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29. Siehe, ich verkündige euch große Freude.

Die Großmama und die Kinder hatten herrlich geschlafen. Man hatte Frau von Busch lange nicht so fröhlich gesehen als heute. Wiewohl sie in diesem Jahr wenig zu verschenken hatte, so freute sie sich an dem Jubel der Kinder und an dem ganzen Leben des Hauses, das so wohltuend für alle war. Mit wahrer Ehrfurcht und Liebe wurde sie stets von der Forstmeisterin behandelt, sie konnte es von der eigenen Tochter nicht besser wünschen. Luischen, das liebe Kind, sah ihr alles an den Augen ab, Magda aber, als rechte Enkelin, war von jeher ihr Liebling und blieb es. Als heute morgen Irene den Kopf zur Tür hereinsteckte und fragte: »Darf ich Sie heute zum Kaffee holen,« da erfaßte sie gegen dies junge Mädchen solche Liebe, daß sie ihr nicht nur, wie gewöhnlich die Hand reichte, sondern sie zu sich herniederzog und ihr einen Kuß auf die Stirn drückte. Irene hätte sie umschlingen mögen, es war ja ihre liebe Großmutter, aber sie durfte sich nicht verraten. Sie zog die Hand der alten Dame durch ihren Arm und leitete sie behutsam ins Eßzimmer, wo bereits die übrige Familie versammelt war, auch Dr. Wendt. Der Forstmeister las wie gewöhnlich einen Abschnitt aus der Bibel, dann setzte man sich zum Kaffee.

Dr. Wendt hatte viel mit Irene zu flüstern, nach dem Kaffee waren sie beide verschwunden. Es währte nicht lange, so erschien Irene wieder, näherte sich dem Forstmeister mit holdem Erröten und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser flüsterte seiner Gattin etwas zu, worauf beide aufstanden und mit Irene das Zimmer verließen. »Was habt ihr, Kinder?« fragte Frau von Busch unruhig. »Lauter Weihnachtsgeheimnisse, Mamachen,« rief der Forstmeister lächelnd, und Magda, die sich wohl denken konnte, daß Irene die Eltern nach oben holen wollte, umschlang die Großmutter und rief: »Großmama, für dich ist die allergrößte Überraschung bereitet, heute abend wirst du es sehen.« »Kinder, gebt für mich nicht viel aus, ich alte Frau bedarf weiter nichts, als daß ich hier in Frieden unter euch wohne.« Magdas Augen leuchteten. »Aber, Großmama, vielleicht wird dir eine recht große Freude beschert vom lieben Gott.« Die Großmutter schüttelte den Kopf. Luischen, die neben Frau von Busch stand, streichelte ihr die Wangen. Dann führten beide Enkelinnen sie in ihr Zimmer zurück, denn es gab in den andern Räumen viel zu ordnen und herzurichten zum heiligen Abend, und der alten Dame war es so am liebsten. Sie liebte jetzt sehr die Stille; sie mochte sich gern versenken in die alten Zeiten. Viel hatte sie verkehrt gemacht in dem stolzen Sinn ihres Herzens. Jetzt, wo sie gelernt hatte, zu den Füßen Jesu zu sitzen und ihm zuzuhören, wußte sie, daß ihr Rennen und Laufen nach eitler Ehre, nach Ruhm und Glanz alles nichtig gewesen, jetzt begehrte sie nichts weiter, als reich zu werden in ihm. Nur das eine betete sie immer wieder, daß die bösen Worte, welche sie in der Heftigkeit gegen ihren Sohn ausgestoßen, ihr nicht zugerechnet würden, daß der Herr nach seiner Barmherzigkeit sie möchte in Segen verwandelt haben.

