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Das war etwas, und doch nur einseitig und halbseitig. »Das Herz«, sagt' ich, »braucht aber etwas anderes als Sinnen; man geb' uns tausend neue: der Lebensfaden bleibt doch auf dieselbe Weise leer-verglimmend, der leichte Punkt des Augenblicks lodert an ihm hinauf, und der lebendige Funke läuft zwischen dünner Asche und leerer weißer Zukunft. Die Zeit ist ein Augenblick, unser Erden-Sein wie unser Erden-Gang ein Fall durch Augenblick in Augenblick. Unser Sehnen wird uns für dessen Gegenstand, so wie der wirkliche Durst im Traum für sein wirkliches Löschen im Wachen, Bürge, sooft auch der Traum mit geträumtem Trinken hinhalte. Ja diese Ähnlichkeit wird Gleichheit; denn gerade dann, wann dieses Leben am reichsten austeilt, z. B. in der Jugend, und wie eine Sonne uns mit Morgenrot und Mittaglichtern und Mondschein blendet, gerade dann, wenn das Leben unsere höchsten Wünsche ausfüllt, da erscheint das fremde Sehnen am stärksten, und nur um ein ebenes Paradies des Erdbodens wölbt sich der tiefe gestirnte Himmel der Sehnsucht am größten. Woher dies sogar bei den geistigsten Seligkeiten? Eher sollte man das Sehnen erwarten von der Leere.«
– »Die Sehnsucht konnte ja ihr eigener Gegenstand sein« – versetzte Ernst.
»Ich begehre« (antwortete ich gleichsam zur Parodie) »keine Antwort auf meine Frage, ob man nach Dürsten dürsten würde, ohne getrunkenes oder zu trinkendes Wasser: sondern Sie fahren fort.«
»Ich antwortete eben,« – versetzte er – »daß, wenn wir nach Ihren Behauptungen mit der ganzen sogenannten andern Welt schon in der hiesigen leben und ausdauern und jene als einen himmlischen Regenbogen des Friedens schon über diese spannen: so könnte sich dies ja so fort vererben von Erde zu Erde (wir brächten immer die andere Welt dahin mit).«
»Dann«, erwiderte ich, »wär's einerlei, wo man lebte, und kein Weiser könnte etwas Höheres verlangen vom Leben, als es fort zu erleben, d. h. neue Geburttage.«
»Sehen wir uns denn wieder, wenn wir aus der Zeit in die Ewigkeit gehen?« fiel die liebe Mutter ein; denn das liebende Herz der Weiber sucht in der Zukunft zuerst das Geliebte; daher hört man diese sorgende Frage nach Wiedersehen zuerst von ihnen. »Was göttlich ist an der Liebe, das kann nie untergehen,« sagt' ich, »oder sonst, da das Irdische ohnehin vermodert, bliebe gar Nichts. Aber der altchristliche Ausdruck: aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit, das ist der rechte; hinter dem Leben gibts keine Zeit, so wenig wie vor dem Leben; über das andere Leben lässet sich so wenig etwas darüber hinaus denken als über den Urgrund alles Seins.«
Ernst wandte noch schnell ein: »und doch spreche man von Fortdauer und wolle mit diesem Zeitpleonasmus alle Zeit vernichten; aber gesetzt, warum wolle man denn vor der Ewigkeit vorher, für welche Millionen Jahre nicht mehr wären als achtzig, uns nur letzte, nicht auch die Millionen zugestehen?« Ich mußte dies einräumen und sogar noch fester machen, indem ich versetzte: »dies komme denn und Trillionen dahinter; denn so gut der Schöpfer hier unsere Spiel- und Laufbahn über eine Erde gehen ließ, so kann er sie noch über tausend Erden ziehen, nur muß der Weg ein Sonnenziel haben, oder wir jagen ewig einem rückenden Regenbogen nach.«
Wir waren nun einander freundlich, wie vorher feindlich, nähergerückt und hörten auf mit Recht; ein solcher Streit kann nur abgebrochen, nicht abgeschlossen werden, er lässet, wie die ganze Philosophie, nur Waffenstillstände, nicht Friedenschlüsse zu. Alle Untersuchungen sollten daher wie die platonischen und lessingischen poetisch, nämlich dramatisch sein, damit sich hinter dem Reichtum der Ansichten die Ansicht des Autors versteckt erhielte, weil der blinde Gläubige so gern und zuerst diese als eine Autorität aufsucht und annimmt, um sich dann in ruhigem Besitze aller übrigen nur zu deren Verteidigern und Geschäftträgern statt zu Richtern zu machen.Alle diese flüchtigen Untersuchungen sollen sich in tiefere verwandeln wenn mir die Vorsehung Kräfte und Tage gönnt, das Kampanertal (über die Unsterblichkeit der Seele), an welchem ein Vierteljahrhundert lang mein Inneres und meine Leiden und Freuden weiter gearbeitet haben, in Kampanertäler auszudehnen.
