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Enttäuschungen

Nun war der Winter vorüber, Schnee und Eis waren längst geschmolzen, alle Unbilden der kalten Jahreszeit vergessen. Der Mai war mit Blütenduft und Sonnenschein ins Land gezogen. Alles grünte und blühte, der Flieder prangte mit dem Goldregen zum Schmuck der Gärten um die Wette, die Vögel sangen und freuten sich über ihr Dasein, und die Menschen genossen, neu belebt, die schöne Maienzeit.

Nun brauchte keiner, der auf Reisen ging, sich mit Fußsack und Pelzwerk zu versehen, darum war auch ein junges Menschenkind, das in die Welt reiste, nur mit einem hellen lichten Frühlingsgewand bekleidet und sah fröhlich zum Zug hinaus, um in schnellem Lauf grüne Bäume, blumige Wiesen, blühende Gärten an sich vorüberziehen zu sehen.

Frieda war auf der Reise zur Hochzeit in Buschrode. Das Gewand, das sie als Brautjungfer tragen wollte, lag wohlverwahrt im Koffer, auch das schöne Kissen, worauf sie für Martha den Brautkranz bringen wollte. Sie wunderte sich nur, daß sie Lina in Holtenow nicht an der Bahn getroffen hatte. Die war als alte Pensionsbekannte auch von Martha zur Hochzeit geladen. Frieda hatte sich mit ihr verabredet, die Reise zusammen zu machen. Sie war nicht am Bahnhof gewesen, gewiß hatte sie, wie es bei ihr zu erwarten stand, den Zug versäumt und kam mit einem späteren. Frieda konnte aber nicht warten, sondern mußte jetzt fahren, weil sie mit dem Wagen in Neuburg erwartet wurde. Hoffentlich traf sie in der Hauptstadt mit den Tanten zusammen. Auch da war niemand Bekanntes zu sehen und zu hören. Sie fuhr in der Voraussetzung weiter, die Tanten seien vielleicht schon lange in Buschrode, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Sie sah unterwegs aus dem Abteil, als sie hinter der Station war, wo sie damals steckengeblieben waren. Lebhaft trat ihr das Bild der Verzweiflung vor Augen, als es hieß: »Bis hierher und nicht weiter.« Wie gut, daß nun Frühling war und kein Hemmnis dieser Art in den Weg treten konnte.

In Neuburg solle sie zu Tante Kathinka gehen, Christian werde, wenn er ihre Sachen von der Bahn geholt habe, dorthin kommen, um sie beide abzuholen. Sie freute sich schon auf diesen kurzen Besuch. Wie erstaunte sie, den Wagen aus Buschrode am Bahnhof zu finden. Nicht Christian, sondern ein fremder Mann aus dem Dorf saß darauf und winkte ihr. »Fräulein möchten gleich aufsteigen, Frau Schubert sei schon in Buschrode«, bestellte der Mann. Verwundert fragte Frieda, ob Christian krank sei? Er wisse es nicht, hieß es, er habe nur Weisung, das Fräulein von der Bahn zu holen.

So ließ Frieda ihr Gepäck von einem Dienstmann auf den Wagen bringen, und fort ging die Reise. Es beschlich sie plötzlich eine bange Ahnung, als ob nicht alles sei, wie es sein sollte. Sie verscheuchte jedoch energisch die trüben Gedanken und nahm sich vor, recht fröhlichen Herzens die Hochzeit mitzufeiern. War doch alles in der Natur dazu angetan, das Menschenherz froh zu stimmen. Die schlanken Birken da am Wege mit ihren weißen Stämmen und den graziösen Zweigen, die ihr freundlich zuzunicken schienen, die grünen Kornfelder, die sich leise im Winde hin und her bewegten, dort am Graben die Vergißmeinnicht, die zum Pflücken einluden, dazu der blaue Himmel und der Sonnenschein.

