Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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V.
Über den Tod nach dem Tode; oder der Geburttag

Das Schloß des Jünglings, dessen Taufname Ernst uns genügen mag, ruhte einem großen englischen Garten im Schoß, und der Garten wieder einer stolzen Ebene voll Berghäupter. Darin sollte sein Geburttag von seiner Mutter, von mir und – wenn sie noch morgens käme – von seiner Verlobten schön gefeiert werden; auch niemand hatte etwas darwider, ausgenommen der Festheilige selber. Ich nenn' ihn so, weil er oft sagte: er wünschte um keinen Preis irgendein Schutzheiliger oder gar die Maria zu sein, wenn er an seinem Namenstage das widrige Preisen und Posaunen der Menschen im Himmel hören müßte; wiewohl es mit dem Allerheiligsten – oder richtiger mit dem Alleinheiligen – noch schlimmer stehe. Ordentlich mit der Härte des Egoismus gegen Feindseligkeiten konnt' er Freundseligkeiten anfallen und berennen; ein Geburttag, sagt' er, wenn es nicht ein fremder wäre, sei vollends dumm. Lasset den Jüngling! Eine rechte Jungfrau ist euch eine Heilige, warum nicht der rechte Jüngling ein Heiliger? – Beide sind unschuldige höhere Kinder, denen nur nach der Laubknospe auch die Blütenknospe zerspringt. Ein Jüngling ist ein Lebens-Trunkener, und darum glüht er – wie einer, der sich durch physische Trunkenheit die jugendliche zurückholt – vom Wangen- und vom Herzensfeuer des Mutes und der weichsten Liebe zugleich. Die menschliche Natur muß tiefgegründete Güte haben, da sie gerade in den beiden Zuständen des Rausches, die sie verdoppeln und vor den Vergrößerspiegel bringen, statt vergrößerter Mängel nichts enthüllt als das Schönste und Beste gereift, nämlich Blume und Frucht, Liebe und Mut.

Der schön-widerspenstige Jüngling, der, wie meistens Jünglinge, nichts von seinem morgendlichen Wiegenfeste wußte, sollte am Morgen von der Ankunft seiner Verlobten und seines Festes zugleich überrascht werden mit einer neuen hellen Welt; wir sprachen zusammen tief in die Nacht, aber Gespräche an dem Vigilien- und heiligen Abende einer geschloßnen Lebensfrist werden leicht ernst. Unversehends hatten wir uns wieder in den Staub unsers alten Kampfplatzes verlaufen; er behauptete: man werde in der zweiten Welt wieder sterben und in der dritten u. s. w. Ich versetzte, man müßte gar nicht sagen zweite, sondern andere Welt; – nach dem Zerbröckeln unseres körperlichen Rindenhauses sei ja die sinnliche Laufbahn abgeschlossen, die Erwartung einer neuen sinnlichen, gleichsam ihrer Wiederholung in einer höhern Oktave, werde bloß von der Phantasie untergeschoben, die ihre Welten nur mit den Armen der fünf Sinne baue und halte und wir dächten wie die sinesischen Tataren, die ihre Toten mit goldpapierenen Häusern und Gerätschaften, im Vertrauen auf deren Verwirklichung droben, aussteuern, und besonders sei die Seelenwanderung außerhalb der Erde durch die Leiber auf andern Sternen ganz unstatthaft, schon nach Seite 106 im Kampanertal.

Ernst warf mir den ganzen rein-blauen Sternenhimmel vor uns ein, dessen Welten ja ein solcher jüngster Tag unseres Todes alle so einschmelze, daß aus dessen ganzer versperrter Unendlichkeit uns bloß das einzige Erd-Sternchen wäre offen geblieben. Ich antwortete: dies folge zwar nicht – da wir nicht alle Wege der Erkenntnis neben unsern fünfen kennen, und da wir Blindgeborne die Sonne durch den Tod der Gefühlnerven verlieren, und doch durch das Erwecken der Sehnerven wieder bekommen können – –, aber gesetzt, so sei es, so wären wir dann nur ebenso von den Welten wie jetzo von den zahllosen Jahrtausenden vor uns geschieden. – Hingen die Sterne näher und als Erdmassen vor uns, oder sähen wir außer denen droben zugleich die drunten: so wäre man schwerlich auf die Hoffnung dieser himmlischen Völkerwanderungen verfallen und hätte unserer heiligsten Sehnsucht nicht die Richtung nach einer bloß metaphorischen Höhe gegeben – Der celtische Himmel aus Wolken und der jetzige aus Welten wären uns nur in der Größe verschieden, ja der griechische sei besser, der die schattige träumerische Unterwelt einnehme.