Ich wende mich wieder zur Geschichte, die freilich in so vieler Schlußketten kaum drei Schritte tut. Ich und die alte fromme Mutter hatten uns beredet, den Jüngling zum Geburttag, wie den Montaigne, mit Musik zu wecken, womit sich andere einschläfern. Bloß mit einer Flöte wollt' ich ihn herausblasen aus dem dunklen Reich. Am Morgen, da ich diese in die Hand genommen, kam schon seine verlobte Ernestine angerollt, welche deshalb die ganze Nacht gefahren war. Es stand noch nichts weiter vom Morgen am Himmel – nicht drei Auroras-Sonnenblumen – als der kühle weiße Morgenstern. Aber der Wiegenfest-Schläfer, den ich ins Leben blasen wollte, war gar noch nicht daraus gekommen, sondern hatte die Nachmitternacht und den Vormorgen im Freien verwacht. Wir hatten aus der Ernestinischen Überraschung eine noch schönere für ihn bilden wollen, und glaubten uns durch eine schlimmere um jede andere gebracht.
Ich sucht' ihn im Park und fand ihn endlich, doch im – Schlafe; er hatte sich auf der anmutigsten Moosbank gesetzt, wahrscheinlich um der Nachtigall und der Kaskade hinter seinem Rücken zuzuhören und den Strom und den Morgen vor sich zu sehen, aber der Abendkrieg und die Morgenkühle und Sonnennähe hatten wieder die Sinnentore langsam zugezogen. Das Morgenrot glühte auf seinem gesundroten Gesicht, und Träume zitterten durch die zarten Fibern. Ernestine allein stellte sich mit Augen voll Freudentropfen vor die ruhige Gestalt. Ich fing von ferne leise Flötentöne an, die noch wie Mattgold in seine Traumaurora zu verweben waren. Die Sonne brannte immer heller ins Morgengewölk hinauf. Plötzlich regt' er bange die Arme – seine Lippe zuckte – sein Augenrand quoll weinend über – die Flötentöne bebten auf seinen Zügen nach. – Da fürchtete Ernestine, ihn quäle ein harter Traum; sie winkte mir, ihn mit Tönen zu erlösen, und legte, seine Hände nehmend, ihre schöne Wange leise an seine Brust. Er fuhr aus dem Traum – er sah Ernestine groß an und kam, als gehöre sie in den Traum-Wahnsinn, durch ihr freundliches liebes Antlitz wieder in denselben zurück – bis ihn endlich das Wort und das Licht zu allen Freuden wach und lebendig machte.
Hört nun seinen Traum.
