Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

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Mich stach vorigen Jahrs in der Kirche ein Frauenzimmer mit einer Nadel in den Fächer mit Namen. Ich schwur der Person, der Unterschied zwischen dem Fächer und dem peplum Minervae, worin man große Heldennamen einsteckte, sei, was Namens-Unsterblichkeit anlange, nicht der größte, da auf der Erde der Boden zu ewigen Denkmälern ohnehin fehle, indem sie selber vergehe. Knetet mir nur erst eine unsterbliche Kugel, dann lasse ich Unsterbliche auf sie laufen. Und ich selber würde ohne diese niederschlagende Betrachtung mich vielleicht unsterblicher gemacht haben, als ich absichtlich tun wollen, da ich meinen mathematischen Ehrenpunkt jetzo nur darin setze, ein Ehrenmitglied an anderen Ehrenmitgliedern abzugeben.

Ich rücke nun in meine zweite Klasse, worin ich den Deutschen einen Vorschlag versprochen, dem großen Reformator das ewige Denkmal so zu setzen, daß die Summe von 6000 Talern und einigen Groschen keinen Pfennig ausgibt.

Die ganze Summe, und was noch einkommen möchte, wird nämlich sicher genug auf landesübliche Zinsen ausgeliehen. Dies ists. Das Kapital stehe samt seinen Prozenten nur sechs Jahrhunderte aus: so weiß ich nicht, was wem fehlen soll, Verewigung Luthern, oder Millionen uns. Man erlaube mir der Kürze wegen, nur ein wenig auszuholen.

An und für sich kann ohnehin Luther noch keinen ausgestreckten Triumphwagen begehren, sondern vorläufig erst eine Ovation, womit sich ein römischer Feldherr abgespeiset sah, wenn er den Krieg weder vollendet hatte noch gegen Freie geführt. Letzteres beides ist Luthers Fall. Noch stehen Millionen Katholiken da. Luther krähete allerdings als Streithahn über Europa hinüber und hoffte auf Tränen, als Petrus in Rom Christum durch Repräsentanten verleugnet hatte; aber später wurde durch den Schmalkalder Kapaunenschnitt das leichte Krähen in feste Federn verwandelt. Man protestierte gegen weiteres Protestieren, und wie Müller nicht mit Mehl handeln dürfen, so wurde Mehlhändlern, d. h. lutherischen Konfessionisten, verboten, Müller, d. h. Reformatoren, zu sein. Das Sprichwort verbietet, auf einem Grabe zu schlafen; dennoch wurde das Lutherische zum gesunden Schlafsaale und Schafstalle eines müden Jahrhunderts gemacht. Folglich kann Luther vor der Hand nur ovieren. Bleibt aber dessen ungeachtet nicht das Buch seiner Konsulat- und Kaiser-Wahl, worin die Nation ihre Geldsummen eingeschrieben, immer aufgeschlagen, der Reichs-Anzeiger nämlich, das goldene Buch für Luthers Adel, überhaupt ein Werk, das in späten Zeiten von ganz andern Deutschen wird studiert werden, als die es jetzo schreiben, weil man recht gut einsehen wird, daß es der beste deutsche Tacitus de moribus Germanorum ist, den man seit dem lateinischen hat? –

Wir kehren aber zum Poch-, Wasch-, Röst-, Schmelz- und Treibwerke zurück, zum Kapitale, das, als Ehrenschuld an Luther, die Religionoperationkasse sein kann, von der sich mehre außer mir so viel versprechen. Stehe doch die Summe nur so lange auf Kredit als der Protestantismus selber aus: so muß sie ja, hoff' ich, da Geld wie Schnecken, Seehasen und Blumen sich mit sich selbst vermehrt, zu solchen Millionen wachsen...... In der Tat ich sonne mich im Goldglanz. Allein eben dieser Religionfond, diese lutherische biblia in nummis (biblisches Münzkabinett) sinds ja, was der Anhänger so wünscht. Nach den ersten Jahrhunderten stiege der Gotteskasten dermaßen, daß man eine Luthers-Bank errichten könnte und müßte; – ein Bankodirektor (ein Generalsuperintendent sei es) würde angestellt und dazu viele Kassierer samt anderen Bankoffizianten – jährlich wüchse Geld und Dienerschaft – dieses schöne patrimonium Pauli, entgegen dem päpstlichen patrimonium Petri, gediehe zu lutherischen Besitzungen in Indien oder in Mansfeld. Andere Dinge würden auf die leichteste Art mit dem Luthers-Kapitale verbunden, z. B. Bergwerks-Kuxen, Lotterie und Lotto u. s. w. Und endlich würde vielleicht das Schönste und Wichtigste versucht, nämlich es würde jedem Protestanten etwas von der Luthers-Kasse vorgestreckt..... Ich denke, dann ists genug. Ein Mann, der Kredit gibt, bekommt täglich mehr Kredit; und mehr gehört zu keiner Unsterblichkeit. Luther lebt so lange als England.