So saß sie in ihrem Stübchen und hörte von ferne das fröhliche Treiben der Familie. Ab und zu guckte man bei ihr hinein. Der Forstmeister war bei ihr gewesen, auch seine Frau; in beider Augen war ein so seltsames Leuchten der Freude, war das alles der Weihnachtsglanz? So schön, wie in diesem Hause war ihr nie die Advent- und Weihnachtszeit erschienen. Hier war das Kindlein in der Krippe mit seinen Gnadenschätzen die Hauptsache. »Wär' uns das Kindlein nicht gebor'n, so wär'n wir allzumal verlor'n, das Heil ist unser aller,« sang eben Luischen mit heller Stimme im Nebenzimmer. Und jetzt stimmten die Knaben »O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit« an und sangen es mit Lust und Freude. Das Mittagessen war etwas früher als gewöhnlich. Als es zu dunkeln begann, klopften die Kinder. »Dürfen, wir bei dir bleiben, Großmama, bis die Eltern klingeln?« Und ob Irene mit Dr. Wendt auch kommen dürfte, die Eltern wollten niemand haben als Magda. »Alle sind mir willkommen,« rief die Großmutter, »das Stübchen wird wohl alle fassen.« Sie lud Dr. Wendt ein, sich zu ihr zu setzen, sie hatte den jungen Mann gestern abend, als sie sich längere Zeit mit ihm unterhalten, recht liebgewonnen, auch interessierte sie sich für ihn Irenens wegen. Diese sah Frau von Busch immer mit ganz besonderen Augen an, seit sie wußte, daß sie ihr so nahe verwandt war. Wie würde sie sie aufnehmen, wenn sie erführe, daß sie ihre Enkelin sei. Irene hatte sich von jeher als das arme, von jedermann zurückgesetzte Mädchen betrachtet, sie war in Dürftigkeit und größter Einfachheit aufgewachsen, so daß sie es noch nicht zu fassen vermochte, daß sie das einzige Kind eines reichen Herrn und die Enkelin der verehrten alten Dame sein sollte.

Es dunkelte immer mehr, die Kinder gerieten in freudige Erregung, Dr. Wendt suchte durch allerlei schöne Erzählungen ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. »Nun wird's gleich losgehen,« rief Magda, ins Zimmer tretend. »Mein liebes Kind,« sagte die Großmutter, sie an sich ziehend, »wie freue ich mich, einmal wieder Weihnachten mit dir zu feiern, freilich in ganz anderer Weise als sonst.« »Es war bei dir so prächtig, so schön!« »Aber der innere Glanz fehlte,« seufzte die alte Dame, »der Friede und« – – – Ein lautes Klingeln übertönte der Großmutter Worte. Die Forstmeisterin kam und reichte der alten Großmama den Arm, Magda umschlang Luischen, die beiden Brüder folgten und das Brautpaar machte den Beschluß. Die beiden Flügeltüren wurden geöffnet, ein Lichtmeer strahlte ihnen entgegen, und: »Vom Himmel hoch, da komm ich her«, stimmte der Vater an, die andern fielen kräftig ein. Nachdem vier Verse unter dem brennenden Christbaum gesungen waren, las der Forstmeister das Weihnachtsevangelium, so war es Brauch in diesem Hause. Dann folgte die Bescherung, da sich die Liebe der Familienmitglieder untereinander kund tat. Magda sah immer verstohlen nach der anderen Stube, die ebenfalls hell erleuchtet war, ein Schatten, der sich von Zeit zu Zeit an der Wand bewegte, sagte ihr, daß jemand dort warte, ihr feines Ohr hörte dann und wann einen leisen Seufzer. Die beiden Eltern standen bei der Großmutter und nahmen ihren Dank entgegen für ein schönes Bild, das ihr heimatliches Schloß vorstellte. Der Vater hatte es schon damals anfertigen lassen, er wußte, daß er der alten Dame damit eine große Freude machen würde.

»Aber was ist denn dies?« fragte Frau von Busch, eine eingerahmte Photographie aufnehmend und aufmerksam betrachtend. »Wer kann dies sein?« »Ja, liebe Mutter, das sollst du nun selbst herausfinden, du mußt dich hier ins Sofa setzen, um es genau zu studieren. Ich bin es jedenfalls nicht,« sagte der Forstmeister heiter. Die alte Dame war ganz vertieft in den Anblick des Bildes. »Es sieht jemand ähnlich, den ich kennen muß, mein Gatte ist es nicht – ja – wenn – wenn Adolf lebte, er könnte vielleicht so aussehen – doch nein, er hatte ein so sonniges, heiteres Gesicht. Diese Schwermut, diese Trauer, die in den Gesichtszügen liegt, ergreift mich. Sagt mir, wen stellt das Bild vor? Kenne ich den Herrn?« »Du hast ihn gekannt und kennst ihn noch, liebste Großmutter,« rief jetzt Magda, die sich nicht länger beherrschen konnte und die ja der Großmutter am nächsten stand, um zu wissen, was sie sagte. »Das Bild stellt Onkel Adolf vor, wie er jetzt ist.« »Onkel Adolf! Du willst doch nicht sagen, daß dies mein Sohn Adolf ist, daß derselbe noch lebt?«

