Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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Ottomar stürzte auf die brechenden Knie und blickte auf zum schwarzen Gewölke und betete: »O guter Gott, bringe mich wieder auf meine gute Erde, damit ich wieder vom Leben träume!« und unter dem Beten flohen die roten blutigen Schatten gestürzter Erden über das weite Leichentuch aus festem Rauch. Jetzt streckte die weiße Gestalt ihre Fühlhörner verlängert wie Arme gen Himmel und sagte: »Ich ziehe die Erde herab, und dann nenne ich mich dir.«

Indem die Fühlhörner mit ihren schwarzen Enden immer höher stiegen und zielten, wurde ein kleiner Spalt des Gewölkes licht; dieser riß endlich auseinander, und unsere taumelnde Erde sank fliehend hindurch, gleichsam zum ziehenden greifenden Rachen einer Klapperschlange herab. Und indem die umnebelte Kugel näher fiel, regnete es Blut und Tränen auf ihr in ihr rotes Meer, weil Schlachten und Martern auf ihr waren.

Die graue enge Erde schwankte durchsichtig mit ihren regen jungen Völkern nahe über den starren toten Völkern – ihre Achse war ein langer Sarg aus Magnetstein mit der Überschrift: Die Vergangenheit; und im Erdkern schwebte ein rundes Feuer, das den Schlüssel des langen Sarges schmolz – die Lilien- und Blütenbeete der Erde waren Schimmel – ihre Fluren waren die grüne Haut auf einer festen Moderlache – ihre Wälder waren Moose und ihr spitzer Alpengurt ein Stachelrad, ihre Uhren schlugen in einem fort aus, und die Stunden wurden eilig Jahrhunderte, und kein Leben dehnte die Zeit aus – man sah die Menschen auf der Erde wachsen und dann rot und lang werden und dick und grau sich bücken und hinlegen. Aber die Menschen auf der Erde waren sehr zufrieden. – Auf ihr sprang wohl der Todesblitz regellos unter den sorglosen Völkern umher, bald auf das heiße Mutterherz, bald auf die glatte runde Kinderstirn, bald auf die kalte Glatze oder auf die warme Rosenwange. Aber die Menschen hatten ihren sanften Trost; die sterbenden Geliebten, die begrabenden und die weinenden Augen hingen leicht an den brechenden, Freund an Freund, Eltern an Kindern, und sie sagten: »So zieht nur hin, wir kommen ja wieder zusammen hinter dem Tode! und scheiden nicht mehr.«

»Ich will dir zeigen,« sagte die Gestalt, »wie ich sie vernichte.« Ein Sarg wurde durchsichtig – im weichen Gehirn des darin zusammenfallenden Menschen blickte noch das lichte Ich, vom Moder überbauet, von einem kalten finstern Schlaf umwickelt und vom zersprungenen Herzen abgeschnitten. Ottomar rief. »Lügende Gestalt, das Ich glimmt noch – wer zertritt den Funken?« – Sie antwortete: »Das Entsetzen! – Sieh hin!« Eine Dorfkirche hatte sich gespaltet: ein bleierner Sarg sprang auf, und Ottomar sah seinen Körper darin abbröckeln und das Gehirn bersten; aber kein lichter Punkt war im offenen Haupte. Nun machte die Gestalt ihn starr und sagte: »Ich habe dich aus dem Gehirn herausgezogen – du bist schon lange gestorben« – und umgriff ihn schnell und schneidend mit den kalten metallenen Fühlhörnern und lispelte: »Entsetze dich und stirb, ich bin Gott«...

Da stürzte eine Sonne herein, die den weiten Himmel einnahm, zerschmelzte die Eiswüste und das Larvenreich und flog ihren unendlichen Bogen brausend weiter und ließ eine Flut von Licht zurück, und der durchschnittne Äther klang mit unermeßlichen Saiten lange nach. Ottomar schwamm im Äther, rings mit einem undurchsichtigen Schneegestöber aus Lichtkügelchen übergossen; zuweilen schnitt der Blitz einer fliegenden Sonne durch die weiße Nacht hinab, und eine sanfte Glut wehte dann vorüber. Der dichte weite Lichtnebel wallete auf den Tönen des Äthers, und seine Wogen bewegten den Schwebenden. Endlich sank der weite Nebel in Lichtflocken nieder – und Ottomar sah die ewige Schöpfung rings um sich liegen, über ihm und unter ihm zogen Sonnen, und jede führte ihre blumigen Erdenfrühlinge an sanften Strahlen durch den Himmel.