Ernst versetzte mystisch, es gäbe ein absolutes Oben, welches im Siege über die Schwerkraft, in der Freiheit bestehe, und das die Flammen und die Wurzelkeime auf dem Avers und Revers unserer Kugel suchen. – Gegen meinen Unglauben an eine zweite Verkörperung und Menschwerdung fragt' er: ob das Erkennen und das sittliche Handeln ohne irgendeine möglich sei – – »Bei endlichen Wesen meinen Sie ohnehin,« setzt' ich darzu; »denn vom unendlichen ists gewiß« – und wenn das künftig sein könnte, warum man denn überhaupt die erste hiesige umbekommen? – Aber das völlige Ausscheiden aus unserer Körperwelt sei undenkbar, insofern der Tod es vollführen solle, der sie ja, wie der Schlaf und die Ohnmacht, nicht dadurch für den Geist aufhebe, daß er sie verändere; und wenn einmal das Gehirn eine Tastatur des Geistes war, so behalte er doch nach dessen Zersetzung noch die Körper übrig, wodurch und worin dasselbe zersetzt geworden; zumal da keine Kraft im Universum zu verlieren sei. – »Das Universum ist der Körper unsers Körpers,« fuhr er fort, »aber kann nicht unser Körper wieder die Hülle einer Hülle sein und so fort? Für die Phantasie wird es faßlicher, wenn man ihr es auszumalen gibt, daß, da jede mikroskopische Vergrößerung eine wahre, nur aber zu kleine istDieses ist mathematisch wahr. Die Vergrößerung – die nichts ist als eine nähere Annäherung – erschafft und organisiert ja z. B. nicht den Flaum der Schmetterling-Flügel, den sie aus der relativen Ferne herüberzieht (so wie nicht die nahe Größe, sondern die ferne Kleinheit einer Gegend scheinbar ist), mithin, da jede Mücke unter dem Mikroskop die enthalten Äderchen u. s. w. und deren Verhältnisse wirklich hat, die jenes zeigt: so wird sie ja darunter nicht vergrößert, sondern nur weniger verkleinert gezeigt; weil die Vergrößerung im umgekehrten Verhältnis der Fokus-Ferne besteht und diese am Ende so klein gedacht werden kann, daß nur noch die der Kristallinse von der Retina übrig bliebe und man das Objekt in, nicht vor dem Auge haben müßte. – Die absolute Größe ergäbe sich aus dem Zusammenfallen des Gegenstandes, des Fokus und der Retina. Es gibt also auf der Erde gar keine Vergrößerung, sondern nichts als Verkleinerungen., unser Leib ein wandelnder organischer Kolossus und Weltbau ist; ein Weltgebäude voll rinnender Blutkugeln, voll elektrischer, magnetischer und galvanischer Ströme, ein Universum, dessen Universalgeist und Gott das Ich ist. Aber wie die Schmetterlingpsyche eine Haut nach der andern absprengt, die Ei-Haut, die vielen Raupen-Häute, die Puppenhaut, und endlich doch mit dem schön bemalten Papillonkörper vorbricht: so kann ja unsere Psyche den muskulösen, dann den nervösen Überzug durchreisen und doch mit ätherischem glänzenden Gefieder steigen. Schon hier bereiten ihr oft Bergluft, Getränke, Krankheit ein dünneres Element, worin sie leichter und mit den aufgehobenen Flügeln halb außer der Welle flatternd schwimmt; wie muß sie nicht erst im hohen Äther, im leichten weißen Brautkleide des zweiten Lebens, fliegen und eilen?« –

Aus der Wirklichkeit war freilich gegen diese Möglichkeit, den goldnen Widerschein derselben, nichts zu schließen. Dabei hatte der feurige Jüngling nach Landesart der Schwärmer Einwürfe verschiedener Gattung wie ausländische Truppen in eine Linie gestellt. Ich macht' es nachher nicht besser, als ich triplizierte. Aber er ließ mich noch nicht dazu kommen; sondern trug erst diese Möglichkeit gar nach: »Wir kennen nur die äußersten Überzieh-Kleider der Seele, aber nicht ihr letztes und nächstes, ihr Hemde. Unter allen Erscheinungen von Verstorbenen sind z. B. die von eben Verstorbenen oder von Sterbenden am schwersten rein abzuleugnen; die unzähligen Toten der Jahrtausende verhüllen sich uns, aber der Tote der Stunde trägt gleichsam noch Erdenstaub genug an sich, um damit noch einmal im Sonnenstrahl des Lebens vor einem geliebten Auge zu spielen.«

