Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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So weiß ich aus demselben Quistorp die andere Einschränkung, daß man nie beschimpfe, wenn man bloß die Sachen seines Neben- und Mit-Menschen (nicht ihn) verächtlich heruntersetzt, als etwan seinen Anzug, seine Gastmähler u. s. w. Ich würde also mit Vorbedacht, da doch am Menschen alles nur fremde Sache ist, außer seiner Moralität, die er sich, wie der preußische Soldat die Knöpfe, auf eigne Kosten anschaffen muß, ohne Ehrenklage im höchsten Grade anzüglich und geringschätzig z. B. von den schwachen Talenten oder Gesichtzügen eines Rezensenten sprechen, beides Sachen, die der Tropf sich nicht geben kann; ebenso wollt' ich auf viele deutsche Kronen und Thronen (ein schöner weiblicher Reim) losziehen, ohne die Besitzer, die ja beides teils halb auf, teils unter sich haben, im geringsten zu meinen. Doch ich kehre zu meinem Satze zurück – beiläufig ein ganz gutes Zeichen, denn Trunkne können, wie Verrückte, nie dieselbe Sache unverändert wiederholen und stehen hier tief unter Autoren und Advokaten. – Und Rechtswissenschaft ist nicht einmal mein Fach – (doch trinken wir recht auf sie!); aber Heilkunde bleibt es stets. Wie gesagt, ich sagte vorhin von Injurien und dergleichen. Wo finden Sie hier, Herr Doktor, den Vollzapf?«

Strykius beschwor nach allen Seiten hin das Widerspiel. »Dies sag' ich, beim Teufel, ja selber«, versetzte der Doktor – »und wozu denn Ihr Fluchen? Ich denke, ich kenne mich und viele. Manches bringt mich auf, darüber ist keine Frage. Nur wünscht' ich zu wissen, ob jemand von der trefflichen, nie hoch genug zu achtenden Gesellschaft um uns her etwas an mir merke; aber freilich Fox und Pitt konnten nur halb so viel vertragen.

Mein lieber Herr Brunnenarzt, Sie brauchen, bei Gott, nicht zu lächeln, als läg' ich schon in den Lagen, für welche ich Ihre Vormundschaft bestellte. Sie sehen, ich weiß noch alles. Hab' ich aber ein Geheimnis verraten? Seh' ich irgend einen Kopf doppelt? Kaum einfach. – Verschenk' ich schon außer dem Einschenken? Und wo stehen mir dumme Tränen der Liebe und Trunkenheit im Auge? Im Gegenteil verspür' ich eher harten Humor zum Totschlagen, besonders schlüg' ich gern einem Manne aus Ihrer Residenzstadt, der mir mit seinen Augen- und Weisheitzähnen ins Bein gefahren, diese auf der Stelle aus. Die Bestie kommt aber erst, wie Sie sagten, künftige Woche.«

»Sie erhitzen sich, Guter«, sagte Strykius. – »Aber für das Recht und für jeden Rechtschaffnen, der es mit mir so redlich meint als du, Stryk! – Herr Brunnenarzt, ich sage du zu ihnen, wie der Russe zu seinem Kaiser. Einen Kuß, aber einen Judas den zweiten! Denn du weißt aus dem Neuen Testament, wo der Brief des zweiten Judas steht. Der erste Judas war nie mein Mann.« –