Der zusammengesunkene Sonnenduft wallete schon weit im Äther als eine blitzende Schneewolke hinab, aber den Sterblichen hielt noch im Himmelblau ein langer Lautenton auf seinen Wellen empor: da hallete es plötzlich durch den ganzen grenzenlosen Äther hindurch, als liefe die allmächtige Hand über das Saitenspiel der Schöpfung hinüber. In allen Welten war ein Nachklang wie Jauchzen; unsichtbare Frühlinge flogen mit strömenden Düften vorüber; selige Welten gingen ungesehen mit dem Lispeln einer übervollen Wonne nahe vorbei; neue Flammen flatterten in die Sonnen; das Meer des Lebens schwankte, als höbe sich sein unermeßlicher Boden; ein warmer Sturm wühlte Sonnenstrahlen und Regenbogen und Freudenklänge und Wolken aus Rosenkelchen untereinander. – Auf einmal wurd' es in der Unermeßlichkeit still, als stürbe die Natur an einem Entzücken – ein weiter Glanz, als wenn der Unendliche durch die Schöpfung ginge, lief über die Sonnen, über die Abgründe, über den bleichen Regenbogen der Milchstraße und über die Unermeßlichkeit – und die ganze Natur bewegte sich in einem sanften Wallen, wie sich ein Menschenherz bewegt und hebt, wenn es verzeihen will – – – Da tat sich vor dem Sterblichen sein Innerstes wie ein hoher Tempel auf, und im Tempel war ein Himmel, und im Himmel eine Menschengestalt, die ihn anblickte mit einem Sonnenauge voll unermeßlicher Liebe. Sie erschien ihm und sagte: »Ich bin die ewige Liebe, du kannst nicht vergehen«; und sie stärkte das zitternde Kind, das vor Wonne sterben wollte. Der Sterbliche sah durch heiße Freudentränen dunkel die unnennbare Gestalt – ein nahes warmes Wehen schmerzte sein Herz, daß es zerfloß in lauter Liebe, in grenzenlose Liebe – die Schöpfung drang erblassend, aber nah an seine Brust – und sein Wesen und alle Wesen wurden eine einzige Liebe – und durch die Liebetränen schimmerte die Natur als eine blühende Aue herein, und die Meere lagen darauf wie dunkelgrüner Regen, und die Sonnen wie feuriger Tau – vor dem Sonnenfeuer des Allmächtigen stand die Geisterwelt als Regenbogen, und die Seelen brachen, von einem Jahrtausend ins andere tropfend, sein Licht in alle Farben, und der Regenbogen wankte nie und wechselte nur die Tropfen, nicht die Farben. –

Der Alliebende schaute an seine volle Schöpfung und sagte: »Ich lieb' euch alle von Ewigkeit – ich liebe den Wurm im Meer und das Kind auf der Erde und den Engel auf der Sonne. – Warum hast du gezagt? Hab' ich dir nicht das erste Leben schon gereicht und die Liebe und die Freude und die Wahrheit? Bin ich nicht in deinem Herzen?« – – Da zogen die Welten mit ihren Totenglocken vorüber, aber wie mit einem Kirchengeläute von Harmonikaglocken zu einem höheren Tempel, und alle Klüfte waren mit Kräften und jeder Tod mit Schlaf gefüllt.

Nun dachte der Überglückliche, sein dunkles Erdenleben sei auch geschlossen; aber tief unten stieg die in Gewölk gekleidete Erde herauf und zog den Menschen aus Erde wieder in ihre Wolken hinein. Der Alliebende hüllte sich wieder in das All. Aber ein Schimmer lag noch auf einem langen Eisgebirge weit hinter den Sonnen. Die hohen Eisberge flossen am Schimmer strahlend auseinander, gebückte Blumen flatterten angeweht über die zerschmolzene Mauer auf, ein unabsehliches Land lag aufgedeckt im Mondlicht weit ins Meer der Ewigkeit hinein, und er sah nichts darin als unzählige Augen, die herüberblickten und seligweinend glänzten, wie ein Frühling voll warmen Regens unter der Sonne funkelt, und er fühlte am Sehnen und am Ziehen seines Herzens, daß es alle seine, daß es alle unsere Menschen waren, die gestorben sind.

Der Sterbliche blickte, schneller auf die Erde zufallend, mit erhobenen betenden Händen nach der Stelle im Himmelblau empor, wo der Unendliche seinem Herzen erschienen war – und ein stiller Glanz hing unverrückt an der hohen Stelle. Und als er noch schwerer den erleuchteten weichenden Dunst unserer Kugel betrat und zerteilte: stand noch immer der Glanz im Äther fest, nur tiefer an der umrollenden Erde....

Und da er unsern kalten Boden berührte, erwachte er; aber der feste Glanz stand im blauen Osten noch und war die – Sonne.

Der Kranke stand unten im Garten, der erste herbe giftige Traum hatte ihn hinabgedrängt – die Morgenluft wehte – das Feuer war gelöscht – sein Fieber war geheilt und sein Herz in Seelenruhe.

Und wie die Qual des Fiebers den höllischen, und der Sieg der Natur den himmlischen Traum geboren; und wie wieder der folternde Traum den Scheidepunkt, und der labende die Genesung beschleunigt hatte: so werden auch unsere geistigen Träume unsere Seelenfieber nicht bloß entzünden, sondern auch kühlen und heilen, und die Gespenster unseres Herzens werden verschwinden, wenn wir von seinen Gebrechen genesen.


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