Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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Ich hoffe nicht, daß die medizinische Polizei, was das Begraben in Kirchen anlangt, ihre Paragraphen aufschlägt und mir entgegenhält, daß die genialen Leiber ebenso stänken wie dumme. Denn falls nicht mehre Menschen in jeder Kirche begraben werden als das Paar Unsterbliche, die ihr ein Jahrhundert ums andere liefert: so halten die Kirchgänger schon die Luft aus, womit jene zurückwehen. Auch hätte weder den Dom, noch die St. Nikolais-Kirche, noch die haberbergische in Königsberg das Selbergebeinhaus, womit der alte Kant sich zuletzt auf der Erde umherschob, bedeutend verpestet, wenn es in einer davon da untergekommen wäre.Doch wurden seine Manen von Königsberg auf eine andere Weise würdig geehrt, die mehr griechisch und philosophisch ist. Wenn Epikur und ein anderer Philosoph selber in ihren Testamenten etwas aussetzten, damit sich an ihren Geburttagen die Jugend auf ihren Gräbern lustig machte: so wurde ohne Kants Zutun die Veranstaltung getroffen, daß sein Wohnhaus zu einem guten Kaffee- und Billardhause eingerichtet worden, worin die Jugend, vornehmlich die akademische, durch Abspannung ihrer Anspannungen sich freudig an den großen Mann erinnern kann, dem sie das Haus zu danken hat. Jetzo wird der Zweck eines orientalischen Königs, der sich 12 Gräber machen läßt, um das geheim zu behalten, worin er liegt, bei großen Menschen noch leichter dadurch erreicht, daß man gar keines weiß; und wenn sich fünf Städte um des Cervantes und nach Suidas neunzehn um Homers Geburtstelle stritten: so können wir uns dadurch auszeichnen, daß sich vierundzwanzig um die Begräbnisstelle eines großen Mannes zanken.

Das Denkmal der zweiten Gattung, das einzige, das die Zeitgenossen setzen, ist das künstlerische, wovon eigentlich hier für Luthers Namen die Rede ist. Was sprach denn bei den Alten die kolossale Statue, der Portikus, die Ehrensäule, der Ehrenbogen, der Ehrentempel aus? Gleich der Schauspielkunst zwei Ideale, ein geistiges durch ein plastisches. Denn ein Denkmal ist etwa nicht der bloße Metall-Dank der Nachwelt – der besser auf einer Goldstange dem Lebenden oder dessen Nachkommen zu reichen wäre –; es ist auch nicht der bloße Herzerguß der dankbaren Begeisterung, der viel besser mit Worten oder vor dem Gegenstande selber strömte; – auch nicht bloße Verewigung für die Nachwelt, für welche teils er selber besser und ein Blatt Geschichte länger sorgt: – sondern ein Denkmal ist die Bewunderung, ideal, d. h. durch die Kunst ausgedrückt. Eine jährlich vor dem Volke abzulesende Musterrolle großer Muster wäre noch kein Denkmal, aber wohl wäre eine pindarische Ode eines, in Griechenland abgesungen. Schillers Geburttagfest, das durch Darstellung seiner Götterkinder begangen werden soll, erhebt sich künstlich zu einem Denkmale durch eben diese Kinder, die den Vater vergöttern. Doch ist das Gemälde, am stärksten aber ist die Bildsäule und die Baukunst – welche beide stets das Große leichter verkörpern als das Leichte und Kleine, und welche die gegenseitige Nachbarschaft und Vereinigung ihrer Wirkung verdienen, wie der Leib und die Seele einander, d. h. die Bildsäule und der Tempel – das rechte Mutterland der Denkmäler. Die Bewunderung, sagt' ich, nicht die Erinnerung – welche ein platter Leichenstein, eine jährlich erneuerte Holzstange mit einem schwarzen Namenbrettchen oben und am Ende eine Schandsäule auch gewährte – sei aber darzustellen; dies vermag nur eben die Kunst, indem sie aus ihrem Himmel der Göttergestalten eine sichtbare herunterschickt und jene Gefühle des Großen in uns entzündet, mit welchen wir die aufgeflogene, den Gegenstand des Denkmals, im göttlichen Rausche der Bewunderung verkörpert sehen. Ich stehe vor der Pyramide, vor dem Obelisk: wie von einem Liebe- und Zaubertrank berückt, schaue ich weit in eine kolossale Welt hinein, und darin sehe ich nun eben den Menschen groß und glänzend gehen, dessen bloßer Name an dem Denkmale steht. Erhebt einen Säulentempel in die Luft und schreibt darauf: Luthero! so ists genug und sogar sein Gesicht entbehrlich, das mit etwas fetter Mönchschrift geschrieben ist; – die sichtbare Ehrenkirche führt schon den Kraftpriester der unsichtbaren heran vor unser Herz. Die eigne Gestalt des Gedenk-Menschen ist folglich dem Denkmale nicht notwendig, ja – z. B. die von Voltaire durch Pigalle – sogar schädlich, wenn sie nicht von der Taufe der Kunst die Wiedergeburt empfangen hat; daher die Griechen die Übergröße der Lebensgröße für ihre Statuen wählten. Wie wenig man ähnlich oder gar ikonisch abbilden will, sieht man daraus, daß man nicht statt der Bildsäulen, welche durch Nacktheit und Marmorglanz stets größer erscheinen, lieber verjüngte macht, sondern sich der ähnlichern Zwerg-Statuen bei Fürsten und Großen enthält. Man stelle eine Spiegelstatue, nämlich ein Wachsbild, sogar in idealen Gewänderwindeln, in einen Ehrentempel: so ists so viel, als geriete der lebendige Gegenstand selber als Spaziergänger in seine Vergötterungkirche. Nur die Kunst spricht durch einen äußern Menschen den innern aus; darum baue sie das Tabor der Himmelfahrt im Prunktempel.

