich mitten im Konvent opfern wollen. Solche Fehlschlagungen oder Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die lange Reise, das heiße Wetter u. s. w., hätten einem entnervten moralischen Kraftgenie, das leicht für einen Abend zu einem ähnlichen Feuer auflodert, sehr bald die Flamme ausgeweht. Denn die meisten jetzigen moralischen Kraftäußerungen sind nur epileptische; geistige und körperliche Nüchternheit sind jetzt nötige Zutaten der Helden wie sonst Abgänge derselben. Corday blieb mit Leib und Seele nüchtern und fest.

Endlich kam der rechtschaffene Düperret zu ihr – ihr gewünschter Besuch des Ministers war vereitelt – sie fand Düperret zwar standhaft für das Rechte, aber verschlossen, und sie riet ihm bloß dringend, aus dem Konvent sich nach Caen, wo er mehr Gutes wirken könne, zu begeben. Als er ihr am Richt- und Todestage Marats den Gegenbesuch machen wollte, wich sie ihm aus, um keinen Menschen in ihren Sturz zu ziehen. Die hohe Alpenrose hatte nur einen stechenden Dorn, bloß gegen einen Menschen.

Noch abends am Freitage schrieb sie an Marat und ersucht' ihn dringender um einen Einlaß am Morgen.

Der Sonnabend kam; sie kaufte erst diesen Morgen ihren Dolch im Palais-Royal und verbarg die Parzenschere in ihrem Busen. Darauf begab sie sich zu Marat mit der doppelten Gewißheit, jetzo sterbe er unter ihren Händen und zugleich sie selber unter denen des Volks. Er, obwohl an Sünden krank und im Bade, ließ sie vor sich. Sie nannte ihm frei alle Namen der in Caen und Evreux begeisterten Girondisten, die gegen die Bergpartei sich verschworen hätten, d. h. die Namen aller ihrer Lebens- und Ewigkeit-Freunde. ›Nun, in wenig Tagen‹, versetzte er, ›werd' ich sie alle in Paris guillotinieren lassen.‹ – – Da nahm plötzlich die Nemesis Cordays Gestalt an und drehte Marats Schlachtmesser um gegen sein eignes Herz und endigte so den niedrigen Menschen.... Aber ein gelindes Gericht von Gott und Menschen ergehe über die bisher so unbefleckte Hand, die ein höherer Geist in ein beschmutztes Blut eintauchte.«

»Dies Gericht wird ergehen«, sagte der Graf. »Rein wie die Wetterwolke schlug und zückte sie einmal aus ihrem Himmel auf die kotige Erde und zog darauf in ihm weiter. – Aber wie sonderbar wies mit dem Bade und mit den letzten blutdürstigen Worten das Schicksal dem Racheengel die tödliche Stelle an! Durch ähnliche Verkettungen der Zufälle fielen fast alle Bösewichter; das Verhängnis stehet über der Welt mit seinem Geschoß, unten knien die Verbrecher hinter ihren Augenbinden, und die Brust trägt ein schwarzes Herz; und an diesem zeigen sie ihm das tödliche Ziel!«


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