Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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II.
Über Charlotte CordayZuerst gedruckt im »Taschenbuch für 1801. Herausgegeben von Fr. Gentz, J. P. und Joh. Heinr. Voß«.

Ein Halbgespräch am 17. Juli

Der regierende Graf von –ß hegte eine solche Liebhaberei für sittliche Heroen, daß er einen Bildersaal ihrer Gestalten und eine Bibliothek weniger von großen Schriftstellern als über große Menschen unterhielt, und daß ihm ein Messias teuerer war als eine Messiade und Plutarch lieber als Tacitus. Er war und handelte selber in Paris so lange bei dem Niederreißen der Bastille mit, als die Stadt noch nicht in eine größere durch die Bergpartei verkehrt war. Da ich nun wußte, daß er nach seinem weltlichen Heiligenkalender die Geburt-, Todes- und Taten-Feste großer Menschen feierte – zu welcher stillen Feier er nichts gebrauchte als ihre Geschichte, ihr Bild und sein Herz – und daß er folglich auch das unbewegliche Jubelfest von Cordays Todestag den 17ten Juli begehen würde; – und da mir ferner bekannt war, daß man ihn in seinem unausgesetzten Allerheiligen-Tag doch immer stören würde, man komme, wenn man wolle: so ging ich am 17ten abends zu ihm, wiewohl bloß um meinen in ein historisches Bildnis der Tagheiligen Corday verwandelten Auszug aus dem Moniteur darzubringen und vorzulesen. Eigentlich brachte ich ihm weniger eine Gabe als ein Opfer, da ich unter dem Zusammenstellen mich von dem Moniteur 1793 mit unbeschreiblichem Ekel vor der damaligen Bluttrunkenheit der blutdürstigen Bergpartei, vor deren leerem betrunkenen Schwatzen, Poltern und Taumeln mußte erfüllen lassen.

Als ich ankam, traf ich schon seinen Regierungpräsidenten bei ihm an; – einen rechtlichen kühlen Mann, der Zeit und Raum gefunden, zwischen seinen Aktenstößen sogar Kants metaphysische Sittenlehre aufzulegen und aufzuschlagen – er schien seinen regierenden Herrn fast nur zu besuchen, um ihn zu bekriegen und abzusetzen in der Philosophie. Indes eben weil nur die poetischen Grundsätze des Grafen, nicht aber dessen befestigt-fortdringenden Handlungen den prosaischen Grundsätzen des Präsidenten zuwider liefen: so schloß sich dieser aus Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zugleich desto fester an sein (jetzo nicht mehr unmittelbares) Reichsfürstchen an und an den Kampf mit ihm.

Bei meinem Eintritt war das Gemälde der Disputa schon auseinandergerollt. »Girtanner schrieb« – so sagte der Präsident – »folgendes mit Recht: ›Maria Anna Charlotte Corday aus Saturnin des Vignaux (in der Nieder-Normandie) ist noch verabscheuungswürdiger als Marat, weil er nur Meuchelmorde veranstaltete, sie aber einen beging, und weil der Zweck kein Mittel heiligt.‹«

Etwas widerwärtig trat das Zitat mir und dem Cordays-Tage aus dem Juli- oder Ernte–Monat und meiner in der Tasche mitgebrachten Geschichte derselben entgegen. »O Gott!« sagt' ich (mit jener umgestürzten Überfülle von Überzeugung, die eben darum vor Strom es kaum zu Tropfen bringt) »Gerade umgekehrt!« –

Da es schon bekannt ist, daß der Präsident nicht nur aus meiner Antwort, sondern auch überhaupt aus mir als Weltweisen nichts machte: so führ' ich gern zu seiner Rechtfertigung an, daß er es mit mir als Poeten gut meinte, da er einen ordentlichen Dichter nicht für unwürdig erklärte, der einkleidende Schneidermeister eines philosophischen Schul- und Lehr-Meisters zu werden und als der wahre Volklehrer dem Haufen manches zu versinnlichen, was der Meister vom Stuhle zu sehr vergeistigte, so daß seine Schreibfeder, indes die philosophische als Schwanzfeder hinten den Vogel steuere, als Schwungfeder im Flügelknochen ihn hebe.

Darauf fuhr ich ruhiger fort: »Das Veranlassen des Mordes scheint niedriger zu sein als jedes Begehen desselben, weil es feiger ist – weil es zwei fremde Leben aussetzt – und weil es die dingende und die mordende Seele zugleich vergiftet. Und wenn eine öffentliche, uneigennützige, kriegerische, das eigne Leben absichtlich hingebende Hinrichtung ein Meuchelmord ist: wie nennt dann Girtanner einen heimlichen, bezahlten, gefahrlosen Mord?«

Der Präsident fragte lächelnd: »ob man das fremde Leben opfern darf? – Ja ich möchte vorerst wissen, ob nur das eigne wegzugeben ist. Kann die Sittlichkeit ihre eigne Aufhebung durch den Tod gebieten und sich durch eine Handlung das Mittel (was unstreitig das Leben ist) benehmen, sich zu wiederholen? Denn der Glaube an ein zweites Leben kann die unbedingten Moral-Mandata ohne Klausel für das erste nicht leuterieren und reformieren. Wohl ist Wagen des Lebens erlaubt, aber nur bei der Möglichkeit seiner Erhaltung, nicht bei der Gewißheit seines Verlustes.«