»Gott hat ihn bis zu dieser Stunde behütet und ihn hierher geführt, daß seine Mutter ihn wiedersehen und segnen kann.« Frau von Busch lehnte sich zurück und bedeckte beide Augen mit den Händen. »O, mein Gott,« rief sie endlich, »läßt du mich nach deiner Barmherzigkeit diese Stunde noch erleben. Wo – wo ist mein Sohn?« sagte sie aufspringend. Magda hatte die Großmutter umfaßt und geleitete sie in das Nebenzimmer. Dort stand in tiefer Bewegung der Sohn. Jetzt kam er auf die Mutter zu und mit den Worten: »Mutter, vergib mir, schenke mir deine Liebe wieder,« warf er sich vor ihr auf die Kniee, während sie die Hände auf sein Haupt legte und tief erschüttert sagte: »Gott segne dich, mein lieber Adolf.«

Magda hatte schnell wieder das Zimmer verlassen und die Weihnachtsstube betreten, als gerade die Eltern mit den Kindern im Chor anstimmten: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.« Wie schön und feierlich klang es durch den lichten Raum, es war, als öffnete sich der Himmel wieder und die Engel sähen mit Wohlgefallen auf Mutter und Sohn, die nach langen Kämpfen und Irrfahrten in Frieden vereinigt waren. Als der Gesang zu Ende war, betraten beide die Weihnachtsstube. »Wir wollen uns nun gemeinsam freuen,« sagte die Großmama, und die helle Freude strahlte aus ihren Augen.

Nun ging es an ein Beglückwünschen und Erzählen, alles schwirrte durcheinander. »Großmama setzt sich wieder an ihren alten Platz und Onkel Adolf erzählt ihr seine Erlebnisse,« sagte der Forstmeister mit einem Wink zu Irene. »Wenn's dann so weit ist, stellt sich die Enkelin vor,« flüsterte er, »nicht alles auf einmal.« So saßen denn die beiden Hand in Hand, wie staunte Frau von Busch über alles, was sie erfuhr. Von Zeit zu Zeit strich sie mit ihrer Hand sanft über des Sohnes Wange und sagte: »Armer Adolf, wie rauhe Wege bist du geführt worden.« Wie trauerte sie mit ihm, als er von Weib und Kind erzählte und wie ihm beide an einem Tage entrissen worden, wie groß war aber das Staunen, als er ihr mitteilte, daß durch eine wunderbare Fügung Gottes dies Kind nicht verloren sei, sondern von einer edlen Frau zu einer frommen, tüchtigen Jungfrau erzogen und ihm wiedergeschenkt worden sei. »Und wo ist dieses dein Kind?« fragte die Mutter. »Nicht fern von mir.« Er stand auf, faßte Irene bei der Hand und mit den Worten: »Irene, mein liebes Kind, begrüße deine Großmutter,« führte er sie der Mutter zu. »Irene?« rief Frau von Busch erstaunt und erfreut zugleich, »Irene, mein Liebling, du bist meine Enkelin?« »Und Dr. Wendt dein Enkel, liebe Mutter,« fügte Adolf hinzu, den jungen Mann ebenfalls seiner Mutter zuführend. »Vor einem Jahr kam ich mir so arm vor, nun bin ich reich geworden,« rief Frau von Busch bewegt, indem sie dem Brautpaar die Hände drückte. »Wie ist es möglich, daß ein Mensch an einem Abend so viel Freude haben kann?« »Darum haben wir dir auch gar nicht viel geschenkt, Großmütterchen,« sagte der Forstmeister, »wir dachten, du würdest an diesen Überraschungen genug haben.«

Magda stand etwas im Hintergrund und hatte die Gruppe fröhlicher Menschen vor sich. Auf dem Sofa saßen Großmutter und Onkel Adolf, sich immer wieder die Hände drückend und sich in die Augen sehend. Die Eltern standen daneben in traulichem Gespräch, Dr. Wendt sah eben seine Irene an mit einem Blick, der von unbegrenzter Liebe sprach; Luischen war ganz in dem Anschauen eines schönen, eben erhaltenen Buches versunken, und die Brüder stellten ihre Soldaten auf und probierten die Kanonen. Da überkam Magda inmitten der fröhlichen Gesellschaft ein Gefühl von Einsamkeit. Sie sah noch einmal nach dem Brautpaar und Tränen traten ihr in die Augen. Dort trat sie ans Fenster, lehnte den Kopf ans Fensterkreuz und weinte. – Da legte sich eine Hand leise auf ihre Schulter und eine Stimme sprach: »Der Herr hat so weit geholfen, er wird dir weiter helfen, mein liebes Kind. Ich glaube, ich weiß deinen Kummer.«