Ich wollte beinahe entgegensetzen, warum uns keine verstorbne Tierseelen erschienen, und daß die Erscheinung bloß verwandter Sterbenden und Gestorbenen ja deutlich ihre Ursache und Erklärung, nämlich die Täuschung der Liebe und Furcht ansage, aber ich unterließ den Zweifel; über Geistererscheinungen wurde ohnehin bisher noch nicht mit rechter Religion und Freiheit zugleich geurteilt, und am wenigsten können gegen sie, so wie gegen den tierischen Magnetismus, negative Erfahrungen entscheiden, die eben darum gar keine sind. Mich besticht jeder Gebildete, der Geistererscheinungen glaubt, weil er mich an die religiösere deutsche Zeit erinnert, wo man sie ebenso fest glaubte als aushielt. Ich triplizierte aber nun auf alles vorige: man nehme das Körperkleid so fein gewoben an, als man wolle, so verhalte sichs doch zum Ich wie der unorganisierte Rock zum organischen Leibe; ein einziger irdischer Nerve sei aber schon der Sperrstrick vor der andern Welt, und ein einziges Erdstäubchen ziehe die ganze Erde, unser ganzes irdisches Treiben nach sich; das Leben nach dem Tode sei dann eines vor demselben und der Gestorbene vom Lebenden nur dadurch verschieden, daß er hinter dem Alter alt und aus dem Neunziger ein Millionär werde; wir hiesige Nacht-Raupen verwandeln uns dann nicht in Schmetterlinge, sondern in Tag-Raupen und fressen und kriechen dann bloß im Sonnenschein. »Aber«, fuhr ich im Enthusiasmus fort, »was wir begehren, und was allein zu beweisen ist, das muß etwas anderes sein; die Welt des moralischen Herzens klingt, wie ein Ton, unsichtbar und zum Wehen unwirksam in der groben der Sinnen; – will denn unsere Liebe, unsere Freude, unsere Gottes-Ahnung etwas, was auf einer harten Körper-Welt, sei es auch die schönste, erscheinen kann? Die schönste, die ich in dieser Art kenne, ist die der Phantasie, dieser rechten Weltschöpferin; und doch muß eben diese allgewaltige Weltseele alle ihre Weltkugeln, damit sie Zauberlicht gewinnen, mit der Morgenröte und Milchstraße der künftigen Unendlichkeit ahnend umziehen. Wie die Geister-Furcht sich vor wahnsinnigen neuen Schmerzen entsetzt, die nicht vor dem Einflusse, sondern vor der bloßen Gegenwart des Gegenstandes beben und die uns gar keine Gestalt dieses Mittaglebens machen oder heilen könnte: so gibt es auch eine Geister-Hoffnung und Geister-Liebe, die nicht Wirkungen, sondern Dasein der Wesen begehrt, und welche keiner irdischen Freude abborgt, sondern höchstens den besten heimlich darleiht. Unser armes, wunden-volles Herz habe sich auch nach allen Seiten noch so oft wieder geschlossen, so bleibt doch daran eine angeborne Wunde offen, die nur in einem andern Elemente des Daseins zufällt, wie sich am ungebornen Kinderherzen die eiförmige Öffnung erst verschließet, wenn es ein leichteres Leben atmet. Darum wendet sich ja unsere obere Blattseite, wie bei Blumen, sooft man sie auch gegen den irdischen Boden umdrehe, immer wieder gegen ihre Himmelseite herum.«

»Angeborne Wunde!« wiederholte der Jüngling mit einem Seufzer. »Unsere Wunde oder unser Himmel ist offen,« sagt' ich angefeuert, »dies ist eins und kein Wortspiel. Oder soll der Tod auch in jener Welt uns wie sklavische Krieger immer wieder von neuem einquartieren? – Wir, jetzt der Libellen-Nymphe gleich, deren vier Flügel sichtbar in den Scheiden kleben, sollen einmal nur neue Scheiden aus alten ziehen und dieses Ausscheiden Fliegen heißen? Und wenn wir, vor der Sündflut des Irdischen uns rettend, zu heiligern Bergen geflohen, sollen wir auf jedem wie auf dem Pilatusberge wieder einem See begegnen? Und die Ewigkeit wäre bloß ein ewiger Vorhalt auf der Dissonanz?«

Jetzt kam der Jüngling durch mich zu sich, und er fragte mich kalt: »Demnach müßte ich doch irgendeine Original-Vorstellung vom andern Leben geben können; weil nur dieses Urbild jedes Urteil über ein Nachbild rechtfertigen könne.« –

Ich antwortete: Könnt' ich das künftige Leben beschreiben, so hätt' ich es und der, der mich verstände; der neugeborne Säugling aber drängte sich durstend nach einer Kost, die er nicht chemisch prophezeien könne, und die doch der Instinkt verbürge und treffe. Von der andern Welt sprechen wir jetzo wie Blinde vor dem Starstechen von der sichtbaren – alle Malereien ihres Morgenrots würden wie bei jenem Blinden auf Definitionen vom Trompetenton hinauslaufen.

Hier spräche aber – versetzte der Jüngling – der Blinde doch nur zum Blinden, und Ähnliches orientierte sich durch Ähnliches. Aber eben darum, da kein Sinn durch die vier andern (und hier sollen sie gar über Nicht- und Über-Sinne richten) gegeben sei, und das so wenig, z. B. durch alle Farbenebenen ein Ton, daß wir diesen für ein Ich unter den sprachlosen Flächen halten würden, wenn sich nicht Geruch, Geschmack, Gefühl ebenso schneidend und selbständig wie der Ton von den Farben schieden; und da doch diese fünf unähnliche Weltteile sich zusammenknüpften und unterstützten: so sei aus ihrer irdischen Entfernung von einem künftigen sechsten, siebenten u. s. w. gar nichts gegen das Dasein und Verhältnis eines ähnlich-unähnlichen eben besagten sechsten, siebenten u. s. w. zu folgern; umgekehrt vielmehr alles dafür.


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