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Der Diebstahl

Es war gar nicht so leicht, in dem großen Schloß allein mit den Kindern und der Dienerschaft zu leben. Besonders diese erkannte die Autorität des jungen Fräuleins nicht an und erlaubte sich manche Übergriffe. Wohl bemerkte Frieda, daß die Mädchen träge waren und es mit der Arbeit nicht ernst nahmen, daß sie viel schwatzten und lachten, unbekümmert, ob sie es hörte oder nicht. Wies sie auf etwas hin, was wohl gemacht werden müsse, so hatten sie Ausreden und taten, was ihnen beliebte. Frieda sehnte die Rückkehr der Herrschaften herbei, da die Verantwortung sie drückte. Es kam vor, daß man bei Ausgabe von Vorräten mehr beanspruchte, als ihrer Meinung nach gebraucht werden konnte. Als einmal eine Frau aus dem Dorf, die bei der Wäsche half, Seife forderte, und als Frieda herausgegeben hatte, was gefordert wurde, griff die Frau augenzwinkernd noch nach etlichen Stücken und sagte: »Die Herrschaft hat's, das nehme ich mir mit, hab' daheim viel Wäsche bei meinen Kindern.« Frieda protestierte so energisch gegen solchen Anspruch, daß die Frau, was ihr nicht gehörte, herausgab. Frieda suchte ihr klarzumachen, daß dies unehrlich sei, was ihr ein finsteres Gesicht und die freche Antwort eintrug, sie sei keine unehrliche Frau, das habe ihr noch niemand gesagt, daß sie unehrlich sei. – Frieda merkte dann an dem Benehmen der Dienerschaft gegen sie, daß die Sache in den Wirtschaftsräumen zu ihren Ungunsten besprochen worden war.

Solche Erfahrungen mußte sie öfters machen. Aber sie ging ihren geraden Weg; Wahrheit und Klarheit kennzeichnete dabei ihr ganzes Wesen. Darum blieb sie auch stets trotz aller Anfechtungen ein fröhliches Gotteskind, konnte ihren Zöglingen in jeder Beziehung viel sein, war ihnen wohl eine strenge Lehrerin, aber außerhalb der Stunden eine Freundin, die an allen ihren kleinen Interessen herzlich Anteil nahm, mit ihnen spielte und froh war, so daß die Kinder unter ihrer Obhut wohl beraten waren und körperlich und geistig gediehen.

Eine Fahrt nach Holtenow wurde immer mit großer Freude begrüßt. Doktors Kinder und die Grünbacher waren längst die besten Freunde, und die Arztfrau schwärmte für Frieda, die einen so guten Einfluß auf ihre Lina ausübte. Auch im Pfarrhaus war Frieda eingekehrt und hatte den jungen Pfarrer begrüßt. Sie waren immer gute Freunde gewesen, hatten manches ernste Gespräch miteinander gehabt und freuten sich beide über das Wiedersehen. Frau Zellers Bleiben war nun nicht mehr lange, sie mußte zu ihren Kindern zurück, war aber fest entschlossen, mit ihnen zu Ostern ganz zu dem Bruder zu gehen.

So nahte die Weihnachtszeit. Frau Mehnert hatte schon geschrieben, daß sie alle Tage schöne Einkäufe für die lieben Kinder mache und daß sie hoffe, in acht Tagen daheim zu sein. Auch aus Buschrode kam ein Brief von Martha, zu Friedas Freude das erstemal wieder herzlicher und freundlicher. Sie lud Frieda zugleich im Namen der Eltern ein, das Weihnachtsfest bei ihnen zu verleben, und bat so dringend, daß Frieda, die eigentlich nicht an Reisen gedacht hatte, nicht anders als zustimmend schreiben konnte.

Gerade als dieser Brief gekommen war, sollte am Nachmittag ein Ausflug ins Städtchen unternommen werden. Die Arztfrau hatte um alle Kinder bitten lassen, damit der Geburtstag ihrer Elli würdig gefeiert werden könne. Frieda war durch den Buschroder Brief auch in munterer Stimmung, so gab es eine lustige Gesellschaft im Doktorhaus, die wegen des Geburtstages etwas länger dauerte als sonst. Sehr vergnügt trat man den Rückweg an. Plötzlich schrak Frieda zusammen. Als es nach Tisch eilig fortging, hatte sie vergessen, den Schlüssel vom Silberschrank abzuziehen, hoffentlich fand sie alles unversehrt vor. Als sie sich dem Schloß näherten, waren die Fenster des Eßzimmers hell erleuchtet, die Töne einer Harmonika erklangen in lustiger Weise, auch sah man tanzende Paare am Fenster vorüberschweben. »Was ist hier los?« rief Frieda dem jungen Kutscher zu, der jetzt gerade vor dem Schloß hielt.