»O, Mutter, du bist es, ich glaubte, ihr hättet mich alle vergessen.« Und sie lehnte ihr Haupt an der Mutter Brust und weinte bitterlich. Die Mutter strich sanft ihre Wangen und sagte: »Meine liebe Magda, du hast dich brav gehalten, besonders Irene gegenüber.« »Wußtest du es, Mutter?« »Mutteraugen sehen scharf, ich habe es geahnt und dich beobachtet. Gott führt dich einen andern Weg, als du gewollt, aber es ist ein seliger Weg. Wer gelernt hat, sich selbst zu verleugnen, der hat das Schwerste gelernt; nun laß mich deine Freundin sein, laß mich mittragen, was dir schwer wird.« »Es ist schon leichter, da du so zu mir sprichst. Ich glaubte schon, es überwunden zu haben, aber nun, da ich die beiden immer zusammen sehe, ist es schwerer, als ich dachte. Dennoch gönne ich Irene ihr Glück und habe sie von Herzen lieb, sie ist viel besser als ich. Ich will auch nicht traurig sein, weiß ich doch jetzt, daß es ein viel höheres Ziel gibt, als das irdische Ziel der Glückseligkeit; das alles verdanke ich Tante Minchen und Jettchen. Wenn ich sie nicht gehabt hätte an dem traurigen Tag, da alles klar wurde, dann hätte ich mich von meiner Heftigkeit hinreißen lassen und wäre, glaub' ich, recht schlecht geworden. Sie haben mir mit kurzen Worten den rechten Weg gezeigt.«

»Du mußt mir ein anderes Mal ausführlicher davon erzählen, wir haben in letzter Zeit so wenig voneinander gehabt durch alle diese Ereignisse, die uns von uns selbst ablenkten.« Die Mutter schlang den Arm um ihre Tochter und stand mit ihr am Fenster des dunklen Stübchens. Da begannen die Glocken zu läuten, erst leise, dann immer stärker anschwellend, bis von allen Türmen der Stadt die Weihnachtsglocken erschallten. Aus der Ferne, aus einem der nach hinten gelegenen Häuser tönte Weihnachtsgesang, es waren Kinderstimmen, die sangen: »Sollt' uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt über alle Maßen. Gott gibt, unserm Leid zu wehren, seinen Sohn aus dem Thron seiner Macht und Ehren.«

Da wurde die Tür aufgerissen. »Magda soll kommen, wo ist Magda?« rief Otto. »Siehst du,« sagte die Mutter, »du bist nicht vergessen, nun sei fröhlich und guter Dinge, heute ist Weihnachten auch für dich.« »Das weiß ich, liebe Mutter, ich freue mich, daß der Heiland auch mir geboren ist, er wird mir helfen, daß ich immer mehr sein Kind und Eigentum werde.«

Die Mutter drückte ihrem Kinde mit einem seligen Dankgefühl gegen Gott die Hand und kehrte mit ihr zurück ins Weihnachtszimmer.

»Magda soll kommen,« rief der Forstmeister, »sie ist die Hauptperson.« »Wäre sie nicht gewesen,« sagte Onkel Adolf, »dann säße ich noch oben als ein alter Griesgram und kümmerte mich um keinen Menschen im Hause. Ja, sie hat mir auch Irene angeschafft, kurz, wir sind ihr alle zu tiefem Dank verpflichtet.« Magda errötete tief und wollte allen Dank abwehren, doch das ging nicht. Alle kamen sie zu ihr und sagten ihr herzliche Worte. Dr. Wendt streckte ihr die Hand entgegen und sagte treuherzig: »Ich habe mir eben ausgerechnet, daß wir Vetter und Cousine geworden sind, da darf ich wohl wie früher ›Magda‹ sagen?« »Und ich ›Fritz‹,« fiel Magda fröhlich ein. »Ich denke, wir halten wieder gute Kameradschaft, wie in alten Zeiten,« fügte Fritz Wendt hinzu. »Das wollen wir,« war Magdas Antwort, und nun war es ihr um vieles leichter.

