Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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25. Summula

Musikalisches Deklamatorium.

Die Leser finden um 7 Uhr alle Maulbronner von Bildung in Nießens Deklamiersaal. – Das musikalische Vorspiel hat schon ausgespielt – Nieß geht mit dem »Ritter einer größern Zeit« in der Hand, ihn drittels deklamierend, drittels lesend, drittels tragierend, langsam zwischen der weiblichen und männlichen Kompagniengasse auf und ab und hält bald vor diesem Mädchen still, bald vor jenem. Auch Katzenberger ging auf und ab, aber einsam im Vorsaal, teils um den reinen Musik-Wein ohne poetischen Bleizucker einzuschlürfen, teils weil es überhaupt seine Sitte war, im Vorzimmer eines Konzertsaales unter unaufhörlicher Erwartung des Billeteurs, daß er seine Einlaßkarte nehme, so lange im musikalischen Genusse gratis versunken hin und her zu spazieren, bis alles vorbei war. – Der Vorleser steht schon bei den größten lyrischen Katarakten seiner dichterischen Alpenwirtschaft, und die Musik fällt (auf kleine Finger-Winke) bald vor, bald nach, bald unter den Wasserfällen ein, und alles harmoniert. –

Der Charakter des Ritters einer größern Zeit war endlich so weit vorgerückt, daß viele Zuhörerinnen seufzten, um nur zu atmen, und daß Theoda gar ohne Scheu vor den scharf geschliffenen Frauen-Blicken darüber in jene Traualtar- oder Brauttränen (ähnlich den männlichen Bewunderungtränen) zerschmolz, welche freudig nur über Größe, nicht über Unglück fließen. Der geschilderte blühende Ritter des Gemäldes, schamhaft wie eine Jungfrau, liebend wie eine Mutter, schlagend und schweigend wie ein Mann, und ohne Worte vor der Tat, und von wenigen nach der Tat, stand im Gemälde eben vor einem alten Fürsten, um von ihm zu scheiden. Es war ein prunkloses Gemälde, das ein jeder leicht hätte übertreffen wollen. Der ältliche Fürst war weder der Landesherr noch Waffenbruder des Jünglings; er hatte sich bloß an ihn gewöhnt, aber jetzo mußt' er ihn ziehen lassen, und dieser mußte ziehen. Beide sprachen nun in der letzten Stunde bloß wie Männer, nämlich nicht über die letzte Stunde, sondern wie sonst, weil nur Männer der Notwendigkeit schweigend gehorchen; und so gingen beide, so sehr auch in jedem der innere Mensch schwere Tränen in den Augen hatte, wortkarg, ernst, mit ihren Wunden und mit einem Gott befohlen auseinander.

So weit war die Vorlesung einer größern Zeit schon vorgerückt, als noch die Türe auf ging und wie ein fremder Geist ein Mann eintrat, der, wie auferstanden aus dem Gottesacker der Ritterzeiten, ganz dem Ritter an Blick und Höhe glich und die Hör-Gesellschaft fast ebenso sehr erschreckte als erfreuete ...


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