»Meiner Antwort« – sagt' ich – »tut es vielen Vorschub, daß ich geradezu leugnen kann, es habe noch irgend jemand sein Leben geopfert; denn da die Natur es jedem ohnehin abnimmt, so kann er nur Jahre und Tage hingeben, nicht aber das heilige unschätzbare Leben selber; ja er legt auf den Opferaltar eine Gabe von einem ihm unbekannten Gewicht, vielleicht ein Jahrzehend, vielleicht eine Stunde. Und wird denn nicht alles rechte geistige Leben eine vergiftete Hostie für das körperliche? Ist nicht sogar jeder Schacht und jede Handwerkstube ein Welkboden und Darrofen des Körpers, so daß nur das Tier-Leben die rechte und längste Spinnschule für die Parze Lachesis bliebe? – Am Ende hätte man, nach einer solchen philosophischen Heils-Lehre, die hypochondrische Berechnung über die Einbuße einiger Lebensstunden bei jedem einzelnen kleinen Opfer für den andern durchzumachen – die Tugend liefe auf Hufelands Rat länger zu leben hinaus, und man müßte Arzneikunde studieren, um nicht verdammt zu werden. – Wenn auch gleich einige Philosophen die Tugend, wie einen Prozeß, nicht gern mit der Exekution anfangen, sondern gelassener mit münd- und schriftlichen Verhandlungen: so kenn' ich wieder andere, z. B. Sie und Regulus, welche, wie dieser, in der Wahl zwischen gewissem Tode und Meineide, doch lieber die Abkürzung ihres moralischen Spielraumes erwählten. Aber wozu dies alles? Entweder ist von äußerem Erfolge die Rede – sodann kann die Innerlichkeit (Intension) des Lebens die Ausdehnung (Extension) desselben so freigebig vergüten, daß eine Todesstunde, welche Völker beseelt und begeistert, ein kaltes tatenloses Jahrzehend überwiegt –, oder es wird vom Heiligsten gesprochen: dann setzt die Sittlichkeit, hoff' ich, nicht Vernichtung, nicht einmal Unsterblichkeit voraus, sondern Ewigkeit. Der Engel in der Menschheit kennt wie Gott immer seinen ewigen Wohnhimmel, keine Zeit und Zukunft oder irgendeine Sinnenrechnung dieser Engel, nicht nach und von Jahren wachsend, da es in der Ewigkeit keine gibt, ist aus Gewohnheit blind gegen die gefärbten Schatten und Nachtschatten der Endlichkeit, weil sein Blick sich in der ewigen Sonne verliert.«

»Der Krieger,« sagte der Graf, »der auf eine Mine beordert wird, damit er den Feind dahin locke und mit ihm zugleich auffliege, hat nur meine Bewunderung, wenn er es weiß und doch stirbt.«

»Zu schließen wäre vielleicht daraus,« erwiderte der Präsident, »entweder, daß demnach es ganz und gar keinen Selbmörder mehr gäbe, oder daß jeder einer, nur ein subtiler wäre. Aber eine schwierigere Untersuchung steht uns bevor – Nämlich, mit welchem Rechte erhebt, frag' ich bei Corday, ein Mensch, der kein vom Ganzen angenommener Richter ist, sein einsames Privaturteil zu einem unerwarteten Kabinett-Befehle und zu einem Todesurteile, das er noch dazu selber, ohne jemand zu verhören oder zu befolgen, in demselben Nu ausspricht und vollstreckt, wie Corday als Scharfrichterin eines Scharfrichters tat? Welcher Heinrich ist denn vor seinem Ravaillac geschirmt? Ja, wie dieserDie mit dem edeln Heinrich gescheiterten Entwürfe zur größten Frieden-Allianz sind bekannt. Zum Kriege werden die Quadrupel-Allianzen leichter. irrte Marats Mörderin und griff zugleich in Zweck und Mittel fehl, wiewohl keiner eines adeln kann. Denn sie nahm Marat für den wichtigen Kopf des Staats-Bandwurms, von den Journalen Perlet und Courier français verleitet; aber sie hätte, wie Archenholz meint, besser Robespierre und Danton, d. h. die Instrumentenmacher anstatt des Instruments, zerstört oder am besten (wie Gentz auch glaubt) gar niemand angefallen, weil entweder das Opfer aus der herrschenden Partei zum Blutzeugen, also zum Bluträcher und Verkündiger derselben wurde, oder jede hingerichtete doch nur einer zweiten, ebenso schlimmen zurückte, wie diesmal der Gemeinde-Rat zu Paris. In Ihrer Sprache würden Sie sagen: der am Schwanze angeschnittene Blutigel sog nur durstiger fort; die Ausbrüche auch dieses Vulkans geben nur neue Berge von Bergparteien.«