Die glücklichen Menschen saßen noch lange zusammen. Wie wunderbar waren sie unter einem Dache vereinigt, die so weit in der Welt voneinander getrennt gewesen waren. Waren denn aber die lieben Bewohner unten ganz vergessen? Durften sie nicht teilnehmen an der Freude und dem Jubel da oben, sie, die sich der jungen Mädchen mit so warmem Interesse angenommen, die sich in der schweren Krankheitszeit so uneigennützig bewiesen hatten? Nein, die Forstmeisterin, die ein warmes Herz für alle hatte, hatte schon im Laufe des Vormittags mit Minchen gesprochen und sie mit ihrem Besuch zum Kaffee eingeladen am ersten Feiertag nachmittag. Minchen hatte Bedenken wegen der lebhaften Knaben. Da hatte die Forstmeisterin gelächelt und gesagt: »Der alte Griesgram da oben hat sich als freundlicher, liebenswürdiger Onkel entpuppt, ich wüßte nicht, wen wir weiter zu fürchten hätten.«

So fand sich denn am andern Nachmittag eine zahlreiche Gesellschaft im ersten Stock zusammen. Frau Ehrlich erschien in ihrem ehemaligen Hochzeitskleid von perlgrauer Seide, das von den geschickten Händen der Töchter kleidsam und der Zeit angemessen, zugestutzt war, ein weißes Häubchen vollendete die Toilette und gab dem alten, treuherzigen Gesicht die rechte Weihe. Sie machte vor der stattlichen alten Dame von oben, die in schwarzer Seide gekleidet war, eine tiefe Verbeugung, und Frau von Busch, die sich immer mehr bemühte, die steife, gemessene Art abzulegen, lud Frau Ehrlich freundlich ein, neben ihr auf dem Sofa Platz zu nehmen. Als sie etwa zehn Minuten miteinander geplaudert hatten, meinte Frau Ehrlich: »Sie sind gar nicht so steif, wie ich Sie mir vorgestellt habe. Eine Dame, die ein so schönes Schloß hat –« »Gehabt hat,« verbesserte Frau von Busch. »Hat oder gehabt hat, es ist ja gleich, ob's dem Herrn Sohn gehört oder der Frau Mutter.« »Ei, ei, Frau Ehrlich, Sie plaudern ja Geheimnisse aus, dies sollte die Mutter heute erst erfahren,« rief der Forstmeister und drohte mit dem Finger. »Ich verunglücke immer,« sagte Frau Ehrlich, »entweder ich sage den Leuten etwas ins Gesicht, was sie nicht gerne hören, oder ich erzähle etwas, worüber nicht gesprochen werden darf, oder ich plaudere etwas aus, was noch geheim gehalten werden soll. Wenn Minchen oder Jettchen neben mir sitzen, so zupfen sie mich zur rechten Zeit am Kleide, oder wenn ich das nicht merke, geben sie mir einen leisen Fußtritt. Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich etwas gesagt habe.«