Hiemit schließe ich mein kleines Ideen-Magazin ab und zu. Geld wollt' ich dem corpus evangelicorum überall ersparen – dessen bin ich mir bewußt –, und sollte die Mansfelder Gesellschaft auch nur einen Groschen Einrückgebühren meinetwegen aufwenden, so könnt' ich nichts davor. Indessen so viel erwartete das Europa, das ich kenne, von jeher von der Mansfelder humane Society, daß sie, schreibe sie für oder wider mich, und wohne der eine oder der andere auf den 200 Brandstellen in Eisleben oder in der Siebenhitze, einem Ehrenmitgliede stets im Reichsanzeiger mit jener Höflichkeit etwas auf sein Magazin antworten und versetzen werde, die bisher den einzigen und daher letzten Unterschied zwischen uns und den Holländern gemacht und unterhalten hat, welche wirklich im philologischen Fache sonst zuweilen das äußerten, was man früher in Griechenland Grobheit hieß.

Musurus,
Ehrenmitglied.

 
So weit Musurus. Ich würde mich ordentlich lächerlich machen, wenn ich ausführlich bewiese, daß vieles, wo nicht mehr, in dessen Magazin satirischer gemeint sei als ernsthaft; weil man den Aufsatz nur einigemal zu lesen braucht, um gerade hinter dem Feierkleide des Ernstes die Fastnachtlarve des Spaßes zu erblicken. Freilich fiel manches unter der Aufrichtung von Luthers Obeliskus weniger groß als (wenn auch nicht kleinlich, doch beinahe) klein aus, von der Einladschrift und Einlaufsumme an bis zu wenigen Vorschlägen ihres Verbrauchs; und Musurus' Scherz und jeder Scherz verkleinert vollends alles, sogar das Kleinste. In unsern kalten, geizigen, glaubenslosen Tagen, wo die Religion nur noch die Kabinette und Gerichtsstuben hat (nicht diese etwa jene), ist die Erscheinung herzerhebend, daß man noch des alten herrlichen Luthers, dieses Höllenstürmers vormaliger Himmelstürmer, durch ernste Taten gedenkt, indem auf der einen Seite eine von seiner Erinnerung begeisterte Gesellschaft rastlos und mutvoll ein anfangs so wenig versprechendes Unternehmen verfolgt, und indem sie auf der andern sich durch einen tätigen Anteil von vielen Seiten, wenn nicht belohnt, doch ermuntert sieht. Wessen Herz aus Religion und Menschenliebe die Nahrung zieht, dem quillt sie reichlich aus dem Anblicke einer gebenden Vereinigung zu, welche für einen höhern Zweck als gewöhnliche Waisenhaussteuer und aus höherem Triebe opfert; auch wer seine Hand nicht öffnete, muß geneigt sein, jede brüderlich zu drücken, die sich aufgetan. Eine Opferflamme entzündet die andere, und vielleicht ist der edle Schiller seine Todes- und Unsterblichkeits-Feiertage den Gerüsten zu Luthers Tempel schuldig. Auch dem Reichsanzeiger komme – bei der deutschen Staatenzersplitterung, welche nur vertiefte Gläser zum Zerstreuen, nicht erhobene zum Sammeln vorhält – sein Lob, das deutsche Unterhaus zu sein, welches deutsche Stimmen und Ohren und Gaben sammelt.