Ich versetzte: »Da ich kein Sokrates bin, so behalt' ich lange Reden leicht. Würde Sie, frag' ich von vornen zurück, falls es nur einen All-Mörder gäbe, nicht der Unwille der Retter- und Rächer-Liebe so übermannen, daß Sie seine Rolle an ihm selber wiederholten? – Würden Sie Gewissensbisse haben, wenn Sie als bloßer Mensch, nicht als Präsident, ohne alle Kriminal-Akten und Pein-Gesetze eigenhändig den Teufel, den Beelzebub, den Obersten der Teufel niedergestoßen hätten? – Wenn wir uns so sehr fürchten, die Richter eines Menschen zu sein: so seh' ich doch nicht ab, wie wir nur einen Tag lang leben und gegen andere Menschen handeln wollen, ohne eins, obwohl über kleinere Fälle, zu ihren Richtern, zu ihrem Kampf- und Friedensrichter, zur ersten Instanz aufzuwerfen und einzusetzen. Und wer darf oder sollte überhaupt richten als der geistige König über geistige Kriegsgefangene? Und mußte nicht irgend einmal ein Kühner über eine Menge die Todes-Urteile festsetzen, nach denen wieder jene Kühnen gerichtet werden, die eines über einen einzelnen fällen mit eigner Gefahr?

Sie sprachen, lieber Präsident, von Kabinett-Befehlen eines Einzelnen, der keine Kabinetträte hat. – Aber gäb' es auf der Erde keine anderen oder schlimmeren Eigenmacht-Ukasen als die der von der Natur selber zu unsichtbaren Obern der unsichtbaren Untern gekrönten Magnaten oder der sittlichen Heroen: so könnte die sittliche Mittelwelt ruhig schlafen; nur aber die unsittliche Unterwelt, der eben keine Ruhe gebührt, büßte diese ein. Eine Volkmenge von Cordays würde die einzelnen Marats in der Geburt ersticken (wie jetzt die Marats-Menge die einzelnen Cordays), eine Brutus-Menge würde die Cäsars zwar nicht unterdrücken (denn große Seelen wissen auf mehr als eine Weise zu regieren, und nur eine schlechte Welt beherrschen sie schlecht), aber wohl lenken und veredeln.

Übrigens ist von den einzelnen Cordays so viel für die Menge zu fürchten als von den Steinwürfen der Mond-Vulkane für die Erde.

Sie gedachten noch Ravaillacs. Warum haben noch alle bisherigen Jahrhunderte einen solchen Unterschied zwischen Heinrichs Mörder und Cäsars Töter gemacht, als der zwischen Mord und Tugend ist; – und warum ertrüge kein Herz den Römer auf der Folterbühne ungerührt, hingegen mit Freuden den Königs-Moloch? – Aber allerdings entscheidet eben der gewaltige Unterschied, daß Brutus nicht als Einzelwesen, sondern als kriegerisches Oberhaupt einer angegriffnen Verfassung handelte und daher sich nicht vor Richterstühlen, sondern bloß auf Schlachtfeldern zu rechtfertigen brauchte. Auch Corday bekämpfte und durchbohrte nicht als Bürgerin einen Staatsbürger, sondern als Kriegerin in einem Bürgerkriege einen Staatsfeind, folglich nicht als Einzelne einen Einzelnen, sondern als gesundes Partei-Mitglied ein abtrünniges krebshaftes Glied.Ein höchst achtbarer Gelehrter voll Geist und Herz wandte obige Stellen sehr irrig auf einen fanatischen Jüngling an, der an einem düstern Jugendfeuer eine Tat auskochte, welche, wie er selber nicht an Brutus, so auch nicht an dessen Tat anders erinnern kann als dadurch, daß in beiden Fällen gerade die Freiheit, wofür Leben geopfert wurde, sich selber noch stärker nachgeopfert sah. Der Unseligst-Verblendete raubte ein doppeltes Leben – das fremde und seine, denn jeder Mörder ist Selbmörder – nicht für Handlungen, sondern für Meinungen und stellte so sich selber zu etwas Schrecklichern als zu einem Inquisitiontribunal auf; denn er war zugleich Richter – nur einer, nicht ein Gericht –, Ankläger, Zeuge und Scharfrichter und strafte am Leben sein Opfer, im Winkel, ohne Defensor und Verhör, ohne Aufschub, ohne die Fristen, welche dem größten Übeltäter die Menschlichkeit gern bewilligt zur Abrechnung mit den Seinigen und sich, und unter dem Giftgefühl eigner Schuldlosigkeit und fremder Sündengewalt. – O bringet doch nicht bei solcher Verblendung des Gehirns und Herzens zugleich – welche jedem Brause-Jüngling den Dolch statt der Feder in die Hand gäbe zum Widerlegen des Anders-Gläubigen – die Opferung des eigenen Lebens in hohen Anschlag, sondern zählt die Selbermorde des gemeinen Volkes, des weiblichen Geschlechtes im Pöbel, aller Verarmenden, aller Unbesonnenen, der Spieler, der matten Lebensschwelger, kurz der Feigen, die keinem Drohen einer Stunde oder einer Woche gewachsen sind.


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