Strykius gab Katzenbergern einen Bühnen-Kuß. »Trinke zu, heize ein, zünd' an, mein Zünd-Stryk! Ohne Wein war dem Urdeutschen kein Vertrag heilig. – O, wenn ich daran denke! Ein Freund ists Höchste. Ich sage dir, Stryk, einst hatt' ich einen, und wir hetzten einander und er mich – alles tat ich für ihn und machte meinen Schnitt für ihn – ich hätt' in seinem Namen gestohlen. Halt, dacht' ich, hältst du auch Stich? Ich wollte ja in der Eile etwas Ihnen darstellen; sage mirs, Bruder!« – »Das Bewähren Ihres mir unbekannten Freundes«, versetzte der Brunnendoktor. »Und dies willst du besser wissen als ich? Stich, sagt' ich ja vorhin, hält er, wenn er sich bewährt und seinem Freunde zu verzeihen weiß. Der nur ist mein Freund. Deshalb macht' ich mir eine leichte Streitsache mit ihm zunutz und schleuderte diesem Freund, um recht zu wissen, woran ich mit ihm wäre, eigentlich um seine Liebe gegen mich zu erproben, einen vollen Bumper oder Willkommen mit allen Kräften an den Kopf; darauf beobachtete ich scharf und kalt, wie er bei dieser ersten Freundschaft-Anker-Probe standhalte und sich betrage. – Aber wir prügelten sogleich uns mit vier Händen durch, und der Treulose haßte mich hinterher wie einen Hund. Dies hatt' ich von meiner ersten leichten Liebe-Probe; – was hätt' ich mir vollends von einem so wankelmütigen Freunde zu versprechen gehabt, hätt' ich ihn noch ganz anders und schärfer auf die Kapelle gebracht, z. B. um Haus und Hof oder gar ums Leben? Anders sollen, hoff' ich, unsere Freundschaft-Proben ablaufen. Mich meinerseits erschlagen Sie, wenn Sie wollen; ich umhalse Sie stets sogleich in der frohen Ewigkeit und sage: Willkommen, mein Stryk, mein heraufführender Franziskaner-Strick und Galgen- und Treppen-Strick! – Doch dies sind Wortspiele und elend genug.«

Der Brunnenarzt hatte bisher, zumal vor mehren Maus-Ohren an der Tafel, den bedächtigen Mann gespielt und sich wenig anders gegen den Trunk-Sprecher ausgelassen als mit leichtem Nein, Ja und Wink. Nur Neugier nach dem Ausgange, Scheu vor dem wild-begeisterten Doktor, mehr Hoffnung, ihn vor der Welt zuletzt beschämend zu verwickeln, und sogar einiger angetrunkener Mut pichten ihn auf dem Folterstuhle fest. Nüchtern erhielt er sich übrigens durch Meid-Künste – ja mehr als der Doktor selber, der sich zuletzt doch durch Reden betrank.

Erst bei der vierten Flasche überzeugte jener sich, daß im Weine oder im Doktor wirklich Wahrheit sei; mehre versprochne Rausch-Nachwehen und Feuermäler waren schon da, nur das geweissagte Verschenken wollte sich nicht einstellen. Der Doktor warf allerlei seltsame Winke hin, daß er sehr gern wolle, der Fürst wäre nicht da, aber wohl dafür ein anderer Mann für einen dritten, der prügelt: »Kennst du seinen Leibmedikus Semmelmann recht?« sagt' er. – »Längst als den gelehrtesten Arzt und feinsten Mann und meinen Freund«, versetzt' er etwas laut, um von fürstlichen Spionen, die den Geblendeten der Tafellichter rings umher im Blätter-Dunkel ungesehen belauschen konnten, besser vernommen zu werden. »Nun so sag' ich dir, ich bin noch schwankend, ob ich gegen Taganbruch diesen deinen Freund ganz totschlage oder nur halb. Weißt du (fing er leise an und fuhr sogleich laut fort), wer dieser Semmelmann im Innersten ist, Stryk? Der Fallstrick, der Galgenstrick, der Ehrenkronenräuber, kurz der Rezensent meiner Werke.« – »Wie? – Herr Kollege!« sagte Strykius. »Kein Wort weiter, er wird totgemacht! – Flex, heda! mein Kerl fährt augenblicklich vor bei Herrn Brunnenarzt Strykius, meine Tochter wird nicht geweckt – sie soll nichts wissen, bis ich wiederkomme, und das ohne alle Umstände.«

Wenn wirklich, wie schon Swift nach Rochefoucault sagt, wir in jedes Freundes Unglück etwas weniges finden, was uns heimlich erlabt: so mußte allerdings der Brunnenarzt in der Aussicht auf die Ausprügelung seines Freundes Semmelmann etwas Behagliches finden, da er so lange diese sich selber zugedacht geglaubt; auch wurde diese Behaglichkeit durch die Betrachtung eher vermehrt als vermindert, daß der Leibmedikus, sein Nebenbuhler, der als Weg-Aufseher der ersten und zweiten Wege des Fürsten mehre Wege Rechtens und Himmelfahrten und bedeckte Wege und enge Pässe des Landes besetzte, vom berühmten Katzenberger vielleicht durch Prügel könnte um einigen Kredit, wenn nicht um Glieder und mehr gebracht werden. Dies hielt ihn aber nicht ab, vielmehr spornte es ihn an, sich nicht nur unter vier Ohren, sondern vielleicht vor mehr als zehn Hörmaschinen des Hofs im Finstern entschieden des Leibmedikus oder der Semmelmannschen Unschuld anzunehmen, und zwar mit um so größerer Wärme der Überzeugung, je gewisser er wußte, daß er selber die Rezension gemacht.