Jetzt kamen sie dem Dorfe näher. Der Kirchturm hatte schon lange heimatlich herübergegrüßt, jetzt lagen alle die bekannten Höfe und Häuser vor ihr. Dort, hinter den Linden versteckt, das Pfarrhaus, das sie morgen mit Girlanden und Kränzen schmücken wollten. Nun rasselte der Wagen durchs Dorf, hier und dort tauchten bekannte Gesichter auf, die freundlich grüßten. Jetzt lenkte der Wagen in den Pfarrhof ein. Nun würde sich die Tür öffnen, wie sonst immer – doch heute blieb alles still. Nichts regte sich. Der Wagen hielt, da kam Marie, das Hausmädchen, heraus. Sie grüßte still und hatte, wie Frieda bemerkte, verweinte Augen. Still nahm sie das Gepäck vom Wagen, während Frieda mit bangem Gefühl das Haus betrat. Da öffnete sich eine Tür, Großtante Kathinka trat heraus. Auch sie hatte geweint. Sie umarmte Frieda schweigend, dann flüsterte sie: »Mein liebes Kind, aus der Hochzeit wird nichts, ich habe es längst geahnt.« Es war Frieda, als ob alles in ihr stockte. Sie hatte gehofft, in ein Hochzeitshaus zu kommen, wo Freude und Frohsinn herrschte, und nun dies!

»Wo ist Martha?«

»Sie und die Mutter haben sich eingeschlossen.«

»Und der Vater?«

»Mußte schleunigst abreisen, um Erkundigungen einzuziehen. Es liegt wahrscheinlich ein großer Schwindel vor –«

»Aber die Hochzeitsgäste, die alle heute eintreffen sollten –«

»Wurden gestern noch sämtlich abtelegraphiert –«

Nun erklärte sich Frieda Linas Nichterscheinen am Bahnhof, sowie etliches andere. Sie ging mit der Tante hinein, während diese sagte: »Du solltest kommen, du bist hier jetzt hochnötig, liebes Kind. Martha bedarf großer Liebe und großer Schonung.«

»Was ist denn nun aber in aller Welt passiert, liebste Tante? Erkläre doch die traurige Sache.«

»Komm, wir gehen in den Garten, da hört uns niemand.« Die Tante berichtete nun, daß Martha seit Ostern nur selten Briefe bekommen habe, auch daß Riedeck sonderbare Äußerungen dahin getan hätte, als ob ihm Schweres bevorstände, ob sie sich stark genug fühle, es mit ihm zu tragen. Nun kam vorgestern ein Brief, worin er sie freigibt, er sei zu der Überzeugung gekommen, sie passe nicht zu ihm. Er wisse, daß sie ihn sehr liebe, aber er hätte erkannt, daß sie keinen starken Charakter habe, sondern schwach und unselbständig sei, da sei es besser, er trenne sich von ihr. Mit der Stelle am Konservatorium sei es nichts geworden, und als Musiklehrer verdiene er nicht genug, um ihr, die ziemliche Ansprüche mache, ein anständiges Heim zu bieten.

»Dann hat er sie auch nicht wirklich geliebt«, rief Frieda erregt, »dann war es auch, wie ich von Anfang an gesagt, nur auf ihr Geld abgesehen.«

»Hast du ihr das gesagt?«

»Das hat sie mir ja gerade so übelgenommen. Deshalb hat sie sich mir entfremdet, hat ihr Vertrauen zu mir verloren«, sagte Frieda schmerzlich bewegt. »Aber warum ist ihr Vater denn nach München gereist? Hoffentlich soll er ihn nicht bereden, doch noch in die Heirat zu willigen.«

»Nein, liebes Kind, das ist ein ganz anderer Grund. Riedeck kam Ostern mit einer Reihe von Musterbüchern, die Zeichnungen enthielten von kunstreich geschnitzten Möbeln. Er wußte es als praktisch darzustellen, daß Martha und die Eltern die Möbel aussuchten, und er sie dann kaufte und sie gleich in die Wohnung, die das künftige Heim bilden sollte, bringen ließ. Es sei doch viel schöner, stellte er ihnen vor, als wenn sie als junges Ehepaar die Sachen kauften und dann erst alles einrichten müßten. Wäre das zukünftige Heim Marthas in der Nähe gewesen, würde sich's ja die Mutter unter keiner Bedingung haben nehmen lassen, die Einrichtung selbst zu besorgen, aber die große Entfernung machte es unmöglich. Martha und die Mutter waren sehr dafür, daß Riedeck, den sie für sehr praktisch hielten, den Einkauf der Möbel besorgte und das Heim mit Hilfe seiner Wirtin einrichtete. Der Vater war erst dagegen, er hatte wohl etwas Mißtrauen, ich weiß es nicht. Er wurde aber überstimmt und gab schließlich nach. Eine namhafte Summe wurde dem Verlobten Marthas zum Einkauf der Möbel übergeben, und nun war in den Briefen von dem Gelde, das er natürlich wieder herausgeben muß, gar nicht mehr die Rede. Darum hat sich Marthas Vater schleunigst aufgemacht, um über alles Klarheit zu bekommen.«