Jetzt öffnete sich die Tür, herein trat Onkel Adolf, gefolgt von Fritzchen und Konrad, die beide in größter Aufregung waren. »O, was hat er alles, Großmama, du glaubst es gar nicht,« schrie Konrad. »Leise, Kinder, ihr seid zum Besuch.« »Er ist gar nicht mehr so böse,« ging es eine Tonart leiser. »Er schlägt uns nicht mehr.« »Er hat uns so viel geschenkt, wir dürfen es nur nicht hereinbringen, o Großmama, heute abend sollst du alles sehen.« »Wer sind diese Kinder?« fragte Frau von Busch, »sind sie immer so aufgeregt?« »Es sind meine Enkel, gnädige Frau, sie haben die Lebhaftigkeit von mir. Wenn sie sich nur in Goldenau artig betragen.« »Diese Kinder in Goldenau?« fragte Frau von Busch verwundert. »Ja, liebes Mütterchen, heute kommt noch eine Überraschung,« sagte Herr von Busch; »ich habe den Vater dieser Knaben als Rentmeister und Inspektor unserer Güter angestellt, natürlich geht die Familie auch mit.« »Unsere Güter, Adolf, wie meinst du dies, Frau Ehrlich machte schon eine Äußerung – –« »Ich meine, daß ich, als du ankamst, nach Goldenau abreiste, um beide alte Familiengüter, Goldenau und Beckendorf, wieder in unsern Besitz zu bringen. Magda hatte mir ja verraten, wie es dort aussah; ich war froh, etwas von meinem Mammon dazu verwerten zu können, die alten Güter wieder zu gewinnen. Du bist wieder Herrin von Goldenau, aber dein Sohn wird für dich dort das Regiment führen, wie du es vor vielen Jahren wünschtest.« »Mein größter irdischer Wunsch ist erfüllt, wenn dies geschieht,« sagte Frau von Busch tief gerührt. »Doch es ist des Guten so überschwenglich viel, daß ich fürchte, es könnte mir wieder entrissen werden.« »Freuen Sie sich nur recht, Frau von Busch, ich freue mich auch, daß mein Schwiegersohn eine so gute Stelle bekommt bei Ihrem Herrn Sohn,« sagte Frau Ehrlich. Dann wandte sie sich an Herrn von Busch. »Es wird wohl Zeit, daß ich Sie einmal ordentlich ansehe. Setzen Sie sich doch zu mir. Wir wohnen nun zwei Jahre unter einem Dach und haben uns nie begrüßt. Ich bin daran nicht schuld, denn ich habe hinten und vorn aufgepaßt, um Ihnen zu begegnen, konnte es aber nicht erreichen. Auch habe ich oft an die Fenster gesehen; aber seit Sie einmal den Lärm mit meinem Minchen hatten, als sie mit ihrer Freundin in den ersten Stock hinaufgrüßte, nahm ich mir vor, Sie ganz zu ignorieren. Nun nehmen Sie einer alten Frau die Offenheit nicht übel, jetzt ist alles in Ordnung.« Herr von Busch lachte. »Es wäre besser gewesen, ich hätte mich Ihnen vorgestellt, Frau Ehrlich, dann hätte ich schon früher gute Ratschläge von Ihnen bekommen.« »Wahrscheinlich,« meinte die alte Dame. »Mit Irene wäre es jedenfalls früher an den Tag gekommen.« »Durch das Geschrei Ihrer kleinen Enkel ist sie mir zuerst nahegebracht worden, also muß ich den Buben dankbar sein, daß sie in meine Wohnung drangen.« »Ach,« seufzte Frau Ehrlich, »wenn Fritzchen und Konrad nur in Goldenau keine Streiche machen.« »Seien Sie unbesorgt, ich werde gut mit ihnen fertig, es sind famose Jungen trotz alledem.« Dies hörten sie nicht, denn sie waren längst wieder der Stube entflohen.

»Da kommen endlich meine Töchter, Minchen und Jettchen, meine beiden Töchter, Frau von Busch und Herr von Busch. Der Herr ist nicht so schlimm, als wir dachten.« Herr von Busch war ganz besonders liebenswürdig gegen die beiden Mädchen und lud sie und die Mutter ein, ihre Geschwister in Goldenau zu besuchen. Frau Ehrlich brachte es, trotz alles Zupfens und Abwehrens von seiten der Töchter, doch nun an, daß die Töchter meinten, Herrn von Busch einmal gesehen zu haben, und dieser erkannte denn auch die Mädchen, die sich damals des armen Flüchtlings angenommen hatten. Er sagte ihnen noch einmal Worte des Dankes; doch da er merkte, daß es ihnen unangenehm war, gelobte er sich innerlich, es den beiden später auf irgend eine Weise zu vergelten. Der Forstmeister, welcher sich mit Herrn Rekel und Frau unterhalten hatte, kam gerade dazu, als von der Flucht im Walde die Rede war. »Es gibt ja eine Erkennungsszene nach der andern,« rief er heiter, »man kommt gar nicht aus den Überraschungen heraus. Es fehlt nur noch, daß die Familie Radke sich auch noch als etwas zu uns Gehöriges entpuppt. »Frau Radke sitzt fast den ganzen Tag mit Frau Mabel zusammen und läßt sich von ihr erzählen. Letztere behauptet,« erzählte Magda, »ihr sei ordentlich wohl, daß sie von allem reden könne, und Frau Radke schlägt immer die Hände zusammen und wundert sich.«

Ja, das tat Frau Radke. »Das kommt davon, daß ich keinem Menschen einen Strohhalm in den Weg lege. Darum sind alle Herrschaften bei mir wohnen geblieben und sind nun alle in Freundschaft beisammen. Vater, was sagst du dazu?« fragte sie, als sie mit ihrem Alten und Frau Mabel an demselben Abend in der festlich geschmückten Wohnstube beisammen saß.

»Ich habe immer gesagt: ›Laß du nur alles seinen ruhigen Gang gehen, dann zieht sich alles von selbst zurecht.‹ Wenn die unter einem Dach alle eines Sinnes sind, dann herrscht Friede und Glück im Hause, und daß es bei uns immer so bleibt, darauf wollen wir drei einmal anstoßen.« Die Gläser klangen unten und klangen oben auf ein glückliches, friedliches Zusammenwohnen unter einem Dach!

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