»Sie feiern den Geburtstag der Luise«, sagte der junge Mensch und schmunzelte. Frieda ging eilig nach oben, die Kinder folgten neugierig. Sie öffnete hastig die Tür zum Eßzimmer und blieb in der offenen Tür stehen, die Kinder umringten sie und riefen: »Das wollen wir aber der Mama schreiben, unsere Dienerschaft gibt hier in unserm Eßsaal einen Ball.«

Plötzlich verstummte die Musik, die Paare blieben verlegen stehen oder verschwanden durch eine zweite Tür.

Frieda äußerte nur gegen die Wirtschafterin, daß solche Geschichten den Herrschaften wohl nicht angenehm sein würden, was ihr die Antwort eintrug: »Fräulein haben ja nicht nötig uns anzuklagen.« Darauf verließ auch sie mit ihrem Tänzer den Saal.

Frieda eilte sofort nach dem Schrank, er war verschlossen, der Schlüssel war abgezogen. Beunruhigt forschte sie nach, keiner wollte einen Schlüssel gesehen haben, auch hier mußte sie wieder die spitze Bemerkung hören: »Fräulein schließen ja alles immer sorgfältig ab und werden den Schlüssel wohl selbst verlegt haben.«

Es beunruhigte sie so, daß sie am Abend nicht einschlafen konnte. Immer meinte sie Schritte zu hören, aber es waren wohl nur ihre aufgeregten Nerven. Endlich schlief sie ein wenig ein. Doch plötzlich erwachte sie durch, das Knarren einer Tür. Sie setzte sich aufrecht und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Jetzt vernahm sie ein deutliches Geflüster. Schnell warf sie sich ihr Morgenkleid über und schlich leise an die Tür.

»Ich habe den Schlüssel, sie hatte ihn stecken lassen«, hörte sie deutlich eine Stimme. Es waren also zwei, die zu stehlen beabsichtigten. Allem Anschein nach waren die Diebe aus dem Hause, es galt nur, die Personen festzustellen, ohne entdeckt zu werden. Sie hörte sie in ein Zimmer gehen, das neben ihrem und dem Schlafzimmer der Kinder lag. Leise, wie auf Socken, hörte sie es gehen, dann knarrte wieder eine Tür, nun waren sie wohl am Silberschrank. Ganz behutsam klinkte sie ihre Tür auf und sah einen schwachen Lichtschimmer aus der zweiten Stube kommen. Ohne sich zu bedenken, schlich sie durch das dunkle Kinderzimmer und stand an der Tür des Eßzimmers, die nur angelehnt war. Sie hörte deutlich flüstern, man war am Silberschrank, der am andern Ende des Saales stand, gerade der Tür gegenüber. Sie hörte den Schrank schließen und wußte nun, daß man ihr den Rücken zukehrte. Leise stieß sie die Tür ein wenig auf, so daß sie einen vollen Blick auf die Gruppe hatte. Sie erkannte deutlich den jungen Diener Max und das Zimmermädchen, das sie oft durch ihre Trägheit und ihr freches Betragen geärgert hatte. Nun hatte sie genug gesehen, die Diebe liefen nicht davon. Ebenso leise, wie sie gekommen, schlich sie zurück und ging in ihr Bett. Laut klopfte das Herz und mit ängstlicher Spannung lauschte sie auf jeden Ton. Es dauerte nicht lange, so hörte sie wieder das Knarren der Tür und das Huschen über den Korridor. Dann wurde alles still. Aber in ihr wogte und stürmte es. Die Diebe hatte sie erkannt, aber sie fühlte sich unter dieser Gesellschaft wie verraten und verkauft. Da konnte ihr nur der alte Diener helfen; zu dem hatte sie Vertrauen. Er war auf mehrere Tage verreist, aber er sollte heute zurückkommen; war er da, so wollte sie mit ihm reden, sonst mit dem Inspektor, der aber auch gerade auf zwei Tage in Geschäftsangelegenheiten abwesend sein mußte. Das hatten sich die andern Dienstboten zunutze gemacht.

Sie vermochte diese Nacht kein Auge zuzutun, die Kinder lagen im festen Schlaf, alles war jetzt still im Schloß, nur die große Uhr unten in der Halle schlug drei. Von da an hörte sie Stunde um Stunde schlagen, sie war froh, als es sechs war. Allmählich wurde Leben im Schloß, zu ihrer Freude hörte sie die Stimme des alten Dieners, wie dankte sie Gott, daß er wieder da war; auf ihn setzte sie alle ihre Hoffnung.