»Wenn der Mensch nur nicht das Geld eingesteckt hat und über alle Berge ist!«

»Ich fürchte es auch«, meinte die Tante, »wer weiß, wie viel Trauriges uns in diesen Tagen noch bevorsteht. Martha, die zuerst außer sich war, sitzt jetzt ganz still und sieht starr vor sich hin, und ihre arme Mutter, die selbst elend ist, sucht ihr einziges Kind zu trösten, aber bis jetzt ohne Erfolg.«

Frieda war tief ergriffen von allem, was sie gehört hatte. »Wie fröhlich reiste ich ab«, rief sie aus, »ohne zu ahnen, wie traurig die Ankunft hier sein würde!«

Sie gingen eine Weile schweigend im Garten auf und nieder. Die ganze Pracht des Frühlings hatte sich entfaltet, die Bäume blühten in seltener Fülle, der Rotdorn prangte im schönsten Schmuck, es war, als ob der Garten sich besonders festlich zu Ehren der jungen Braut geschmückt habe, die nun tiefbetrübt in ihrem Zimmer saß und das Schwere, das über sie hereingebrochen war, nicht zu fassen vermochte.

Da begann das Abendläuten, die Vögel sangen ihr Abendlied, und zwischendurch erklang das melodische Flöten der Nachtigall. »Laß uns hineingehen«, sagte die Tante, »vielleicht läßt sich Martha sehen.«

Als sie ins Gartenzimmer traten, kam ihnen die Mutter entgegen. »Ist Frieda gekommen?« wollte sie die Tante fragen, da hatte die Pflegetochter sie schon weinend umarmt.

»Mein liebes Kind«, sagte Frau Charlotte mit leiser Stimme, »so hatten wir uns die Tage der Hochzeit nicht gedacht, auf die Tage der Freude sind bittere Wermutstropfen gefallen.«

»Gott, der Herr, hat auch hier Gedanken des Friedens«, sagte Frieda einfach. »Er wird alles wohl machen.« Sie erschrak, als sie sah, welche Veränderung mit der Pflegemutter vorgegangen war. Ihr Gesicht trug Spuren großen Leides.

Diesen Abend konnte sie Martha nicht sehen. Ihre Mutter hatte darauf gedrungen, daß sie sich zu Bett legte, weil die große Erregung und das tiefe Weh ihres Herzens sie so angegriffen hatte, daß ihr gänzliche Ruhe nottat. »Ich behalte sie unten bei mir«, sagte die Mutter, »du, Frieda, gehst aber hinauf in dein altes Zimmer.«

Ganz eigentümlich berührte es Frieda, als sie sich oben in dem kleinen Reich allein befand, das ihnen beiden gehörte. Dort in der Schlafstube hing an einem Rechen das schöne weiße Brautkleid, das Martha in einigen Tagen hatte schmücken sollen, daneben ein rosa Gewand von duftigem Stoff, das für den Polterabend bestimmt war. Frieda, die mit den Räumen des Hauses vertraut war, nahm vorsichtig die Kleider und trug sie sorgsam in die sogenannte Kleiderkammer, damit Martha, wenn sie nach oben käme, nicht durch ihren Anblick aufs neue erschüttert würde.

Sie konnte noch nicht schlafen, sondern trat ans offene Fenster und sah hinaus. Milde Frühlingsluft umwehte sie, linde Düfte drangen vom Garten herein, in langgezogenen Tönen kündete die Nachtigall, daß der Frühling in seiner ganzen Pracht Einzug gehalten hatte. Lange saß Frieda in Gedanken versunken. So mußte die Geschichte enden! Einen solchen Ausgang hatte sie nicht erwartet. Doch es war besser ungetraut geschieden, als durch die Ehe aneinander gekettet, und dann die Erfahrung zu machen, daß der Mann nicht das Ideal war, für das man ihn gehalten hatte. Frieda bat Gott, Martha nicht verzweifeln zu lassen, sondern sie den Trost finden zu lassen an der rechten Quelle, nämlich in seinem Wort. Sie bat ihn, daß er ihrer Pflegeschwester helfen wolle, daß sie in ihm Frieden finden möchte.

Dann schloß sie das Fenster und legte sich ins Bett. Aber lange dauerte es, bis die Augen sich schlossen, das Ganze hatte sie derartig erregt, daß kein Schlaf kommen wollte. Erst gegen Morgen überwältigte sie die Müdigkeit, und sie fiel in einen tiefen Schlaf.


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