Um desto weniger tue das Denkmal im Feierkleide der Kunst Wochentagdienste des Nutzens, z. B. als Schul- oder Waisenhaus; eine Mißheirat der Kunst und des Bedürfnisses, die man bei den Barbaren und auf dem römischen Marsfelde wiederfindet, wo die heiligen Ruinen zu Viehtränken und Wäschstangen niedersinken. Die größten Prunkzimmer, welche die Erde trägt, sind leer und ohne Stuhl und Tisch, Raffaels Stanzen. Wer wird unter dem Fluge der Bewunderung daran denken, was sie eintrage?

Und was ist aller Vorteil so oder anders ernährter oder unterwiesener Armen gegen die Himmelbeute, wenn an einer kräftigen Jüngling-Seele im Unsterblichkeittempel, wie in einer lauen Frühlingnacht, alle Knospen aufbrechen und duftend auffahren – wenn die Statue eines großen Menschen mit Memnons-Tönen ein großes Herz anspricht und erweckt und es zurechtweiset für ein langes Leben – und wenn ein Sonntag sechs Wochentage bestimmt und heiligt?

In der geistigen Welt ist die Wirkung so oft größer als die Ursache wie umgekehrt, und eine Maria gebiert einen Gottmenschen; daher gibts in ihr keine andere Elle und Waage als das Höchste, das eben jede verschmäht. Die Erde ist ein Gottesacker voll Scheinleichen; es wehe ein lebendiger Hauch, und eine Welt erwacht. Er weht aber im Kunsttempel eines großen Mannes. –

Wenn in der Zeit eine Religion nach der andern und eine Götterlehre nach der andern untergeht, die die Menschen zu Geistern macht: so bauet wenigstens Menschentempel, worin die geistigen Großen an das Größte erinnern und das Bewundern ans Beten. Schlösser in Äther sind besser als die Luftschlösser.

Möge Luther – dieser geistige Donnermonat – uns auch hierin reformieren und beleben, obwohl nur mit dem Regenbogen seines Denkmals, und die Deutschen den Griechen nacherziehen! – Ohne Denkmäler für Unsterblichkeit gibts kein Vaterland, aber freilich auch ohne dieses nicht jene. Soll der gemeinen Vergötterung oder Versteinerung der Fürsten und Reichen nicht die höhere Apotheose regierender und reicher Geister das Gleichgewicht halten? Soll nichts verewigt werden als ein Name, den wir vergessen oder nicht kennen? Wenn man in Griechenland auf allen Wegen und Höhen nur durch stille Sternbilder der entrückten Unsterblichkeit ging, und wenn das Auge und das Herz voll Feuer und manches zu einer Sonne wurde, die der Tod in jene schimmernde Reihen selber einsetzte: so begegnen wir bei uns auf physischen Höllen nur geistiger Erniedrigung, und, wie von Heeren, werden die Galgen-Anhöhen von zerstörten Missetätern besetzt, und der einzige Sokrates-Genius, der Nein zu uns sagt, ist der Nachrichter. Aber nicht die Furcht, nur die Begeisterung tut Wunder, nicht der Brechwein, sondern der Wein berauscht; und welchen der Galgen bessert und hebt, ist fast schon an ihm.