»Mein bester Kollege«, begann er, »möge mich nur hören! Wie stark der Argwohn gegen den Herrn Leibmedikus gegründet, entscheid' ich am wenigsten, da ich Journale, worin etwas stehen soll, als z. B. die Gothaischen Anzeigen, die Oberdeutsche Literatur-Zeitung, die neue allg. deutsche Bibliothek und dergleichen Unrat, mehr mithalte als mitlese. Aber trefflicher kühner Amt- und Waffenbruder! Lassen Sie mich doch auch reden! Kennen Sie die Mißlichkeit solcher Namen-Ablauschungen wie die Ihres Herrn Richters? Ich halte Semmelmann, so weit ich ihn kenne, durchaus für unschuldig; doch gesetzt, aber nicht zugegeben, Sie hätten recht: aber Freund, wie kann ein Gelehrter mit einem andern Gelehrten (zur Abwägung zwei solcher hab' ich keine Gewichte) den geistigen Zwist mit Waffen ausfechten wollen, die nichts treffen als selber? – Bei Gott, ich bin hier nicht bestochen, und die fremde Sache nehm' ich kühn für eigne.«

»Ich habe dich Spitzbuben wirklich ruhig ausgehört, bloß nur um dir vorläufig darzutun, daß ich, bei Gott! bei Verstand bin wie einer und nach niemand frage. – Was verschlagen alle Flaschen im Magen gegen das wenige, was aus ihm davon in den Kopf steigt? Aber, wie gesagt, das ist mein Satz, oder ich weiß nicht, was wir sagen. Und doch ein Spitzbube bist du selber, so groß wie Semmelmann, weil du ihm ähnelst und beistehst. Denn du bist, nimm mirs nicht übel, lieber Stryk, – von Hause aus – ein milder Mann mit einem weichen Herzen im Brustkästchen, und es ist dir nachzusehen, wenn du aus verdammter verhaßter Liebe Schubjacke und Stricke (ich rede gesetzt) verfichst; denn dein Angesicht ist ein sanfter Ölgarten, wo man Blut schwitzt, und du bist am ganzen Leibe mit Selber-Dämpfern wie mit Blutigeln besetzt. Du weißt nur zu gut, wer mich rezensiert hat; aber siehst ihn nur nicht gern erschlagen. Ein Knicker ist Semmelmann auch, und nichts hass' ich mehr als so einen geizigen Hund, der mir nichts herschenkt, der selber seinem Hund nichts zu fressen gibt als Gras, das dem Tier nur schmeckt, wenn sich das Wetter ändert. – Hat er nicht blos aus Geizhalsigkeit meine Praxis beneidet, obwohl außer Lands, und meinen Ehrensold und die wenigen Ehrenpforten und Ehrenlegionen, die ich mir etwa erschrieben? Ist der Leibmedikus nicht der größte Schmeichler des Hofs und denkt bei dem Fürsten, weil ich, bei Gelegenheit der Hämatosen und Mißgeburten, nichts von den mineralischen Bestandteilen des Landes-Bades angebracht, Ehre einzulegen, wenn er mir eine größere nimmt, als er hat? Die Sache ist: seine Zunge gleicht der Bienenzunge, welche einem Fuchsschwanz ähnlich ist und die für sich Honig saugt, und für andere Gift. Wie gesagt, Bruder! – Ich erhebe dich vielleicht zum Leibmedikus, wenn ich den alten erschlage, mags hören, wer will.«

»Guter Amtbruder«, sagte Strykius, »jetzt in der Nachtkälte tritt die vorher abgeschlossene Bedingung ein, nolens volens« – »Dummes Wort, ich will entweder nolens oder volens« – »Fein bemerkt! Wir gehen dann miteinander zu mir auf einen warmen Tee«, sagte Stryk und nahm ihn mit.


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