Oft wiegt die Bewunderung mehr auf der Geisteswaage als ihr Gegenstand; und folglich könnte die Begeisterung für Luther sich selber adeln, unabhängig von Luthers Adel. Aber schauet an diesen immer grünen Eichbaum und seine Äste hinauf, an diesen Turm, der immer, wenn nicht ein Leucht-, doch ein Kirchturm war mit Sturmglocken und friedlichem Glockenspiele. Nicht seinen Märterer-Mut acht' ich am meisten, so viel eiserner er auch war, als er scheinen kann. Denn jedes kühne Leben erscheint aus der Vergangenheit nach dem Umsturz der Schreckensbilder nicht so kühn, und daher hat gegen die vielarmige, aus Nebeln schlagende Zukunft nur die große Seele Mut, gegen die ausgerechnete nackte Vergangenheit aber ein jeder – Luther stand noch in den witterhaften Grubenwettern, die er anzündete und für uns entwickelte zu reiner Luft. – Folglich bewundere ichs auch nicht am meisten, daß er, zu kräftig, ein bloßer gleitender Dielenglätter (Zimmerfrotteur) der Kirche zu sein, lieber gleich Simson die Säulen angriff und umwarf. Sogar dies, daß er einen kernderben Deutschen in allen festen Muskeln und feinsten Nerven, einen Geharnischten voll Krieglust und voll Ton- und Kinderliebe darstellte, sogar diese Gottesaussteuer reicht nicht an sein anderes, schönstes Herzgut hinan, daß er nämlich – weder ein Dichter noch ein Schwärmer, sondern vielmehr ein vielseitiger Geschäftseher – doch an Gott, an sich und sein Recht glaubte und mit diesem heiligen Glauben des Rechts, ohne welchen das Leben weder Ziel hat noch Glück, wie neben einem Gott durch seine lange Laufbahn dreist und lustig schritt. Dieser nur aus der heiligsten Tiefe eines Gemüts wieder in ein heiligstes Leben aufsteigende Glaube überwindet die Welt, die fremde und die eigne, die Drohung und die Lust, und die ganze gemeinere Menschheit würde zu einer heiligen werden, ginge ihr der Gott voraus, welchen die höhere in sich mitträgt. Luther hatte jenen himmlischen Mut im Herzen, wodurch sogar sein irdischer an Wert verliert, weil dieser dann dem Mute von Homers Göttern oder Miltons Engeln gleicht, die nur den Schmerz, aber nicht den Tod empfangen konnten. – O richtet doch dem Seelenmute Denkmäler auf, nicht bloß weil er das ewig wiederkehrende, mehr auf der Menschheit als auf der Zeit thronende Papsttum erschüttert, sondern weil er allein die schleichenden Jahrhunderte wie mit zornigen Flügeln in die Höhe auftreibt.

Welche reine, widerirdische, höhere Wünsche und Meinungen halten sich nicht Jahrhunderte lange in tausend stillen Herzen auf – und nichts geschieht als das Gegenteil –, bis endlich ein Mann zur Keule greift und jede Brust aufspaltet und dem Himmel so viel Luft macht, als die Hölle vorher hatte.

Wir kommen auf das Denkmal endlich. Was will überhaupt irgendeines? Unmöglich Unsterblichkeit geben – denn jedes setzt eine voraus –, und nicht der Thronhimmel trägt den Atlas, sondern der Riese den Himmel. Sind die Taten nicht durch Mund oder Schrift in die Welt übergegangen: so ist die Ehrensäule nur ihre eigne; und der goldne Name oben müßte wie der zufällige Bleifedername unten wirken, den die vorüberlaufende Kleinheit daranschreibt. Luther vollends – dessen Siegzeichen Länder und Jahrhunderte und dreißigjährige Kriege sind – braucht wenig, als ein blitzendes Wagengestirn am deutschen Himmel stehend, ja aus gleichzeitigen Sternen damaliger Zeit als Polarstern übrig geblieben. Es gibt also nur zweierlei Denkmale – da das dritte sich der Taten-Mensch selber aufrichtet auf Jahrhunderten durch ein Jahrhundert –, nämlich nur zwei körperliche. Das erste, in der Erscheinung gemeine trägt der Seelentriumphator oder ein Donnermensch wie Luther selber an sich, den Leib. Das ehrwürdige Streben der Menschen nach Reliquien eines geheiligten Menschen wirft Abendstrahlen auf das erste Denkmal, das einer großen Seele die Natur selber mitgegeben, den Körper, und dieser zieht alles in seine verklärende Nachbarschaft. Wie Heiligenleiber die Andacht fremder Seelen nähren, die sie vielleicht der eignen erschwerten: so umschließt das Grab eines großen Mannes die wahre Reliquie, welche, zumal an Jünglingen, die Wunder der Stärkung und Heiligung tut. Wenn die Griechen ihren Themistokles in Magnesia auf dem Markte begruben und den Euchitas zu Platäa im Tempel Dianas; wenn sonst die Christen ihre Kaiser und Bischöfe in die Vorhöfe der Tempel; und wenn ein Heiliger und ein Altar immer zusammenkommen: wär' es nicht ein seelenweckender Gebrauch, wenn Herz- und Kraftmenschen, die gegen die Zeit Sturm gelaufen, die ganzen Ländern und Zeiten Angelsterne, Schutzengel oder Huldgötter gewesen, für ihre Überreste in den Kirchen ihre letzte Stätte fänden? – Ja, ließe einmal Deutschland gemeinschaftliche Hauptstädte und darin etwas Höheres als eine Westminsterabtei – weil in diese Rang und Reichtum ebensowohl führen als Wert –, nämlich eine Rotunda großer Toten bauen und einweihen: wohin könnte der Jüngling schöner wallfahrten und sich mit Feuer für das Leben rüsten als zu und in diesen heiligen Gräbern?


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