O! Werft lieber, wie der Russe, auf eine Gestalt in Verzuckungen das verhüllende Tuch und nehmt von einem glänzenden Angesicht die Mosisdecke, als daß ihr beides umkehrt und Gebrechen lieber als Kräfte fortpflanzt!

Die reinste Empfindung hienieden, sagt Chateaubriand, ist die Bewunderung; und zugleich, setze ich hinzu, die wirksamste in den edlern Lebensteilen. Ein versinkendes Volk erstickt das heilige Feuer der Achtung in Moderasche; je weniger Achtung für andere, desto weniger für sich, und umgekehrt. Darum heißt es: ein Volk heiligen, wenn man es achten lehrt; und darum wärmt die Opferflamme auf dem Altar eines Menschen das Leben ganzer Zeiten aus. Aber nur auf Stein, es sei der Statue oder des Tempels, brennt dieses Feuer. Auf dem bloßen Druckpapier wohnen alle Völker und Zeiten mit ihrer toten Unsterblichkeit; hingegen das steinerne Denkmal trägt einen Helden aus dem Heer auf den Sonnenthron, der eine Welt auswärmt. Auf dem Papiere bewundert nur der Einsame; hingegen vor dem Denkmale wird die bewundernde Menge von der Menge begeistert; nicht das Licht, sondern die Wärme wächst, unaufhörlich zurückgeworfen, in menschenvollen Sälen, weil das Gewissen die Herzen ähnlicher macht als die Anlagen die Köpfe.

Darum könnte das Schauspielhaus – welches beinahe das einzige Olympia, Forum und Ober- und Unterhaus ist, das uns zu einem Volke für eine Flamme sammelt und verdichtet – das schönste deutsche Pantheon werden, wo die Nation ihre Unsterblichen thronen und zurückglänzen und ihre Opferflammen zu einem Feuer und in einen Himmel steigen sieht. Darum ists so erfreulich, daß einem andern Reformator auf der Bühne, die er selber umgeschaffen, die Trauer- und Hochzeitfackeln angezündet werden, dem ewigen Schiller. Nicht er am meisten, der den Mondregenbogen der britischen Reflexionpoesie zu einem Sonnenregenbogen, wenn auch nicht zu einem reinen Phöbus entzündete und den dichterischen Zauberkreis wenigstens durch ein unendliches Zaubervieleck ersetzte, sondern er, welcher, der Kunst den Künstler opfernd, lieber aufflog, als nur fortflog, und untere Ferne und obere Kälte gern mit höherer Bahn bezahlte, so daß sogar seine spätern Irrtümer nur Opfer sind, wie seine früheren Fehltritte nur Fehlflüge. Aber doch wird ein Herz, das Tränen um den hohen Menschen und Gedanken für die Ewigkeit hat, seine Totenfeier am schmerzlichsten und am innigsten begehen müssen, wenn es bedenkt, daß er unter allen deutschen Dichtern gerade mit der Leichenfackel, die nun auf ihm brennt, am weitesten in die andere Welt hineinleuchtete und schon mit seinem jugendlichen Frührot das Schattenreich glänzend färbte. Nun zieht er hinter den Abendwolken des Lebens, worauf er so oft Morgen- und Abendrot (für den Dichter nur ein Rot) geworfen – und das dankbare Auge kann auf nichts sehen als auf seinen Flug und seine Flucht. Die aus verschiedenen Höhen einander entgegenziehenden Wolken der Urteile werden bald verfliegen; und sein Stern wird alsdann, sowohl unbewölkt als unvergoldet, lichtrein am ewigen Himmel gelten.


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