Der Tod in der letzten zweiten Welt
Endlich sind wir im Vorhofe der Ewigkeit und sterben nur noch einmal, sagten die Seelen, und dann sind wir bei Gott. Aber wie rinnend und flatternd ist das Land der Seelen! Im ganzen Himmel waren Sonnen, die ein Menschenantlitz hatten, umhergelegt, sie sahen uns bloß mit einem Mondlicht an, eine nach der andern ging bloß in der Höhe unbegreiflich unter, aber an keinem Erdenrand und wurde vorher ihre eigne Abendröte. Jetzo sind nur noch tausend Mondsonnen lebendig, sagten wir; wenn die letzte im Zenith einsinkt, so geht Gott auf und tagt. Nach jeder versiegten Sonne wurden unsere Gestalten verkleinert. Wir sind doch keine Träumer mehr wie auf der Erde, sondern schon Nachtwandler, und wir müssen bald erwachen, sagte ich; ja, wenn wir aber erst kleine Kinder sind, sagten die andern. Die Körperwelt wurde immer flüssiger und rann leicht. Mit bloßen Gedanken bogen wir goldne Bäume nieder und rückten Gartenberge von tauigen Auen weg. Ein Eisberg, aus dichtem Mondlicht gegossen, stand mitten unter Rosen, ich nahm meine Gedanken und löste ihn auf und goß ihn gleißend über die breite Rosenflur. Ich stand vor einem glatten blauen Palast ohne Tore, und mein Herz klopfte sehnsüchtig davor; siehe, wie vor dem Erdbeben Türen aufspringen und Uhren schlagen, so tat sich vor meinem Herzklopfen der Tempel auseinander; siehe, mein Erdenleben blühte darin an seinen Wänden, in Bilderchen angemalt, kleine Harmonikaglöckchen schlugen meine Jugendstunden nach; und ich weinte, und ein alter Erden-Garten war an der Wand, und ich rief: schon darin, schon in jenen grauen Zeiten drunten sehnte sich dein armes Herz wie jetzt, ach, das wird lange! –
Da segelte die weißschuppige endlose Schlange durch die hohen Blumen an mich heran, um sich unaufhörlich um mich zu gürten, aber ich nahm unter ihrem Aufsprunge meine Gedanken und wand die Schlange unausgesetzt als Perlenschnur um meinen Leib; da vertropften wieder diese Perlen als Tränen: gut, sagt' ich, ich weinte ja schon vorhin, eh' sie kam, und noch viel länger.
»Es ist schon Ewigkeit,« sagten einige, »denn die Körper gehorchen dem Sehnen; die Raupen auf Blumen fliegen als Schmetterlinge auf, wenn wirs denken – der dicke Schlaf kommt, sogleich wird er ein durchsichtiger Traum – wir blicken ins dunkle Grab und schlagen es durch mit dem Augenfunken, und unten sieht aus dem zweiten Himmel ein mildes Sonnengesicht herauf.« – »Nein, es ist erst Zeit,« sagten die andern, »seht nach dem Zifferblatt.« – Auf einer weißen hohen Gesetztafel flogen noch die wimmelnden Kugelschatten umlaufender Welten durcheinander.
Nur die Töne allein konnten wir nicht verändern, denn sie sind selber Seelen, sagten wir. Sie waren schon auf der alten tiefen Erde bei uns gewesen und waren uns nachgegangen durch die Sonne, durch den Sirius und den unendlichen Sternen-Weg; sie waren die Engel Gottes, die uns von seinen Himmelhöhen erzählten, daß das Herz vor lauter Sehnsucht in seinen eignen Tränen starb.
Jetzt zog die Ewigkeit näher. Die Sonnen rings am Himmel-Rand waren alle eingegangen, und nur noch einige sanfte blickten miteinander an der dunkeln Höhe zusammen. Wir waren alle Kinder geworden, und der eine sagte zum andern: Du kennst mich und ich dich sehr gut, aber wir haben keine Namen. Helle gespannte Farben erklangen; hohe Töne blitzten oben im Flug, und die tiefern ließen am Boden Blumen fallen. Es donnerte; jetzo bricht das Welten-Eis, sagten wir, es wird schmelzen und rinnen und verrinnen. Wo bleibt aber mein kleines, auf der Erde verstorbenes Kind? sagte selber eines. Es schwimmt in seiner Wiege auf dem Weltenmeer daher, antwortete das andere.