»Fräulein, Sie sind krank, Sie sehen so blaß aus«, sagten die Kinder, als sie ihrer Lehrerin ›guten Morgen‹ sagten. »Ich habe nicht gut geschlafen, ihr müßt mir heute Freude machen und aufmerksam sein.«

Da hörte sie den alten Diener sagen: »Es sind Diebe im Schloß gewesen, die Fenster im Eßzimmer stehen auf, zum Fenster sind sie hereingestiegen. Mein schönes Silberzeug, der Schlüssel steckt. Hat das Fräulein vergessen zuzuschließen? Sie ist doch sonst so gewissenhaft!«

Alles lief zusammen, staunte und wunderte sich. Unter ihnen der junge Diener, der ein großes Wort führte, mit überzeugender Stimme darlegte, wie er unten im Garten Fußtritte wahrgenommen habe. Das Zimmermädchen Luise unterstütze ihn in diesen Behauptungen, während die andern kopfschüttelnd dabeistanden und sich wunderten, daß niemand etwas gehört habe, selbst der Wächter nicht.

Frieda und die Kinder standen natürlich auch dabei, und sie bekannte der Wahrheit gemäß, daß sie vergessen habe, den Schlüssel abzuziehen. Während sie dies dem alten Diener sagte, beobachtete sie scharf das Gesicht des jungen. Sie sah, wie er rot wurde, sich mehr und mehr in den Hintergrund zurückzog und allmählich verschwand. Als die übrige Dienerschaft sich dann auch zerstreute, immer laut über den Einbruch schwatzend und ihre Vermutungen aufstellend, flüsterte Frieda dem alten Friedrich zu, er möchte in ihr Zimmer kommen, sie habe ihm eine wichtige Mitteilung zu machen.

Hier vertraute sie ihm ihr nächtliches Erlebnis an. Er nickte nur immer mit dem ergrauten Haupte und sagte: »Dem Schurken ist alles zuzutrauen, habe schon lange Mißtrauen gegen ihn gehabt. Natürlich ist er der Dieb. Nun lassen Sie es mich nur machen, Fräulein, den fassen wir bald ab. Jetzt geh ich zum Herrn Inspektor, wir beide wollen die Sache schon machen.«

Es war kaum eine Stunde vergangen, so waren ein paar Gendarmen aus der Stadt da. Es wurde Haussuchung gehalten, der sich jeder unterwerfen sollte. Man fing aber zuerst beim Max an, der käseweiß wurde, weil er nicht erwartet hatte, daß das Gericht so schnell hereinbrechen würde. Am Nachmittag wollte er um Urlaub bitten, um seine Eltern zu besuchen, und dann das Gestohlene in Sicherheit bringen. Ein Dutzend schwer silberne Löffel wurden bei ihm gefunden, eine silberne Suppenkelle, inwendig vergoldet, bei dem Mädchen. Es half kein Schreien und Klagen, sie wurden beide mitgenommen und in Gewahrsam gebracht.

Das machte tiefen Eindruck auf die übrige Dienerschaft. Still und scheu gingen sie im Schloß umher und sahen Fräulein Senker immer von der Seite an, weil Friedrich ihnen gesagt hatte: »Vor dem Fräulein nehmt euch in acht, das ist eine Kluge, sie hat alles ans Licht gebracht.« Sie hatten Furcht, daß auch das Tanzvergnügen noch seine Strafe nach sich ziehen würde; denn daß man alles melden würde, konnten sie sich denken.

Am dritten Tage nach diesem Ereignis kam die Herrschaft nach Hause. Der Inspektor hatte über den Einbruch berichtet, da hatte man schleunigst die Koffer packen lassen und sich zur Heimreise gerüstet.

Frieda bekannte ihre Schuld und meinte, sie habe die Leute durch ihre Vergeßlichkeit in Versuchung geführt. Frau Mehnert tröstete sie mit den Worten, daß jeder einmal etwas vergessen könne; sie hätten von ihrer Jugend zu viel verlangt, das hätten auch etliche ihrer Bekannten gesagt, wenn sie gehört, daß sie die junge Erzieherin allein mit den Kindern im Schloß gelassen und die ganze Verantwortung ihr überlassen hätten.

»Man sieht's Ihnen an, liebes Fräulein, wie Sie gelitten haben, blaß und mager sind Sie geworden. Dafür sollen Sie nun in den Weihnachtsferien nach Hause reisen und sich dort recht erholen.«


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