Nun stand nur noch eine Sonne mild und bleich am gewölbten Blau. – Der rollende Eisdonner verlief sich zu tiefen Tönen und endlich zu fernen Melodien. – In Abend stiegen goldne Wolken aus dem Boden gen Himmel, und Sternbilder schlichen sich hinter ihnen zu Boden nieder. – In Morgen stand die Ewigkeit hinter den letzten vergehenden Wolken, es war eine große verhüllte Glut hinter einer im Sturme umgetriebnen Regenwolke. Aber die Kinder sahen nur noch hinauf zur letzten Sonne, die oben untergehen wollte. – Da kamen die Töne, in denen ihre letzten Welten sprachen und starben; und die Kinder weinten alle, weil sie ihre lieben alten Erden-Melodien hörten, und sie beteten kindisch so zu Gott: »Wir sind ja deine Kinder, Vater, wir sind in allen Welten gestorben, und wir weinen immer noch fort, weil wir ja nicht zu dir, zu der ewigen Liebe und Freude kommen. – O wurde nicht der Himmel so tausendmal oft höher über uns, und so tausendmal tiefer, und unser liebes Erdelein verschwand bald rechts, bald links, und wir blieben immer allein? Höre, wie die guten Töne für uns beten!« –
Plötzlich glomm hoch in der fernen Unendlichkeit die goldne Flügelspitze eines unsichtbaren Engels an – die schmachtendbebenden Kinder wurden unsichtbarer, wie Saiten, wenn sie zittern und tönen, und verklangen im Gebete... Da fing die letzte Sonne oben zu lächeln an und schlug blaue Augen auf. – Der Engel mit roten ausgebreiteten Feuerflügeln rauschte herunter, um mit ihnen die Welten-Aurora wegzustreifen, die um Gott hing... Und siehe die letzte Sonne stand als Gott unten bei mir, die Welten waren verschwunden, und ich sah nichts weiter – und erwachte...
Aber der Jüngling erwachte mit seiner Geliebten an der Brust, und sie lächelte angeschmiegt in sein Auge empor. Gegenüber fuhr die Morgenröte auseinander, die Erden-Sonne trat zwischen ihre Goldberge und warf schnell einen Flammenschleier über die entzückten Augen, und die lächelnde Mutter kam zur Seligkeit; der Strom floß schneller, der Wasserfall sprang lauter, und die Nachtigallen sagten alles inbrünstiger, was ich hier sage. »O Freunde« – sagte Ernst, von dem Traume und allem begeistert, und wollte gleichsam durch das Aufopfern des Gestern und durch das Einstimmen in den mütterlichen Glauben an eine Ewigkeit ohne Tod dankbar die liebende Rücksicht auf sein Glück abwenden und belohnen – »O Freunde, wie licht ist das Leben! Das Wachen ist nicht bloß ein hellerer Traum; dieser Affe unsers heiligen Bewußtseins stirbt vor den Füßen des wachen innern Menschen, das geträumte Erwachen wird vom wahren vernichtet. – Und so werden einmal von der Ewigkeit alle unsere Träume über sie vertilgt.« –
Und hier endige der endlose Streit! Eine Braut weint selig über den ersten Geburttag des Herzens, das nun dem ihrigen bleibt; aber das wiedergeborne weint selig über die sympathetische Seligkeit des fremden; so muß es sein, und so gehören wir der Liebe an. Ernestine fragte in sanfter Rührung: »Kann es denn droben etwas Höheres geben als die Liebe?« – Wahr, Ernestine! Nur in ihr – und in einigen andern seltenen Blitzen des Lebens – reicht die Wirklichkeit blühend in unser innres Land der Seelen herein, und die äußere Welt fällt in eins zusammen mit der künftigen; die Liebe ist unser hiesiges SeegesichtDie Erhebung oder das Seegesicht ist die optische Täuschung, daß ferne, noch unter dem Gesichtskreise liegende Küsten sich schon heraufgehoben zeigen., und die tiefen Küsten unserer Welt erheben sich vor der alten.
Mit dieser Gesinnung wurde das schöne Fest froher gefeiert. Unser ganzes Leben ist ein nie wiederkommender Geburttag der Ewigkeit, den wir darum heiliger und freudiger begehen sollten. Dem ganzen Tage hing der frühe Tauglanz an – der Abend fand den Morgen noch im Schimmer, und der Mond spiegelte sich im Sonnentau – die Sterne zogen in das Herz herab und erleuchteten die schönsten Nachtstücke darin – und was wollen wir Menschen denn weiter? – –